Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Schmiergeld
Jonas: Ich machte die Tür auf, und da saß er. Mitten in meinem Büro. Auf meinem besten und einzigen Klientenstuhl. Er war klein und trug grau, das offizielle grau der Politiker und Geschäftsleute. Eine graue Maus. Unauffällig. Abgesehen von einer Kleinigkeit. Er war tot. Sein Gesicht war blau angelaufen, die Zunge hing ihm aus dem Mund, die Augen standen weit offen. Das gefiel mir nicht. Welcher Detektiv findet schon gern eine ermordete Leiche in seinem Büro?
Jonas: Erwürgt mit einer Drahtschlinge. Fachmännische Arbeit. Zwei Täter. Einer hält den Mann fest, der andere zieht zu.
Sam: Wie weiland die Thugs, eure mäßige Belesenheit dürfte sie kaum kennen. Eine indische Mördersekte. Welche vorzugsweise in Bengalen florierte. Zu Ehren ihrer Göttin Kali oder auch Bowarni erwürgten sie zahllose Menschen mit gelben Tüchern.
Jonas: Sam. Mein Computer. Bis an die Oberkante vollprogrammiert mit nützlichem Wissen und unnützer Gelehrsamkeit. Unentbehrlich und innervierend. Und ein bißchen verrückt. Vor fünf Jahren habe ich ihn billig gekauft. Im Ramsch. Als Einzelstück. Seitdem versuche ich mich an ihn zu gewöhnen. Das ist nicht leicht.
Sam: Dem Treiben der Thugs machte die britische Kolonialverwaltung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Ende.
Jonas: Wir sind in Babylon, Sam, nicht in Indien. Und wir haben heute den 2. Juni 2010. Wer immer unseren Besucher umgebracht hat, Thugs waren es bestimmt nicht, blas dich nicht auf mit deiner Bildung, mach dich nützlich.
Sam: Jawohl, großmächtiger Herr und Meister. Sam drängt darauf, sich ganz ungeheuer nützlich zu machen, doch wie, so fragt der Fachmann und der Laie wundert sich, wie oder mit anderen Worten ausgedrückt, auf welche Weise?
Jonas: Ich stell dich ab, Sam, ich werf dich aus dem Fenster.
Sam: Ob seines Gebieters Zorn windet sich der unglückselige Sklave im Staub.
Jonas: Ich verkauf dich als Schrott.
Sam: Bin ja schon ganz still, Chef.
Jonas: Kennst du den Mann?
Sam: Sorry, Sir. Nie gesehen.
Jonas: Ich auch nicht, aber das war kein Problem. Unser Besucher stellte sich selbst vor. Mein altes Diktaphon, das auf Sams Datenspeicher stand, war verschoben, kein Staub auf den Tasten, ein Detektiv sieht so was. Und er weiß, was das bedeutet. Ich ließ die Kassette zurücklaufen und der Tote sprach.
Hartog: Zunächst einmal muß ich Sie um Entschuldigung bitten, Herr Jonas, unter normalen Umständen hätte ich mir niemals erlaubt, Ihr Diktiergerät zu benutzen oder in Ihrer Abwesenheit in Ihre Räumlichkeiten einzudringen. Übrigens hat mich Ihr Hauswart eingelassen. Wie gesagt, nicht unter normalen Umständen. Aber die Umstände sind nicht normal. Ich werde verfolgt, ich fühle mich bedroht, und ich werde zu unrecht beschuldigt, Sie sind meine letzte Hoffnung, Herr Jonas.
Jonas: Jonas, das bin ich. Nur Jonas. Ich bin der die das letzte. Das letzte Gremium, die letzte Instanz, der letzte Privatdetektiv. Zu mir kommt man, wenn alle Stricke reißen. Nicht, daß ich viel tun kann, aber ich gebe mir Mühe. Davon lebe ich.
Hartog: Ich darf mich vorstellen. Hartog ist mein Name. Hugo Hartog. Sie werden mich nicht kennen. Ich bin Stadtrat in der babylonischen Finanzverwaltung, Abteilung Gewerbesteuern. Stellvertretender Abteilungsleiter. Kein großes Licht. Ja, ich, ich, ich sollte mich besser beeilen. Also, ein Journalist hat mich angerufen, ich kenne ihn flüchtig. Er heißt Sidonia, und er ist beim Europäischen Pressebüro EPB. Er hat einen Informanten bei Chips Inc. Und dieser Informant hat ihm eine Liste durchgegeben. Eine Liste, auf der alle stehen, die in diesem Jahr von Chips bestochen worden sind. Mit den Beträgen, die sie bekommen haben, wegen der Robotergesetze, wissen Sie.
Jonas: Natürlich wußte ich. Jeder weiß das. Die Robotergesetze bestimmen, daß ein Betrieb je nach Umsatz für eine bestimmte Anzahl Roboter eine menschliche Arbeitskraft einstellen muß. Oder eine kräftige Ersatzgebühr zahlen. Beides wollen die Betriebe nicht. Zu teuer. Zu umständlich. Deshalb schmieren sie die Kontrollbehörden. Das kommt billiger. So ist allen geholfen. Nur nicht den menschlichen Arbeitskräften. Aber die fragt sowieso keiner.
Hartog: Und ganz oben auf der Liste, sagt Sidonia, stehe ich. Als erster. Mit 15 Millionen Euros. Das stimmt nicht, Herr Jonas, das schwöre ich. Mit Chips habe ich seit Jahren nichts mehr zu tun, und ich habe in meinem Leben noch nie Schmiergeld genommen. Das habe ich Sidonia gesagt, aber der glaubt mir nicht, und wird die Liste heute noch veröffentlichen. Helfen Sie mir, Herr Jonas. Beweisen Sie meine Unschuld, ich bitte Sie. Da, Schritte draußen auf dem Gang. Sie kommen nach Hause, Herr Jonas. Der Rest mündlich.
Jonas: Ich war’s nicht, der da gekommen ist.
Sam: Keinesfalls, o Rächer der Genervten. Wie die akustisch-subtonale Anneliese, äh Korrektur Analyse zeigt, handelte es sich um die Schritte zweier Menschen.
Jonas: Die Mörder mit der Drahtschlinge. Glaubst du ihm, Sam?
Sam: Begriff unpräzise, Meister. Computer glauben nicht, Computer wissen.
Jonas: OK, Sammy. Weißt du, ob er die Wahrheit sagt?
Sam: Daten unzureichend, Hochwürden.
Jonas: Na, dann machen wir sie doch ein bißchen zureichender. Wie spät ist es?
Sam: Piep. 14 Uhr 1 Minute und 12 Sekunden.
Jonas: News Time im öffentlichen Holokanal.
Nachrichtensprecherin: Liste mit angeblichen Empfängern von Bestechungsgeldern. Chips Inc, der bedeutendste Hardwareproducer in den Vereinigten Staaten von Europa, hat bisher jede Stellungnahme abgelehnt. Auch der Hauptbelastete, Stadtrat Hartog, hat sich noch nicht geäußert. Ein Sprecher der Finanzverwaltung teilte mit...
Jonas: Soweit stimmt die Sache also. Er steht wirklich ganz oben auf der Schmiergeldliste von Chips, der Herr Hartog.
Sam: Möge er ruhen in Frieden, Eminenz.
Jonas: Dafür werden wir sorgen, Sammy.
Sam: Wie ist dieses zu verstehen, Heiligkeit?
Jonas: Hartog ist zu mir gekommen, er hat mir den Auftrag gegeben, die Angelegenheit zu klären. Wenn er genug Geld bei sich hat.
Sam: 80 Euros pro Tag plus Spesen.
Jonas: Ich hab schon jede Menge Auftraggeber gehabt. Dicke und dünne, verrückte und normale, nette und widerliche, aber noch keinen Toten. Das war was neues.
Sam: Hoffentlich bringt's auch was ein, Meister.
Jonas: Wollen mal sehen. Hier, hier ist seine Brieftasche, 100, 200, 10, 20, 30, 40, 50, 70 Euros in Scheinen, 240 für mich als Anzahlung, 3 Tagessätze.
Sam: Und die Spesen, o leuchtendes Exempel an Großzügigkeit?
Jonas: Wird sich finden, Sam.
Sam: Dein Wort in Gottes Ohr, Alter. Wenn Sie gestatten, Sir, es hat gedong-dongt. Geklopfet.
Jonas: Wir sind nicht zu Hause, James. Eine Leiche im Salon verstört auch den gutwilligsten Gast.
Brock: Machen Sie auf, Jonas, Kriminalpolizei.
Jonas: Die gute alte Kripo. Sie ist immer noch unter uns. Unterbesetzt. Unterbezahlt. Unterbewertet. Staatsgewalt für Minderbemittelte. Wer was hat, leistet sich Privatbullen. Und für die wirklich wichtigen Dinge gibt’s Spezialtruppen. PoPo, MePo, FiPo etc. Aber wenn die Kripo auch keine große Rolle mehr spielt, einem einzelnen Privatdetektiv kann sie noch ganz schön Ärger machen. Besonders wenn sie im Büro des Detektivs einen Ermordeten findet. Und wenn die Kripo aus Inspektor Brock nebst Gefolge besteht.
Brock: Ich hab's ja immer gesagt, Jonas, mit Ihnen ist was faul. Privatdetektiv. Das ist doch kein Beruf für einen anständigen Menschen.
Jonas: Wir können nicht alle bei der Kripo sein, Inspektor. Was führt Sie zu mir.
Brock: Wir sind angerufen worden.
Jonas: Von wem?
Brock: Von einer Frau. Namen hat sie nicht gesagt. Nur daß bei Ihnen einer ermordet worden ist. Kunde von Ihnen?
Jonas: Der Tote, ja, könnte man sagen.
Brock: Haben Sie ihn umgebracht.
Jonas: Soviel Kunden hab ich nicht, daß ich s mir leisten kann sie umzubringen.
Brock: Ich glaube Ihnen kein Wort, Jonas. Pauly.
Pauly: Inspektor?
Brock: Was sagt der Pathomat?
Pauly: Moment. Tod trat ein genau 12 Uhr 49.
Brock: Wo waren Sie 12 Uhr 49, Jonas?
Jonas: Bei Ihnen Bröckchen.
Brock: Scheißen Sie mich nicht an. Wo waren Sie?
Jonas: In der Zentrale der Sicherheitsverwaltung, Europaplatz in der Polizeikantine beim Essen.
Brock: Echt? Kein Scheiß?
Jonas: Sojaschnitzel mit gedämpften Algen, recycelt natürlich aber gar nicht schlecht.
Brock: Haben Sie Zeugen?
Jonas: Nur einen. Das heißt: eine: Ihre Chefin.
Brock: Sie scheißen mich ja schon wieder an.
Jonas: Kein Scheiß Inspektor. Rufen Sie Frau Delgado an.
Jonas: Judith Delgado ist Hauptabteilungsleiterin bei der Sicherheitsverwaltung und sie ist meine z.B., meine zeitweilige Beziehung, wobei das zeitweilig eigentlich nicht mehr stimmt, immerhin kennen wir uns seit über einem Jahr, und Beziehung stimmt auch nicht so richtig, weil wir uns meist streiten, allerdings in letzter Zeit ist es zwischen uns besser geworden, vielleicht weil ich sie rausgeholt habe, als sie gekidnaped und auf die Insel Swartcliff verschleppt worden war. Wie auch immer, wir hatten wirklich zusammen gegessen in der Polizeikantine. Bei so einem Alibi mußte Inspektor Brock abschnallen und ohne Jonas von dann ziehen. Was ihm sichtlich schwer fiel, und ich konnte endlich anfangen an meinem neuen Fall zu arbeiten.
Sam: Roy Sidonia, Journalist, angestellt in europäischen Pressebüro.
Jonas: Tschuldigung, du verwirrst mich, Sam, wo wohnt er?
Sam: Im Nordwestbezirk, Mardukstraße 20.
Jonas: Nicht gerade um die Ecke. Wie kommen wir hin Sammy?
Sam: Am bequemsten per Rikscha, Sahib, am billigsten zu Fuß. Am schnellsten mit der Metro.
Jonas: Also die Metro, ich hatte es eilig, und ich konnte Judo und Karate und was ich sonst noch im antarktischen Krieg gelernt hatte. Vor Räubern und Funkillern brauchte ich keine Angst zu haben. Trotzdem, richtig wohl fühlte ich mich erst wieder, als ich an der Mardukstraße ausstieg. Ein mittleres Viertel, nicht posch, aber auch nicht gerade heruntergekommen, solider Durchschnitt. Sidonia wohnte in einem Mietshaus aus dem vorigen Jahrhundert im 4. Stock. Kein Fahrstuhl und zum Glück auch kein Torwächter. Er war nicht da, jedenfalls machte er nicht auf. Ich machte auf, sein Türschloß war so alt wie das Haus.
Jonas: Mindestens 30 Quadratmeter.
Sam: Der Mitarbeiter eines kontinentalen Infobüros in Tarifstufe 6 hat Anrecht auf 32 Quadratmeter Wohnraum, o du mein beengter, eingezwängter und beschränkter Freiberufler.
Jonas: Sam hatte ich dabei. Wie immer, ich meine natürlich Sam 2, kleiner Apparat, paßt in jede Tasche, rund um die Uhr mit dem großen Kasten im Büro verbunden, drahtlos, guter Rat überall und jeder Zeit und Nervensägerei als Zugabe.
Sam: Das Leben ist ungerecht, Genosse. Find dich damit ab. Ein Journalist gilt mehr als ein Privatdetektiv.
Jonas: Dieser Journalist hat nur leider nichts mehr davon. Er ist nämlich tot, da liegt er, neben dem Bett.
Sam: Aha, aus diesem Grunde hat er meinen Herrn nicht die Türe geöffnet.
Jonas: Sehr gut mein dear Watson. Sehr scharfsinnig. Computer sind Denkmaschinen, das bestätigt sich immer wieder.
Sam: Daten, wenn ich bitten darf, Daten und keine blöden Bemerkungen, o Wonne meiner Seele die ich nicht besitze. Wie kam Sidonia zu Tode. Falls es sich bei der Leiche tatsächlich um ihn handelt.
Jonas: Es ist Sidonia, er hat seine Bürgerkarte in der Tasche. Er hat überhaupt noch alles in der Tasche, Schlüssel, Geld und er ist ermordet worden.
Sam: Erwürgt?
Jonas: Mit einer Drahtschlinge. Kommt uns bekannt vor, was Sammy.
Sam: Ein Muster beginnt sich abzuzeichnen, großer Kombinator. Stadtrat Hartog in dero Durchlaucht Büro, Sidonia in seiner Wohnung, die gleiche Methode, die gleichen Mörder, der gleiche Fall.
Jonas: Alles gleich, Sam. Bis auf eins. Sieh dir den Computer in der rechten Ecke an.
Sam: Computer? Das Ding ist so alt, daß es nicht mal reden kann, igitt, so was nenn ich nicht Computer, das ist eine Rechenmaschine, wenn's hochkommt, ein Museumstücke, zum normalen Gebrauch nicht geeignet.
Jonas: Ist ja auch schon jahrelang nicht mehr benutzt worden, Sam. Fingerdick Staub, Roststellen, die Tasten verklemmt. Trotzdem haben die Mörder den Speicher kaputt geschlagen und ausgeräumt.
Sam: Wie euer Scharfsinn bereits erschlossen haben dürfte, waren sie bemüht zu verhindern, daß gewisse Informationen anderweit bekannt würden. Informationen, welche zweifellos mit Chips Inc. und mit der Bestechungsliste in Zusammenhang stehen.
Jonas: Vermutlich der Name der Person, die Sidonia die Liste gegeben hat.
Sam: Dabei ist den Tätern nicht aufgefallen, daß die fragliche Information sich keinesfalls in diesem diesem computerähnlichen Etwas befunden haben kann, Hoheit.
Jonas: Das waren Killer, Sam, keine Infoexperten.
Sam: Im Gegensatz zu meinem Gebieter, welcher ohne Frage weiß, wo die gesuchte Information zu finden ist.
Jonas: Ach ja.
Sam: Nicht. O Sancta Inplicitas. So lasset uns denn logisch vorgehen, geliebte Gemeinde. Erstens. Kein Mensch kommt heutzutage ohne Computer aus.
Jonas: Richtig.
Sam: Zweitens in seiner Privatwohnung verfügte Sidonia nicht über eine benutzbaren Computer.
Jonas: Auch richtig.
Sam: Drittens. Sidonia hat seinen Computer an anderer Stelle.
Jonas: Das Europäische Pressebüro liegt im Zentrum, nicht weit vom Europaplatz. Reinkommen ist ein Kinderspiel: Man braucht nur eine Aktentasche unterm Arm, einen wichtigen Gesichtsausdruck und Sidonias Paß, den ich in seiner Tasche gefunden hatte. In Tarifstufe 6 hat man nicht nur Anspruch auf 32 Quadratmeter Wohnfläche, sondern auch auf ein Einzelbüro. Schreibtisch mit Textgerät, Stuhl, Schrank, und ein Personalcomputer, klein aber effektiv. Ich aktivierte ihn mit Sidonias Schlüssel. Keine lange Unterhaltung, das war zu gefährlich. Ich ließ Sam kurz interfacen und holte dann schnell aus ihm raus was ich wissen wollte.
Sam: Aye aye Sir, kurz und bündig. Unter heutigem Datum, 6 Uhr 30 morgens findet sich verzeichnet die ungewöhnlich hohe Zahlung von Euros 3000 für Information erhalten, Kennwort Liste Chips.
Jonas: Das ist es, Sammy. Zahlungsempfänger?
Sam: C. Hinkelstein. Auch in den vorangegangen Monaten taucht dieser Name des öfteren auf, o Schmieröl meiner Schaltungen.
Jonas: Ganz klar. Hinkelstein war Sidonias Informant bei Chips Inc und er hat ihm heute morgen die Liste der Schmiergeldempfänger geliefert, die Liste, auf der unser Klient ganz oben steht.
Sam: Vermutlich zu Unrecht.
Jonas: Hinkelstein. Ausgefallener Name. Sieh mal das Personalverzeichnis von Chips durch, Sammy.
Sam: Schon passiert, Herr Oberbrandmeister, unter den zahlreichen Mitarbeitern von Chips befindet sich nur ein C. Hinkelstein. Berichtigung: nur eine C. Hinkelstein. Carla Hinkelstein, Sachbearbeiterin in der Abteilung Marketing und PR.
Jonas: Fonnummer.
Sam: Wünschen Durchlaucht Dienst oder Privatnummer.
Jonas: Wie spät?
Sam: Piep. 17 Uhr 21 Minuten und 8 Sekunden.
Jonas: Dann wird sie zu Hause sein.
Sam: 2271399625.
Hinkelstein: Ja?
Jonas: Frau Carla Hinkelstein?
Hinkelstein: Ja?
Jonas: Mein Name ist Jonas, nur Jonas. Ich möchte mit Ihnen sprechen.
Hinkelstein: Ja worüber?
Jonas: Eine Überraschung. Sie konnte nicht nur ja, sie konnte auch anders. Und mehr. Das machte mir Mut.
Jonas: Über einen Bekannten von Ihnen, Roy Sidonia und über eine gewisse Liste.
Hinkelstein: Ich weiß nicht, was Sie meinen.
Jonas: Natürlich nicht. Kann ich gleich vorbeikommen.
Hinkelstein: Sind Sie von der Presse?
Jonas: Nein, ich bin Detektiv.
Hinkelstein: Oh, heute geht's nicht, kommen Sie morgen.
Jonas: Zu Chips?
Hinkelstein: Nein, in meine Wohnung, Lemstraße 92. Morgen früh um 8.
Jonas: Im Korridor vor meinem Büro war’s dunkel. Der Hauswart hatte vergessen die kaputte Birne der Deckenlampe auszuwechseln. Wie üblich. Das störte mich nicht. Ich finde das Schlüsselloch auch im Dunkeln. Was mich störte war ein Umriß neben meiner Tür. Ein Umriß, der etwas heller war als die Wand und der sich bewegte. Ich ließ den Schlüssel los und griff nach meiner alten Smith and Wesson, eher Maskottchen als Waffe aber im Zweifelsfall besser als nichts.
Luna: Herr Jonas?
Jonas: Treten Sie drei Schritt zurück und bleiben Sie dann ganz still stehen.
Luna: Keine Angst, Herr Jonas, Sie sind doch Herr Jonas, ich tue Ihnen nichts, im Gegenteil. Ich brauche einen Detektiv. Der Hauswart wollte mich nicht in Ihr Büro lassen.
Jonas: Ich hab's ihm verboten aus gutem Grund. Kommen Sie rein. Setzen Sie sich. Lassen Sie sich ansehen.
Jonas: Eine Frau Mitte 30, kräftige Schultern, große Füße in flachen Schuhen, ein Gesicht ohne Bemalung, schmaler Mund, kleine Augen, Kleidung so so, kein Schund aber auch nichts besonders, kein Schmuck. Sie saß steif da, Knie zusammen, Hände im Schoß gefaltet. Nicht gerade ein herzerwärmender Typ, aber wer sagt, daß einem Privatdetektiv alle seine Klienten sympathisch sein müssen.
Luna: Ich heiße Marten. Vanessa Marten.
Jonas: Und Sie brauchen einen Detektiv. Warum.
Luna: Ich hab eine Partnerin, Nora Karatschi.
Jonas: Zeitweilig oder dauerhaft?
Luna: Z.B. Wir haben einen Halbjahresvertrag gemacht.
Jonas: Ja.
Luna: Nora geht fremd, seit ein paar Wochen, jeden Montag abend verschwindet sie, wenn sie glaubt, ich schlafe, ich nehme Pillen, wissen sie, vegetative Dystomie.
Jonas: Sieht man Ihnen nicht an. Und?
Luna: Am nächsten Morgen kommt sie zurück, ganz früh und tut, als ob nichts gewesen ist. Letzten Montag bin ich ihr heimlich nachgegangen, wir wohnen ganz in der Nähe, sie ist hier die Straße langgegangen, vorbei an Ihrem Haus, um die Ecke gebogen.
Jonas: Und dann?
Luna: War sie verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Ich hab gesucht aber.
Jonas: Mir ist nicht ganz klar, was Sie von mir wollen, Frau Marten.
Luna: Die Sache ist die, unser Vertrag läuft noch gut zwei Monate, und wenn Nora ihn bricht...
Jonas: Der Vertrag enthält eine Exklusivitätsklausel.
Luna: Ja sicher, wenn Nora den Vertrag bricht, kann ich die Beziehung sofort beenden, ohne Abfindung.
Jonas: In diesem Fall müssen Ihrer Partnerin den Vertragsbruch nachweisen.
Luna: Aber deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen Herr Jonas. Ich bauch eine Fachperson, die Nora nicht aus den Augen verliert und die als unabhängiger Zeuge aussagen kann. Was kosten Sie?
Jonas: 80 Euros pro Tag und Spesen.
Luna: Heute ist Montag. Wenn Sie den Fall heute Nacht zu Ende bringen, zahle ich Ihnen 120 Euros bar auf die Hand.
Jonas: Es war schon komisch, da hatte ich wochenlang keinen einzigen Fall und jetzt hatte ich zwei auf einmal, falls ich den Auftrag von Vanessa Marten annahm. Sie war mir nicht sympathisch, ihre Geschichte auch nicht. Aber 120 steuerfreie Euros, und Verträge müssen schließlich eingehalten werden. Also sagte ich ja.
Luna: Wenn Nora heut nacht aus dem Haus geht.
Jonas: Rufen Sie mich an, ich warte unten vor dem Haus auf Sie. Sie zeigen mir ihre Partnerin.
Luna: Sie gehen ihr nach und
Jonas: Alles übrige ist meine Sache. Und vergessen Sie das Geld nicht...
Judith: Och nein, nicht Jonas, geh nicht ans Fon.
Jonas: Hmh. Jonas?
Luna: Vanessa Marten. Eben ist Nora aus dem Haus gegangen. Können Sie in 5 Minuten unten sein?
Jonas: Ich werd's versuchen.
Judith: Du willst weg.
Jonas: Ich muß weg.
Judith: Jetzt, kurz vor zwei.
Jonas: Ein Detektiv ist immer im Dienst.
Judith: Komm wieder ins Bett, Jonas, mir ist kalt ohne dich.
Jonas: Judith war bei mir. Das kam nicht oft vor. Sie hat es lieber, wenn ich zu ihr komme, das ist für beide bequemer, meint sie, sie hat 48 Quadratmeter, und sie meint, bei mir kommt immer was dazwischen. Da hat sie nicht unrecht.
Judith: Kannst du es nicht verschieben?
Jonas: Unmöglich. Wo zum Donner ist Sam zwo, du hast vorhin aufgeräumt, Judith, wo hast du ihn hingetan?
Judith: Ach, ich kann mich nicht erinnern.
Jonas: Also dann muß es ohne Computer gehen. Kein Problem bei so einem kleinen Fall, reine Routine. Ich muß los. Also schlaf schön weiter, Judith.
Jonas: Ich wartete unten an der Haustür im Schatten. Ein paar Menschen kamen vorbei. Frauen, Männer und zwei oder drei, die ich nicht einordnen konnte. Als Vanessa Marten erschien, trat ich aus dem Schatten.
Luna: Gut. Sie sind pünktlich, Jonas, da vorn, die Frau im roten Cape, das ist Nora.
Jonas: Ausgesprochen hilfreich, ihre Partnerin.
Luna: Was meinen Sie?
Jonas: Weil sie so auffällig angezogen ist, leicht im Auge zu behalten. Sie können jetzt gehen, Frau Marten, den Rest übernehme ich.
Luna: Ich komm mit, ich will wissen, wo Nora hingeht und was sie da tut.
Jonas: Sie kriegen morgen einen Bericht in dreifacher Ausfertigung.
Luna: Das ist mir zu spät, ich weil es gleich wissen. Ich geh mit.
Jonas: OK sie bezahlen, aber das Kommando habe ich.
Luna: Jetzt ist sie um die Ecke gebogen. Da ist sie letzten Montag verschwunden.
Jonas: Na kommen sie.
Luna: Weg ist sie, wie letzte Woche, spurlos.
Jonas: Nicht spurlos. Sehen Sie mal da.
Jonas: Gleich hinter der Ecke dicht an der Wand stand ein Kanaldeckel einen Spalt offen. Und in dem Spalt hatte sich ein rotes Stoffstück verfangen. Ein glücklicher Zufall, so glücklich, daß ich ein bißchen mißtrauisch wurde. Jonas ist ein guter Kerl, offen, vertauensselig, aber für dumm läßt er sich nicht verkaufen. Ein Jammer, daß Sam nicht bei mir war, auch die Smith and Wesson hatte ich zuhause gelassen. Alles was ich hatte war eine Taschenlampe. Ich hob den Deckel hoch und leuchtete, eine Treppe, wir stiegen nach unten, etwa 20 Stufen, dann ein Absatz und die Tür zu einem Quicklift. Ich sah auf den Indikator, der Lift zischte in die Tiefe und kam ganz unten zum Stehen. Ich wartete einen Moment, holte ihn hoch, und wir, Vanessa Marten und ich, fuhren in die Unterwelt.
Jonas: Wissen Sie wo es hier hingeht?
Luna: Nein, Sie?
Jonas: Ich glaube schon. In die Eingeweide von Babylon, zu den Kloaken, den Recyclinganlagen und Biogasgeneratoren. In die Scheiße.
Luna: Ich kann mir nicht vorstellen, was Nora da unten sucht.
Jonas: Wenn sie ein heimliches Verhältnis hat dann höchstens mit einem Cop-Robot. Menschen gibt’s da nicht. Endstation. Alles aussteigen. Nach ihnen, mein Dame.
Jonas: Ich war vorsichtig und behielt meine Begleiterin im Auge, in einem Auge, das andere brauchte ich für meine Umgebung. Wir standen unter einer riesigen Kuppel auf einem weiten unterirdischen Platz, neben dem Lift eine Schaltzentrale, Tafeln, Lichter, Computer, Monitore, ein Fon, dann rechts und links die Einmündungen zahl-loser Kanäle, die sich mitten auf dem Platz trafen und einen großen Teich bildeten. Einen Teich, der nicht stagnierte, sondern sich dick und dunkel nach hinten wälzte, und da teilte er sich. Auf einer Seite saugten Pumpen das Gas ab für die Biogenera-toren, die man irgendwo hinter den Wänden summen hörte, daneben wurde die fest-ere Materie in Richtung Recyclingcenter geschoben, wo man aus dem, was 25 Millio-nen Babylonier so unter sich lassen, Essen und Trinken für eben diese 25 Millionen macht. Über allem trübes Licht, unerträgliche Hitze. Noch unerträglicher Gestank.
Jonas: Mir stinkt noch was. Ihre Partnerin ist verschwunden.
Luna: Ich seh rot, da, dritte Einmündung rechts. Auf dem seitlichen Laufsteg.
Jonas: Sie machen recht, bleiben sie vor mir.
Jonas: Wie gesagt, ich war vorsichtig, aber nicht vorsichtig genug. Das rote in der dritten Einmündung rechts war tatsächlich das Cap, aber Nora Karatschi steckte nicht drin, sie hockte in der zweiten Einmündung, im dunkeln, unsichtbar, und als ich vorbei lief, zog sie mir die Beine weg. Ich schlug auf, hart und trat kurz ab, nur ein paar Sekunden, aber die reichten, als ich wieder da war, hatten sie mich schon verschnürt. Hände auf dem Rücken, Füße zusammen. Sie standen vor mir. Vanessa Marten und eine Frau, die aussah wie ihr Zwilling.
Jonas: Nora Karatschi nehme ich an.
Nike: Nora Karatschi gibt's nicht mehr.
Luna: Und Vanessa Marten auch nicht.
Nike: Wir sind Nike.
Luna: Und Luna.
Nike: Nike und Luna, das taffe tödliche Team.
Luna: Das coole Killerkommando.
Nike: Bekannt und begehrt.
Luna: Schon von uns gehört?
Nike: Haben sie ein Partner, der sie stört, einen Erbonkel der nicht sterben will, einen Detektiv der lästig wird, kein Problem.
Luna: Rufen sie Nike und Luna.
Nike: Wir haben Hartog erledigt.
Luna: Und Sidonia.
Nike: Und die Hinkelstein.
Luna: Und jetzt ist Jonas fällig.
Nike: Wir haben gedacht, das wird schwierig.
Luna: Jonas ist ein harter Typ haben wir gedacht.
Nike: Deshalb haben wir ihn in die Kloake gelockt.
Luna: Es war viel leichter, als wir dachten.
Nike: Was machen wir mit ihm, Luna, das übliche, Schlinge um den Hals und...
Luna: Nicht nötig, Nike, wir schmeißen den Scheißkerl in die Scheiße.
Nike: Gut. Da kann er sich aussuchen, ob er Bio-Energie werden will oder Sojakäse Also dann... Ha!
Luna: Was?
Jonas: Nike und Luna, die coolen Killer fielen um und rührten sich nicht mehr. Ich hörte Schritte und drehte den Kopf. Ein junger Mann, den ich noch nie gesehen hatte, Overall über formeller grauer Bluse, Gummistiefel, elektrischer Knockouter in der Hand, keine besonderen Kennzeichen. Er blieb vor mir stehen und tippte mich mit der Fußspitze an.
Joker: Tut mir leid, ich konnte nicht früher kommen.
Jonas: Keine Sekunde zu früh, gerade wollten sie mich in die Kloake schmeißen.
Joker: Sehr ungezogen von den beiden, das können wir ihnen nicht durchgehen lassen. Strafe muß sein. Wie du mir so ich dir. Auge um Auge.
Jonas: Wer sind Sie? Eine Art Kanalarbeiter?
Joker: Sagen wir eine Art Joker. Die Karte, die den Spielverlauf plötzlich und unerwartet ändert. Drehen Sie sich um. So, Ihre Hände sind frei. Machen Sie's gut.
Jonas: Und die Füße?
Joker: Das werden sie doch wohl selbst können.
Jonas: Warum haben Sie mich gerettet?
Joker: Weil man's mir gesagt hat. Sie werden noch gebraucht. Jonas. Wir sehen uns.
Jonas: Weg war er. Ich machte die Fußfesseln los und stand auf. Von Nike und Luna war nichts mehr zu sehen. Trotz der Hitze lief es mir kalt über den Rücken wenn ich mir vorstellte, was sie mir zugedacht und sich schließlich selbst eingehandelt hatten. Ich ging zur Schaltzentrale. Das Fon war in Ordnung. Ich rief bei mir an und hoffte, daß Judith noch da war. Ich hatte so eine Ahnung. Judith war da. Ich erzählte ihr kurz was passiert war.
Judith: Wärst du lieber im Bett geblieben, Jonas. Bei mir.
Jonas: Die Nacht ist noch jung. Ich bin gleich da, und wir holen nach was wir versäumt haben.
Judith: Das geht nicht. Du darfst nicht nach Hause kommen.
Jonas: Was ist?
Judith: Großfahndung nach einem gewissen Jonas. Inspektor Brock muß jeden Moment hier sein.
Jonas: Was will er denn, ich hab doch ein Alibi.
Judith: Für Hartog ja, aber nicht für Sidonia.
Jonas: Sidonia? Sie wollen mir den Mord an Sidonia anhängen?
Judith: Es sieht so aus.
Jonas: Hör zu, Judith, hast du Sam zwo gefunden?
Judith: Ja, er war
Jonas: Ist nicht wichtig. Steck ihn ein, bring ihn mir.
Judith: Wo treffen wir uns.
Jonas: Kennst du den Armen Schlucker.
Judith: Ich weiß nicht.
Jonas: Der Dipsomat Lem-/Ecke Strugatzkistraße. In 20 Minuten.
Jonas: Auf Judith kann ich mich verlasen. Sie war schon da, als ich in den Dipsomaten kam, in einer dunklen Ecke hinter einem Campari Synth. Ich zog mir, nein, keinen Whisky, ein Mineralwasser, meinem Magen war der Ausflug in den babylonischen Mastdarm nicht bekommen. Außerdem brauchte ich ein klaren Kopf.
Judith: Armer Jonas. Gleich zwei Parteien sind hinter dir her, die Kripo und
Jonas: Nike und Luna. Aber die sind tot.
Judith: Nike und Luna waren professionelle Killer, die arbeiten nicht auf eigene Rechung. Jemand hat sie bezahlt, und für diesen jemand haben sie Hartog und Sidonia umgebracht.
Jonas: Und Carla Hinkelstein, Sidonias Informantin, das haben sie jedenfalls behauptet.
Judith: Und fast auch dich. Jonas wer ist diese Jemand?
Jonas: Keine Ahnung, ich weiß bloß, der Schlüssel der ganzen Sache liegt bei Chips Inc. und deshalb...
Sam: Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der dritte.
Jonas: Wenn du was wichtiges beizutragen hast, Sammy.
Sam: Sam hat, sowohl eure großfürstliche Gnaden als auch die Dame Judith geruhen einen entscheidenden Faktor zu übersehen. Die dritte Partei.
Judith: Ich nehme an du meinst...
Sam: Den oder die Auftraggeber hinter jenem mysteriösen Joker, welcher meinen über allen geliebten Jonas vor einem unaussprechlich schauderbaren Tode errettete.
Jonas: Was ich ausgesprochen nett von ihm finde. Chips, da muß ich ansetzen.
Sam: Wie denn und wo genau du aus dem Hades heimgekehrter Odysseus.
Jonas: In der Wohnung von Carla Hinkelstein. Vielleicht kann ich die Spur von da weiterverfolgen.
Judith: Kann ich nicht mitkommen, Jonas.
Jonas: Besser nicht, Judith, wenn die Kripo uns zusammen erwischt, verlierst du deinen Job. Ich werds schon schaffen.
Sam: Treuen Sam nicht vergessen, Wahna.
Jonas: Danke Sam, Ich hab ja gesehen was passiert wenn du nicht dabei bist.
Sam: Hmh, Hoheit geraten voll in die Exkremente.
Jonas: Du sagst es, Sammy. Drück mir die Daumen Judith.
Judith: Machs gut Jonas und komm wieder.
Jonas: Carla Hinkelsteins Wohnung lag gleich nebenan. Das war mit ein Grund, wa-rum ich mich mit Judith im armen Schlucker getroffen hatte. Ich kam genau so leicht rein wie am Vortag bei Sidonia, die Wohnung war genauso groß, genauso geschnit-ten und wie bei Sidonia lag auf dem Boden eine Leiche mit einer Drahtschlinge um den Hals. Nike und Luna hatten die Wahrheit gesagt. Der Computer war kaputt, keine Spur, kein Hinweis. Hier kommst du nicht weiter, Jonas, dachte ich, das war ein Irrtum. Ich kam weiter, wenn auch anders als ich mir das vorgestellt hatte.
Brock: Aufmachen. Kriminalpolizei.
Jonas: Schon wieder.
Brock: Pauly?
Pauly: Inspektor?
Brock: Brechen Sie die Tür auf.
Pauly: Zu Befehl Inspektor.
Brock: Hände hoch, Gesicht zur Wand, Beine auseinander. Pauly, durchsuchen.
Pauly: Zu Befehl, Inspektor.
Jonas: Kommen Sie mal wieder runter Bröckchen, ich bin nicht Jack the Ripper, ich bin nur Jonas.
Brock: Haben Sie das gehört, Pauly, bloß Jonas, der Privatdetektiv, der Störenfried, der Massenmörder.
Pauly: Er ist sauber, Inspektor, keine Waffe, nur ein Taschencomputer.
Jonas: Das ist kein Computer, das ist eine geheime Superminibombe, damit will ich das Kripocenter in die Luft sprengen.
Brock: Wird Ihnen schon noch vergehen Ihre große Schnauze. Pauly Handschellen.
Pauly: Zu Befehl, Inspektor.
Jonas: Wieder ein anonymer Tip, Inspektor?
Brock: Wie bei Hartog und wie bei Sidonia und diesmal wird auch Hauptabteilungsleiterin Delgado Sie nicht rausreißen können. Vorwärt marsch.
Jonas: Die grüne Minna war blau, ein Elektromobil, die Polizei kann sich das leisten. Unterwegs guckte ich aus dem Hinterfenster, eine Motorrikscha war hinter uns, 20, 25 Meter entfernt, und sie blieb uns ständig auf den Fersen, in der Rikscha saß ein grauer Typ, der mich stark an den Joker aus den Kloaken erinnerte. Vielleicht hätte ich besser nach vorn sehen sollen, da stand nämlich ein großes Elektromobil quer über der Straße.
Leutnant: Alle bleibt ganz ganz ruhig, dann passiert nichts. Nehmen sie dem Mann die Handschellen ab.
Brock: Sie wissen wohl nicht wen sie vor sich haben. Kriminalpolizei Inspektor Brock.
Leutnant: Ich mach mir vor Angst in die Hosen. Wird's bald.
Brock: Pauly?
Pauly: Inspektor?
Brock: Die Handschellen. Schließen Sie auf.
Pauly: Zu Befehl, Inspektor.
Leutnant: Na bitte. Raus mit Ihnen, Jonas oder wie sie heißen.
Jonas: Wir müssen uns trennen, Inspektor, höhere Gewalt, die sind mehr und haben Laserstrahler.
Jonas: Die Herrschaften, die mich mitten auf der Straße der Kripo geklaut hatten, trugen schwarze Uniformen mit einem großen gelben C auf der Brust. Sie sahen ein bißchen aus wie weiland Superman, waren aber nur Sicherheitskräfte von Chips Inc. Das paßte. Und es paßte auch, daß sie mich in den Innenhof der Chipszentrale am Hendrick-August-Platz fuhren und dann mit dem Lift in den 30. Stock, dem obersten und letzten, wo die ganz großen Tiere von Chips sitzen, und hier schoben sie mich in einen kleinen kahlen Raum ohne Fenster.
Leutnant: Warten Sie hier.
Jonas: Was sagst du dazu, Sam?
Sam: Der Nebel flieht, das Licht dringt durch, es klären sich die Fronten, o vielbegehrter Jonas.
Joker: Jonas!
Jonas: Die kleine Klappe in der Tür war aufgegangen und dahinter erschien ein Gesicht, ein vertrautes Gesicht, ein willkommenes Gesicht, ein Gesicht, das mir inzwischen richtig ans Herz gewachsen war.
Jonas: Sieh mal an der Joker.
Joker: Kommen Sie her, Jonas, machen Sie schon, wir haben nicht viel Zeit. Hier, nehmen Sie das, schlucken Sie's runter.
Jonas: Ein Minisender. Wozu?
Joker: Man wird gleich ein Gespräch mit Ihnen führen. Ein geheimes und sehr wichtiges Gespräch. Dieses Gespräch muß abgehört und aufgenommen werden.
Jonas: Dafür hab ich meinen Computer.
Sam: Den wird man Ihnen wegnehmen.
Sam: Nein.
Joker: Man wird Sie überhaupt sehr gründlich durchsuchen. Aber den Sender in Ihrem Magen wird man nicht entdecken, weil er ganz aus Plastik ist.
Jonas: Aber vielleicht erklären Sie mir mal...
Joker: Kein Zeit, sie kommen zurück, ich muß weg.
Jonas: Klappe zu. Ich sah mir den Sender an und schluckte ihn runter. Aber vorher stellte ich die Frequenz um auf Sam. Ich weiß wie man das macht, ich kenn mich aus mit den Dingern. Dann waren sie auch schon da die Freunde von vorhin, und es kam alles so, wie es der Joker vorausgesagt hatte. Sie durchsuchten mich, nahmen mir Sammy weg, zogen mich aus, gingen mit einer Sonde über jeden Quadratzentimeter Jonas. Negativ. Ich durfte mich wieder anziehen und mußte mit. Über den Korridor durch ein paar Büroräume in ein großes Zimmer, nein Zimmer stimmt nicht, es war ein Saal, Holztäfelung, Kronleuchter, Ölbilder, Teppichboden und ein riesiges Panoramafenster mit Aussicht über Babylon, nicht daß viel zu sehen war, der Smog, aber darauf kam es nicht an, das Prinzip war wichtig, und das Prinzip hieß unerhörter Luxus, übermenschliche Macht.
Leutnant: Machen Sie Ihren Diener, Jonas, Sie stehen vor Herrn Vizepräsident Dr. Cordes.
Cordes: Marketing und PR, und Sie sind Jonas, der letzte Detektiv. So sehen sie also aus.
Jonas: Er war groß und dick und roch nach allem, was gut und teuer war, sein Schreibtisch war kaum größer als das Fürstentum Liechtenstein, sein Lächeln war so offen und sympathisch wie eine falsche 100-Euronote.
Cordes: Ein Whisky Jonas?
Jonas: Danke.
Cordes: Warum nicht. Ich weiß Sie trinken.
Jonas: Aber nicht mit jedem.
Leutnant: Wie reden Sie denn.
Cordes. Kusch, warten Sie draußen, Leutnant.
Leutnant: Jawohl Herr Vizepräsident.
Cordes: So, Sie wissen jawohl weshalb Sie hier sind, Jonas.
Jonas: Natürlich wegen der Schmiergeldliste.
Cordes: Die Liste, alle Welt kennt die Liste.
Jonas: Aber alle Welt weiß nicht, daß die Liste falsch ist, wenigstens was Stadtrat Hartog betrifft. Hartog ist unschuldig.
Cordes: Glauben Sie Jonas. Sie sind naiv.
Jonas: Ja, das glaube ich, nicht weil ich naiv bin, sondern weil die Sache zum Himmel stinkt. Klar, Chips schmiert Politiker, wie jeder Konzern, aber doch nicht so, 15 Millionen Euros für einen kleinen Fisch in der lokalen Finanzverwaltung, das ist lächerlich.
Cordes: Nicht wahr. Und äh, was, was schließen Sie daraus, Jonas?
Jonas: Jemand bei Chips hat sich die 15 Millionen in die eigene Tasche gesteckt.
Cordes: Ausgezeichnet. Wer, Jonas?
Jonas: Ein hohes Tier. Jemand, der für Bestechungen zuständig ist, das heißt für PR und Marketing. Sie, Vizepräsident Cordes.
Cordes: Bravo Jonas, bravo. Faszinierend. Erzählen Sie weiter.
Jonas: Sie gestatten doch, daß ich mich setze.
Cordes: Aber bitte.
Jonas: Vor ein paar Tagen muß die Geschichte plötzlich brenzlig für Sie geworden sein, eine interne Buchprüfung oder so was ähnliches, nehm ich an.
Cordes: Ganz genau. Eine außerplanmäßige unerwartet angesetzte Durchsicht aller inoffiziellen Fonds, angeordnet von Big Boss persönlich.
Jonas: Und da kamen Sie auf die Idee mit der Liste. Die 15 Millionen, die Sie Chips gestohlen hatten, hängten Sie dem armen Hartog an. Warum gerade dem?
Cordes: Gott warum, warum, ich hatte früher ab und zu mit ihm zu tun, als ich noch die Steuerabteilung leitete, ein pingeliger Bürokrat, kleinkariert und entbehrlich.
Jonas: Sie bereiteten die Liste vor, setzten auch ein paar echte Bestechungsempfänger drauf, mit kleinen Beträgen, damit die Sache Hand und Fuß kriegte, und dann ging irgend eine Kleinigkeit schief.
Cordes: Kleinigkeit, die Hinkelstein, diese dumme Kuh, sieht die Liste auf meinem Schreibtisch, macht eine Kopie und gibt sie weiter an Sidonia.
Jonas: Versteh ich nicht, Sie mußten die Liste doch sowieso veröffentlichen.
Cordes: Sicher, aber später, einen Tag später, erst sollte Hartog aus dem Weg geräumt werden, von einem Spezialistenteam, das ich dafür angeheuert hatte, damit er nicht protestieren und mir Ärger machen konnte, aber weil die Hinkelstein so geldgierig war, kam der Zeitplan durcheinander, Hartog erfuhr von der Liste, ging zu Ihnen Jonas.
Jonas: Und da haben ihn Ihre Spezialisten erwischt. Sie sind in Panik geraten, Cordes, Sie wußten nicht, was Hartog mir oder anderen gesagt hat, deshalb haben Sie Ihre Spezialisten weiterarbeiten lassen.
Cordes: Seien Sie fair, Jonas, was sollte ich tun, über Sidonia und die Hinkelstein hätten Sie die Spur bis zu mir zurückverfolgen können, die Mitwisser mußten verschwinden, bedauerlich aber nicht zu ändern.
Jonas: Hartog, Sidonia, Hinkelstein.
Cordes: Und Jonas. Aber der lebt noch.
Jonas: An Ihnen liegt das nicht, Cordes, die Spezialisten haben versagt.
Cordes: Offensichtlich, aber das läßt sich ja schnell in Ordnung bringen. Leutnant.
Leutnant: Herr Vizepräsident.
Cordes: Nehmen Sie sich zwei Leute, bringen Sie den Mann hier in den Keller, Sie wissen Bescheid.
Leutnant: Jawohl, Herr Vizepräsident. Kommen Sie, Jonas.
Jonas: Wieder über den Korridor zum Lift, der Leutnant drückte auf den Knopf, die Tür ging auf, und drinnen stand der Joker mit einem Laserstrahler. Es zischte dreimal kurz hintereinander, um meine Bewacher brauchte ich mir keine Sorgen mehr zu machen. Der Joker zog mich in die Kabine und schob ein Stück Plastik in einen Schlitz über der Knopfleiste, der Lift setzte sich in Bewegung, nach oben.
Joker: Zum 31. Stock.
Jonas: Den gibt’s doch gar nicht.
Joker: O doch, das Penthouse. Wir haben nichts empfangen, Sie haben die Frequenz verändert.
Jonas: Wenn nicht, dann wüßte Ihr Auftraggeber jetzt alles, was er wissen wollte, und Jonas wär im Keller oder schon tot.
Joker: Steigen Sie aus. Sie werden Bigboss persönlich Bericht erstatten.
Jonas: Bigboss war der Präsident von Chips Inc., der alleroberste Chef, und Bigboss war genaugenommen kein Bigboss, sondern eine Bigbossin, eine kleine dürre alte Frau, schäbig angezogen, mit einer billigen schwarzen Perücke, die schief über ihren grauen Runzeln hing. Bigboss residierte nicht in einem Saal, sondern in einem schäbigen kleinen Büro, nicht viel größer als meins, Bigboss hatte keinen Schreibtisch und Bigboss lächelte nicht. Bigboss war sauer, als ich ihr erzählte, was Vizepräsident Cordes auf dem Kerbholz hatte.
Bigboss: So etwa haben wir es uns gedacht, was Tolliver? Tolliver, mein persönlicher Referent, tüchtiger Mann. Sie kennen ihn ja schon, Jonas.
Jonas: O ja. Ich nenne ihn den Joker.
Bigboss: Joker? Wieso Joker? Egal. Cordes, diesmal hat er sich übernommen.
Jonas: Übernommen ist gut. Unterschlagung, mehrfacher Mord.
Bigboss: Sie kapieren aber auch gar nichts, Jonas, Sie sind zu klein. Ist er nicht zu klein, Tolliver?
Joker: Viel zu klein, Bigboss.
Bigboss: Sicher, Cordes hat sich jammervolle 15 Millionen eingesteckt, er hat ein paar unwichtige Leute Beiseite geschafft, was ist das schon, wissen Sie, Jonas, was an der Sache wirklich schlimm und unverzeihlich ist, wollen wir es ihm sagen Tolliver.
Joker: Das müssen Sie wissen, Bigboss.
Bigboss: Cordes hat sich dumm angestellt, er hat zugelassen, daß ein Außenseiter, Sie Jonas, ihm auf die Schliche gekommen ist, und er hat Chips Inc. ins öffentliche Gerede gebracht, das muß bestraft werden, nicht wahr Tolliver.
Joker: Höchststrafe, Bigboss?
Bigboss: Natürlich Höchststrafe.
Joker: Schon notiert, Bigboss. Und was geschieht mit Jonas?
Jonas: Bevor Sie sich dumm anstellen, hören Sie mir mal einen Moment gut zu. Ich hab einen Sender im Bauch, und der sendet, meine Unterhaltung mit Cordes ist an einem mir bekannten Ort aufgezeichnet und gespeichert worden, und gespeichert wird auch das, was wir jetzt verhandeln, Wort für Wort, wenn mir was passiert, wird alles veröffentlicht, nicht gerade eine Werbung für Chips Inc.
Bigboss: Wenn das so ist.
Joker: Es ist so, Bigboss.
Bigboss: Dann müssen wir ihn wohl laufen lassen, bringen Sie ihn runter, Tolliver.
Jonas: Einen Augenblick noch. Laufenlassen OK, aber das ist noch nicht alles, Sie werden mir die Kripo vom Hals schaffen, und Sie werden Hugo Hartog rehabilitieren, das bin ich meinem Mandanten schuldig, auch wenn er tot ist oder gerade weil.
Bigboss: Bitte, wie Sie wollen. Aber das sag ich ihnen gleich, Jonas, wenn Chips erklärt, daß Hartog irrtümlich auf die Liste geraten ist, dann wird das kein Mensch glauben. War das jetzt alles, nicht noch ein kleines Schweigegeld, paar Tausend Euros oder so.
Jonas: Danke, ich nehme nicht von jedem.
Bigboss: Hab ich's nicht gesagt, Tolliver, er ist zu klein.
Nachrichtensprecherin: ...Meldungen bestätigt, wonach Dr. h. c. Cord Cordes, Vizepräsident von Chips Inc. durch einen Sprung vom Dach der Chipszentrale Selbstmord verübt hat.
Jonas: Na also.
Nachrichtensprecherin: Während Chips private Motive angibt, vermuten unterrichtete Kreise einen Zusammenhang mit der gestern bekanntgewordenen Bestechungsaffäre.
Jonas: Wie wahr.
Nachrichtensprecherin: Wie ein Firmensprecher dazu ausführte, gehört der ebenfalls gestern tot aufgefundene Stadtrat Hugo Hartog trotz gegenteiliger Behauptungen in der Presse nicht zu den Empfängern von Bestechungsgeldern. Durch einen Fehler untergeordneter...
Jonas: Neun Tote, und das ist nun das ganze Ergebnis. Hab ich mich richtig verhalten, Sam?
Sam: Ein Mann muß tun, was ein Mann tun muß, Partner.
Jonas: Ein Mann, ein Pferd und ein weites wildes Land. Wenn's nur immer so einfach wäre. Judith? Jonas. Ja, ich lebe noch, und wie, wir haben was nachzuholen, das hast du doch nicht vergessen, eine halbe Nacht, mindestens, ich freu mich Judith, bis gleich.
Sam: Und so ritten sie denn alle zusammen in den Sonnenauf- bzw. Untergang.
Das war Schmiergeld. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam: Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Christine Wodetzky, Käthe Jaenicke, Irmhild Wagner, Christoph Lindert, Oswald Döpke, Rüdiger Bahr, Helmut Stange und viele andere (Inge Schulz, Hans P. Hermansen, Jürgen Rehmann, Karin Frey). Ton und Technik: Günter Heß und Angela Bernd. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1985). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.
Gästebuch
Hörspielfan
16. Juli 2025
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Kidnapper
Jonas: Robodocs gehen mir auf die Nerven. Darin bin ich altmodisch. Nicht nur darin. Mir stinkt so einiges in dieser unserer Zeit. Aber Robodocs ganz besonders. Darum suche ich mir einen echten menschlichen Medizinmann, wenn die vorgeschriebene Jahresinspektion fällig wird. Das heißt, dieses Mal, im Mai 2010, war es eine Medizinfrau. Vielleicht hätte ich doch lieber zum Robodoc gehen sollen. Was Frau Dr. Simon mir sagte, gefiel mir nämlich gar nicht.
Frau Dr. Simon: Sie gefallen mir nicht, Jonas.
Jonas: Machen Sie sich nichts draus, ich gefall vielen nicht.
Frau Dr. Simon: Äußerlich ist ja alles in Ordnung so weit, aber innen.
Jonas: Magen?
Frau Dr. Simon: Ganz richtig. Ihr Magen. Akute Ulkusgefahr. Rauchen Sie? Nikotin?
Jonas: Nein.
Frau Dr. Simon: Nehmen Sie sonst irgendwelche Drogen?
Jonas: Äh.
Frau Dr. Simon: Alkohol?
Jonas: Also, also wenn Sie mich so direkt fragen.
Frau Dr. Simon: Das hört auf. Und vor allem kein Streß. Arbeiten Sie?
Jonas: Wie man’s nimmt. Ich bin Privatdetektiv. Der letzte. Keine Konkurrenz. Kein Nachwuchs. Ein aussterbender Beruf. Ein überflüssiger Beruf. Meint Judith. Aber das stimmt nicht. Mein Büro war zwar noch nie wegen Überfüllung geschlossen, aber den einen oder anderen Auftrag staube ich doch ab, im Lauf der Zeit. Mein Beruf wird gebraucht. Wenn von keinem anderen, dann von mir selbst. Damit ich mit gutem Gewissen in den Spiegel gucken kann.
Frau Dr. Simon: In Zukunft werden Sie noch kürzer treten. Ausspannen, sich hinsetzen und Nichtstun. Ja die Volksrente reicht doch zum Leben.
Jonas: Tut sie nicht. Wenn Sie sich unter Leben noch was anderes vorstellen als Vegetieren, Essen, Trinken, Schlafen, und...
Frau Dr. Simon: Das müssen Sie mit Ihrem Psychotherapeuten abmachen. Ich bin praktische Medizinerin, und ich verschreibe Ihnen eine Pause.
Jonas: Wie lange? Drei Tage, eine Woche?
Frau Dr. Simon: Sehr komisch. Heute abend, wenn ich dienstfrei habe, werde ich drüber lachen. Ein viertel Jahr, Jonas, mindestens.
Jonas: Darauf mußte ich was trinken. Ich wußte auch wo. Gleich um die Ecke im Casablanca. Da gehe ich öfter mal hin. Nicht unbedingt, weil’s mir so gut gefällt, nein, wegen des Namens. Dabei heißt der Schuppen gar nicht nach dem antiken Film, sondern nach der Erbtante des Besitzers. Anyway, ich saß also im Casablanca, hielt stumme Zwiesprache mit meinem Magen, und versuchte ihn dadurch freundlich zu stimmen, daß ich Ricard trank. Mit viel Wasser. Im Casablanca servieren sie den Ricard in Pernot-Gläsern. So eine Kneipe ist das. Ich dachte an Bogie. Ob er wohl auch Ricard hatte trinken müssen. Und wenn ja, ob er ihm auch nicht geschmeckt hatte. Da laberte mich plötzlich diese Öko an.
Demeter: Was dagegen, wenn ich mich dazu setze?
Jonas: Ja, ich hab was dagegen. Suchen Sie sich 'nen andern Tisch, sind genug frei.
Demeter: Ich würd aber gern hier sitzen.
Jonas: Alles besetzt. An diesem Tisch ist alles besetzt.
Demeter: Ja? Ich seh niemand.
Jonas: Mister Humphrey Bogart, Mister Philip Marlowe, Mister Samuel Spade, und ich. Schwirren Sie ab, Sie stören.
Demeter: Heißen Sie Jonas?
Jonas: Nebukadnezar Schonat Jolanda, Schornsteinfegermeister im Ruhestand, also lassen Sie mich auch in Ruhe.
Demeter: Das ist nicht wahr, Sie heißen Jonas. Nur Jonas. Und Sie sind Detektiv.
Jonas: Wer sagt das?
Demeter: Der Wirt.
Jonas: Der redet zu viel.
Demeter: Es ist nämlich so, wir brauchen einen Detektiv.
Jonas: Unsinn. Niemand braucht nen Detektiv. Außerdem habe ich frei, und keine Zeit, und keine Lust.
Demeter: Ich heiße Demeter. Nur Demeter.
Jonas: Ein Punkt für sie. Das, und die Tatsache, daß sie stur war. Fast so stur wie Jonas. Ich wurde sie einfach nicht los. An sich mach ich mir nicht viel aus Ökos, ihre Ideen und Ziele, OK, aber Bewegungen und Ideologien liegen mir nicht. Jonas ist überzeugter Einzelgänger. Und Demeter war eine waschechte Öko. Lange Naturhaare, grüner Kittel, Schäufelchen und Geigerzähler am Bastgürtel. Trotzdem fing ich an, ihr zuzuhören. Vielleicht auch deshalb, weil sie jung war und gut aussah, trotz ihrer Ökouniform. Ich hätte sie abwimmeln und in Ruhe weitertrinken sollen. Aber Jonas ist kein Hellseher.
Demeter: Wir haben es ja zuerst selbst versucht, wissen Sie, aber als Erasmus nicht zurückkam, da wuchs uns die Geschichte über den Kopf. Jetzt muß ein Profi ran.
Jonas: Ein Profi kostet Geld.
Demeter: Ah, wir legen zusammen. Weil die Sache so wichtig ist. Stellen Sie sich vor, Herr Jonas.
Jonas: Jonas reicht. Nur Jonas.
Sam: Ja, Jonas reicht.
Demeter: Häh, äh, also stellen Sie sich vor, Jonas, es geht um rissa tridactyla.
Jonas: Ist das die Möglichkeit. Ja, und wenn ich jetzt noch wüßte, was rissa tridingsbumsla ist.
Sam: Rissa tridaytila, o großer Systematiker des Tier- und Pflanzenreiches. Die Dreizehenmöwe. So gut wie ausgestorben.
Demeter: Einen schlauen Computer haben Sie da, Jonas.
Sam: Ja.
Jonas: Schlau ist gar kein Ausdruck für Sam. So heißt er nämlich, mein Computer. Sie kennen den Grund, wenn Sie wissen, daß meine Stammkneipe Casablanca heißt. Sam ist überschlau. Er kann fast alles. Seine Spezialität: Reden, wenn er nicht gefragt ist. Überhaupt reden, ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne Punkt und Komma. Irgendwie haben sich seine Sprachprogramme verheddert, und deshalb wirkt er ein bißchen absonderlich. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen Sam. Ich hänge an ihm. Ich habe ihn immer bei mir. Nicht den großen Speicher natürlich, der steht im Büro, aber Sam zwo. Pocket Sam. Die drahtlose Extension im Miniformat. Der letzte Detektiv und sein verdrehter Computer. Sind wir nicht ein schönes Paar?
Sam: Treulich geführt, ziehet dahin...
Jonas: Sei still, Sammy. Wir waren bei dieser ausgestorbenen Möwe, Demeter.
Demeter: Nicht ausgestorben.
Sam: Noch nicht.
Demeter: Noch nicht, das hoffen wir jedenfalls. Auf Swartcliff nisten noch ein paar. Das heißt, sie haben da genistet, bis vor einem Monat, bis die Bautrupps kamen, und die schwarzroten Uniformen.
Jonas: Da wurde ich wach, und kriegte lange Ohren. Schwarzrot trägt die Popo, die Populationspolizei, und mit den Herrschaften hatte ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Vor einem Jahr, beim Testmarktfall, hatten sie mich schwer in der Mangel gehabt. Wenn die Popo mitspielte, konnte die Sache interessant werden. Und gefährlich.
Jonas: OK, Schwester, wenn ich Sie richtig mitkriege, wollen Sie mich anheuern.
Demeter: Ja, ja also nicht ich, meine Gruppe, die Ökos von Babylon und Umgebung.
Jonas: 80 Euros pro Tag, und Spesen.
Demeter: So viel?
Jonas: Das hab ich mir gedacht. Wiedersehen, Schwester.
Demeter: 50 könnten wir zahlen.
Jonas: Tut mir leid, Schwester, kein Rabatt, kein Skonto.
Demeter: Na, es ist doch für einen guten Zweck.
Jonas: Ich arbeite nur für gute Zwecke. 70 Euros, weil’s Sie sind.
Demeter: 60.
Jonas: 65. Und 100 im voraus.
Demeter: Einverstanden.
Sam: Oh, oh, was muß Sammy da hören. Kein Streß, hat Frau Dr. Simon gesagt, ein viertel Jahr Pause hat sie gesagt, o du mein magengeschwürlich-gefährdeter Jonas.
Jonas: Reg dich ab, Sam, kleiner Ökofall, was soll daran stressig sein. Unser täglich Brötchen, das machen wir mit links.
Sam: Kleiner Ökofall, euer Verniedlichung, mit der Popo in den Kulissen?
Jonas: Lassen wir das doch einfach an uns rankommen, Sam. So, Schwester, Sie haben sich einen Detektiv gekauft, jetzt müssen Sie ihm nur noch sagen, was er für Sie tun soll.
Demeter: Kennen Sie Swartcliff, Jonas? Das ist.
Jonas: Nicht hier, Schwester, kommen Sie mit.
Demeter: Ja.
Jonas: Mein Büro plus Apartment. 22 Quadratmeter. Lauschiges Zuhause, gemütlicher Arbeitsplatz. Eine Tür, ein Fenster, Sam eins, ein kleiner Tisch, ein Wandschrank, Bett zum Rausklappen, desgleichen zwei Stühle. Auf einem saß ich, auf dem anderen Demeter. Sie redete, ich hörte. So soll’s sein. Detektiv und Klientin, wie sie im Buche stehen.
Demeter: Swartcliff ist eine Insel. Eine sehr kleine Insel. Eigentlich nur eine Klippe.
Jonas: Wie der Name schon sagt, Schwester. Wo?
Demeter: Im nordischen Meerbusen. Nicht weit von Westerport bei Babelshafen. 10 Kilometer weit draußen.
Sam: Sechs Knoten, oder auch Seemeilen, wie wir Nautologen uns ausdrücken. Oder heißt es Nautiker?
Jonas: Beachten Sie ihn gar nicht, Demeter. Auf Swartcliff gibt es also diesen Vogel, der Ihnen so wichtig ist.
Demeter: Das wissen wir eben nicht. Früher sind wir ab und zu mal rausgefahren, mit einem Boot von Westerport aus, wir haben die Nistplätze gecheckt, von weitem, vorsichtig. Die letzte Kolonie von Dreizehenmöwen, Jonas, mit Sicherheit im Nordmeer, vielleicht in der ganzen Welt.
Jonas: Das war wieder ein Punkt für sie, für Demeter. Und für die Möwen. Wir letzten müssen zusammenhalten.
Demeter: Wir haben aufgepaßt, daß die Tiere nicht gestört wurden. Auf Swartcliff selbst gibt es keine Menschen, ich meine, es gab keine, nur Reste einer alten Marinestellung aus dem Krieg, Bunker und so. Aber an der Küste fahren ja viele Touristen rum.
Jonas: Und dann erschien die Popo, vor einem Monat. Wann genau?
Demeter: Warten Sie, am 10, ja am 10. April. Von da ab kam niemand mehr auf die Insel, oder auch nur in die Nähe. Das ganze Seegebiet wurde gesperrt. Auch für die Westerporter und für die Touristen. Für uns sowieso.
Jonas: Mit welcher Begründung?
Demeter: Verteidigungswichtige Arbeiten. Das haben sie uns gesagt, aber es ist kein Militär zu sehen. Auch keine Marine. Bloß die Schwarzroten. Die bewachen die Insel. Und die fliegen auch die Hubschrauber zwischen dem Festland und Swartcliff. Vollbeladen mit Baumaterial hin, leer zurück.
Jonas: Auf Swartcliff wird also gebaut.
Demeter: Ja, und das macht uns Sorgen.
Jonas: Natürlich, wenn die Popo was ausbrütet.
Demeter: Ach so, nein, nein, wegen der Popo eigentlich nicht. Mehr wegen unserer Möwen.
Jonas: Sicher, die Möwen, die böse Polizei könnte sie womöglich verschröcken.
Demeter: Sie sind kein Tierfreund, Jonas.
Jonas: Ich weiß nicht mal, ob ich ein Menschenfreund bin. Was soll ich für Sie tun, nach Swartcliff fahren, und nachsehen, wie sich Ihre gefiederten Freunde so fühlen?
Demeter: Genau das. Und feststellen, was aus Erasmus geworden ist.
Jonas: Erasmus?
Demeter: Aus unserer Ökogruppe. Vor einer Woche ist er rausgefahren nach Swartcliff. Ein Fischer aus Westerport hat ihn nachts mitgenommen.
Jonas: Fischer?
Demeter: Naja, die nennen sich noch so. Auch wenn’s keine Fische mehr gibt.
Sam: Fischers Fritz fischt frische Fische. Frische Fische fischt Fischers Fritze...
Jonas: Das war einmal, Sammy, vor den Verklappungen.
Demeter: Heute fahren sie Touristen.
Jonas: Und einer von denen hat Erasmus nach Swartcliff gebracht.
Demeter. Ja, wir haben viele Freunde in Westerport. Der Fischer hat ihn vor der Insel abgesetzt, und dann...
Jonas: Lassen Sie mich raten. Erasmus ist seitdem verschwunden. Sie haben nichts mehr von ihm gehört.
Demeter: Doch, wir haben von ihm gehört. Gestern kam dieser Brief an.
Jonas: Abgestempelt in Bordeaux, weit weg. Was steht drin? Es gibt auf der Welt nicht nur Umwelt und Möwen, ich steige aus, laßt mich in Frieden, Erasmus. Ja und, wenn ihr denkt, ich hol euch den Deserteur zurück.
Demeter: Erasmus kann den Brief nicht geschrieben haben, Jonas. Erasmus kann nicht schreiben, Erasmus ist Analphi.
Jonas: Wie gesagt, ich bin kein Öko. Aber ich bin erst recht kein Macher. Ich glaube nicht, daß die natürliche Umwelt böse ist, und eliminiert werden muß. Und Streß hin, Magengeschwür her, ich brauchte einen Fall, das heißt, ich brauchte Euros. Als Demeter gegangen war, nach einer Anzahlung, versteht sich, ging ich auch. Auf die Jagd. Frage: Wie jagt ein Detektiv Möwen im Nordmeer? Antwort: Er bleibt erst mal zu Hause, und läßt seinen Computer arbeiten.
Sam: Sam hat in allen großen Dateien nachgeforscht, o Leitstern meiner schlaflosen Nächte. In der Staatsinfothek von Babylon, im geographischen Institut, im Küstenmuseum. Eine Insel namens Swartcliff gibt es nicht.
Jonas: So, na, dann wollen wir doch mal sehen. Ach ja, hier ist er. Schau mal hier rein, Sam, mein alter Schulatlas. Ja, da. Im nordischen Meerbusen. Der kleine Fleck vor Westerport: Swartcliff. Steht ganz deutlich da.
Sam: Wenn eure nostalgische Beschränktheit einem, eh, Buch mehr Glauben schenken als der modernen Elektronik. Merke: Was nicht datenmäßig erfaßt ist, existiert auch nicht. Und wenn du dich auf deinen Holzkopf stellst, du ungläubiger Jonas.
Jonas: Und wenn du dich vor Ärger in den Bauch beißt, den du nicht hast, Sammy. Dateien kann man frisieren.
Sam: Herr Stabstrompeter wünschen die Dame Judith zu konsultieren?
Jonas: Ich wünsche.
Sam: O Unvollkommenheit, dein Name ist Mensch.
Judith: Hallo? Judith Delgado.
Sam: O Unzulänglichkeit, dein Name ist Hirn.
Jonas: Jetzt sei mal still, Sam. Hallo Judith, Jonas hier.
Judith: Jonas?
Jonas: Ja.
Judith: Ein seltenes Vergnügen. Wenn es ein Vergnügen ist.
Jonas: Judith ist mein z.B., meine zeitweilige Beziehung. Im Moment liegt die Betonung praktisch nur auf zeitweilig. Obwohl es ja auch eine Beziehung ist, wenn die Partner sich streiten. Das tun wir nämlich oft, Judith und ich. Fast immer. In letzter Zeit rufe ich sie eigentlich nur noch an, wenn ich was brauche, eine Information, an die nicht jeder rankommt, zum Beispiel. Judith ist bei der öffentlichen Sicherheitsverwaltung. Hauptabteilungsleiterin. Viel wichtiger als ein Privatdetektiv. Vielleicht liegt's daran.
Judith: Sehen wir uns heute abend?
Jonas: Ich plane nie soweit voraus.
Judith: Sagte Bogie zur Bergman. Was willst du?
Jonas: Im Nordmeer, Judith.
Judith: Du hast doch wohl nicht vor, Urlaub zu machen?
Jonas: Eine Insel bei Westerport, Swartcliff heißt sie.
Judith: Und da willst du mit mir hinfahren? Ah, das trifft sich gut, bei uns ist zur Zeit nicht viel los, ich kann mir ein paar freie Tage nehmen, wir gehen spazieren, am Meer.
Jonas: Sicher, sicher, wäre schön, Judith, geht aber nicht. Ich habe einen Fall.
Judith: Ach, du hast einen Fall?
Jonas: Ja.
Judith: Und der ist gefährlich, und darum mußt du die Sache allein durchstehen, und kannst niemanden mitnehmen, auch mich nicht.
Jonas: Genau so ist es.
Judith: So ist es immer. Was willst du wissen?
Jonas: Aber auch Judith konnte mir nicht mehr sagen als Sam. Jeder Hinweis auf Swartcliff, jede Erwähnung war gelöscht, in allen Dateien. Der ganze Komplex stand unter einem neuen Supergeheimcode der Populationspolizei. Off-limits, sogar für die Sicherheitsverwaltung.
Jonas: Seit wann?
Judith: Anfang April, ungefähr.
Jonas: Das paßt. Danke, Judith.
Judith: Danke, Judith, ich ruf dich an, Judith, sobald ich Zeit habe, Judith.
Jonas: Ja, das wollte ich sagen und äh.
Judith: Ich weiß, Jonas.
Jonas: Ich hätte ihr was sagen sollen. Was Gutes. Was Wertvolles. Was Zärtliches. Was Zukunftsträchtiges. Aber mir fiel beim besten Willen nichts ein.
Jonas: Und was jetzt, Sammy?
Sam: Meint ihr die Dame Judith, Romeo? Und wie ihr fürderhin zu ihr euch wollt verhalten?
Jonas: Das geht dich nichts an, Sam, da hältst du dich raus. Ich meine den Fall.
Sam: Supergeheimcode der Popo, das ganze drum herum, das ist keine kleine Ökokiste, Kumpel.
Jonas: Ganz sicher nicht, Sammy. Wie geht’s weiter?
Sam: Wenn eure detektivische Epigonalität die Abschweifung verzeihen: Befänden wir uns in einem der klassischen Romane des seligen Raymond Chandler, so käme nun ein Mann durch die Tür, eine Pistole in der Hand.
Jonas: Und da ist er auch schon, aufs Stichwort. Herein ohne anzuklopfen, wie’s draußen dransteht. Was kann ich für Sie tun?
King Kong: Schnauze. Ganz ruhig. Keine Bewegung.
Jonas: Jonas ist umgänglich. Wenn einer ihm sagt: keine Bewegung, dann bewegt er sich auch nicht. Besonders wenn dieser eine so aussieht wie der große Bruder von King Kong, und ihm einen elektrischen Knockouter vor der Nase hält.
King Kong: Hände hoch!
Jonas: Auch das, wenn’s ihnen Freude macht. So, ich halte die Hände hoch, bewege mich nicht, bin ganz ruhig. Was passiert jetzt?
King Kong: Schnauze! Warten!
Jonas: Gern. Und worauf warten wir?
King Kong: Warten! Da! Fon!
Jonas: Sehr richtig, das Fon klingelt. Zutreffend bemerkt.
King Kong: Rangehen!
Jonas: Ich?
King Kong: Ja, rangehen.
Jonas: Wenn man mich so nett bittet. Ja?
Caligari: Hier spricht Professor Caligari. Sie erinnern sich an mich, Jonas?
Jonas: Und ob ich mich erinnerte. Frau Prof. Caligari ist die Chefin einer offiziell nicht vorhandenen Organisation, die sich Zentralinstitut für Populationsforschung nennt, abgekürzt ZIP. ZIP versucht, unser Problem Nummer 1, die Überbevölkerung in den Griff zu kriegen. Eine ehrenwerte Aufgabe. Nur hat ZIP reichlich merkwürdige, um nicht zu sagen, kaputte Methoden. Wir waren nicht gerade Freunde, Caligari und ich, eher im Gegenteil. Schon zweimal waren wir aneinander geraten. Beim Testmarktfall und in der Schlachthaus-Affäre. Und beide Male hatte ich ihr die Tour vermasselt.
Caligari: Ein drittes Mal kommen Sie uns nicht in die Quere, Jonas. Mein Abgesandter befindet sich bei Ihnen?
Jonas: Ja, falls Sie King Kong hier meinen. Wo haben Sie ihn gefunden? Im Zoo?
Caligari: Immer noch der alte Jonas. Voller Witz, voller Vitalität. King Kong, wie Sie ihn nennen, habe ich Ihnen als Warnung geschickt, und auch als kleinen Vorgeschmack dessen, was Ihnen bevorsteht, wenn Sie nicht tun, was ich wünsche.
Jonas: Und Sie wünschen?
Caligari: Das wissen Sie, Jonas.
Jonas: Sagen Sie es mir trotzdem.
Caligari: Sie haben soeben einen Auftrag akzeptiert. Von den sogenannten Freunden der Ökologie.
Jonas: Ja.
Caligari: Ja. Sie geben den Auftrag zurück.
Jonas: Anderenfalls?
Caligari: Andernfalls werden Sie nicht nur Ihre gute Laune verlieren, sondern auch den Kopf.
Jonas: Ich hätte mir denken können, daß Sie dahinterstecken. Die aus den Dateien verschwundene Insel, das große Aufgebot an PoPo, und die PoPo hat ja schon früher für Sie gearbeitet. Was tun Sie auf Swartcliff?
Caligari: Sie kennen mich, Jonas. Ich meine es ernst.
Jonas: Küß die Hand, gnädige Frau.
King Kong: Fertig?
Jonas: Fertig.
King Kong: Du machst, was sie sagt, oder.
Jonas: Ein kaputter Stuhl, eine dito Tür. Er ist furchtbar in seinem Zorn, unser Freund King Kong. Ich mach mir in die Hosen vor Angst. Ich hab wirklich Angst, Sammy. Die PoPo, ZIP, die Caligari. Und das alles wegen, wegen irgend so einer Möwe.
Sam: Nicht zu vergessen den verschollenen Öko Erasmus, o Tapferster der Tapferen. Nebst der Tatsache, daß ZIP finstere Pläne im Busen hegt, welche zu vereiteln ein verdienstvolles Werk sein dürfte.
Jonas: Aber riskant, Sammy, riskant. Erfolgsaussichten?
Sam: Piep! 1 zu 11, 7, Eminenz. Bedingt durch teilweise inkomplette Daten erfolgt diese Angabe ohne Gewähr.
Jonas: Gut, wir machen weiter.
Sam: Bei dem Risiko? Du tickst wohl nicht richtig, Alter.
Jonas: Und du verstehst nichts von Ehre. Ein Detektiv gibt nicht auf. Niemals. Ganz besonders dann nicht, wenn man ihn dazu zwingen will.
Sam: Down these mean streets a man must go.
Jonas: So ist es nun mal, Sammy.
Demeter: Freunde der Ökologie, Gruppe Babylon.
Jonas: Demeter?
Demeter: Am Apparat.
Jonas: Jonas. Von jetzt ab, kein Kontakt mehr zwischen uns. Sie stehen unter Beobachtung. Man hat Sie bis zu mir verfolgt.
Demeter: Verfolgt? Wer und wieso?
Jonas: Das ist jetzt nicht wichtig. Sie sagten, Sie haben Freunde in Westerport.
Demeter: Ja, aber.
Jonas: Der Fischer, der Ihren Freund Erasmus zur Insel gebracht hat, wie heißt der, wo finde ich ihn?
Jonas: Der satte Sägefisch in Westerport war sicher mal eine flotte Kneipe gewesen. Damals, als es hier noch Fischer gab, und Touristen. Heute hatten die Fischer nichts mehr zu fischen, und die Touristen waren von der PoPo verscheucht worden. Im Schankraum hockten nur ein paar Einheimische. Leicht zu erkennen an den Warzen und Wucherungen, wie sie Leute haben, die jahrzehntelange mit verseuchtem Meerwasser in Berührung kommen. Keine PoPo. Niemand, der hier nicht hergehörte. Abgesehen von Jonas natürlich. Und ich hatte gut aufgepaßt unterwegs. In der Druckluftbahn nach Babelshafen, und in der Rikscha bis Westerport. Kein Schatten. Professor Caligari war sich ihrer Sache wohl sicher. Um so besser.
Jonas: Was trinkt man hier?
Wirt: Kommt drauf an. Wenn Sie Geld haben, ausländisches Zeug, Whiskey und so, wenn Sie ein arbeitsloser Volksrentner sind, wie die meisten hier, dann Korn.
Jonas: Aus Korn.
Wirt: Ne, synthetisch. Heißt bloß noch so, aus Tradition. Hier an der Küste sind wir sehr für Tradition.
Jonas: Warum nicht. Sie haben ja nichts anderes. Einen Korn, nein zwei, Sie trinken doch einen mit, Herr Wirt.
Wirt: Hab nichts dagegen.
Jonas: Bringen Sie gleich drei. Für mich, für Sie, und für Piet Pietersen.
Wirt: Nocktwie.
Jonas: Häh?
Wirt: Wird gemacht.
Jonas: Den dritten Korn brachte der Wirt einem älteren Mann im gestreiften Fischerhemd, der allein an seinem Tisch saß, in einer dunklen Ecke. Ich wartete ein paar Sekunden, dann ging ich zu ihm rüber.
Jonas: Der Korn, den Sie da gerade kippen.
Piet: Ja?
Jonas: Den hab ich bezahlt. Mein Name ist Jonas. Nur Jonas.
Piet: Ja, und?
Jonas: Aus Babylon.
Piet: Das merkt man.
Jonas: Ich... ich soll Sie grüßen, von Demeter, und ihren Ökofreunden.
Piet: Ach ja!
Jonas: Und ich soll Ihnen sagen: Dreizehenmöwe, als Losungswort. Alles klar, Piet?
Piet: Ja, alles klar. Was`n los?
Jonas: Zwei Dinge braucht der Mann: Sie und Ihr Boot.
Piet: Aha, wann?
Jonas: Heute Nacht.
Piet: Ja, dann will ich wohl mal klar Schiff machen. Zahlen! Halb zwölf im Hafen. Semironis heißt die.
Jonas: Wer?
Piet: Mein Boot. 20 Quadratmeter Jollenkreuzer.
Jonas: Um Mitternacht waren wir draußen auf dem wilden Ozean. Piet segelte, und ich half ihm. Nicht, daß ich viel vom Segeln verstehe, aber zum Schiffsjungen reicht`s. Piet hatte mir Ölzeug besorgt, am Hals hatte ich ein Infrarotnachtglas, und am Gürtel Sam zwo, in einem wasserdichten Beutel. Deshalb war er auch etwas gedämpft, akustisch, meine ich.
Sam: Rolling home to dear old Hamburg, rolling home...
Jonas: Mein Computer, Piet Pietersen, flippt ab und zu ein bißchen aus.
Piet: Stört mich nicht.
Jonas: Aber mich. Halt die Klappe, Sam, und fang keine Diskussion mit mir an, ob du eine Klappe hast oder nicht. Sei still, verstanden?
Sam: Aye aye, Sir, verstanden.
Jonas: Ziemlich windig heute, nicht?
Piet: Das ist nix. Ne Damenbrise. Da, Swartcliff.
Jonas: Wo?
Piet: Backbord voraus.
Jonas: Himmel und Meer waren stumpfgrau, wie angelaufenes Zinn. Merken, fürs Poesiealbum. Und aus dem grauen Wasser vor dem grauen Horizont ragte eine massive schwarze Faust auf. Die Felseninsel Swartcliff. Ich ließ Piet einmal drumrumsegeln, so mit Wenden, Halsen, Kreuzen, und wie die Sachen alle heißen. Das Nachtglas war made in Japan, 1a Qualität, und als wir den Kreis geschlossen hatten, wußte ich ziemlich gut Bescheid. Aus der Nähe wirkte Swartcliff nicht so sehr wie eine Faust, eher wie ein schwarzer Würfel. Im Süden, im Westen, im Norden stiegen glatte Felswände senkrecht aus dem Wasser, gut 30 Meter hoch, im Osten lag eine Bucht, Sandstrand, ein Pier, und von da führte eine in den Felsen gehauene Treppe nach oben.
Jonas: Pier und Treppe sind gut bewacht, 10 Mann, mindestens. Oben am Klippenrand sehe ich niemand.
Sam: Da brauchen sie keine Wächter, meinen sie, weil doch kein Mensch die steilen Felsen raufklettern kann.
Jonas: Ach nein? Oben ist nicht viel zu erkennen. Hubschrauberlandeplatz, nehme ich an. Ein Kran, eine gewaltige Radarantenne.
Sam: Radarantenne? Bist du sicher, Falkenauge?
Jonas: Ich werde doch wohl eine Radarantenne erkennen können, Sammy.
Sam: Und warum, wenn Herr Großadmiral die Frage gestatten, warum erkennt die Antenne uns nicht?
Jonas: Ist ja wahr, Sammy.
Sam: Aha.
Jonas: Eine gute halbe Stunde kreuzen wir vor Swartcliff herum, in einem Boot voller Metallteile, und niemand interessiert sich für uns. Kein Schiff, kein Hubschrauber. Ob die ihren Radarraum nicht besetzt haben?
Sam: Unwahrscheinlich, Herr Kaleun.
Jonas: Da stimmt was nicht. Piet, als Sie diesen Erasmus nach Swartcliff gebracht haben, vor einer Woche, da hatten Sie doch auch keine Schwierigkeiten?
Piet: Ne.
Jonas: Seltsam. Vorsichtig, Piet, drehen Sie ab, wir kommen zu nah an die Bucht.
Piet: Das ist doch der Sinn der Sache. Da warten sie schon. Wie vor einer Woche auf Erasmus. Und da werde ich Sie abliefern. Wie den Erasmus vor einer Woche.
Sam: Hast du`s mitgekriegt, du Blitzmerker mit Spätzündung? Piet Pietersen, Freund und Helfer aller guten Ökos und Privatdetektive, arbeitet für die andere Seite.
Jonas: Als Sie vorhin aus dem satten Sägefisch weggingen... da haben Sie uns angekündigt.
Piet: Über Funk. Bleiben Sie am Bug stehen. Sie haben keine Waffe, aber ich habe eine. Ne Pistole, Walter PPK aus dem zweiten Krieg, funktioniert aber noch bestens.
Jonas: Ich hab wirklich keine Waffe, Sam.
Sam: Hast du doch, Blindgänger. Das Nachtglas.
Jonas: Aber Sammy, das gute Stück hat 400 Euros gekostet.
Sam: Extreme Situationen...
Jonas: Er ging in die Knie, und weil er gerade etwas überhing, ging er über Bord, und weil er bewußtlos war, ging er unter. Das machte mir wenig Kummer. Daß die Semiramis es ihrem Kapitän nachmachen wollte, störte mich da schon erheblich mehr. Das Boot lief aus dem Ruder, auf ein Riff, und dann voll Wasser.
Sam: Alarm! Wir sinken! Alles in die Boote! Frauen, Kinder und Computer zuerst.
Jonas: Und wenn du jetzt noch singst... Das mit dem Boot ist keine schlechte Idee. Gottseidank haben wir eins, hinten angebunden.
Sam: Achtern vertäut, wie wir Seeleute sagen. Ahoi!
Jonas: Eine Nußschale aus Plastik, zwei Ruder, sehr stabil sieht das Ding nicht aus.
Sam: Worauf wartest du? Auf die Queen Elisabeth? Spring endlich rein, Landratte. So, und jetzt mach das Tau los.
Jonas: Ja, Mensch. Moment, Sammy, dieser dreimal verdrehte Seemannsknoten, der will nicht, der, der macht... oh, jetzt, jetzt hab ich ihn los.
Sam: So, und jetzt pull, Mann. Pull!
Jonas: Was soll ich?
Sam: Rudern, wenn du das besser verstehst. Eins, zwei, bum.
Jonas: Wir spielten römische Galeere in Ben Hur. Sammy bummerte den Takt, ich ruderte. Die Semiramis ging unter, die Dämmerung kam, das Festland kam näher, soweit alles OK, aber da kam noch was.
Sam: Melde gehorsamst, Kapitän, ein Hubschraub-schraub-schrauber.
Jonas: Von Swartcliff. Scheinwerfer. Die suchen uns, Sammy, und in 5 Minuten haben sie uns, wenn wir nichts tun. Mensch, schlag was vor.
Sam: Ein neues Spiel, ein neues Glück, Monsieur.
Jonas: Gleich sind wir im Scheinwerferstrahl, und du redest irre.
Sam: Mitnichten, Begriffstutz, wir spielen, immer noch altes Rom, ein militärisches Spiel, es nennt sich Testudo.
Jonas: Testudo? Das heißt Schildkröte, glaub ich.
Sam: Ausgezeichnet, o via doctissime et eroditissmie. Wir bringen das Boot zum Kentern, Magnifizenz verbergen sich darunter, halten sich an der Sitzbank fest, und führen mit dero unteren Extremitäten vorsichtige Schwimmbewegungen aus.
Jonas: OK, gern tat ich’s nicht. Das Wasser war verflixt kalt, aber die Alternative war, mich von der PoPo erwischen zu lassen. Und da klapperte ich doch lieber mit den Zähnen, bis der Hubschrauber die Sucherei aufgab und nach Swartcliff zurückflog. Dann wurde die Schildkröte wieder umgedreht, und ich ruderte weiter. Es war Morgen, als ich das Festland erreichte. Eine einsame kleine Bucht bei Westerport. Ich zog das Boot hoch und schob es unter einen überhängenden Felsen. Vielleicht ahnte mein Unterbewußtsein, daß ich es noch mal brauchen würde. Ich war todmüde, und schaffte es gerade noch in den Sägefisch, in das Zimmer, das ich gestern gemietet hatte, ins Bett. Und da klingelte das Fon. Es klingelte und klingelte, bis ich aus dem grauen Meer meiner Erschöpfung auftauchte, und abhob.
Jonas: Was ist?
Wirt: Ein Anruf von außerhalb, Herr Jonas.
Jonas: Ich bin nicht da.
Wirt: Eine Frau Professor Caligari. Es ist dringend, sagt sie.
Jonas: Stellen Sie durch.
Wirt: Ja.
Caligari: Caligari.
Jonas: Was wollen Sie denn schon wieder?
Caligari: Ihnen ein Geschäft vorschlagen, Jonas.
Jonas: Kein Interesse.
Caligari: Das bezweifle ich. Da Sie meine Warnung nicht beachtet haben, und uns auch heute Nacht entkommen sind, Sie haben doch wirklich ein unverschämtes Glück, Jonas...
Jonas: Kommen Sie zum Punkt, ich bin müde.
Caligari: Deshalb habe ich mich schon früh zu einem neuen Approach entschlossen.
Jonas: Oh.
Caligari: Ich habe ein... ein gewisses Objekt in meine Gewalt gebracht, an dem ihnen viel liegt. Sie wären sehr betroffen, wenn es beschädigt oder gar zerstört würde. Geben Sie den Fall auf, Jonas, lassen Sie die Finger von Swartcliff. Kehren Sie zurück nach Babylon, dann bekommen Sie das Objekt zurück. Wenn nicht, werden Sie einen höchst schmerzlichen Verlust erleiden.
Jonas: Wissen Sie, wie Sie sich anhören? Wie das Horoskop der Woche.
Caligari: Der Humor wird Ihnen vergehen, Jonas.
Jonas: Kein Humor, wehrte Frau Professor, ich habe nur keine Lust, ihre Rätsel zu raten.
Caligari: Das brauchen Sie nicht. Fragen Sie den Wirt, wer Sie heute früh besuchen wollte.
Jonas: Herr Wirt?
Wirt: Ja.
Jonas: Hat heute morgen jemand nach mir gefragt?
Wirt: Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen darf.
Jonas: Wer hat nach mir gefragt? Antworten Sie, Mann!
Wirt: Die Dame hat gesagt, ich soll es Ihnen nicht verraten. Es soll eine Überraschung sein, hat sie gesagt.
Jonas: Dame? Was für eine Dame?
Wirt: Eine Frau Delgado.
Jonas: Judith? Wo ist sie?
Wirt: Keine Ahnung, sie ist am frühen Morgen gekommen, als Sie noch unterwegs waren. Aus Babylon. Sie hat nach Ihnen gefragt. Im Gastraum hat sie auf Sie gewartet.
Jonas: Und dann? Reden Sie, Mann!
Wirt: Dann sind die vier PoPos gekommen.
Jonas: Und?
Wirt: Die Dame und die vier PoPos sind zusammen weg.
Jonas: Die Rechnung, und eine Motorrikscha, wenn’s hier so was gibt. Schnell.
Jonas: Alles war klar. Die andere Seite hatte Judith gekidnappt, um mich loszuwerden. Ein schwerer Fehler. Bisher hatte ich die Geschichte als normalen Job gesehen, als einen Fall wie jeden andern. Jetzt war eine persönliche Sache daraus geworden. Es ging nicht mehr um Berufsehre, darum, daß ein Detektiv nie aufgibt, um Ökos, Möwen und so weiter, es ging nur noch um zwei Dinge: erstens, ich mußte Judith rausholen. Ich konnte mir denken, wo sie sie hingebracht hatten. Judith war bei Caligari, und Caligari war auf Swartcliff. Als sie mich eben anrief, hatte ich im Hintergrund deutlich Baugeräusche gehört. Zweitens, ich mußte mit Caligari und ihrer Bande abrechnen. Endgültig. Ich hatte genug. In mir war eine kalte Wut, eine Wut im Bauch und im Kopf. Ich fuhr nach Babylon. Aus dem Wandschrank in meinem Büroapartment, da wo ich auch meine Sammlung antiker Detektivromane aufhebe, holte ich die Guerilla-Ausrüstung, die ich vor 5 Jahren weggelegt hatte, als der antarktische Krieg zu Ende war. Eine kurze Nachricht an Demeter, und ich war wieder unterwegs Richtung Küste. Es wurde dunkel, als ich die Bucht erreichte, wo ich das Rettungsboot der Semiramis versteckt hatte. Nebel kam auf, und ein Wind, der stärker war als die Damenbrise des seligen Piet Pietersen. Ich machte mich fertig. Ich zog den Kampfanzug aus schwarzem Plastik an, schmierte mir schwarze Farbe ins Gesicht, und verstaute alles, was ich brauchte, am Gürtel und in den Taschen.
Sam: Bitte, Massa.
Jonas: Laserstrahler, Nockouter, Infrarot-Ablenker, Nachtsichtbrille, Schockgranate, Miniplastbombe, Vakuumklammern, sonst noch was?
Sam: Oh Massa, treuen Onkel Sam nicht vergessen.
Jonas: Natürlich kommst du auch mit, Sammy. Dann wären wir wohl soweit.
Sam: Jawoll, Chef. Alles da, und alles aus Plastik. Kein Metall, von wegen dem Radar. Radadadar. Der unbezwingliche Plastikmann, Schrecken seiner Feinde, und fetischischtischer Wunschtraum.
Jonas: Keine dummen Witze, Sammy, die Sache ist ernst.
Sam: Dann gestatten eure heroische Seriosität ein leicht variiertes Zitat aus dem göttlichen Gedicht des gleichfalls göttlichen Homer: Singe, o Muse, den Groll des Privatdetektivs, namens Jonas, im Zorne erschuf unendliches Leiden der PoPo, viele tapfere Seelen der Helden zum Hades entsannt.
Jonas: Schon besser, also stechen wir in See. Fast wie in den bösen alten Tagen beim 9. Guerilla-Kommando im Beagle-Kanal.
Sam: England erwartet, daß jeder Mann seine Pflicht tut. Ahoi.
Jonas: Ahoi, das hieß rudern. 10 Kilometer. Der Nebel wurde stärker. Wind und Wellen spielten mit dem Boot Wasserball. Aber ich kam durch. Unter der steilen Südküste von Swartcliff machte ich das Boot fest, an einem Felsvorsprung, und dann lief ich die senkrechte Wand hoch. Kein Schwindel, Damen und Herren, keine schwarze Magie, zwei Saugklammern mit Stil und batteriebetriebener Vakuum-pumpe, kleben eingeschaltet an jeder Fläche, sicherer als Metallkrampen. Und viel leiser. Oben steckte ich vorsichtig den Kopf über den Rand. Wie ich es mir gedacht hatte: Weit und breit nur ein einziger Wächter, und der träumte vor sich hin. Hoffent-lich was schönes, ich ließ ihn weiterträumen, bis in alle Ewigkeit, dann rekognos-zieren. Durch die Nachtbrille, schwierig, der Nebel deckte allmählich alles zu.
Jonas: Hinten rechts der Heliport. Voll mit Maschinen.
Sam: Kein Flugwetter, eure meteorologische Inkapazität.
Jonas: Überall Bauschutt, Betonplatten, Baumaschinen, aber keine Baustelle.
Sam: Die ist natürlich unterirdisch, Herr Flottillenchef, bzw. unter- oder auch innerfelsig.
Jonas: Du meinst, die bauen die alten Marineanlagen aus?
Sam: Was denn sonst, Knallkopp.
Jonas: Vorsicht, Sam. Da muß der Eingang sein, in der Bunkerkuppel unter der Radarantenne.
Sam: Wohin wir uns nunmehr begeben werden, Herr Stoßtruppführer, zwecks Eindringens in die Swartcliffsche Unterwelt.
Jonas: Das Tor in der Kuppel war doppelt bewacht. Durch einen laserbewaffneten Typ, der gar nicht verträumt aussah, und durch einen Scanner. Mikro, Kamera und Lautsprecher kombiniert.
Sam: Sorry, Boss, Sam kann das Ding nicht ausschalten, Sam kommt nicht ans Zentrale ran, weil Sam kennt nicht den Supergeheimcode der PoPo.
Jonas: Dann machen wir’s anders.
Sam: Wie?
Wächter: Wer da? Ist da jemand? Identifizieren Sie sich, oder ich mach von der Waffe Gebrauch. Ahh...
Jonas: So, Sammy, jetzt haben wir eine schicke PoPo-Uniform. Wenn ich die über den Kampfanzug ziehe, und so am Scanner vorbeimarschiere
Sam: Hehe, vergiß aber nicht, dir die schwarze Farbe aus dem Gesicht zu wischen, großer Häuptling der Basrai.
Jonas: Ganz so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte, kam ich aber dann doch nicht in die unterirdischen Anlagen. Ich war gerade am Scanner vorbei, da meldete sich eine Stimme aus dem Untergrund.
Offizier: Halt, was war da draußen los, Wanzek?
Sam: Machs Maul auf, Idiot, du bist Wanzek.
Jonas: Äh, falscher Alarm, Chef, alles in Ordnung.
Offizier: Gut, weitermachen.
Jonas: Das brauchte er mir nicht zweimal zu sagen. Ich holte tief Luft, und verschwand in dem Gang, der schräg nach unten führte. Immer weiter, immer tiefer. Rechts und links Türen, alle 50 Meter eine Kurve, und ab und zu ein Quergang. Wenig Lampen, und zum Glück auch wenig Verkehr. Drei, vier PoPos kamen mir entgegen, ich salutierte zackig, und marschierte vorbei. Zielstrebig, nicht eilig. Keine Gefahr, keine Probleme. Bis der Gang plötzlich zu Ende war. An einer massiven Tür ohne Schloß, Griff und Klinke. Statt dessen ein Schild.
Jonas: Sperrbezirk. Zugang für Unbefugte strengstens untersagt. Berechtigte Personen werden ersucht, ihren Kopf kurz in die dafür vorgesehene Öffnung rechts, siehe Pfeil, zu halten. Na, wenn’s weiter nichts ist.
Sam: Halt!
Jonas: Was, was ist denn, Sam?
Sam: Empfehle dringendst, der Aufforderung nicht zu folgen.
Jonas: Und warum nicht?
Sam: Weil eure Humanität lediglich über einen einzigen Kopf verfügt, auf welchen trotz seiner sattsam bekannten Unzulänglichkeit Durchlaucht auch fernerhin nicht verzichten sollten.
Jonas: Ach, du meinst, das ist eins von diesen neumodischen Sicherungssystemen, so eins, wo die Gehirnströme abgelesen werden.
Sam: Ja.
Jonas: Und wenn sie nicht gespeichert sind, dann
Sam: Schnipp schnapp, Rübe ab. Kein Zweifel, hochzuverehrender Henkersknecht.
Jonas: Huh, da hätte ich ja fast eine Riesendummheit gemacht.
Sam: Sam wagt nicht zu widersprechen, o Inbegriff aller Weisheit.
Jonas: Weißt du, Sam, wie wir reinkommen? Ich fange mir einen PoPo, der hier unten rumläuft, und stecke seinen Kopf ins Loch. Wenn er berechtigt ist, gut und schön, dann geht die Tür auf.
Sam: Und wenn nicht, o abgeklärter Kaltschnauz?
Jonas: Dann verliert er den Kopf, fürchte ich. Und ich fange mir einen neuen, einen möglichst hochrangigen. General oder so.
Oberst: Würde Ihnen ein Oberst reichen? Hände hoch und langsam umdrehen.
Jonas: Er stand plötzlich hinter mir. Ich hatte ihn nicht gehört, weil ich mich so angeregt mit Sam unterhalten hatte, dumm von mir. Er war tatsächlich ein Oberst der PoPo, das sah ich, als ich mich umdrehte. Lametta an Brust und Schultern, dazu ein Laserstrahler am Gürtel und ein Knockouter in der Hand. Das war dumm von ihm.
Oberst: Stehenbleiben! Bleiben Sie stehen. Sie, Sie sind isoliert.
Jonas: Du merkst auch alles, Buster.
Jonas: Haben Sie gehört? Buster. Ein echter Bogie. Ich war richtig stolz, fletschte die Zähne, und zupfte mich am Ohr. Übrigens war ich wirklich isoliert. Das heißt, mein Kampfanzug, der Oberst nicht, und deshalb fiel er um, als ich ihm einen soliden 2-Stunden-Lähmungsschock verpaßte. Aber er war berechtigt. Sein Kopf schloß mir das Tor auf. Ich legte ihn hinter einem Schutthaufen ab, weiter. Der Verkehr nahm ein bißchen zu. Kaum noch schwarzrote Uniformen, dafür weiße Kittel, hinter den Türen Funk- und Radarstationen, und Laboratorien. Eine Tür stand offen. Ich riskierte ein Auge, und obwohl ich es so eilig hatte, blieb ich stehen.
Jonas: Puppen? Sieh dir das an, Sammy. Die Damen und Herren Wissenschaftler von ZIP spielen mit Puppen.
Sam: Unwahrscheinlich. Geh näher ran, alter Türschlitzspanner. Keine Angst, das Labor ist leer.
Jonas: Das, das sind keine Puppen.
Sam: Was du nicht sagst, Kumpel.
Jonas: Das sind Menschen, klitzekleine Menschen.
Sam: Im Durchschnitt 12 Zentimeter hoch, flüchtig geschätzt, Minimenschen, o riesiger Gulliver zu Liliput. Tot sind sie übrigens auch.
Jonas: Jedenfalls bewegen sie sich nicht. Wie damals, im Schlachthaus von Costaguana, nur alles viel kleiner, aber womöglich noch scheußlicher. Was ist hier los, Sam?
Sam: Siehst du doch, blindes Huhn. ZIP entwickelt ein neues Verfahren. Mikronisierung. Verkleinerung von Menschen. Wo heute 100 leben können, sollen es in Zukunft Millionen und Milliarden sein.
Jonas: Deshalb diese gewaltigen Sicherheitsvorkehrungen.
Sam: Ja.
Jonas: Deshalb haben sie sich auf Swartcliff verkrochen.
Sam: Versteht sich, großer Vordenker. Hier wird das Verfahren getestet. Und hier soll es später im großen Stil und Umfang angewandt werden.
Jonas: ZIP schreckt wirklich vor nichts zurück.
Sam: Vermutlich hat man auch die Dame Judith zur Mikronisierung vorgesehen.
Jonas: Judith? Meinst du wirklich, Sam?
Sam: Ja.
Jonas: Dann los.
Jonas: Weiter, schneller, immer schneller, noch ein paar Labortüren, dann Büros, dann das allerheiligste. Professor Caligari. Kein Zutritt. Für mich galt das nicht. Ich trat zu. Leise. Niemand im Vorzimmer. Aus dem Hinterzimmer durch die angelehnte Tür, Stimmen. Caligari und Judith.
Judith: Die Sicherheitsverwaltung wird mich suchen lassen.
Caligari: Das werden wir zu verhindern wissen, mein Liebe. Sie haben Ihre Situation doch selbst verschuldet. Was geben Sie sich mit diesem Quertreiber ab, diesem Unruhestifter, diesem Jonas. Meine Organisation hat ein hohes Ziel, die Reduktion der Überbevölkerung. Mittel haben wir im Überfluß. Die Industrie unterstützt uns, die Hochfinanz, die Politik.
Judith: Ja, ja, die Politik.
Caligari: Was wir brauchen ist Ruhe. Vor allem jetzt, im Versuchsstadium. Das große Projekt der Mikronisierung läuft. Aber der Durchbruch ist uns noch nicht gelungen. Wir verzeichnen einen zu hohen Verschleiß an Versuchspersonen. Ja, auch auf diese Weise reduziert sich die Bevölkerung, und das ist doch die Hauptsache, nicht wahr?
Judith: Wenn Sie meinen.
Caligari: Wenn der Ausbau unseres neuen Hauptquartiers beendet ist, wenn wir uns hier auf Swartcliff sicher verschanzt haben, wenn wir ungestört arbeiten können, dann, meine Liebe, dann...
Judith: Dann? Werden Sie mich freilassen?
Caligari: Das halte ich für unwahrscheinlich. Sie sind zu gut über uns informiert. Und wir brauchen laufend frische Versuchspersonen.
Jonas: Frau Professor Caligari hielt gern Vorträge. Mir reichte es. Ich wollte nichts mehr hören. Ich wollte Judith. Die Ein-Mann-Armee Jonas setzte zum Sturm an. Es ging alles sehr schnell. Eine Schockgranate durch die Tür, Caligari ging benommen zu Boden. Aber sie war hart im Nehmen. Sie hatte ihren Laser fast schon wieder in Schußposition, als ich sie mit dem Knockouter unschädlich machte. Dann zu Judith. Auch sie kam schnell wieder zu sich.
Judith: Jonas? Was ist passiert? Ich hab dich zuerst gar nicht erkannt. In dieser Uniform.
Jonas: Was meinst du, Judith, steht sie mir? Judith, wie fühlst du dich denn? Kannst du laufen?
Judith: Ja.
Jonas: Na komm, ich helf dir.
Judith: Ich glaub schon.
Jonas: So, dann laß uns loslaufen.
Sam: Moment, Chef. Punkt eins: Befreiung der Dame Delgado erfolgreich ausgeführt. Bleibt Punkt zwei.
Jonas: OK, Sammy. Wo?
Sam: Hintere Wand Mitte, allerwertester Knallfrosch.
Jonas: Eine Miniplastbombe oder zwei?
Sam: Zwei, o Meister aller Bombardiere. Safety first. Beeil dich, lahme Ente.
Jonas: Ich beeilte mich, und dann raus. Im Geschwindschritt durch die Gänge. Wer sich uns in den Weg stellte, war selber schuld. Kampfmaschine Jonas ließ sich nicht aufhalten, bis sie von allein stehen blieb, am Ausgang, mit Judith, atemlos, aber glücklich. Und mit Sam natürlich.
Judith: Du hast es wirklich geschafft, Jonas.
Jonas: Kleinigkeit. Anruf genügt, komme sofort.
Judith: Caligari hat gesagt, du würdest nicht kommen, weil du nicht gut genug bist, und weil du mich nicht genug liebst.
Jonas: Da hat sie sich geirrt, unsere Frau Professor. Zum allerletzten Mal.
Judith: Ist sie tot?
Jonas: Noch nicht. Sam.
Sam: Ja.
Jonas: Die Fernzündung.
Sam: Fernzündung.
Jonas: Feuer.
Sam: Zu Befehl, Herr Sprengmeister.
Judith: Was ist das?
Jonas: Die große ozeanische Wasserspülung, meine Bomben in Caligaris Zimmer, tief unter dem Wasserspiegel, haben die Felswand aufgerissen, und jetzt wird der ganze Dreck ins Meer gespült, Caligari und ihre Organisation, PoPos und Wissenschaftler, Labors und Maschinen, aus und vorbei. Ein für alle mal.
Sam: Mögen sie in Frieden ruhen auf dem kühlen Meeresgrund, rappeldizock...
Demeter: Da ist noch einer von den Schwarzroten! Hände hoch!
Jonas: Demeter.
Demeter: Jonas.
Jonas: In Person.
Demeter: Ich hab Sie nicht gleich erkannt.
Jonas: In dieser Uniform. Wie kommen Sie hierher?
Demeter: Als ich Ihre Nachricht kriegte, habe ich alle Ökos zusammengetrommelt, die Westerporter haben ihre alten Flinten aus dem Schrank geholt, und uns in ihren Booten rübergebracht, trotz Sturm und Nebel. Wir wollen Ihnen helfen.
Jonas: Danke, sehr freundlich, aber nicht mehr nötig. Der böse Feind ist geschlagen. Auftrag ausgeführt.
Sam: Ja.
Demeter: Und die Dreizehenmöwe Rissa?
Jonas: Ach, die hab ich vergessen. Es war nämlich einiges los, müssen Sie wissen.
Demeter: Das interessiert mich nicht. Unter diesen Umständen wird es uns nicht möglich sein, Ihnen Ihr restliches Honorar auszahlen. Wir hatten vereinbart... Da, hören Sie: Rissa Tridactyla. Sie hat es überlebt. Hurra!
Sam: Hurra!
Jonas: Zähes Tierchen, dachte ich, und freute mich ein bißchen mit Demeter und ihren Leuten, die sich aufmachten, die Nester ihres heißgeliebten Federviehs zu suchen. Judith und ich blieben allein zurück.
Judith: Ich seh dir in die Augen, Jonas.
Jonas: Ich dir auch, Judith. Sehen wir uns heute Abend?
Judith: Wenn du willst. Sehen wir uns morgen Abend?
Jonas: Wenn du willst.
Jonas: Und so weiter. Falls Ihre Beziehung nicht mehr das ist, was sie war, dann rate ich Ihnen, lassen Sie sich kurz kidnappen, und auf möglichst spektakuläre Weise retten. Das verbindet, bis zum nächsten Krach.
Das war Kidnapper. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Kornelia Boje, Renate Grosser, Gernot Duda, Michael Lenz, Wolfgang Büttner und viele andere (Joachim Höppner, Gisela Hoeter, Reiner Kositz). Ton und Technik: Günter Heß und Angela Bernd. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1985). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.
Hörspielfan
16. Juli 2025
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Requiem
Sam: Alles neu macht der Mai, macht die Seele froh und frei.
Jonas: Sam! Halt den Schnabel, Sammy.
Sam: Aber Chef, Sam hat keinen Schnabel. Sam ist kein Vogel. Sam ist ein Computer. Laß das Haus, kommt hinaus, bindet einen Strauß.
Jonas: Und Computer, die nicht gehorchen, kommen auf den Schrottplatz. So, jetzt kann ich mal was sagen. Zur Richtigstellung sozusagen.
Jonas: Es war nämlich gar nicht Mai. Nicht mal ein bißchen. Im Gegenteil. Es war Herbst. Trüber grauer Spätherbst. 7. November 2009. Und alles neu, das stimmt auch nicht, jedenfalls nicht ganz. Gut, ich hatte mir was Neues zum Anziehen geleistet, einen antiken Trenchcoat Marke Bogie, nicht billig, aber edel. Meinte Judith. Und für den guten Sam war ein funkelnagelneuer Vocoder drin gewesen. Der vorige hatte an hochgradiger Altersschwäche gelitten. Immerhin hatte er, ja, fast 5 Jahre auf dem Buckel. Im Jahr 2005 hatte ich Sam gekauft. Damals hieß er noch nicht Sam, sondern...
Sam: Doktor Chrysostomus MacCoy Incorporated.
Jonas: Sam ist mein Computer. Seine erste und eigentliche Existenz hat er in meinem Büro, als unbeweglicher Kasten, Terminal, Nerven- und Schaltzentrum, Kartei, Datei et cetera. Dann gibt es noch Sam zwo. Die Taschenausgabe mit drahtloser Verbindung zu Sam eins. Sam zwo hab ich ständig bei mir. Ich brauche ihn. Auch wenn er mir oft genug auf die Nerven geht. Er ist nämlich überzüchtet. Überhochmetzt. Programmatisch überfüttert. Oder sagen wir einfach verrückt.
Sam: O du mein Jonas. Jonas über alles. Ich kann dir nicht böse sein. Hast du doch tief in die Tasche gegriffen, um mich mit einem neuen Vocoder zu beglücken. Ist er nicht schick? Klingt er nicht wunderbar? Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden belebenden Blick.
Jonas: Du bringst dich auf den Schrottplatz, Sammy.
Jonas: Sie hören es: Sam war wieder so gut wie neu. Und die Beziehung zwischen Judith und mir auch. Wir wollten noch mal anfangen, nach den Streitereien der letzten Monate.
Jonas: Also doch irgendwie Mai. Trotz November.
Sam: Sag ich doch, Alter.
Jonas: Weil wir beide, Judith und ich, Nostalgiker sind, buchten wir Plätze im Romantic-Park. Und im Romantic-Park ist es immer Frühling. Dank Klima-Konverter und Holo-Projektion. Wir saßen auf unserer Zweier-Bank. Über uns wölbte sich ein klarer Sternenhimmel. Auf kleinen Teichen schwammen große Schwäne. Weiß, wie frisch aus der Waschmaschine. Aus dem Gebüsch dudelten Soft-Pop und Nachtigallen vom Band. Soweit alles Bestens. Wenn da nicht ein altes Problem in der lauen Mai-Nacht gestanden hätte.
Judith: Gib`s zu, Jonas, es ist nur Stolz.
Jonas: Nur?
Judith: Dummer alberner unsinniger Stolz. Du bist zurückgeblieben, Jonas. 50 Jahre mindestens.
Jonas: Na und? Die Mitte des 20. Jahrhunderts ist meine Zeit. Die Zeit von Phil Marlowe und Konsorten. Als das Leben noch lebenswert war. Hart und wild. Eine Aufgabe. Eine Bewährung. Lachen Sie nicht. In den Büchern steht’s so.
Judith: Wo ich doch nun mal in einer höheren Wohnraumklasse bin.
Jonas: Kann man wohl sagen, bei 40 Quadratmeter.
Judith: 48 Quadratmeter.
Jonas: 48. Wie... wieso 48?
Judith: Seit ich befördert bin. Eine Hauptabteilungsleiterin bei der öffentlichen Sicherheitsverwaltung hat Anspruch auf 48 Quadratmeter.
Jonas: Gratuliere.
Judith: Also?
Jonas: Also was?
Judith: Du ziehst zu mir. Platz haben wir genug. Dein 20-Quadratmeter-Loch.
Jonas: 22.
Judith: Das kannst du ja als Büro behalten, wenn dein Herz schon an diesem Beruf hängt, der dir nichts einbringt, außer Schrammen und Beulen.
Jonas: Ich bin Detektiv. Privatdetektiv. Der letzte seines Zeichens. Vielleicht auf der Welt. Wahrscheinlich in den Vereinigten Staaten von Europa. Mit Sicherheit in Babylon. Kein begehrter Beruf. Judith hatte nicht so Unrecht. Das Leben war unsicher. Gefährlich. Und reich werden konnte man dabei auch nicht. Aber besser als eine stumpfsinnige Volksrenten-Existenz war es allemal.
Jonas: Sammy, wie sagt Chandler?
Sam: Viel Geld ist nicht drin. Jede Menge Ärger ist drin, aber auch `ne Menge Spaß. Und immer die Hoffnung auf einen großen Fall.
Jonas: Hast du gemerkt, Judith? Sam hat eine neue Stimme.
Judith: Keine Verbesserung, wenn du mich fragst. Kannst du den Schnatterkasten nicht zu Hause lassen, wenn wir verabredet sind?
Jonas: Das nächste Mal.
Sam: Was muß ich da hören, o Sonne meiner Software?
Judith: Misch dich nicht ein, Sam.
Sam: Sam erhält seine Anweisungen einzig und allein von seinem Herrn und Meister. Und sein Meister und Herr ist...
Jonas: Ruhe.
Sam: Ruhe?
Jonas: Absolute Ruhe, Sam.
Sam: Der Großmeister trefflicher verbaler Verknappung meint, Sam solle nichts sagen? Keinen Satz? Kein Wort? Keinen Buchstaben? HuHuHu! Jammer, Jammer, Weh und A...
Jonas: Sei doch jetzt endlich still, verdammt noch mal.
Sam: Jawohl, mein Fähnleinführer. Ein Wink genügt, und Sam ist still. Er sagt nichts mehr. Auch wenn eine Nachricht von persönlicher Dringlichkeitsstufe 1 anliegt. Gar nichts sagt Sam. Er schweigt.
Jonas: Mo-ment, Sammy. Was war das mit persönlicher Dringlichkeitsstufe 1? Hast du nicht gehört?
Sam: Sam schweigt eisern. Wie das Gesetz es befahl.
Jonas: OK OK OK. Hast du nun eine dringende persönliche Nachricht für mich oder nicht?
Judith: Laß doch den dummen Computer, Jonas.
Sam: Dummer Computer hat Nachricht für hochehrwürdigen Herrn Stabsfeldwebel.
Jonas: Raus damit.
Judith: Das hat doch Zeit.
Sam: Majestät wünschen Nachricht zu hören?
Jonas: Ja, ich wünsche. Entschuldige Judith, aber.
Sam: Randy Orgas ist tot.
Jonas: Was?
Sam: Randy Orgas ist tot. Meldung durch epa vor 5 Minuten. Bestätigung vor 1 Minute 33 Sekunden.
Judith: Orgas? Randy Orgas? Ein Rockmusiker, oder?
Jonas: Ein Rockmusiker, jawohl. Ein ziemlich bekannter sogar. Chef und First Player der Gruppe Fuck The Duck. Und der Freund eines ziemlich unbekannten Privatdetektivs namens Jonas. Vor zweieinhalb Jahren hatte ich ihn kennen gelernt. Im Sommer 2007. Böse Menschen hatten ihm sein goldenes Keyboard weggenommen, und wollten es nur gegen einige Millionen zurückgeben. Ich brachte die Sache in Ordnung. Auf meine Art. Und danach kam Randy mich ab und zu besuchen. Wir sahen uns ähnlich. Auch wenn er viel jünger war. Und das faszinierte ihn. Vielleicht war ich für ihn ein Spiegel der Zukunft. Oder er brauchte so was wie eine Vaterfigur. Außerdem hatte ihm mein Stil imponiert. Von seinem konnte ich das nicht sagen. Plastik-Rock-Pop ist nicht meine Musik. Und damals war Randy mit seinen Ducks der unbestrittene King of PRP. Inzwischen hatte er ein bißchen abgebaut. Er war nicht mehr jede Woche in den Charts. Aber für den einen oder anderen Hit reichte es noch. Manchmal. Der letzte, warten Sie, das war.
Sam: Dritte Aprilwoche 2009. Nummer 17 in Euro-Chart, 26 in World-Chart.
Jonas: Also doch schon ein gutes halbes Jahr her. Titel? Sammy, was ist denn? Ich will den Titel von Randy Orgas letztem Hit.
Sam: Wenn Hoheit darauf bestehen. Der Titel lautete, wäh, Computer-Tod. Ein höchst ungehöriger, ja obszöner Titel, wenn es armem kleinem Computer erlaubt ist, eine persönliche Meinung zu äußern.
Judith: Ich bin übrigens auch noch da, wenn es mir erlaubt ist, ganz bescheiden darauf hinzuweisen, und darauf, daß wir im Romantic-Park sind, um miteinander zu reden.
Jonas: Ja sicher, Judith, aber verstehst du denn nicht, Randy Orgas ist tot.
Judith: Ja was hat das mit uns zu tun?
Jonas: Es hat was mit mir zu tun. Ich muß was unternehmen, wenn Randy wirklich tot ist.
Sam: Klar ist er tot, Blödmann. Gestorben in Babylon, 7. November 2009. 3 Uhr 23 nachts.
Jonas: Vor gut acht Stunden.
Sam: Todesursache: Herzversagen.
Jonas: Wer hat den Totenschein ausgestellt? Ein Robo-Doc?
Sam: Mitnichten, Majestät. Ein menschlicher Arzt in all seiner biologischen Unvollkommenheit.
Jonas: Name?
Sam: Dr. Waldemar Zirose.
Jonas: Zirose? Kenn ich nicht. Wo ist denn das Büro von Randy Orgas Managerin? Wie heißt die?
Sam: Lexis Scarlet, o Spitze des Eisbergs. Und ihr Büro befindet sich im Musik-center. 39. Stockwerk.
Jonas: Also los, Sammy.
Judith: Jonas, du gehst wirklich?! Du läßt mich sitzen.
Jonas: Tut mir leid. Judith, aber ich muß. Ich muß, sagen wir mich von Randy verabschieden.
Sam: Ach, ein langer Abschied, o spätgeborener Marlowe.
Judith: Was soll das heißen?
Jonas: Ich erklär es dir später, Judith.
Judith: Wenn du dazu noch Gelegenheit hast.
Jonas: Raus aus der künstlichen Maien-Nacht in den tristen babylonischen Novembertag. Mit der Rikscha ins Büro. Aus dem wackligen Verschlag, den mein hochstapelnder Vermieter Safe nennt, nahm ich den Holo-Clip, den Randy mir nach seinem letzten Besuch geschickt hatte. Zurück ins Zentrum. Mit dem üblichen Aufenthalt. Auf dem Bob-Dylan-Platz lief eine unangemeldete Massen-Selbstverbrennung mit großem Zulauf. Und als ich im 39. Stock des Musikcenter aus dem Quick-Lift stieg, wurde ich gleich noch mal aufgehalten. Lexis Scarlets Bürotür wurde bewacht. Von einem grimmigen Vorzimmer-Robot mit elektronischer Barriere.
Vorzimmer-Robot: Halt.
Jonas: Was?
Vorzimmer-Robot: Halt. Sie wünschen, meine Dame bzw. mein Herr?
Jonas: Was hältst du denn von dem Kollegen, Sam?
Sam: Kollege? Ich muß doch sehr bitten, Herr Oberförster.
Vorzimmer-Robot: Sie wünschen, meine Dame bzw. mein Herr?
Jonas: Also, taufrisch ist er nicht mehr. Daß Lexis Scarlet ein so überholtes Modell nicht auswechselt. Geschäft geht wohl nicht so gut, was meinst du, Sam?
Sam: Veraltet? Hmh, besser gesagt, vergreist. Aber stur und zuverlässig. So ohne weiteres kommen wir hier nicht rein, Alter.
Vorzimmer-Robot: Sie wünschen, meine Dame bzw. mein Herr?
Sam: Nun sag ihm schon, was wir wünschen.
Jonas: Lexis Scarlet. Ich will sie sprechen.
Vorzimmer-Robot: Sind Sie mit Frau Scarlet verabredet, meine Dame bzw. mein Herr?
Jonas: Nein, aber ich muß sie trotzdem.
Vorzimmer-Robot: Bedaure, Sie dürfen nicht passieren, meine Dame bzw. mein Herr.
Jonas: Es geht um Randy Orgas. Sag ihr das.
Vorzimmer-Robot: Bedaure, Sie dürfen nicht passieren, meine Dame bzw. mein Herr.
Sam: Was habe ich gesagt, ehrwürdiger Onkel mütterlicherseits? Stur.
Jonas: Stur und blöd.
Sam: Blöd. Das eröffnet gewisse Möglichkeiten. 2 plus 2 ist 3.
Vorzimmer-Robot: Hah!
Sam: 8 mal 0 ist 8. 8 hoch 2 ist 57.
Vorzimmer-Robot: Oh!
Jonas: Sammy, was ist denn los mit dir, alter Junge? Du wirst mir doch nicht krank?
Sam: Ich nicht, geschätzter Hoch- und Deutschmeister. Wohl aber ein gewisser sturer Robot älterer Bauart. Die Quadratwurzel aus 9 ist zwölfeinhalb.
Vorzimmer-Robot: Oh!
Jonas: Kluges Kind, Sammy. Bei einem rechtwinkligen Dreieck ist die Summe der Quadrate über den Kathetern...
Vorzimmer-Robot: Ah!
Sam: Katheten, Dummie.
Jonas: Äh Ka... Katheten, von mir aus, aber jedenfalls ist die Summe nicht im Mindesten gleich dem Quadrat über der Hypo... Hypodings... Hypo... Hypotenuse.
Vorzimmer-Robot: Ah! Aufhören, bitte, aufhören, meine Dame bzw. mein Herr!
Sam: Einmal sieben ist 6. Zweimal sieben ist 11. Dreimal sieben ist 109.
Jonas: Zwei parallele Linien treffen sich...
Sam: An der nächsten Straßenecke.
Jonas: Sagt die eine zur andern...
Vorzimmer-Robot:...
Jonas: Oh. Voll durchgedreht, der arme Kerl.
Sam: Hihihihihihihi. Computer-Kollaps. Inkorrekte Mathematik halten sie nicht aus, diese alten Hündchen.
Jonas: Gute Idee, Sam.
Sam: Trick 17, Schüler Jonas. Da ich auf dero Genialität Kooperation wert zu legen habe, durfte ich mich leider nur auf Minimaldia-Mathematika stützen.
Jonas: Soll heißen?
Sam: Unterste Unterstufe, o Adam Riese. Pythagoras etc., Klippschule.
Jonas: Machen wir jetzt einen Exkurs über meine mathematische Bildung oder was?
Sam: Was, euer Durchlaucht.
Jonas: Was was?
Sam: Wir machen jetzt das, was Sie, o genialischer Verkürzer, so treffend als was bezeichneten. Wir suchen Frau Scarlet auf, die Managerin des seligen Randy Orgas, und da die elektronische Barriere, hihihihi, nun mehr dauerhaft geknackt ist.
Fredo: Was ist denn hier los? Hey, der Robot ist im Eimer.
Jonas: Senile Dysfunktion. Sagen Sie Frau Scarlet, sie soll sich einen neuen kaufen.
Fredo: Ah, Sie haben ihn kaputt gemacht.
Sam: Nein, ich.
Jonas: Der Typ, der in der Tür stand, war doppelt so breit wie ich. Und ich bin kein schmales Handtuch. Er trug formelle Geschäftskleidung. Grauer Blouson, schwarze Bermudas mit Nadelstreifen. Aber wenn der Geschäftsmann war, dann fraß ich meinen Computer. Er roch förmlich nach Gorilla.
Fredo: Wer sind Sie?
Jonas: Jonas.
Fredo: Und?
Jonas: Nur Jonas.
Fredo: Und was wollen Sie?
Lexis Scarlet: Was gibt’s da draußen, Fredo?
Fredo: Ach hier ist einer, der heißt Jonas, und der hat unseren Robot kaputtgemacht.
Lexis Scarlet: Schmeiß ihn raus, Fredo.
Jonas: Leichter gesagt als getan. Fredo war ein Bulle, aber fix war er nicht. Während er versuchte, mich vorn zu fassen zu kriegen, spazierte ich hinten um ihn herum durch die Tür ins Büro. An den Wänden hingen verstaubte Holo-Disks. Reliquien goldener Hit-Zeiten. Auf dem staubig gelben Teppichboden: ein Schreibtisch. Und dahinter eine angestaubte Musik-Managerin. Unter dem Make-up: goldene Schatten der Vergangenheit. Sie musterte mich, als habe mich die Katze reingetragen. Fredo hatte inzwischen mitgekriegt, wo ich abgeblieben war, und trampelte mir nach.
Lexis Scarlet: Was soll das heißen?
Fredo: Ich kann nichts dafür, Lexis. Erst hat er den Robot kaputt gemacht, und dann ist er einfach um mich rumgelaufen.
Lexis Scarlet: Was will er?
Fredo: Hat er nicht gesagt.
Jonas: Aber jetzt sagt er’s. Ich will Lexis Scarlet was ausrichten. Von Randy Orgas.
Lexis Scarlet: Der ist tot.
Jonas: Eben drum. Sonst wär ich nicht hier. Auf dieser Holo-Kassette steht: Für Lexis, wenn ich tot bin. Sie kennen die Handschrift.
Lexis Scarlet: Zeigen Sie. Ja, Randy, keine Frage. Und?
Jonas: Legen Sie den Clip in Ihren Holo-Set ein. Für Ihren Lakaien findet sich derweil sicher was zu tun.
Lexis Scarlet: Fredo ist mein Sekretär, Jonas.
Jonas: Wenn Sie das sagen.
Lexis Scarlet: Warten Sie draußen, Fredo.
Fredo: Aber, Lexis.
Lexis Scarlet: Raus.
Jonas: Sie legte ein, drückte auf den Knopf, und da stand er. Mitten im Raum. Randy Orgas. Wie ich ihn kannte. Ohne Keyboard, ohne grüne Perücke, ohne Kutte, ganz zivil und fast inkognito. Wenn da nicht der berühmte rechte Mundwinkel mit seinem ironischen Zucken gewesen wäre.
Randy Orgas: Hei, Lexi Baby, und wer sonst noch da ist, vielleicht Tutti, oder DD, oder Scrooge von den alten Ducks. Laß mal Moment das Geldscheffeln, Lexi, hör mir mal zu. Ich bin also abgetreten. Abgeschrammt. Abgefuckt. Hab mich verpißt. Löffel abgegeben. Stiefel ausgezogen. Fini. Schluß. Aus. Ende. Amen. Mit den Mäusen und so ist alles klar. Testament liegt beim Notar. Das hier ist so ne Art Zusatz, mein wirklich und wahrhaftig endgültig allerletzter Wille.
Jonas: Ich erinnerte mich an unser letztes Treffen. Vor vier, fünf Monaten in meinem Büro plus Apartment, 22 Quadratmeter, bißchen eng. Randy war da, und ich, und eine große Flasche Old Forester, von Sammy ganz zu schweigen. Randy stand unter Plastik-Kiff und Solipsin, dazu noch der Whiskey, kein Wunder, daß er sich leicht melancholisch fühlte.
Randy Orgas: Blue, Baby. Down and out. Ich merks am Zwerchfell, Baby. Nicht mehr lange, dann kratz ich die Kurve. Haut auch nicht mehr so richtig hin mit der Musik und so. Solipsin?
Jonas: Nehm ich nicht. Weißt du doch.
Randy Orgas: Allright. Nur nostalgische drugs. Whiskey. Ist auch nicht schlecht. Listen, Jonas Baby, wenn’s mich erwischt hat, will ich auf gar keinen Fall eingebuddelt werden. No, Sir. Ich hab was gegen Schwermetall, und für’s Feuer bin ich auch nicht.
Jonas: Hhm. Hhm. Das Meer? Wie wär’s damit?
Randy Orgas: In die Abwasser-Scheiße? Nie, Baby.
Jonas: Dann bleibt nur der Weltraum.
Randy Orgas: Sounds good, Baby.
Jonas: Es gibt ein paar Firmen, die schießen dich für schweres Geld nach oben. In einem Satelliten. Und dann kreist du um die Erde. Von nun an bis in Ewigkeit.
Randy Orgas: Amen, Baby. 4-3-2-1-zero, wäng. I like it, Baby. Das will ich.
Randy Orgas: Das will ich, Baby. Und weil ich das dann selber nicht mehr kann, wird sich mein Freund Jonas darum kümmern, daß sie mich auch wirklich ins All knallen. Jonas ist OK, der macht das, eh, Jonas Baby? Das war’s, Leute. Spielt mal ab und zu was von mir. Computer-Tod oder den Seveso-Rock oder Software in the Head. Als dann. So long.
Lexis Scarlet: Das ist alles?
Jonas: Das ist alles.
Lexis Scarlet: Deshalb dringen Sie hier ein? Deshalb beschädigen Sie meinen Vorzimmer-Robot und verstören den guten Fredo? Ha, da kann ich nur sagen: Viel Lärm um Nichts.
Jonas: Um Randy.
Lexis Scarlet: Das ist dasselbe. Da ist die Tür.
Jonas: So geht’s nicht. Sie sind Randys Managerin.
Lexis Scarlet: Ich war Randys Managerin. Leichen manage ich nicht. Was mit Randy Leiche passiert, geht mich nichts an. Ich bin die falsche Adresse. Stecken Sie Ihren Holo-Clip wieder ein, Jonas. Gehen Sie ein Haus weiter.
Jonas: Zu wem?
Lexis Scarlet: Zu Tutti.
Jonas: Tutti?
Lexis Scarlet: Tutti Paletti. Der Styler der Ducks. Berater. Beichtvater. Seelischer Mülleimer. Ich bin bloß die Brieftasche. Gehen Sie zu Tutti. Fredo gibt Ihnen die Adresse.
Jonas: Hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Lexis. Ein so aufgeschlossenes loyales warmherziges Wesen.
Lexis Scarlet: Geschenkt. Ach, und Jonas.
Jonas: Ja?
Lexis Scarlet: Wenn Sie an einer gut dotierten Dauerstellung interessiert sind.
Jonas: Als Sekretär?
Lexis Scarlet: Sie haben es erfaßt. Fredo läßt stark nach. Also?
Jonas: Hhm. Unwahrscheinlich.
Lexis Scarlet: Hab ich mir gedacht. Falls doch, kommen Sie vorbei.
Jonas: Im schicken Südwesten von Babylon, da wo es vor 20 Jahren noch echte Bäume gegeben hatte, standen heute ein paar Luxus-Wohntempel herum. Mit super postmodernem Geschnörkel. In einem dieser Tempel wohnte Tutti Paletti. Das heißt, eigentlich nicht in, sondern auf. Paletti hatte ein Penthouse. An die 100 Quadratmeter. Pop-Styling war offenbar eine einträgliche Sache. Paletti hatte nicht nur ein Penthouse. Paletti hatte auch Möbel aus Mailand, einen versilberten Ro-Butler, und den letzten Schrei in Statussymbolen: Einen echten japanischen Bonsai.
Paletti: Mein Wald, ich nenne ihn meinen Wald, hehehe, ein Scherz.
Jonas: Finden Sie?
Paletti: Sie nicht? Also die meisten Besucher halten das für witzig.
Jonas: Soll ich Ihnen sagen, was ich für witzig halte?
Paletti: O, ich bitte darum.
Jonas: Einen Whiskey. Und wenn Sie ihn doppelt machen, lach ich sogar zweimal.
Paletti: Ich verstehe. Gandalf. Gandalf! Ja was in drei-Teufels-namen ist denn mit dem verflixten Ro-Butler?
Ro-Butler: Gar nichts ist mit dem verflixten Ro-Butler. Nur daß er seit Sonntag nicht mehr Gandalf heißt. Haben Sie vergessen, Sir? Tolkiens ist out. Muppets sind in.
Paletti: Äh, ja, richtig. Muppets, ähm, dann heißt du.
Ro-Butler: Kermit, Sir. Applaus, Applaus.
Paletti: Äh, Kermit. Es lag mir auf der Zunge. Ja, und was willst du, Kermit?
Ro-Butler: Sie wollen, Sir, Sie haben mich gerufen.
Paletti: Ach, hab ich?
Jonas: Einen doppelten Whiskey, Kermit, kein Wasser, kein Eis, kein Soda. Scotch, wenn möglich.
Ro-Butler: Bedaure, Scotch ist out. Wäre Jack Daniels Black Label Ihnen genehm, Sir?
Jonas: Auch gut. Und Sie, Paletti?
Paletti: Ja, einen kleinen Campari, mit sehr sehr viel Eis.
Ro-Butler: Sehr wohl, die Herren.
Jonas: Sie haben mir noch nicht geantwortet, Paletti. Wo ist Randys Leiche? Und wer kümmert sich um die Beisetzung?
Paletti: Ach, jetzt fangen Sie schon wieder an. Hören Sie endlich auf mit diesem Gerede über... über Sterben und Begraben. Das ist unappetitlich und widerlich. Jawohl, widerlich. Ich bin Ästhet, guter Mann. Ich habe 8 Semester kommerzielle Ästhetik studiert. Ich style Musiker. Ich kreiere ihr Image. Ich bin Künstler. Kreativ. Sensitiv. Wie kommen Sie nur darauf, daß ich irgendwas mit Randys... äh mit solchen Dingen zu tun habe.
Jonas: Sie gestatten. Prost. Zum Wohl. Hhm, ja. Lexis Scarlet hat mich zu Ihnen geschickt.
Paletti: O, ja, das verstehe ich nicht. Wie konnte sie das tun?
Jonas: Das frage ich mich auch. Bei wem kann ich denn nun was erfahren?
Paletti: Tja, nicht bei Lexis Scarlet. Bei mir schon gar nicht. Bleiben nur die Ducks. Scrooge und DD.
Jonas: DD?
Paletti: Donald-Daisy. Der/die Androgyne vom Dienst. Meine Idee. Ein cleverer Rückgriff auf die frühen 80er. Boy George, Marilyn, Dead or Alive, wenn Ihnen das was sagt.
Jonas: Wenig.
Paletti: Fragen Sie DD. Das wird das Beste sein.
Jonas: Und Scrooge?
Paletti: Oh, den können Sie vergessen. Scrooge ist nur der Drummer. Der kann nicht mal sprechen. Reden Sie mit DD, Jonas. Da kommen Sie weiter.
Jonas: Er gab mir eine Fon-Nummer. Ich suchte mir erst ein rot-gelbes Häuschen, das funktionierte. In Palettis Gegend kein Problem. Und dann suchte ich das rätselhafte Wesen Donald-Daisy. Auch das war kein Problem. DD war zuhause, kam ans Fon, und war auch bereit, zu reden. Das war gut so. Mir ging allmählich die Geduld aus. Allerdings wußte sie/er nicht viel, sagte er/sie.
Donald-Daisy: Ah, keine Ahnung, Darling, niente. Um so was kümmert sich Lexis.
Jonas: So? Und Lexis Scarlet hat mich zu Paletti geschickt und Paletti ach vergiß es.
Donald-Daisy: Ja, immerhin ist es ja auch bei Lexis passiert.
Jonas: Passiert? Was?
Donald-Daisy: Na, Randys Abtritt heute Nacht. Kleine Party im Büro, nur der engste Kreis. Lexis, Randy, Tutti, ich, Scrooge, Fredo, ja, und dieser neue Freund von Lexis. Wer sind Sie überhaupt? Medien?
Jonas: Freund von Randy. Jonas, nur Jonas.
Donald-Daisy: Ah, Sie sind der Detektiv! Ihnen sage ich gar nichts.
Jonas: Sie haben mir schon einiges gesagt, DD.
Donald-Daisy: Nichts habe ich gesagt. Ich sage nichts. Ich weiß nichts. Lassen Sie mich in Ruhe.
Jonas: Erster Impuls: zurück zum Musikcenter und Lexis Scarlet auf die Bude rücken. Zweiter Gedanke: tief durchatmen und überlegen. Natürlich nicht in der Fon-Zelle. Dafür hat Jonas ein heimeliges Büro, 22 Quadratmeter, und ein Loch, nach Judiths Meinung. Judith! Die hatte ich ganz vergessen. Bitte Judith, noch ein bißchen Geduld. Erst muß ich die Sache mit Randy Orgas in Ordnung bringen.
Sam: Unzureichende Daten, Herr Kapellmeister. Oder sagen wir es so: Die Geschichte macht einen noch recht verquasten Eindruck.
Jonas: Ein wahres Wort, Sammy. Da renne ich durch die Gegend, lasse mich an der Nase rumführen, von Hinz zu Kunz schicken, von Pontius zu Pilatus.
Sam: Von Scarletti zu Paletti.
Jonas: Und wozu? Ich krieg nicht mal was dafür.
Sam: Ein Fall ohne Honorar und Spesen, o personifizierte Großzügigkeit, ist wie Casablanca ohne Bogie.
Jonas: Oder wie Sam ohne das letzte Wort.
Sam: Jaja.
Jonas: Andererseits hat uns die Schlachthaus-Sache neulich einiges eingebracht. Und davon müßte doch noch was da sein, oder Sam?
Sam: Der Kontostand eurer geradezu Rothschild´schen Superfluenz beträgt zur Zeit genau 817 Euros und 4 Cents.
Jonas: Also keine Panik. Finanziell können wir uns eine kleine Extravaganz durchaus leisten. Frage, Sammy: Warum mache ich das ganze, wenn nicht für Geld, aus Loyalität?
Sam: Die Freudestreue o starke Säule im Sturm gilt zu recht als eine der hehrsten, der erhabensten Tugenden.
Jonas: Blabla.
Sam: Bitte?
Jonas: Blabla.
Sam: Aha. Wer da?
Jonas: Ja?
Lexis Scarlet: Lexis Scarlet.
Jonas: Sie? Sie haben mir gefehlt wie ein hohler Zahn.
Lexis Scarlet: Charmant. Sind Sie an einem Auftrag interessiert, Jonas?
Jonas: O, ich höre.
Lexis Scarlet: Sie sitzen in Ihrem Büro, sagen wir, eine Woche, und tun nichts.
Jonas: Ach, und dann?
Lexis Scarlet: Nichts dann. Das ist alles. Dafür kriegen Sie 1000 Euros. Was meinen Sie?
Jonas: Einverstanden. Sobald die Sache mit Randy geklärt ist.
Lexis Scarlet: Ich sehe, Sie lassen nicht locker, Jonas.
Jonas: Hhm, Berufskrankheit. Warum haben Sie mich angelogen, Lexis?
Lexis Scarlet: Bitte. Das war nur ein Test. Ich wollte feststellen, wie hartnäckig Sie sind. Damit Sie sich wieder abregen können, die Weltraumbestattung von Randy Orgas ist bereits in die Wege geleitet. Von mir. Ich habe eine renommierte Firma damit beauftragt.
Jonas: Name?
Lexis Scarlet: Immer und Ewig.
Jonas: Halleluja.
Lexis Scarlet: Nein, GmbH und Co KG.
Jonas: Kenne ich nicht. Warum sind Sie nicht zu den bekannten Spezialisten gegangen? Elysium AG oder Peace in Space?
Lexis Scarlet: Wissen Sie, was eine Raumbestattung kostet, Jonas? Immer und Ewig hat uns das preiswerteste Angebot gemacht. Auch so geht praktisch der gesamte Nachlaß drauf. Zufrieden, Jonas?
Jonas: Nein. Sie haben mir schon viel erzählt, Lexis. Ich will selber sehen. Das bin ich Randy schuldig.
Lexis Scarlet: Rührend. Ost-Zentral. Tigrisstraße 67. Fragen Sie nach Dr. Zirose.
Jonas: Zirose? Dr. Zirose? Ist das nicht der Arzt, der den Totenschein für Randy ausgestellt hat?
Lexis Scarlet: Ach, das wissen Sie?
Jonas: Und der ist bei Immer und Ewig? Merkwürdiges Zusammentreffen.
Lexis Scarlet: Gar nicht merkwürdig. Waldemar äh Dr. Zirose war zufällig auf meiner Party. Und äh als Randy umfiel, hat er sich um ihn gekümmert. Weil er ausgebildeter Mediziner ist.
Jonas: Und dann schießt er ihn in den Kosmos? Ganz zufällig? Woran ist Randy gestorben, Lexis?
Lexis Scarlet: Sie kennen doch den Totenschein: Herzversagen.
Jonas: Und warum hat sein Herz versagt?
Lexis Scarlet: Was weiß ich? Zuviel, nehme ich an.
Jonas: Zuviel? Wovon?
Lexis Scarlet: Von allem, Jonas. Von allem.
Jonas: Die abgebrochenen Wolkenkratzer in der Tigrisstraße sind voll von kleinen Unternehmen, die es noch nicht geschafft haben, oder es nie schaffen werden. Immer und Ewig war eine Tür mit einem Schild. Das Zimmer dahinter enthielt einen Tisch, ein paar unbequem aussehende Stühle, einen Holo-Set, darüber das bunte Bild einer Rakete, die zum Himmel fuhr, eine vage Aura von Weihrauch und Karbol, und im Hintergrund, neben einer zweiten Tür, und vor einem offenen Wandsafe, einen ältlichen Mann mit kahlem Schädel und in dunkler Sackleinwand von Hals bis Fuß. Ein Neo-Puritaner, wie es aussah. Als er mich hörte, verschloß er den Safe, drehte sich um und glitt auf mich zu. Mit dem gedämpft mitfühlenden Lächeln des Friedhof-Profis.
Dr. Zirose: Bitte, mein Herr, nehmen Sie doch Platz.
Jonas: Nicht nötig, ich bin kein Kunde. Dr. Zirose?
Dr. Zirose: Waldemar Zirose. Dr. med und rer. fun. Zu ihren Diensten.
Jonas: Rer. fun.?
Dr. Zirose: Rerum funeralium, der Bestattungswissenschaften. Fachuniversität Forest Lawn, Kalifornien. Was kann ich für Sie tun?
Jonas: Nicht für mich. Für Randy Orgas. Sie schießen ihn ins All, hab ich mir sagen lassen.
Dr. Zirose: Wir sorgen dafür, daß seine sterbliche Hülle in die Ewigkeit des Weltenraums gelangt. So ist es. Wer hat es Ihnen gesagt?
Jonas: Lexis Scarlet.
Dr. Zirose: Ach, dann sind Sie.
Jonas: Jonas. Nur Jonas.
Dr. Zirose: Jonas, ganz recht. Seien Sie unbesorgt, Herr Jonas, alles geht seinen geregelten Gang. Die Beisetzung, der Start, technisch ausgedrückt, findet, wenn das Wetter es zuläßt, bereits in drei Tagen statt.
Jonas: So schnell? Ich dachte, es dauert eine Weile, bis Sie genug Leichen.
Dr. Zirose: Hüllen, bitte, oder auch Verblichene.
Jonas: Oder Urnen beisammenhaben, damit der Start sich lohnt.
Dr. Zirose: Sie denken gewiß an unser volkstümliches Angebot Preiswert zu den Sternen, 10.000 Urnen oder 2000 Särge pro Satellit.
Jonas: Ganz recht.
Dr. Zirose: Da kann es schon passieren, daß Sie warten müssen, bis wir ausgebucht sind. Aber eine solche Massenabfertigung ist doch nichts für Ihren Freund, Herrn Orgas. Frau Scarlet hat selbstverständlich unser Super-Exklusiv-Individual-Programm gewählt. In einsamer Glorie. Eine Rakete. Ein Satellit. Ein Start für einen Verblichenen. Das Äußerste an funeralem Luxus, Herr Jonas. Der Preis ist natürlich entsprechend.
Jonas: Wieviel?
Dr. Zirose: Bedaure sehr, Herr Jonas, aber das muß zwischen dem Institut und dem leidtragenden Kunden bleiben.
Jonas: Ach was.
Dr. Zirose: Apropos. Haben Sie schon einmal an eine Weltraumbestattung gedacht, für Sie persönlich, meine ich. Die großen Vorteile dieser modernen Beisetzungsweise sind Ihnen vermutlich gar nicht bewußt, sonst hätten Sie zweifellos schon längst bei uns gebucht. Herr Jonas, Sie erweisen sich als progressiver Mensch des 21. Jahrhunderts auf der Höhe der Zeit, und abhold den muffigen Methoden der Vergangenheit. Sie ersparen Ihren werten Hinterbliebenen erhebliche Kosten, die anderenfalls für die Grabpflege aufgewendet werden müßten. Und das Wichtigste, Herr Jonas: Solange das Universum besteht, werden Sie, Herr Jonas, durch die unendlichen Weiten des Alls fliegen. Sie werden sich nicht verändern, Herr Jonas, keine Degeneration, Sie verstehen, keine Dekomposition, denn im All, Herr Jonas, im All gibt es weder Würmer noch Bakterien, Sie werden, Herr Jonas, existieren jetzt und immer dar, Herr Jonas, Sie werden unsterblich sein.
Jonas: Sehr verlockend, Dr. Zirose. Um auf Ihre Art unsterblich zu werden, müßte ich allerdings erst einmal sterben. Und dazu habe ich im Moment noch nicht die mindeste Lust. Sie geben mir Bescheid, wann und wo Sie Randy hochschießen. Ich will dabei sein.
Dr. Zirose: Herr Jonas, ich bitte Sie. Unsere Abschußrampe steht in Amazonien, mitten in der Südamerikanischen Wüste. Ersparen Sie sich Mühen und Kosten einer unerfreulichen Reise, tun Sie das, was alle unsere Hinterbliebenen tun, bleiben Sie zuhause, und nehmen Sie von Ihrem teuren Verblichenen Abschied, indem Sie das würdige Holo-Band von der Zeremonie betrachten, das wir Ihnen überreichen werden, mit den Komplimenten unseres Hauses.
Jonas: Randy, wo ist er jetzt?
Dr. Zirose: Falls Sie die Hülle Ihres verblichenen Freundes meinen, Herr Jonas, so befindet sie sich in den hinteren Räumlichkeiten.
Jonas: Ich will ihn sehen.
Dr. Zirose: Herr Jonas. Das ist völlig ausgeschlossen. Pietät und Takt verbieten es kategorisch. Professionelle Mysterien, wenn ich mich so ausdrücken darf. Es müssen noch gewisse äh Behandlungen vorgenommen werden, bevor Herr Orgas morgen Abend bei der Gedenkfeier im Musikcenter aufgebahrt wird. Übermorgen fliegen wir ihn dann nach Manaus. Und nun entschuldigen Sie mich, Herr Jonas, Ihre Fragen sind, meine ich, erschöpfend beantwortet, Ihre Bedenken, sofern es sie gab, ohne Zweifel ausgeräumt worden.
Jonas: Da war ich etwas anderer Ansicht. Irgendwas roch höchst verdächtig. Ach was roch. Die Sache stank. Und dieser wohlbekannte Gestank nach Kromatur und vielen vielen Euros wurde immer penetranter. Jonas mußte was tun. Durch die Gegend rasen und Leute ausquetschen, das reichte jetzt nicht mehr. Aktion war gefragt. Aktion von der direkten, wenn auch nicht 100-prozentig legalen Sorte. In der Tigrisstraße einzubrechen, ist keine Kunst. Hier kümmert sich kein Schwanz um das, was nebenan passiert. Die meisten Häuser stehen nachts leer, elektronische Sicherungen sind Mangelware, und die Tür zu Nummer 67, Immer und Ewig ohne Halleluja, war nur zugedrückt, nicht abgeschlossen, und sprang schon auf, wenn man sie scharf anguckte. Innen war alles ruhig. Ich wußte, wo was zu finden war, und wie ich rankommen konnte. Bei meinem Besuch vor ein paar Stunden hatte der eingeschaltete Sam in meiner Tasche sehr genau zugehört, wie Dr. Zirose das Schloß seines Wandsafes neu eingestellt hatte.
Sam: Sieben.
Jonas: Sieben.
Sam: An und für sich, o Nabel des Kosmos, liegt es weit unter der Würde eines anständigen Computers, mechanischen Schrott wie diesen Safe, auch nur zur Kenntnis zu nehmen.
Jonas: Sicher Sam. Mach weiter.
Sam: Neun.
Jonas: Neun.
Sam: Und die Drei.
Jonas: Drei. Na bitte. Kein Geld, keine Papiere, nur eine Holo-Kassette. Und darauf steht: Randy Orgas. Randy Orgas?
Sam: Zwei Meter entfernt, o schnellster aller Merker, befindet sich ein Holo-Set, in welchem besagte Kassette einzulegen, ich euer Herrlichkeit dringend anempfehlen möchte.
Jonas: So schlau bin ich selbst, Sam. Eine Rakete auf der Rampe! Startbereit!
Dr. Zirose: Fünf, vier, drei, zwei, eins, null! Nun fährt er auf gen Himmel, unser teurer Verblichener, unser Freund, Randy Orgas, in den strahlend blauen Tropenhimmel über Amazonien, an diesem strahlend schönen 10. November 2009. Er steigt auf, höher, immer höher, in die grandiose Erhabenheit des Alls, allwo er über uns schweben wird, werte Hinterbliebene, für immer und ewig. Halleluja.
Sam: Eine recht anrührende Performance, euer Gelungenheit.
Jonas: Und so prophetisch. Randys Weltraumbeisetzung, auf Holo, drei Tage, bevor sie über die Bühne geht. Jetzt wissen wir, was hier los ist.
Sam: Tun wir das, o großer Denker von Rodin?
Jonas: Ganz klar. Immer und Ewig ist eine Schwindelfirma. Zirose kassiert schweres Geld für Bestattungen, die gar nicht stattfinden. Die Raketenstarts in Amazonien, die Satelliten auf ewiger Umlaufbahn, alles getürkt, alles Schwindel.
Sam: Ein Schuß, euer Gewichtigkeit möge den Kalauer verzeihen, ein Schuß in den Ofen, sozusagen.
Jonas: Sozusagen, Sam. Die Hinterbliebenen kriegen ein Holo, wahrscheinlich immer dasselbe, nur mit anderen Namen, Zirose hat praktisch keine Unkosten, und steckt das ganze Geld als Reingewinn ein.
Sam: Und die ihm übergebenen Toten, o großer Kombinator?
Jonas: Och, die schafft er sich irgendwie vom Halse. Aber nicht Randy. Jonas ist auch noch da, und Jonas wird dafür sorgen, daß Randy in den Raum geschossen wird, so wie er es gewollt hat. Wir gehen nach hinten, Sammy, holen ihn raus und bringen ihn zu einem seriösen Unternehmen. Peace in Space oder Celestis oder Elysium.
Sam: Wenn wir ihn finden, Boss.
Jonas: Ein kahler, fensterloser, weiß gekachelter Raum. In der Mitte ein geschlossener Sarg. Ein Plastikkasten von der billigen Sorte. Schummerlicht durch eine trübe Birne an der Decke. Das war alles. Keine Spur von den professionellen Mysterien des Dr. Zirose, oder?
Sam: Los, Alter, mach die Kiste auf.
Jonas: Langsam Sammy, erst mal orientieren.
Sam: Was gibt’s denn hier zu orientieren? Hihihihihihihi, Alter, du hast Schiß, hä?
Jonas: Unsinn.
Sam: Vielleicht liegt in dem Sarg ein Zombie. Oder gar Graf Dracula, der Schrecken von Transsylvanien, wuah.
Jonas: Laß den Quatsch, Sammy. Du Sammy?
Sam: Ja.
Jonas: Gerade hat sich der Sargdeckel bewegt.
Sam: Und da fällt euer Furchtlosigkeit natürlich das tapfere Herz in die dito Hose.
Jonas: Siehst du?
Sam: Hilfe, ein Geist!
Jonas: Ein Geist namens Fredo!
Fredo: Hände hoch und keine Bewegung! Jetzt bist du dran, Jonas.
Jonas: Dem Sarg entstieg Fredo, Lexis Scarlets sogenannter Sekretär. Einen Laserstrahler in der Hand, und um die Augen die deutlich lesbare Absicht, ihn auch zu benutzen, an Jonas. Aber weil er wohl recht lange steif im Sarg gelegen hatte, und auch sonst nicht von der schnellen Truppe war, dauerte es ein bißchen, bis er in Schußposition kam. Solange wollte ich nicht warten. Ich sprang hoch, und schlug die Glühbirne runter. Resultat: ägyptische Finsternis, nur unterbrochen durch die Blitze aus Fredos Laser, mit dem er sinnlos durch die Landschaft ballerte. Das war dumm von ihm. Ich wußte, wo er war, und trat zu. Nicht sinnlos. Gezielt. Und mit Erfolg.
Fredo: Ah!
Jonas: Fredo? He, Fredo? Er rührt sich nicht. Vielleicht ein Trick?
Sam: Kein Trick, o kraftvoller Herkules. Meine akustischen Sensoren empfangen keinerlei Fredosches Atemgeräusch mehr. Wenn euer Gewaltigkeit für ein wenig Helligkeit sorgen würden. Hhm. Die Taschenlampe. Mach hin, geistiger Zeitluperich.
Jonas: Da liegt er, der Gute. Ist über seinen Sarg gestolpert, und hat sich den Hals gebrochen. Mal sehen, was er außer dem Laser so bei sich hat. Eins, zwei, drei, vierhundert Euroscheine. Was meinst du, Sam, wer einen friedlichen Detektiv in mörderischer Absicht überfällt, der hat doch wohl eine Strafe verdient.
Sam: Hiermit wird der Beklagte zu einer Geldbuße von 400 Euros verurteilt.
Jonas: Besten Dank, euer Ehren.
Sam: Bitte.
Jonas: Und was hat er hier? Eine elektronische Paßscheibe. Musik-Center steht drauf. Haupteingang und 39. Stock.
Sam: Unser zweiter deutlicher Hinweis, o gewaltiger Entdecker, daß Lexis Scarlet in die Angelegenheit verwickelt ist, und zwar in beträchtlichem Maße.
Jonas: Zweiter Hinweis? Was ist denn der erste?
Sam: Muß ich es eurer erhabenen Begriffstutzigkeit wirklich und wahrhaftig vorbuch-stabie-r-e-n. Der erste Hinweis ist natürlich die Person des P.P. Fredo, will sagen, Doppelpunkt, seine Anwesenheit an diesem Ort, und seine Absicht, Durchlaucht umzubringen. Zweifellos im Auftrag seiner Chefin. Und das alles bedeutet...
Jonas: Lexis Scarlet weiß Bescheid über Immer und Ewig.
Sam: Ja.
Jonas: Und sie ist an Ziroses Schwindel finanziell beteiligt.
Sam: Ja.
Jonas: Weshalb hätte sie sonst ihren Fredo auf mich gehetzt.
Sam: Euer Verbissenheit ließen sich weder ablenken noch kaufen, blieben vielmehr als wahrer Freund hartnäckig am Ball.
Jonas: Und darum drohte die ganze Geschichte hochzugehen. Das ist es, Sammy.
Sam: Zweifellos, Hoheit. Doch ist es auch alles?
Jonas: Was meinst du?
Sam: Einige Fragen sind noch offen. Wo zum Beispiel befindet sich Randy Orgas Leichnam?
Jonas: Beseitigt. Irgendwo versteckt.
Sam: Wo?
Jonas: Weiß nicht.
Sam: Sie nicht, o leuchtendes Vorbild an Ignoranz. Wohl aber, h-hm, h-hm, na?
Jonas: Dr. Zirose.
Sam: Sehr gut. Und?
Jonas: Lexis Scarlet.
Sam: Ausgezeichnet. Worauf warten wir noch, o Vater der schnellen Entschlüsse.
Jonas: Mit Fredos Paß-Scheibe kam ich ohne Probleme ins Musikcenter und in Lexis Scarlets Vorzimmer. Der Robot war noch nicht repariert. Ich hielt mich an meinem, das heißt, an Fredos Laser fest, schlich zur Bürotür, und machte sie vorsichtig einen Spalt breit auf. Und wer war drinnen? Die ganze Gang. Scarlet, Dr. Zirose, Tutti Paletti, ein undefinierbares Geschöpf mit Stocklocken, rosa Tatoe, und viel zu großen Füßen, Donald Daisy, ich kannte sie/ihn aus Randys Holos, und ich erkannte auch Scrooge, der finster im Hintergrund hockte, und keinen Ton von sich gab.
Donald-Daisy: Hat jemand ein Kaffadon für mich?
Dr. Zirose: Programmpunkt Jonas können wir dann wohl auch abhaken.
Lexis Scarlet: In solchen Sachen ist Fredo sehr verläßlich. Messer. Laserstrahler.
Paletti: Nicht, Lexis, ich will das nicht hören.
Donald Daisy: Hat denn keiner ein Kaffadon?
Lexis Scarlet: Halts Maul, DD. Und du auch, Tutti. Wir stecken alle mit drin. Jeder hat von Anfang an gewußt, was auf dem Spiel steht.
Paletti: An sich sollte es ja nur ein PR-Gag sein.
Lexis Scarlet: Nur ist gut. Nur eine Leiche. Nur ein Mord.
Paletti: Bitte, nicht diese Ausdrücke.
Dr. Zirose: Vielleicht wäre es ja auch ohne gegangen.
Lexis Scarlet: Klar. Dann hätten wir uns nur die große öffentliche Feier abschminken müssen. Nein, nein, Leute, das Requiem für Randy, das ist das A und O. Deshalb machen wir doch die Sache. Und ohne Leiche im Sarg fällt das Requiem aus. Das heißt: Es geht nicht ohne Mord. Und dafür übernehmen wir alle die Verantwortung. Alle sieben. Keiner schließt sich aus.
Donald-Daisy: Ein Kaffadon. Ich muß jetzt ein Kaffadon haben.
Jonas: Sieben? Scarlet, Zirose, Paletti, DD, Scrooge, Fredo. Ich komm nur auf 6.
Randy Orgas: Hi Baby.
Jonas: Eine plötzliche Bewegung hinter mir, ein Luftzug, ein jäher Schmerz an der rechten Schläfe, und Jonas startete in einer Rakete der Firma Immer und Ewig ins All. Ich stieg, Dr. Zirose winkte von unten, der Babylonische Staatsopernchor sang Händels Halleluja, ich schwenkte ein in die Umlaufbahn und kreiste und kreiste und kreiste, für immer und ewig, Halleluja. Bis ich auf einmal zum Stehen kam, und die Augen aufmachte. Vor mir, das bekannte Zucken im Mundwinkel, stand Randy Orgas. Ich dachte, jetzt bin ich da gelandet, wo die toten Musiker hinkommen und die toten Detektive, aber dann sah ich genauer hin. Ich war in einer Kammer voller Gerümpel, einem Abstellraum, und saß in einem alten Korbstuhl, die Hände auf den Rücken gefesselt. Und Randy zielte mit meinem Laser auf meinen Bauchnabel.
Randy Orgas: Hi, Jonas Baby. Sag jetzt bloß nicht so was wie: Du bist also nicht tot, Randy.
Jonas: Das brauch ich nicht, Randy. Ich krieg das auch so mit.
Randy Orgas: Clever, Baby. Ein Glück, daß ich gerade mal draußen war, und dich gesehen habe, vor Lexis Tür, da kommen wir beide doch dazu, ein bißchen miteinander zu reden, bis es soweit ist.
Jonas: Bis was soweit ist?
Randy Orgas: Aber Baby, bis ich nachhole, was Fredo offensichtlich nicht geschafft hat. Weißt du, Baby, die ganze Sache tut mir echt leid. Aber was soll ich machen? Business, das ging in letzter Zeit so mies, und da hat Lexis sich ausgedacht, daß ich nen Jimmy Hendrix mache. So was bringt money. Besonders wenn ich nicht einfach so abkratze, wenn das richtig super gemacht wird, big time, Baby, weißt du, Rakete ins All und so. Und dann der große Tränendrücker. Das Requiem. Die Trauerfeier. Du mußt dir das vorstellen, Baby. Der Riesensaal hier im Musikcenter, überall schwarze Schleier, weiße Lilien, Tutti hat das first-class gestylt, der Sarg oben auf einem hohen Podest, mitten unter den Fans, und über allem, in gigantischer Größe, meine Holos, und Scrooge und DD, die spielen live dazu, ist das ne Schau, Baby, ist das ne Schau?
Jonas: Nicht schlecht.
Randy Orgas: Nicht schlecht? Nicht schlecht? Das ist great, Baby, das ist grand, das ist super, das ist das größte seit John Lennon. Und meine Holos, Baby, die werden laufen und laufen, ich sag dir, Baby, mein neues Stück, The Long Good-Bye, das ist übermorgen schon die Nummer 1. Hab ich dir übrigens eins geschickt?
Jonas: Hast du, Randy.
Randy Orgas: Ist toll, nicht? Ist toll! Ja, siehst du Baby, und deshalb brauchen wir einen echten toten Randy Orgas. Die Fans sind ja so geil, Baby, und erst die Medien, Maker. Irgendwer linst bestimmt in den Sarg, und wen sieht er, Baby? Randy. Oder einen, der so aussieht wie Randy. In etwa.
Jonas: Also Jonas.
Randy Orgas: Du hast`s erfaßt, Baby. Wenn Zirose dich richtig hinkriegt, dann lassen wir den Sarg sogar offen.
Jonas: Darum wolltest du, daß ich mich um deine Weltraumbestattung kümmere.
Randy Orgas: Klar, Baby, deine Sturheit, dein Weg von Hü nach Hott, bis in Ziroses Hinterzimmer. Alles vorausberechnet, alles einkalkuliert, alles nur eine Schau, Jonas Baby. Du hast genau das gemacht, was du machen solltest. Sieh mich nicht so an, Jonas Baby. Das war Lexis Idee. Das ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Well, Baby, jetzt weißt du Bescheid. Also please don`t be mad und mach kein Gezeter. Es muß sein. Sorry.
Jonas: Ich dachte, wir sind Freunde, Randy.
Randy Orgas: Ja sind wir doch auch, Baby. Friends, Bunnies. Durch dick und dünn und so weiter, aber Freundschaft ist Freundschaft, und business ist business. Also dann, so long, Jonas Baby.
Jonas: Sein Daumen drückte auf den Laserabzug, der Strahl zischte und traf. Den Korbstuhl, nicht Jonas. Während Randy sich produzierte, hatte ich den Strick um meine Handgelenke durchgescheuert, an einem aus der Rückenlehne ragenden scharfen Ende Rohr, als Randy schoß, warf ich mich zur Seite, und ehe er sich von seiner Verblüffung erholen konnte, hatte ich ihm den Laser aus der Hand geschlagen. Wir tauchten ihm beide nach, der Ausgang war klar, Randy war jünger, aber ich war härter.
Jonas: So, Randy Baby, jetzt drehen wir den Spieß um.
Randy Orgas: Nicht schießen, Jonas. Nicht schießen.
Jonas: Schießen? Gar nicht nötig Randy, beweg dich, wir machen einen Spaziergang.
Randy Orgas: Ja, Jonas, alles was du sagst, Jonas. Wo gehen wir denn hin, Jonas?
Jonas: Aus der Tür, Randy. Und durchs Vorzimmer in Lexis Scarlets Büro. Da werde ich deinen versammelten Freunden kurz was sagen, und weil ich einen Laser habe, werden sie mir zuhören.
Randy Orgas: Ja, und dann, Jonas?
Jonas: Dann gehe ich nach Hause. Und weil ich einen Laser habe, werden sie mich gehen lassen.
Randy Orgas: Und ich, Jonas?
Jonas: Du bleibst da, Randy. Bei Lexis, und den anderen lieben Menschen.
Randy Orgas: Nein, Jonas, nein.
Jonas: Du hast es gesagt, Randy, ihr braucht einen echten toten Randy Orgas. Und wenn Jonas nicht mehr zur Verfügung steht, dann müßt ihr den nehmen, der da ist. Und der offiziell sowieso schon tot ist. Hauptsache, die Holos laufen.
Randy Orgas: Jonas, bitte.
Jonas: Los, Randy Baby. Mach die Tür auf.
Randy Orgas: Wir sind doch Freunde, Jonas.
Jonas: Ich werde dich vermissen, Randy.
Jonas: Am nächsten Abend lief auf allen Holo-Kanälen das Requiem für Randy. Live aus dem Musikcenter. Sehr beeindruckend. Ich sah und hörte mir Randy große Titel an, Computer-Tod, Seveso-Rock, Software in the Head. Als The long Good-Bye einsetzte, schaltete ich ab. Als dann, so long. Ich nickte. Sam nickte auch, das heißt, er hätte genickt, wenn er einen Kopf gehabt hätte, so tat er das nächst Beste. Und machte einen zustimmenden Eindruck. Ich stand auf, ging zum Fon, und rief Judith an.
Das war Requiem. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Ingrid van Bergen, Reinhard Glemnitz, Felix von Manteuffel, Siemen Rühaak, Wolfgang Hess und viele andere (Isolde Thümmler, Alexander Malachovsky, Jens Müller-Rastede). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Alexander Malachovsky. (Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks) (1985) (Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel).
Hörspielfan
16. Juli 2025
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Schlachthaus
Jonas: So fangen die meisten meiner Fälle an: Ein Typ sitzt in meinem Büro, rutscht auf dem Stuhl rum, und weiß nicht so recht, ob er mir überhaupt erzählen soll, weshalb er gekommen ist. Wie gesagt, so fangen die meisten meiner Fälle an. Dieser nicht.
Oberkellner: Darf ich Ihnen jetzt die Speisekarte vorlegen, mein Herr?
Jonas: Ich warte noch.
Oberkellner: Gestatten Sie mir die Bemerkung, mein Herr, Sie warten bereits eine halbe Stunde. Wenn Sie schon nicht essen wollen, dann vielleicht wenigstens noch einen Whiskey?
Jonas: Danke. Wissen Sie, falls meine Verabredung nicht kommt, muß ich die Rechnung selber zahlen. Und bei Ihren Preisen.
Oberkellner: Verstehe. In diesem Fall muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihr Tisch benötigt wird.
Jonas: Ach, wann?
Oberkellner: In wenigen Minuten, mein Herr, praktisch sofort.
Jonas: Dieser Fall fing damit an, daß ich auf dem Stuhl rumrutschte. Und nicht bei mir im Büro. In einem Lokal. Nicht in irgendeinem Lokal. Das Escargot war ein feines Lokal. So fein, daß es sich sogar einen menschlichen Oberkellner leistete. Nicht das richtige Ambiente für Jonas. Der ist eher an den Fressomaten um die Ecke gewöhnt. Datum der Rutscherei, nicht daß es irgendwie wichtig wäre, 20. September 2009.
Oberkellner: Darf ich Sie bitten, auszutrinken, mein Herr.
Jonas: Sie schmeißen mich raus.
Oberkellner: Wenn Sie es so auszudrücken wünschen, mein Herr.
Brendel: Jonas, nehm ich an.
Oberkellner: Sie sind mit diesem, diesem Herrn verabredet, Herr van...
Brendel: Pst. Pst. Josef. Keine Namen. Bringen Sie mir ein Glas Wasser. Und die Speisekarte.
Oberkellner: Glas Wasser, Speisekarte, sehr wohl, Herr äh...
Brendel: Pst. Sie sind pünktlich, Jonas. Das freut mich.
Jonas: Sie sind unpünktlich. Und Sie haben mir am Fon einen falschen Namen genannt. Sie heißen nicht Pankreas.
Brendel: O nein, zum Glück nicht.
Oberkellner: Das Glas Wasser, bitteschön, die Speisekarte, Herr...
Brendel: Pst. Hechtklößchen. Lammrücken. Trodosie. Alles synthetisch natürlich, aber ich versichere ihnen, so ausgezeichnet zubereitet, daß Sie den Unterschied kaum spüren. Walsteak a la Ninive. Wäre das nicht was für Sie, Jonas?
Jonas: Witzig. Wünsche guten Appetit.
Brendel: Aber mein Bester, nicht gehen. Bitte. Sie müssen mich verstehen. Ich bin ein bißchen nervös. Und vorsichtig. Mit Menschen Ihres Schlages habe ich mich noch nie abgeben müssen.
Jonas: Das wäre auch unwahrscheinlich gewesen. Ich bin nämlich der letzte. Der letzte Privatdetektiv. Und der einzige. Wenigstens in Babylon. Konkurrenzlos. Ein aussterbender Beruf. Wer braucht schon einen Detektiv?
Brendel: Ich. Ich brauche einen. Einen Privatdetektiv. Tüchtig. Diskret.
Jonas: Möglichst stubenrein.
Brendel: Und nicht all zu vorlaut. Unter welchem Sternbild sind Sie geboren, Jonas?
Jonas: Stier. Warum?
Brendel: Ich bin Krebs. Ich bin Krebs, und ich habe Krebs. An der Bauchspeichel-drüse. Deshalb mein Pseudonym, Pankreas. Bauchspeicheldrüse. Verstehen Sie?
Jonas: Er war ein Witzbold. An der Oberfläche. An der gut frisierten, mani- und pedikürten, nach letzter Mode drapierten und bemalten Oberfläche. Darunter hatte er scheußliche Angst.
Brendel: Ich muß eine neue haben. Eine neue Bauchspeicheldrüse. Dringend.
Jonas: Und wo ist der Haken?
Brendel: Tja, kurz gesagt, ich habe den falschen Beruf.
Jonas: Was machen Sie?
Brendel: Ich bin Psychagoge.
Jonas: Welche Richtung? Klassisch, anal, para, meta, hypo?
Brendel: Para. Meine Spezialität ist der Tarot. Aber ist stelle auch Horoskope. Eurasisch, chinesisch, kalifornisch, wie Sie wollen.
Jonas: Parapsychagoge. Dann ist Ihr sozialer Nützlichkeitsstatus so um die 2 oder 3.
Brendel: 2, 25. Genau.
Jonas: Nur ein Ideechen besser als ein Privatdetektiv. Sie stehen also auf Orgalist ganz unten.
Brendel: Und wenn ich dran bin mit der Zuteilung, dann brauch ich keine Bauchspeicheldrüse mehr, dann bin ich schon längst in der Vase.
Jonas: Vermutlich.
Brendel: Nun ist aber andererseits die Parapsychagogie recht lukrativ, darum habe ich mir überlegt, ich meine, ich dachte, da gibt es doch so was wie, ich meine, ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll...
Jonas: Er war so mysteriös wie ein gelöstes Kreuzworträtsel. Sehr schön. Merken. Fürs Poesiealbum des Detektivs.
Jonas: Sagen Sie einfach Schwarzmarkt. Schwarzer Organmarkt.
Brendel: Genau. Das meine ich. Aber weil ich mich in solchen Sachen überhaupt nicht auskenne...
Jonas: Soll ich Ihnen ein Organ organisieren.
Brendel: Köstlich. Sie haben den Nagel mitten ins Gesicht getroffen. Scherz beiseite. Sie, Jonas, besorgen mir eine Bauchspeicheldrüse. Wie immer. Wo immer. Keine Fragen. Keine Probleme. Sie liefern. Ich zahle. Jeden vernünftigen Preis. Und ihr Honorar natürlich.
Jonas: 80 Euros pro Tag und Spesen.
Brendel: Nicht gerade wenig. Was tun Sie dafür?
Jonas: Nicht gerade wenig. Alles, was ich mit meinem Gewissen vereinbaren kann.
Brendel: O, Sie haben ein Gewissen? Wie entzückend altmodisch. Und, können Sie?
Jonas: Kann ich was?
Brendel: Meinen Auftrag mit Ihrem Gewissen vereinbaren?
Jonas: Im Prinzip, ja. Nicht 100-prozentig, aber 90 Prozent waren ja auch nicht so schlecht. Wenn ich auf dem Schwarzmarkt eine Bauchspeicheldrüse auftrieb, dann schadet dies schließlich keinem, dachte ich, im Gegenteil. Ich rettete dem pseudonymen Herrn Pankreas das Leben. Geld brauchte ich auch, ich brauche immer Geld. Also ja, dachte ich. Aber ich sagte nicht ja. Noch nicht.
Jonas: Ich werde es mir überlegen. Wissen Sie, ich bin auch vorsichtig. Mit Leuten Ihres Schlages halte ich mich ein bißchen zurück. Ich rufe Sie an, heute noch.
Brendel: Sie wissen doch gar nicht, wer ich bin.
Jonas: Ich bin Detektiv.
Jonas: Das verschlug ihm den Appetit, und er ging. Leicht verstört. Ich wartete noch einen Moment. Ich hatte meine Gründe.
Oberkellner: Sie gestatten, daß ich abräume, mein Herr.
Jonas: Wer war das?
Oberkellner: Der Herr, mit dem Sie verabredet waren? Bedaure, mein Herr. – Ein ganzer Euro? Vielen vielen Dank, mein Herr, aber ich bin nicht bestechlich. Außerdem hat Herr... die Rechnung bereits beglichen. In äußerst großzügiger Weise.
Jonas: Sie irren sich, alter Freund, das ist keine Bestechung und auch kein Trinkgeld.
Oberkellner: Sondern?
Jonas: Kaufpreis. Für das hier. Mehr ist es sicher nicht wert.
Oberkellner: Mein Herr, erlauben Sie. Sie können doch nicht einfach ein Glas einstecken.
Jonas: Das Wasserglas, aus dem Pankreas getrunken hatte. Voller Fingerabdrücke und Speichelspuren. Die Visitenkarte meines Auftraggebers. Ich war ein gebranntes Kind. Gerade in letzter Zeit hatte ich ein paar Fälle erlebt, in denen die Auftraggeber versucht hatten, mich reinzulegen. Aber hier war, wie es aussah, alles OK. Vorläufig.
Sam: Hinterlasser der Fingerabdrücke bzw. Speichelspuren heißt Julian van Brendel. Bürgernummer 77 M 03 03 1961.
Jonas: Beruf?
Sam: Parapsychagoge.
Jonas: Status?
Sam: 2,25, o Stern von Bethlehem.
Jonas: Ich darf vorstellen. Computer, Typreihe Doktor, Versuchsmodell Chrysostomus, McCoy Incorporated, Baujahr 2005, Rufname Sam. Fähigkeiten: fast unbegrenzt. Fehler: nur einer. Sam leidet an verbaler Überfütterung. Er hat zu viele Sprachprogramme im Speicher, und er kommt damit nicht so richtig klar. Ansonsten ist er ein Goldstück. Wenn man sich an seine Ausdrucksweise gewöhnt hat. Und das ist nicht leicht.
Jonas: Jonas hier, ich übernehme den Auftrag, Herr van Brendel, die Bedingungen kennen Sie, ich rufe Sie wieder an. – Hoffentlich bald. Wie kriege ich möglichst schnell einen Fuß in den schwarzen Organmarkt, Sam?
Sam: Keinesfalls über die normalen Datenbänke, euer Wohlerzogenheit. Da in den selben keinerlei Informationen in Bezug auf illegale Praktiken zu finden sein dürfte.
Jonas: Weiß ich selbst, Sam. Dazu brauche ich keinen Computer. Also hintenrum.
Sam: Jawohl, Chef, von hinten durch die Brust ins Auge, haha.
Jonas: Ebenfalls Haha. Frage: wie?
Sam: In der Tat, Prinz Eisenherz, dies ist die Frage.
Jonas: Wie wäre es denn mit der HyPo?
Sam: Darf ich euer Lordschaft zu dero fast überirdischer Auffassungsgabe beglückwünschen. Die Sache hat nur einen ganz ganz kleinen Haken: Den Code für die Datenbank der Hygiene-Polizei kenne ich zu meinem Bedauern nicht.
Jonas: Du nicht, Sammy, aber ich kenne.
Sam: Sie Meister? Kann ich es glauben?
Jonas: Laß mich doch ausreden. Ich kenne jemand, der ihn kennt.
Sam: Diese Frau?
Jonas: Ganz recht, Sam. – Hallo, Judith.
Jonas: Judith hatte ich vor einem halben Jahr kennen gelernt. Beim Testmarktfall. Als ich mich zum ersten Mal mit Frau Professor Caligari anlegte. Oder Caligari mit mir, wie man’s nimmt. Judith war meine Klientin, und wurde meine z.B., meine zeitweilige Beziehung. Ob das ein Gewinn für sie ist, weiß ich nicht. Bei der Testmarktsache hat sie 100.000 Euros kassiert, und das war ein Gewinn. Judith ist beim Ministerium für Statistik und Soziographie. In höherer Position. Sie weiß deshalb mehr als andere. Für einen Detektiv kann das ab und zu nützlich sein.
Judith: Wir sind verabredet, Jonas. Heute Abend im Freiluftpark.
Jonas: Ja, hör mal Judith.
Judith: Ich muß dir was erzählen. Ich soll befördert werden.
Jonas: Schön für dich. Ich hab ein kleines Problem.
Judith: Ich müßte mich allerdings versetzen lassen zur Abteilung Öffentliche Sicherheit.
Jonas: Zur Polizeiverwaltung?
Judith: Ja. Ja.
Jonas: Tu das Judith.
Judith: Ich weiß nicht so recht.
Jonas: Aber sicher. Was meinst du, wo du dann erst überall rankommst. Apropos.
Judith: Du denkst nur an dich, Jonas.
Jonas: Ich denke an meine Fälle, das ist was anderes. Sag mal, Judith, wo würdest du hingehen, wenn du eine neue Bauchspeicheldrüse brauchst?
Judith: Wieso?
Jonas: Illegal, meine ich.
Judith: Du brauchst keine neue Bauchspeicheldrüse, du brauchst ein neues Herz. Und eine neue Beziehung.
Jonas: Trotzdem hat sie mich eine Stunde später angerufen, und mir eine Adresse gegeben.
Judith: After Eight. Das ist eine Bar am oberen Markgrafenboulevard. Der Besitzer heißt Guttapercha. Archimedes Guttapercha.
Jonas: Guttapercha. Weißt du, Judith, unsere Verabredung heute Abend.
Judith: Fällt aus. Alles fällt aus. Bis auf weiteres.
Jonas: Ich hatte das dringende Gefühl, ich sollte über Judith und über mich, und über uns beide mal gründlich nachdenken. Später. Julian van Brendel wartete auf seine Bauchspeicheldrüse. Und ich mußte zum oberen Markgrafenboulevard.
Barkeeper: Was trinken Sie?
Jonas: Whiskey.
Barkeeper: Synth oder echt?
Jonas: Sie haben echten?
Barkeeper: Was Sie wollen. Schottischen. Irischen. Bourbon. 25 Euros.
Jonas: In letzter Zeit verkehrte Jonas vorwiegend in besseren Kreisen. Da wo das Leben furchtbar teuer ist, und ungeheuer exklusiv. Ich bestellte einen doppelten Synth. Der Barkeeper goß ein und verachtete mich. So sehr, daß er mich überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nahm. Ich ging auf Wanderschaft. Durch die Hintertür, an der Privat dranstand, über einen Flur, zu einer angelehnten Tür, hinter der jemand am Bildfon sprach. Durch den Türspalt hörte ich ein bißchen mit.
Guttapercha: Nur eine kurze Verzögerung, Frau Professor. Ein, zwei Tage höchstens. Gegen Sturm kann man nichts machen. Sturm ist höhere Gewalt.
Caligari: Das interessiert mich nicht. Wir haben einen Vertrag.
Guttapercha: Ja selbstverständlich, Frau Professor, aber.
Caligari: Alles ist präpariert. Ich muß die Ware haben. Jetzt. Sobald sie in Babelshafen ausgeschifft wird.
Guttapercha: Ja, laß ich sie auf schnellstem Wege zu Ihnen ins Krankenhaus bringen, Frau Professor.
Jonas: Frau Professor, und diese Stimme? Was das nicht... Tatsächlich, Frau Professor Caligari. Ich konnte sie deutlich erkennen durch den Türspalt, auf dem Monitor des Bildfons. Was hatte die Chefin von ZIP, vom Zentralinstitut für Populationsforschung, in meinem neuen Fall zu suchen? Das gefiel mir gar nicht.
Caligari: Also, Guttapercha, ich verlaß mich auf Sie. Und wehe Ihnen, wenn ich mich irre.
Guttapercha: Jawohl, Frau Professor, selbstverständlich, Frau Professor. Widerliches Weib. – Ja, kommen Sie rein, die Tür ist auf. – Was wollen Sie?
Jonas: Eine Bauchspeicheldrüse kaufen.
Guttapercha: Und wer sind Sie?
Jonas: Jemand, der `ne Bauchspeicheldrüse kaufen will. Und bar bezahlen.
Guttapercha: Sie haben Pech.
Jonas: Wieso? Bin ich falsch bei Ihnen?
Guttapercha: Nein, bei mir kriegen Sie jedes gewünschte Organ. In bestem Zustand. Bei mir. Nur bei mir.
Jonas: Wo liegt das Problem?
Guttapercha: Es ist nichts da. Alles ausverkauft. Ich warte auf neue Ware. Kann jeden Moment kommen. Rufen Sie mich morgen an. Und jetzt raus mit Ihnen. Falls Sie nicht lesen können, an der Tür da vorn steht privat. Raus mit Ihnen, hab ich gesagt.
Jonas: Noch eine Frage: Mit wem haben Sie eben foniert?
Guttpercha: Meine Assistenten, Mr. Crap und Mr. Turt. Und der Typ hier ist ein neugieriger Zeitgenosse, der zu viele Fragen stellt. Ihr begleitet ihn zur Straße.
Mr. Crap: Friedlich, Chef?
Guttapercha: Wenn er friedlich ist.
Mr. Crap: Alles klar, Chef. Kommen Sie mit.
Jonas: Die beiden sogenannten Assistenten mit den ansprechenden Namen setzten mich freundlich vor die Tür. Und weil es spät war, und ich nichts Besseres vorhatte, ging ich nach Hause. Apartment plus Büro, 22 Quadratmeter. Trautes Heim. Ich dachte nach. Welche Verbindung bestand zwischen einer mächtigen Geheimorganisation wie ZIP und dem schwarzen Organmarkt? ZIP wollte das Überbevölkerungsproblem beseitigen, in dem es die Bevölkerung beseitigte. Wenigstens teilweise. Und der Schwarzmarkt tat genau das Gegenteil. Ich sah nicht durch. Und Sam auch nicht. Unzureichende Daten. Das sagt er immer, wenn er keine Ahnung hat. Am nächsten Morgen rief ich Guttapercha an.
Guttapercha: Problem inzwischen bereinigt. Ihre Bauchspeicheldrüse ist da.
Jonas: OK, ich komm gleich rüber.
Guttapercha: Nein, morgen Vormittag.
Jonas: Warum soll ich solange warten?
Guttapercha: Weil ich es sage.
Jonas: Merkwürdig. Aber wie auch immer. Offensichtlich ist neue Ware eingetroffen. In Babelshafen. Das heißt, übers Meer. Und das heißt.
Sam: Mit dem Schiff, Herr und Meister.
Jonas: Wenn ich dich nicht hätte, Sammy. Sieh doch spaßeshalber mal nach, was für Schiffe zwischen gestern Abend und heute früh in Babelshafen eingelaufen sind.
Sam: Piep. Nur ein einziges, o Großadmiral der sieben Meere. Der Superkühlfracht-segler El Präsidente Tabasco. Aus Costaguana. Um 18 Stunden verspätet. In aller Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei um das Transportmittel der schwarzen Organe.
Jonas: Ich will’s genau wissen, Sam. Mach ne Querverbindung. Landungen dieses Kühlschiffs aus Costaguana, sagen wir, im letzten Jahr, und Aktivität auf dem schwarzen Markt. Du hast doch jetzt den Hypo-Code von Judith.
Sam: Aye Aye Sir.
Jonas: Ergebnis: Einen Tag nach Einlaufen der Präsidente Tabasco brach auf dem Schwarzmarkt munteres Treiben aus. Jedesmal. Die Sache war klar. Aber ich wollte es noch genauer haben.
Jonas: Und jetzt noch ein kurzer Blick in die Frachtpapiere. – Ja was ist, Sam?
Sam: Einen Augenblick Geduld, erhabener Hafenkommandant. Piep. Piep. Information nicht zugänglich.
Jonas: Nanu.
Sam: Höchste Geheimstufe. Unbekannter Code. Und Aua.
Jonas: Was hast du, Sammy? Was ist passiert?
Sam: Ein elektronischer Hinterhalt. Infro-Anfrage wurde abgefangen und zurückverfolgt.
Jonas: Sicher, Sam?
Sam: Leider ja, Wahna. Sam zerknittert, Wahna. Erwischt auf falschem Fuß. Sam glauben nur Routine, Wahna. Sam können nicht ahnen großes Geheimnis im Busch.
Jonas: Krieg dich wieder ein, Sammy. Passiert ist passiert.
Jonas: Knappe 24 Stunden später tanzte ich im After Eight an, um dort meine Drüse abzuholen. Ober-Organu Guttapercha steckte 3000 Euros ein, drückte mir einen Kühlbehälter in die Hand, und damit wollte ich gleich zu van Brendel, wie es sich gehört für einen braven Privatdetektiv.
Guttapercha: Sie bleiben noch einen Moment hier, Jonas.
Jonas: Danke, ich hab’s eilig. Ich möchte nichts trinken.
Guttapercha: Zu trinken kriegen Sie auch nichts. Sie kriegen was anderes. Nämlich das!
Jonas: Ah!
Jonas: Ehe ich was unternehmen konnte, hatten sie mich schon fest im Griff. Die Herren Crap und Turt.
Guttapercha: Ich habe es Ihnen schon mal gesagt, Jonas. Sie sind zu neugierig, Sie und Ihr gottverdammter Computer. Sie interessieren sich für Sachen, die gefährlich sind. Sehr gefährlich.
Jonas: Das, das war wirklich reine Neugier. Nichts Ernstes.
Guttapercha: Wissen Sie was, Jonas, das glaube ich Ihnen sogar. Ich gebe Ihnen einen Rat. Vergessen Sie die Präsidente Tabasco und alles was damit zusammenhängt.
Jonas: Aber gerne, schon vergessen.
Guttapercha: Ob ich Ihnen das auch so ohne weiteres glauben kann. Sicherheitshalber werden wir Ihnen eine kleine Erinnerung mit auf den Weg geben, ein Denkzettel, wie man so sagt. Wenn ich bitten darf, Mr. Crap, Mr. Turt.
Mr. Crap: Jawohl, Chef.
Guttapercha: Langsam, haut ihn nicht gleich zum Krüppel. Denkzettel habe ich gesagt, eine freundschaftliche Abreibung, mehr nicht.
Mr. Crap: Schade.
Jonas: Nach der Abreibung ließen sie mich laufen. Mit der Bauchspeicheldrüse. Laufen konnte ich noch, und auch sonst war ich noch einigermaßen beieinander. Kleinere Betriebsunfälle steckt Jonas weg, ohne mit der Wimper zu zucken. Nachdem ich mich mit einem dreistöckigen Whiskey erfrischt hatte, rief ich meinen Auftraggeber an, und bestelle ihn zu mir.
Jonas: Bitte sehr. Einmal Pankreas on the rocks.
Brendel: Wunderbar, ganz wunderbar. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin. Hatten Sie Schwierigkeiten?
Jonas: Ein bißchen.
Brendel: Aber das hat Sie nicht abgehalten. Sie nicht. Sie haben die Sache großartig gemacht, Jonas. Wie, will ich gar nicht wissen. Was kriegen Sie?
Jonas: Insgesamt drei Tage zu je 80 Euros, das macht, äh... äh Sam?
Sam: Äh, äh, 240 Euros, o Gaus, Euklid nebst öh, Einstein. Plus 270 Euros Spesen, welche sich zusammensetzen wie folgt.
Brendel: Nicht nötig, geschenkt. Mein Computer wird Ihrem Computer den Betrag sofort gutschreiben. Dazu einen Bonus von 300 Euros, weil Sie so tüchtig waren, und so fix.
Jonas: Na bitte. Es gab eben noch wahre Dankbarkeit unter den Menschen. Ich war um runde 600 Euros reicher. Und das wär’s gewesen. Aber ich war nicht nur reicher, ich war auch stur. So stur wie der alte Phil Marlowe. Mindestens. Für mich war die Sache noch nicht zu Ende.
Sam: Costaguana, o starker Atlas, der du die Welt weder auf den Schultern trägst noch im Kopfe, Costaguana ist ein kleiner Staat in Zentralamerika. Eine sogenannte Bananenrepublik. Bevölkerung: ca. 23 Millionen. Export tropische Früchte. Keine Industrie. Regierungsform: Präsidentschaft ohne Parlament.
Jonas: Besondere Kennzeichen: keine. Und da kommen also Organe für unseren schwarzen Markt her, in Mengen. Interessant. Was hätte Marlowe in meinem Fall gemacht, Sam?
Sam: Nachgehakt, Chef, nachgebohrt.
Jonas: Dann bohren wir doch mal ein bißchen. Wieviel habe ich auf dem Konto?
Sam: 1102 Euros, o du mein Nabübchen.
Jonas: Soviel?
Sam: Die Abfindung im Reservatsfall ist noch immer nicht zur Gänze ausgegeben, o König Midas, oder meine ich Krösus?
Jonas: A ja. Das dürfte reichen, Sammy.
Sam: Wofür, euer Wohlhabenheit?
Jonas: Costaguana. Hin und zurück.
Sam: Nie im Leben, Kumpel. Schon der einfache Flug mit Chemorock.
Jonas: Chemorock. Wer spricht denn von Chemorock. Bin ich Millionär? Schiff, Sammy, Lastensegler. Damit fahren wir rüber nach Costaguana, und sehen uns da mal ein bißchen um. Und wenn bei der Organgeschichte nichts rauskommt, dann machen wir vielleicht ein paar Tage Urlaub.
Sam: Urlaub. Blauer Himmel. Weißer Sand. Grüne Palmen.
Jonas: Meinst du, so was gibt’s noch in Costaguana?
Sam: In der Sonne liegen. Im Meer baden.
Jonas: Baden. Im Meer. Jetzt spinnst du aber wirklich, Sam. Wir leben doch nicht mehr im 20. Jahrhundert. Zurück in die Gegenwart, marsch marsch.
Sam: Jawohl, Herr General. Erlaube mir den Hinweis, als eines von nur noch drei Ländern auf dieser unserer Erde, huldigt Costaguana dem atavistischen Visumzwang. Derohalb und Dessentwegen.
Jonas: Werden wir ein Visum beantragen müssen, Sam. Wo?
Sam: Im Costaguanesischen Generalkonsulat zu Babelshafen, Exzellenz.
Jonas: Ich rief an, und erfuhr, ich müßte mir das Visum persönlich abholen. Also auf nach Babelshafen. Mit der Druckluftpost im Metallzylinder, auch bekannt als Sardinenbüchse. Weil jeder Passagier sich auf nur einem viertel Quadratmeter einrichten muß. 10 Minuten zischten wir durch die Röhre. Und ich war da. In Babylons Tor zur Welt. Am Ufer des nordischen Meerbusens. Die übliche Hafen-Atmosphäre. Wellen und Wind. Die Silhouetten der riesigen computergesteuerten Frachtsegler an den Kais. Nur die Möwen fehlten. Die Kneipen voll von leichten Mädchen und leichten Jungs für Seemänner und Seefrauen. Irgendwo dazwischen lag das Generalkonsulat von Costaguana. Und hier sah sich der Typ hinter dem Schreibtisch meine Bürgerkarte an, als hätte ich ihm einen abgelaufenen philippinischen Paß in die Hand gedrückt.
Konsulatsbeamter: Jonas, hhm. Leider kann Ihnen das Visum nicht sofort ausgestellt werden, Senior, eine technisch bedingte Verzögerung. Sie verstehen.
Jonas: Nein. Wann kann ich das Visum kriegen. Maniana?
Konsulatsbeamter: Ich bitte Sie, Senior. Nur ein paar Minuten. Wenn Sie solange im Nebenzimmer Platz nehmen würden. Die rechte Tür.
Jonas: Ah!
Jonas: Die Sonne machte einen jähen Kopfsprung hinter den Horizont, der Mond raste über den Himmel, die goldenen Sternlein prangten, es wurde plötzlich Nacht, und ich legte mich zur Ruhe. Irgendein Zeitgenosse hatte mir ein höchst wirksames Schlafmittel über den Schädel gezogen. Als ich aufwachte, war es immer noch Nacht. Der Mond schien, das Meer rauschte, und die ganze friedliche Stimmung hatte nur einen Schönheitsfehler. Um mich herum standen die Herren Crap, Turt und Guttapercha. Letzterer hielt einen Laserstrahler in der Hand, die Mündung auf meinem Magen gerichtet. Als ich das im Schein der trüben Hafenfunzeln sah, machte ich die Augen ganz schnell wieder zu.
Mr. Crap: Und was nu, Chef?
Guttapercha: Was schon? Weglasern. Dann ins Wasser mit dem Kerl. Der macht uns keine Schwierigkeiten mehr.
Mr. Crap: OK, Chef, Sie haben den Laser.
Guttapercha: Ich? Also, vielleicht macht das doch besser einer von euch. Crap?
Mr. Crap: Wie Sie wollen, Chef. Dann schmeißen Sie das Ding mal rüber.
Jonas: Mein Stichwort. Ich kam hoch, und bevor die drei was mitkriegten, hatte ich den Laser in der Hand. Amateure. Das heißt, Crap und Turt waren immerhin soweit Experten, daß sie sich ganz schnell in die Büsche schlugen. Guttapercha wollte auch, aber er war ein bißchen zu lahm. Und weil ich gerne einen der Brüder dabehalten hätte, um ihn auszuquetschen, schickte ich ihm einen Laserstrahl nach. Das Knie war gemeint, aber ich war noch nicht voll da, und traf ihn einen guten Meter höher. Guttapercha fiel um, und als ich bei ihm war, lebte er nicht mehr. Ich sah mich um, keiner da, um so besser. Ich räumte ihm die Taschen aus, und dann, was sollte ich machen, rollte ich ihn ins Wasser.
Sam: Die Affäre, o Poposeidon, nimmt ungeahnte, und wie zu bemerken ich mich nicht enthalten zu können glaube, höchst gefährliche Dimensionen an.
Jonas: Sam hatte ich bei mir. Sam habe ich immer und überall bei mir. Natürlich nicht den großen Kasten, der im Büro steht, sondern Sam zwo oder auch Pocket-Sam. Ein Ableger im Miniformat. Guter Rat in jeder Lage, und Gesellschaft dazu.
Jonas: Irgendwer hat irgendwas zu verbergen.
Sam: Und scheut, wie es scheint, selbst vor Mord nicht zurück.
Jonas: Wenn schon. Jetzt erst recht.
Sam: Leicht gesagt, wie wollen Durchlaucht nach Costaguana kommen ohne Visum?
Jonas: Sieh mal an. Ein Dauervisum für Costaguana, ausgestellt auf Archimedes Guttapercha. Schade, daß ich dem Kerl gar nicht ähnlich sehe. Das Holobild läßt sich nicht ändern, leider.
Sam: Das Holobild nicht, wohl aber dero Antlitz.
Jonas: Mein Gesicht? Plasti-Face meinst du?
Sam: Natürlich, Genosse. Andererseits aber auch wieder nicht natürlich, da für euer Gnaden Geldbeutel viel zu teuer.
Jonas: Tja, Sammy, du weißt eben doch nicht alles.
Sam: Wie darf ich das verstehen?
Jonas: Wir haben Bargeld, Sam. Der gute alte Guttapercha, möge er in Frieden schwimmen, hatte einen ganzen Tausender in der Tasche, welchen einem guten Zweck zuzuführen ich nicht zögern werde.
Sam: Majestät wollen sich gesichtsmäßig in Guttapercha umwandeln?
Jonas: Wenn’s zur Wahrheitsfindung beiträgt.
Sam: Amen.
Jonas: In Babelshafen gibt es alles. Auch einen Plasti-Face-Shop, direkt neben dem letzten, in Ehren ergrauten Tätowierer, dem ich im Vorbeigehen einen freundlichen Gedanken widmete. Von Kollege zu Kollege sozusagen.
Angestellte: Ein anderes Gesicht, der Herr? Warum nicht? Öfter mal was Neues, sagten schon unsere Großeltern. Und wie wünschen Sie?
Jonas: So. Wie auf diesem Holo.
Angestellte: Hmh. So wollen Sie aussehen? Wirklich? Unter uns, also ich würde an Ihrer Stelle dann doch lieber das Gesicht behalten, das Sie jetzt auf dem Hals tragen. Nein? Na gut, es ist Ihr Bier und unser Geschäft. Wann paßt es Ihnen?
Jonas: Sofort.
Angestellte: Wollen mal sehen. Ja, zufällig ist ein Platz im Tank frei. Legen Sie ab.
Jonas: Die Prozedur war kurz, teuer und schmerzlos. Ich stieg in den Elektro-Plastik-tank als Jonas, und als ich rauskam war ich, vom Hals ab aufwärts, Archimedes Guttapercha. Mir blieb auch nichts erspart. Ich nahm mir vor, eine Zeit lang nicht in den Spiegel zu kucken. Mit dem neuen Gesicht und mit dem Visum kriegte ich ohne Schwierigkeit ein Ticket nach Costaguana. Ich mußte mich beeilen. Die Präsidente Tabasco wollte gleich ablegen. Vorher rief ich vom Kai aus in Babylon an.
Judith: Hier spricht die automatische Fonbeantwortung Judith Delgado. Sie hören eine Aufzeichnung. Durch einen beruflichen Wechsel bin ich zur Zeit stark in Anspruch genommen und daher vorläufig nicht zu erreichen. Hinterlassen Sie bitte eine Nachricht. Bitte sprechen. Bitte sprechen.
Jonas: Auch Jonas können die Worte fehlen. Meist gerade dann, wenn er sie händeringend braucht. Nichts zu machen. Aufbruch ohne Abschied ist sowieso besser. El Präsidente Tabasco landete pünktlich in El Dorado, der Haupt-, Hafen- und überhaupt einzigen Stadt von Costaguana. Und der Mann mit Guttaperchas Gesicht wurde empfangen wie ein Staatsgast.
Posada: Senior Archimedes Guttapercha, Oberstleutnant Elena Posada, Adjutantin erster Klasse bei seiner Erhabenheit, dem Präsidenten.
Jonas: Tante Gusto Tenjente, stehen Sie bequem.
Posada: Ich habe die Ehre, Sie in Ihr Hotel zu begleiten. Sie werden in Kürze Gele-genheit zu einer Audienz bei seiner Erhabenheit erhalten. Ich darf Ihnen versichern, daß seine Erhabenheit dem Gespräch mit größtem Interesse entgegen sieht.
Jonas: Ich auch. Aber zuerst das Hotel. Eine große Suite. 80 Quadratmeter mindestens. Essen so so, Trinken bestens. Whiskey, echter, nicht Synth. Zur freien Verfügung. Costaguana war ein Schlaraffenland, wenn man Guttapercha hieß, oder wenigstens so aussah. Ich versuchte einen Plan zu machen, aber dazu ging alles viel zu schnell. Eine knappe Stunde später saß ich in einem Benzinauto. So was gab’s noch im wilden Amerika.
Posada: Um der Unterredung den passenden Rahmen zu geben, wünscht seine Erhabenheit, Sie in La Installation zu empfangen.
Jonas: La Installation, was ist das?
Posada: Sie scherzen, Senior Guttapercha.
Jonas: Erstaunlich viel Soldaten haben Sie hierzulande, Oberstleutnant.
Posada: In Costaguana gibt es keine Soldaten, Senior Guttapercha.
Jonas: Ach nein? Und die bewaffneten Uniformierten da draußen?
Posada: Angestellte, Senior Guttapercha, Angestellte im Ministerium für Außenhandel, aber das wissen Sie doch. Sie sind doch nicht zum ersten Mal bei uns.
Jonas: Von da ab hielt ich lieber den Mund. Und sah nur noch stumm aus dem Fenster. Durch die Bananenpflanzungen rechts und links rollten gewaltige Agarautomaten. Die wenigen jämmerlichen Siedlungen dazwischen waren bewacht und eingezäunt. Und eingezäunt oder besser eingemauert war auch unser Ziel, La Installation, was immer das sein mochte. Wir fuhren durch ein bewachtes Tor in der Mauer, und dann lag sie vor uns, die Installation. Mehrere große miteinander verbundene Gebäude, die Fassaden bemalt im schönsten bananenrepublikanischen Barock, dahinter Rohre und Schornsteine, die munter rauchten. Anscheinend eine Art Fabrik. Und über dem Ganzen ein süßer Hauch von Fäulnis.
Posada: Senior Archimedes Guttapercha aus Babylon, Vereinigte Staaten von Europa. Seine Erhabenheit, der Präsident General Don Alfredo Lopez Tabasco de Maricon Ibustament.
Tabasco: Meine liebe Elena, warum so förmlich? Wir kennen uns. Wie geht’s, mein Freund?
Jonas: Danke, Er... Erhabenheit.
Tabasco: Nennen Sie mich Fred. Sie haben abgenommen, Guttapercha. Der Streß, nicht wahr. Immerhin liegt unser gesamter Export in die VSE in Ihrer Hand, in Ihrer bewährten Hand.
Posada: Nicht zu vergessen die Union der Volksrepubliken, Erhabenheit.
Tabasco: Richtig, die UVR haben Sie ja auch. Respekt, mein lieber Guttapercha, Sie sind wirklich unsere Nummer eins drüben, abgesehen natürlich von Frau Professor Caligari, aber die ist eine Klasse für sich, nicht wahr?
Jonas: Seine Erhabenheit war noch jung, und wirkte in seiner edelsteinbesetzten Uniform wie eine Kreuzung aus intergalaktischem Generalissimus und Anmacher vor einem Stimulationsschuppen. Und er redete auch wie ein Anmacher. Ohne Punkt und Komma.
Tabasco: Erzählen Sie, mein lieber Guttapercha, gibt’s was Neues auf ihrem schwarzen Markt? Wie gehen die Geschäfte? Was macht die Korporation?
Posada: Si? Momentico. Für Sie, Erhabenheit.
Tabasco: Danke, Elena. Ja, was. Ja. Nein.
Posada: Noch ein Whiskey, Senior Guttapercha?
Jonas: Warum nicht, danke.
Tabasco: Nein, das mach ich selbst. Lassen Sie Ihr Glas stehen, mein lieber Guttapercha, Sie können später austrinken. Wir machen eine Führung. Eine Führung durch La Installation. Wenn ich mich nicht irre, waren Sie noch nie hier, oder?
Jonas: Nein, Erhabenheit.
Tabasco: Fred, mein lieber Guttapercha. Fred.
Posada: Wünschen Erhabenheit, daß ich die Leibgarde rufe?
Tabasco: Nicht doch, Elena, wir sind unter uns. Unter Freunden. Ein zwangloser Rundgang zu dritt. Informell. Intim. Enmarcha.
Jonas: Durch einen langen Gang kamen wir auf eine Plattform. Nein, eine Plattform war es eigentlich nicht. Eher eine Scheibe aus Plexiglas, durchsichtig und ungeheuer groß. Mindestens 100 mal 100 Meter. Sie war gleichzeitig Fußboden und Decke. Wir standen darauf, und unter unseren Füßen sahen wir einen weiten Raum, durch Zwischenwände unterteilt in viele viele schmale Verschläge. Wie Waben in einem Bienenkorb. In jedem Verschlag hockte oder lag ein Mensch, nackt, reglos, aber atmend.
Tabasco: Betäubt, mein lieber Guttapercha. Ruhiggestellt. Das ist praktisch, human und nicht teuer, weil wir das Opium im Lande produzieren. In erster Linie achten wir natürlich darauf, daß sie tüchtig essen. Wie spät ist es, Elena?
Posada: 17 Uhr 32, Erhabenheit.
Tabasco: Schade. Die nächste Fütterung findet erst in drei Stunden statt. Das hätte ich Ihnen gern gezeigt, mein lieber Guttapercha. Wenn Sie... wenn Sie an diesem Hebel ziehen, öffnet sich im Plexiglas eine Klappe. Hier. Wie Sie bemerken, befindet sich darunter, unter der Klappe, ein Trog. Und in diesen Trog wird von hier oben der Brei gegossen. Wir füttern eine äußerst gesunde Mixtur. Proteine, Eiweiß, Vitamine etc. Schließlich wollen wir unseren guten Kunden und Abnehmern fehlerlose Ware liefern. Abnehmer. Da fällt mir ein, vor wenigen Minuten habe ich übers Telefon eine betrübliche Mitteilung erhalten. Ihre Waffe ist schußbereit, Elena?
Posada: Jawohl, Erhabenheit.
Tabasco: Äh, ja, was wollte ich sagen.
Jonas: Eine betrübliche Mitteilung, Erhabenheit.
Tabasco: Ja.
Jonas: Äh, Fred.
Tabasco: Richtig. Stellen Sie sich vor, unser europäischer Zwischenhändler ist tot. Man hat ihn bei Babelshafen aus dem Wasser gefischt. Ein gewisser Archimedes Guttapercha. Tüchtiger Mann. Wir werden sein Andenken in Ehren halten. – Sie sagen nichts?
Jonas: Was soll ich sagen? Ich bin sprachlos. Ganz offensichtlich eine Falschmeldung.
Tabasco: Das glaube ich kaum. Wenn er eine verdächtige Bewegung macht, Elena, dann schießen Sie.
Posada: Zu Befehl, Erhabenheit.
Tabasco: Sehen Sie, mein lieber falscher Guttapercha, gerade eben haben Sie behauptet, Sie seien noch niemals hier gewesen. Nun hat aber der gute echte Guttapercha La Installation schon mehrmals besucht. Geben Sie auf? Sie müssen dieser Mensch sein, von dem Guttapercha erst kürzlich aus Babylon berichtete. Ein biblischer Name, äh, Josafad, Jonathan...
Jonas: Jonas. Nur Jonas.
Tabasco: Jonas, ganz recht. Sie sind neugierig, mein lieber Jonas. Sie wollen hinter die Kulissen des schwarzen Organhandels sehen. Bitte sehr. Sehen Sie. Das hier ist die Quadra, der Stall. Weiter hinten die Anästhesie. Schonend und human, das kann ich Ihnen versichern. Und das eigentliche Schlachthaus, die Carniserisa. Eine weitgehend automatisch arbeitende Anlage, hygienisch, sauber, auf dem neuesten Stand der Technik. Dann gibt es noch die Speicher und die Kühlsysteme.
Jonas: Danke, das reicht mir.
Tabasco: Aber mein lieber Jonas, seien Sie doch nicht so emotional. Betrachten Sie die Sache vernünftig, mit kühlem Kopf. Costaguana ist ein armes Land. Unser einziger Rohstoff ist der Boden. Und den haben wir schon vor Jahrzehnten verkauft an Bananas Incorporated USA. Ansonsten haben wir Menschen. Menschen im Überfluß. Als Arbeitskräfte sind sie nicht gefragt. Die Bananenplantagen werden vollautomatisch bewirtschaftet. Was tun? Mein verehrter Herr Vorgänger und Vater hatte eine großartige Idee. Auch der Mensch ist Rohstoff und als solcher verwertbar. Zumindest in Teilen. Die eigentlichen Dimensionen dieser seiner Idee sind Papa allerdings noch nicht voll aufgegangen. Er fing klein an, politische Gegner, Guerilleros, die ihm Sorgen machten, wurden nicht mehr wie in alter Zeit an die Wand gestellt und verscharrt. Das, so Papa, sei Verschwendung. Er ließ die Leute zerlegen und verkaufen. Aus solch bescheidenen Anfängen ist inzwischen eine Großindustrie geworden. Die Bevölkerung vermehrt sich fromm und fleißig. Wir haben auf dieser Basis aufgebaut, wir haben erweitert, wir haben investiert, dank der finanziellen Hilfe, die wir über ZIP und Frau Professor Caligari bekommen haben. Und so haben wir vor noch nicht einmal einem Jahr La Installation einweihen können. Ein Musterbetrieb, mein lieber Jonas. In seiner Art einmalig auf der Welt.
Jonas: Das will ich doch hoffen.
Tabasco: Unsere Ware geht in den schwarzen Weltmarkt. Offiziell, das versteht sich, können wir nicht bekannt geben, wie wir produzieren, aber die Regierungen, alle Regierungen, auch ihre, mein lieber Jonas, wissen Bescheid. Nicht nur, daß sie nichts gegen uns unternehmen, sie greifen uns auch hilfreich unter die Arme. Organe zum Transplantieren sind weltweit knapp. Ohne Schwarzmarkt geht es einfach nicht. Wenn es uns nicht gäbe und unsere Lieferungen, dann würde der Nachschub von ihren Kriminellen organisiert werden, und die würden sich die Organe nachts auf den Straßen besorgen. Bevor es dazu kommt, in den VSE, den USA, der UVR, bevor man es soweit kommen läßt, handelt man denn doch lieber mit uns. Ein Marktproblem, mein lieber Jonas, Angebot und Nachfrage. Die Welt, die reiche, die industrialisierte Welt, braucht dringend Organe. Wir haben, wir liefern und wir verdienen. Wir verdienen nicht schlecht. Apropos, wie hoch schätzen Sie sich ein, mein lieber Jonas? Ihr Schweigen, meine ich. Es ist ja nicht unbedingt nötig, nicht wahr, daß alle Welt informiert wird über unsere Organindustrie. Gewisse kuriose Menschen, wie es sie gerade bei Ihnen gibt, könnten Geschrei erheben. Keine ernsthafte Bedrohung, aber doch lästig. Kurz gefragt, mein lieber Jonas, wieviel?
Jonas: Mein lieber Fred, ich bin unbezahlbar.
Tabasco: In diesem Falle, mein bester, werden wir Sie wohl verwerten müssen, schade.
Jonas: Wir waren noch immer auf der Plattform aus Plexiglas, hoch über den willenlosen Organspendern, zu denen bald auch Jonas gehören sollte. Dagegen mußte was unternommen werden. Ich machte einen Plan. Es war vielleicht kein sehr guter Plan, aber ein besserer fiel mir nicht ein.
Tabasco/Posada: Ah!
Jonas: Ich wartete, bis Präsident und Adjutantin zusammen auf der Futterklappe standen, suchte hinter dem Rücken mit der linken Hand den Hebel, fand ihn, zog daran, die Klappe ging auf, beide stürzten in den Futtertrog und blieben bewußtlos liegen. Ende des ersten Akts. Zweiter Akt. Ich kletterte vorsichtig nach unten, zog sie aus, ein nackter Präsident unterscheidet sich nicht erheblich von einem nackten Pion, legte sie in zwei freie Verschläge und ließ sie an den Enden der Gummiröhrchen lutschen, die in den Opiumtank führten. Die Uniformen versteckte ich unter einer Pritsche. Dritter Akt: Ich stieg wieder nach oben und dachte laut nach, zusammen mit Sam.
Sam: Seine Erhabenheit, der Präsident, wie auch Oberstleutnant Posada, können meinem Meister kaum noch gefährlich werden. Aller Voraussicht nach werden sie unerkannt zu menschlichen Ersatzteilen verarbeitet werden.
Jonas: Sicher, Sammy, aber das ist nicht das Problem.
Sam: Sondern?
Jonas: Wie komme ich hier raus?
Sam: Das sollte dem hochgeehrten Staatsgast Arch... Arch... Archimedes Guttapercha keine Schwierigkeiten machen.
Jonas: Du bist nicht auf dem Laufenden, Sam. Die Story ist geplatzt.
Sam: Hoheit belieben sich in einem Irrtume zu befinden. Wer weiß denn von dero wahrer Identität, doch nur Präsident Tabasco und seine Adjutantin, sonst niemand.
Jonas: Stimmt, Sam. OK, bluffen wir uns raus.
Jonas: Entschlossen marschierte ich durch die Korridore der Installation, und sah keinen Menschen. Bis ich zu dem Raum kam, wo der Kerncomputer der Sicherungsanlage arbeitete, hier stand ein Soldat Wache. Aber bald stand er nicht mehr, er lag. Verschnürt mit einem kräftigen Kabel. Und der geehrte Staatsgast studierte die Anlage.
Jonas: Was hältst du davon, Sam?
Sam: Nun ja, der allerletzte Schrei ist es nicht, aber immerhin der vorletzte.
Jonas: Kommst du rein, Sammy?
Sam: Das wird sich machen lassen. Was befielt mein Herr und Meister?
Jonas: Als erstes unterbrichst du jede Verbindung nach außen.
Sam: Wird gemacht, Chef.
Jonas: Dann müßtest du die elektronische Sicherung auslösen, und festklemmen. Verstehst du. Das niemand mehr raus oder reinkommt. Und daß die Sperre von innen nicht aufzuheben ist.
Sam: Schwierig, aber nicht unmöglich. Vermutlich wünschen Durchlaucht den Komplex vorher zu verlassen.
Jonas: Soviel Zeit mußt du mir schon geben, Sam. In sieben, acht Minuten sollte ich spätestens am Tor sein. In 10 Minuten machst du den Laden dicht, klar?
Sam: Countdown läuft.
Jonas: Bis zum Tor klappte der Zeitplan, aber dann kam Sand ins Getriebe, der Wächter war mißtrauisch, wie Wächter nun mal sind und bewaffnet bis an die Zähne.
Soldat: Halto. Passaporte.
Jonas: Lobenswerte Pflichterfüllung, mein Guter, aber in meinem Fall absolut unnötig. Ich bin Gast seiner Erhabenheit des Präsidenten, machen Sie keine Geschichten, lassen Sie mich durch.
Soldat: Nix. Nur durch mit Pasaporte spezial. Don del passaporte spezial.
Jonas: Ich brauch keinen Sonderausweis. Gott, ist der Kerl stur. Wieviel Zeit haben wir noch, Sammy?
Sam: Acht Sekunden.
Jonas: Also noch mal, Amigo, ich bin Staatsgast, Ehrengast, du mich durchlassen, sonst du erschossen. Bum.
Soldat: No. Hamas. Ho! Alarma!
Jonas: Caramba!
Sam: Eine Sekunde.
Jonas: Ein munteres Durcheinander. Einen Augenblick lang war der Posten verwirrt. Ich stieß ihn zur Seite und machte einen gewaltigen Satz vors Tor. Der Kerl riß einen Flammenwerfer hoch, da sagte Sam zero. Und prompt ging zwischen mir und dem Posten die unsichtbare elektronische Schutzwand runter. Gefahr vorbei, Feuer kam nicht durch. Ich setzte mich in das Auto, das mich hergebracht hatte, und fuhr zurück. Nicht nach El Dorado, sondern an der Stadt vorbei zum Flughafen.
Jonas: Wenn alles klappt, Sam, sind wir in zwei Stunden zuhause.
Sam: Wie dieses, Sahib? Ein Lastensegler?
Jonas: Nichts Lastensegler. Chemorock, Sammy, Chemorock.
Sam: Angesichts der finanziellen Situation euer Majestät dürfte ein Heimflug mittels chemischer Rakete sich als entschieden zu kostspielig erweisen.
Jonas: Ach weißt du, Sam, ich hab schon wieder eine hilfreiche Hosentasche gefunden. Diesmal bei seiner Erhabenheit. Und darin steckt eine dicke Rolle 1000-Peso-Noten. Der Präsident hat nichts mehr davon, und ich kann’s gut gebrauchen. Für Chemorock-Luxusklasse, und für die Costaguanesischen Ausreisebeamten mit den offenen Händen und den zugedrückten Augen.
Sam: Wenn der bescheidene Rechenknecht ein Fazit ziehen darf, Hoheit sind heil in Babylon eingetroffen, haben sich, dem Himmel sei Dank, in Jonas zurückverwandelt, und können einen Reingewinn von rund 7500 Pesos verbuchen. Piep. 232 Euros zum heutigen Umrechnungskurs.
Jonas: Soweit so gut, Sam. Aber der Fall ist noch nicht abgehakt und ausgestanden. Es muß sich doch irgendwas tun lassen gegen den Schwarzmarkt, gegen die Organwirtschaft in Costaguana.
Sam: Und was, o Helfer der Witwen und Waisen.
Jonas: Wenn ich das wüßte, Sammy.
Jonas: Ich rief Judith an. Aber Judith war nicht zu Hause. Ich rief Julian van Brendel an. Weil ich eine dankbare menschliche Stimme hören wollte. Aber der war auch nicht zu Hause.
Jonas: Wer spricht?
Computer: Hier ist der persönliche Computer des Herrn Julian van Brendel. Herr van Brendel ist verschieden.
Jonas: Was? Woran? Wann?
Computer: Herr van Brendel starb am 24. September 2009 während einer Transplantation. Todesursache: Unverträglichkeitsreaktion auf die ihm übertragene Bauchspeicheldrüse.
Jonas: Beileid.
Computer: Hier ist der persönliche Computer des Herrn Julian van Brendel, Herr van.
Jonas: Unverträglichkeit. Und Frau Prof. Caligari. Ich hab so ne Ahnung. Sam!
Sam: Mein Gebieter.
Jonas: Ratio der Todesfälle durch Unverträglichkeit bei Transplantation illegal erworbener Organe.
Sam: Zeitraum?
Jonas: Dieses Jahr. Vom 1. Januar bis heute.
Sam: Kommt sofort, Meister. Piep. Rate besagter Todesfälle liegt um 187 % über dem Durchschnitt des Jahres 2008.
Jonas: 187 %. Das ist es, Sammy.
Sam: Das ist was, o Inbegriff aller Intelligenz.
Jonas: Paß auf. Nach der Ausschiffung kommen die schwarzen Organe nicht gleich auf den Markt, sondern erst zu Frau Professor Caligari, ins Zentralkrankenhaus. Und da werden sie verseucht, vergiftet, unverträglich gemacht, was weiß ich. So schlägt ZIP zwei Fliegen mit einer Klappe. In Costaguana wird die Bevölkerung dezimiert, und bei uns auch. Alles paßt zusammen, Sam. Und jetzt weiß ich auch, was wir tun müssen. Wir bringen die Geschichte unter die Leute.
Sam: Sinnlos, großer Häuptling. Was im Schlachthaus von Costaguana passiert, interessiert hier keinen Menschen, der eine neue Niere braucht oder ein neues Herz.
Jonas: Stimmt schon, Sammy, aber daß er an einer neuen Niere und einem neuen Herzen eingehen wird, das interessiert ihn, da kannst du sicher sein. Und das verbreiten wir. In den Dateien, den Medien, überall.
Jonas: Vorher rief ich noch mal bei Judith an. Aber Judith war immer noch nicht zu sprechen. Jonas war allein. Abgesehen von Sam natürlich.
Jonas: Weißt du, Sam, wie ich mich fühle? Wie ein Bessett, dem man auf die Ohren getreten hat.
Sam: Was, o Herr und Gebieter, ist ein Bessett?
Jonas: Berechtigte Frage, Sammy. Gehen wir an die Arbeit.
Sam: Piep. Wau Wau.
Das war Schlachthaus. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus. Sein Supercomputer Sam war Joachim Wichmann. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Andrea Dahmen, Peter Fricke, Alexander Malachovsky, Edwin Noel, Günter Sauer und viele andere (Fred Klaus, Wilfried Klaus, Andrea Rosenberg, Heiner Schmidt, Selestino Sanchez, Renate Grosser). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Heiner Schmidt. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1984). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.
Hörspielfan
16. Juli 2025
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Reservat
Jonas: Es war einmal eine Zeit, da gab es Privatdetektive. Harte Männer, gerecht, nie um eine Antwort oder um einen Ausweg verlegen. Und wenn es sie nicht in Wirklichkeit gab, dann doch wenigstens in Büchern und Filmen. Heute im frühen 21. Jahrhundert gibt’s nur noch einen von der Sorte. Mich. Ich bin Jonas. Jonas, der letzte Detektiv. Nicht so hart, auch nicht immer gerecht, dafür fällt mir manchmal keine Antwort ein, und nach einem Ausweg muß ich oft lange suchen. Aber ich tue, was möglich ist. Mehr kann man nicht verlangen. Was Frau Marcus-Pallenberg von mir wollte, war nicht möglich. Oder doch?
Frau Marcus-Pallenberg: Sie müssen ins Reservat.
Jonas: Ein Vorschlag, Frau Marcus-Pallenberg. Kaufen Sie sich ein paar starke Männer, die mich fesseln und knebeln und über die Mauer schmeißen. Danke. Kein Interesse.
Frau Marcus-Pallenberg: Aber Cora ist doch im Reservat.
Jonas: Pech.
Frau Marcus-Pallenberg: Bringen Sie sie zurück. Bitte, Herr Jonas!
Jonas: Ich bin sentimental. Ab und zu gehe ich ins Waldmuseum und seh mir die Bäume an. Die Kiefer. Die Birke. Und die kleine Eiche, von der sie immer noch nicht wissen, ob sie durchkommt. Ich erinnere mich an die Zeit, als auch draußen noch Bäume standen. Und ich habe das Gefühl, mir fehlt was. Wie gesagt, ich bin sentimental. Aber ich bin nicht dämlich.
Frau Marcus-Pallenberg: Jemand muß sie doch da rausholen. Die Polizei tut nichts.
Jonas: Polizei. Schicken Sie doch gleich nen Chimp.
Frau Marcus-Pallenberg: Ich will keinen Affen. Sie sind mir empfohlen worden, Herr Jonas.
Jonas: Also dann, hat mich gefreut, Frau Marcus-Pallenberg.
Frau Marcus-Pallenberg: Haben Sie etwa Angst?
Jonas: Na sicher.
Frau Marcus-Pallenberg: Sie sind doch Detektiv?
Jonas: Eben drum. Ich weiß, was alles passieren kann.
Frau Marcus-Pallenberg: Ich habe gehört, Sie sind der einzige, der es schaffen kann. Und Sie brauchen Geld, habe ich gehört.
Jonas: O, welch magisch Wort dringt da an mein empfänglich Ohr. Wieviel?
Frau Marcus-Pallenberg: 200 Euros?
Jonas: Pro Tag.
Frau Marcus-Pallenberg: Ich dachte eher pauschal.
Jonas: Und Spesen.
Frau Marcus-Pallenberg: Aber Herr Jonas.
Jonas: Dafür gehe ich ins Reservat. Und sollte meinen Geisteszustand untersuchen lassen.
Jonas: Die Dame trug eine Aufmachung spazieren, wie ich sie bisher nur auf dem Titel von Mode gesehen hatte. Echtes Naturleinen, besetzt mit fast echtem Naturpelz. Das ganze garniert mit rund 3 Kilo Platin und Brillianten. Sie sah aus wie eine Frau, die mit Leichtigkeit ein paar Hundert Euros locker machen konnte. Und ich hatte ein paar Hundert Euros dringend nötig.
Jonas: Na schön. Jetzt erzählen Sie mir mal, was passiert ist, Frau Marcus-Pallenberg.
Frau Marcus-Pallenberg: Ja. Cora, o, schluchzt, Cora ist im Reservat.
Jonas: Das weiß ich. Wann hat sie Ihr Haus verlassen?
Frau Marcus-Pallenberg: Gestern, am frühen Morgen.
Jonas: Wie alt ist Ihre Tochter?
Frau Marcus-Pallenberg: 15.
Jonas: Also fast volljährig.
Frau Marcus-Pallenberg: Hhm. Deshalb konnte ich ja auch nicht viel unternehmen, als sie anfing, sich mit diesen merkwürdigen Menschen aus dem Reservat abzugeben. Ich habe auf sie eingeredet, ja, aber das hat natürlich nichts genutzt.
Jonas: Natürlich nicht. Und?
Frau Marcus-Pallenberg: Und dann ist sie gegangen. Mit ihm. Ins Reservat. In die Freiheit. Hat sie geschrieben.
Jonas: Geschrieben?
Frau Marcus-Pallenberg: Hmh. Das habe ich gestern Morgen auf Coras Bett gefunden.
Jonas: Zeigen Sie her. "Ich muß meinen eigenen Weg gehen, mich selbst verwirklichen. Die Freiheit, die ich brauche, kann ich hier nicht finden." Das übliche. 08/15. "Ich gehe ins Reservat. Zombie hat mir die Augen geöffnet." Zombie?
Frau Marcus-Pallenberg: Ihr Freund. Er heißt Zombie.
Jonas: Wirklich?
Frau Marcus-Pallenberg: Natürlich ist das nur ein Spitzname. Seinen richtigen Namen kenne ich nicht. Vermutlich kennt er ihn selbst nicht. Er ist eben ein Freak. Ein typischer Freak aus dem Reservat.
Jonas: Das Reservat ist ein Stadtviertel im Südosten von Babylon. Früher hieß es mal anders. Wie, weiß kein Mensch mehr. Heute ist es das Reservat. Nur das Reservat. Und im Reservat hausen Typen, die in der Welt draußen nicht zurechtkommen können. Oder wollen. Eremiten. Einzelgänger. Türken, die während der großen Entfremdung untergetaucht sind. Und vor allem Freaks. Freaks jeder Schattierung. Nicht nur aus Babylon. Sie kommen von überall her, aus den ganzen Vereinigten Staaten von Europa. Nach den Unruhen in den 90er Jahren hat man um die ganze Geschichte `ne Mauer gebaut, und `ne elektronische Schutzglocke draufgestülpt. Seitdem ist das Reservat nicht existent. Wenigstens offiziell. Die Bewohner bleiben unter sich. Es ist nicht leicht, rein oder rauszukommen, und es ist fast unmöglich, drinnen zu überleben, wenn man nicht dazugehört.
Frau Marcus-Pallenberg: Das ist alles, was ich Ihnen über diesen Zombie erzählen kann.
Jonas: Nicht gerade viel. Wie hat Cora ihn kennen gelernt?
Frau Marcus-Pallenberg: Durch einen entfernten Bekannten. Der hat ihn zu uns mitgebracht, zu einer Party, vor vier oder fünf Wochen.
Jonas: Wie heißt der Bekannte?
Frau Marcus-Pallenberg: Maske. Theo Maske.
Jonas: Ungewöhnlicher Name.
Frau Marcus-Pallenberg: Und ein ungewöhnlicher Mensch. Er arbeitet in der Holo-Industrie, und er kennt ausgesprochen seltsame Leute.
Jonas: Wie zum Beispiel Zombie. Fangen wir bei Herrn Maske an.
Frau Marcus-Pallenberg: Sie sind der Experte. Bitte, bringen Sie mir meine Cora zurück, Herr Jonas. Heil und gesund.
Jonas: Ich werd’s versuchen.
Frau Marcus-Pallenberg: Tun Sie’s. Für mich.
Jonas: Nein, nicht für Sie. Für Ihre 200 Euros pro Tag. Sie hören von mir, Frau Marcus-Pallenberg.
Frau Marcus-Pallenberg: Viel Glück.
Jonas: Maske. Theo Maske. Wer ist Theo Maske?
Jonas: Natürlich. Judith würde es wissen. Judith hat einen höheren Posten im Ministerium für Statistik und Soziographie. Sie ist immer gut für knifflige Daten, an die nicht jeder rankommt. Nicht jeder, aber Jonas. Über Judith. Sie war meine Klientin gewesen im Testmarkt-Fall. Und jetzt war sie meine z.B. Meine zeitweilige Beziehung. Aber für Maske brauchte ich sie nicht. So was schafft Sam mit links.
Sam: Darauf kannst du wetten, Chef. Piep. Maske, Theo. Bürgernummer 19 G 13 12 1972. Leitender Direktor der Holo-Produktionsfirma Lust & Qual GmbH. Ein Unternehmen von nicht eben makellosem Ruf, wenn eure Lordschaft mir diese nicht streng zur Sache gehörige Bemerkung gütigst nachsehen wollen.
Jonas: Sam ist mein Notizbuch. Meine geistige Krücke. Mein Retter aus der Not. Und manchmal sogar ne Art Freund. Sam ist mein Computer. Nicht irgendein Computer. Sam ist ein Sonder- und Versuchsmodell. Er kann mehr als andere Computer, und er ist ein bißchen verdreht. Der einzige verdrehte Computer, den ich kenne. Als er auf den Markt kam, im Jahr 2005, da haben ihn nur ein paar Snobs gekauft. Oder Masochisten, die sich mit Wonne von einem Computer übers Maul fahren lassen. Und ich. Leider. Andererseits frage ich mich manchmal, wie Sam Spade und Phil Marlowe ohne Computer ausgekommen sind. Schon mit unseren elektronischen Lieblingen ist das Leben kompliziert genug.
Sam: Lust & Qual GmbH produziert, wie der Firmenname andeutet, Holos von der Art, welche gemeinhin als Blut und Blubber bezeichnet wird. Mord, Folter, Sadismen. Mit einem Wort: Unappetitlichkeiten.
Jonas: Ganz meine Meinung, Sammy, aber das brauchen wir alles nicht.
Sam: Sagst du, Biohirn.
Jonas: Jawohl, und du sagst mir, wo Theo Maske wohnt. Damit wir ihm auf die Bude rücken können.
Sam: Aye Aye, Sir. Wie spricht der gefügige Orientale? Hören heißt gehorchen. Und der Dichter dichtet: Mut zeiget auch der lahme Muck, Gehorsam ist Computers Schmuck. Ferner steht geschrieben...
Jonas: Und so weiter. Aber schließlich erfuhr ich doch noch, was ich wissen wollte. Theo Maske wohnte weit draußen im Westen. In einer Villa von mindestens 80 Quadratmeter. Ein typischer Everson-Bau aus den späten 80ern. Rote Backsteine, Schmuckrohre außen, überall schiefe Linien. Vor dem Tor private Schutztruppler, hinter dem Tor ein echter Butler, der mich in den Salon geleitete. Und da hingen echte Bilder an der Wand, mit echtem Öl gemalt. Ich war bei echt feinen Leuten. Deshalb wunderte ich mich schon gar nicht mehr, als ich auch noch einen echten Whiskey in die Hand gedrückt kriegte. Dann erschien der Herr des Hauses. Theo Maske war nicht nur fein, er war auch schief. So schief wie seine Villa. Schiefer Rücken, schiefe Nase, schiefer Mund. Und für seinen Charakter würde ich auch nicht die Hand ins Feuer legen.
Theo Maske: Wie mundet Ihnen mein Malt Whiskey, Herr äh, Herr äh.
Jonas: Jonas. Nur Jonas.
Theo Maske: Nur Jonas. Und Privatdetektiv. Wie überaus faszinierend. Was es nicht alles gibt. Sie müssen ein interessantes Leben führen, Herr äh.
Jonas: Jonas.
Theo Maske: Auf der Schattenseite der Gesellschaft sozusagen. Noch nen Whiskey? So was Gutes kriegen Sie nicht jeden Tag, nehme ich an.
Jonas: Sie haben ja so recht, Herr äh Herr äh Herr Maske. Außerdem haben Sie ein Butler und ein Haus. Sie sind überhaupt ein wundervoller Mensch, auf der Lichtseite der Gesellschaft sozusagen. So, und jetzt können wir zur Sache kommen.
Theo Maske: Hören Sie, Ihr Ton gefällt.
Jonas: Gefällt Ihnen nicht? Machen Sie sich nichts draus. Sie sind nicht der einzige. Sagen Sie, was Sie über ihren Freund Zombie wissen, und Sie sind mich los.
Theo Maske: Zombie? Ich kann mich kaum noch erinnern. Freund ist übrigens nicht das richtige Wort. Wir haben lediglich eine sehr vage berufliche Beziehung.
Jonas: Zombie ist auch im Hologeschäft?
Theo Maske: Im Prinzip ja.
Jonas: Sie sind also Kollegen?
Theo Maske: Ich bitte Sie, Herr äh.
Jonas: Na na.
Theo Maske: Ich leite eine lizenzierte, staatlich überprüfte Holo-Produktion.
Jonas: Und Zombie?
Theo Maske: Zombie ist ein Wilder. Sein Studio hat er im Reservat.
Jonas: Sehen darf man in dieser unserer freien Gesellschaft alles, wonach man lustig ist. Aber man darf nicht alles produzieren. Da paßt die MePo auf, die Medienpolizei. Nicht so scharf wie die PoPo, aber immerhin. Wer Holos produzieren will, die er nicht produzieren darf, der tut das da, wo die MePo nichts zu sagen hat. Zum Beispiel im Reservat.
Theo Maske: Deshalb hab ich mich ein bißchen mit ihm abgegeben. Man muß doch wissen, was die Konkurrenz tut.
Jonas: Und was tut sie?
Theo Maske: Praktisch dasselbe, was wir tun. Mit einem wichtigen Unterschied: Wir türken. Bei Zombie ist alles echt. Darum verkaufen sich seine Sachen auch so gut. Was wollen Sie von ihm?
Jonas: Wie gut kennen Sie die Marcus-Pallenbergs?
Theo Maske: Ach Gott, wie man sich so kennt. Wir haben gemeinsame Freunde. Charmante Frau.
Jonas: Und die Tochter?
Theo Maske: Cora? Was soll ich sagen, unauffällig. Für mich zu jung, wenn Sie verstehen, was ich meine, Herr.
Jonas: Nicht noch mal.
Theo Maske: Trinken Sie aus, Herr Jonas. Nehmen Sie sich noch einen.
Jonas: Direkt vor Maskes Villa wartete eine freie Rikscha. Glücklicher Zufall, dachte ich. Ich armer Irrer. Der Kuli rannte, ich lehnte mich zurück, und dachte ein bißchen nach. Plötzlich hatte ich ein ausgesprochen ungutes Gefühl. Ich sah hoch: Die Gegend stimmte nicht, die Richtung stimmte nicht, und was noch schlimmer war, mit mir stimmte auch was nicht. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Keinen Gedanken fassen. Kaum noch reden.
Jonas: Stop. Stop. Ich will aussteigen. Malt Whiskey. Muß was im Whiskey gewesen sein. Alles rot. Rosenrot. Und müde. So müde. Schlafen. Judith. Vielleicht auch träumen.
Jonas: Mein Kopf war ein Raumschiff, unterwegs zum Mars. Die Maschinen ratterten, hämmerten, ächzten. Plötzlich setzten sie aus. Und ich stürzte in den unendlich weiten, unsagbar kalten Kosmos. Immer schneller, immer tiefer. Ich schlug hart auf und blieb regungslos liegen. Minuten, Wochen, Jahre. Bis ich mir zutraute, Arme und Beine zu bewegen. Anscheinend war ich noch komplett, wenn auch nicht im Bestzustand. Ich hatte Schmerzen, vor allem im rechten Oberschenkel. Meine Augenlider waren schwer wie Iridium. Ich redete mir gut zu, und schließlich stemmte ich sie hoch. Bekanntlich hat Jonas einen eisernen Willen. Ich lag auf einem Hof hinter einem schäbigen Gebäude, das mir irgendwie bekannt vorkam. Ich richtete mich auf, sah nach oben: Ich war zu Hause. Das kleine Fenster im 16. Stock gehörte zu meinem sog. Heim: Büro plus Apartment, 22 Quadratmeter. Ich machte Inventur. Bürgerausweis, Lizenz, alles da. Sogar die paar Euros in der Hosentasche. Seltsam. Warum hatte man mich betäubt und entführt? Wer steckte dahinter? Maske?
Sam: Der Whiskey. Die vor seinem Haus so einladend bereit stehende Rikscha. Keine Frage, der Übeltäter ist Herr Theo Maske.
Jonas: Wir werden ihn uns vorknöpfen, Sammy. Demnächst. Vorher haben wir noch nen kleinen Auftrag zu erledigen. Eine gewisse Cora Marcus-Pallenberg muß aus dem Reservat geholt werden. Und wenn Jonas einen Auftrag übernimmt, dann führt er ihn auch aus. So schnell wie’s geht. Aber dann.
Sam: Aber dann ist Herr Theo Maske dran.
Jonas: Wohl gesprochen, Freund Sam.
Sam: O du warmer Regen auf meine Mikroprozessoren. Gleich noch ein Gedicht: Maskes mörderischer Anschlag und Marcus-Pallenbergs Auftrag, irre ich nicht, so ist, beides der selbige Fall.
Jonas: Schlechter Vers, Sam, aber was die Sache betrifft, hast du wahrscheinlich recht. Wir werden es feststellen. First things first. Oder auch alles der Reihe nach. Wenn ich bitten dürfte, umzuschalten, neues Thema. Reservat. Au.
Sam: Was ist meinem Herrn und Gebieter?
Jonas: Deinem Herrn und Gebieter tut was weh.
Sam: Sams tief empfundenes Beileid. Wieder der Magen?
Jonas: Im Gegenteil. Andere Seite. Und tiefer. Irgendwas zwackt mich an der rechten Hinterbacke. Daß du dich ja nicht unterstehst, darauf einen Reim zu machen Sammy.
Sam: Sam wird es sich verkneifen, euer Durchlaucht Hinterbacke zu besingen.
Jonas: Schluß mit dem Blödsinn. Reservat. Problem: Wie komm ich rein?
Sam: Da Eminenz wohl kaum im Panzerkonvoi einzureisen wünschen.
Jonas: Nein, Sam, ganz entschieden nein. Es fährt auch gar kein Konvoi mehr, seit sie den letzten durch Barrikaden blockiert haben und dann geknackt und ausgeräumt.
Sam: Also werden Majestät sich einschleichen müssen. Heimlich und verkleidet als Freak.
Jonas: Klar. Frage: Als was für ein Freak?
Sam: Such dir was aus, alter Knabe: Fixer, Guerillero, Gestapo, RAF, Ledernacken, Wehrmacht.
Jonas: Das liegt mir alles nicht besonders, Sammy.
Sam: Schwarzer Punk, weißer Punk, bunter Punk, grüner Freak.
Jonas: Öko-Fan. Müslifresser. Müslifresser, machen wir das doch.
Sam: Gebe pflichtschuldigst zu bedenken, daß Herr Oberst in diesem Falle keine Waffe bei sich tragen dürften. Ausgenommen vielleicht ein Taschenmesser. Um Nüsse zu knacken.
Jonas: Keine Sorge, Sam. Jonas wird’s auch so schaffen. Was ich aber unbedingt brauche, das bist du, Sam. Will sagen, eine unauffällige Möglichkeit, Sam zwo mitzunehmen.
Jonas: Sam zwo ist Sam in Miniausführung. Eine drahtlose Extension, durch die ich überall und jederzeit in Verbindung stehe mit Sam eins, dem großen Speicher und Terminal im Büro. Ich kann zwar auch ohne Sam auskommen, in Routinefällen, und wenn er mir mit seinem Gerede noch mehr auf die Nerven geht, als üblich. Aber auf so gefährlichem Pflaster wie dem Reservat wollte ich das lieber nicht probieren.
Sam: Herr General, schlage vor, Sam zwo aufzuteilen. Empfänger in Ohrring, Sender in Nasenring. Derartiger Schmuck gehört zur obligatorischen Grundausstattung jedes grü... Scheiße... jedes grünen Freaks, der auf sich hält.
Jonas: Und wenn so ein Typ ab und zu mit sich selber redet, fällt das im Reservat nicht weiter auf. Sehr gut, Sam. Was brauchen wir?
Sam: Vor allen Dingen einen sanftmütigen Ausdruck auf dem Antlitz, o Schrecken deiner Feinde.
Jonas: Da werde ich mir aber ein bißchen Mühe geben müssen. OK, was noch?
Jonas: Die korrekte Aufmachung bestellte ich über Service-Text bei Freak-out am Markgrafenboulevard. Nicht gerade billig, aber das lief natürlich unter Spesen. Dann ein paar Minuten Arbeit mir Rasierapparat und grüner Farbe, und mein seliges Mütterlein hätte ihren Jonas nicht wiedererkannt. Sam konnte mir sagen, wo die elektronische Käseglocke eine Lücke hatte, noch eine kurze Mitteilung an Frau Marcus-Pallenberg, und fünf Minuten vor Mitternacht, am 12. August 2009, stand ein grüner Freak an der Reservatsmauer. "Irre sind menschlich" hatte einer rangesprayt. Ganz meine Meinung. "Sonne oder Regen, ich bin dagegen". Dafür hatte ich volles Verständnis. Kilroy war natürlich auch hier gewesen, vor langer Zeit. Jetzt war nur Jonas hier. Und Jonas fühlte sich unbehaglich. Und einsam. Wie einst Lilly Marlene.
Sam: Vor der Kaserne, vor dem großen Tor, steht eine Laterne, und steht sie noch davor.
Jonas: Sei still, Sam.
Sam: Lalalalala...
Jonas: Still. Gib mir lieber die Berechnung der Erfolgschancen.
Sam: Mit Wonne, großer Vorsitzender. Die Wahrscheinlichkeit, gegenwärtiges Unternehmen zu einem erfolgreichen Ende zu führen, beträgt zur Zeit genau 0, 9999.
Jonas: Also 2 zu 8.
Sam: Oder auch 1 zu 4. Nicht eben günstig, wenn eure Lordschaft mir diese kommentierende Wertung gestatten.
Jonas: Ach weißt du, Sammy. Wenn wir schon an Zahlen denken, dann doch lieber an die 200 Euros pro Tag.
Sam: Und Spesen.
Jonas: Und Spesen. Genau. Und mit diesem tröstlichen Gedanken im Hinterkopf wollen wir mal.
Jonas: Da wo ich stand, hatte die Mauer diverse Löcher und Vorsprünge. Ich zog mich hoch, dabei tat mir wieder mein verlängerter Rücken weh, setzte mich oben rittlings hin, und beschaute das nächtliche Reservat. Der Mond schien durch die Wolken. Jenseits der Mauer sah es kaum anders aus als davor. Dieselbe Ruinenlandschaft. Dieselben verwahrlosten Straßen. Dieselben Schatten. Dieselbe Stille. Nur unterbrochen durch leises Rascheln. Nachtmenschen schlichen durchs Geröll. Also dann, sagte ich mir. Sprung auf, Marsch marsch.
Sam: Alles in Ordnung, Chef?
Jonas: Alles klar, Sam. Uh!
Sam: Was ist los, Boss?
Jonas: Eine Falle, Sammy. Ich bin in was getreten, und jetzt werde ich verschnürt wie ein Postpaket. Eine Bio-Fessel. Mit automatischer Infrarot-Reaktion. Daß die hier im Reservat so was Modernes haben. Ich bin schon komplett eingepackt, Sam. Ich kann mich nicht mehr rühren. Und da kommen auch schon die Fallensteller. Das hat mir gerade noch gefehlt: Zwei schwarze Punks in all ihrer strahlenden Schönheit.
Power: Kuck mal, Push.
Push: Hähähä. Wir haben was gefangen, Power.
Jonas: Die beiden Typen sahen ein bißchen aus wie Lorell und Hardy, falls Sie sich Lorell und Hardy in schwarzem Leder mit Metallbeschlägen vorstellen können. Und mit Laserstrahlern in der Hand. Sie sahen auf mich herunter, und fingen dann ganz gemütlich an, mich mit ihren schweren Stiefeln zu bearbeiten. Profiklasse waren sie nicht, aber ich bin auch schon schlechter getreten worden.
Power: Was soll denn das sein, Push?
Push: Komisches Ei, Power.
Power: Sieht fast aus wie ein Freak, Push.
Push: Viel zu alt für `nen Freak, Power.
Power: Grüner Greis, Push.
Push: Freak-Opa, Power.
Power: Ätzend.
Push: Geil.
Power: Total tierisch.
Push: Elefantengeil.
Power: Hast du schon den Witz gehört, Push?
Push: Was für `nen Witz, Power?
Power: Da sind ein paar black Punks, und die fangen sich zwei Müslifresser. Einen haben sie vereist, und der andere mußte ihn fressen. Und weißt du, was der Witz ist? Der andere war Vegetarier.
Push und Power: Hahahahahahaha...
Jonas: Ha-Ha, ich lach mich tot.
Power: Hast du gehört, Push?
Push: Tot hat er gesagt, Power.
Power: Gar nicht so dumm, der Freak-Opa.
Push: Hat echt Durchblick, der Müsli-Greis.
Power: Vereisen wir ihn gleich oder verkaufen wir ihn lebendig an die Kannibalen?
Push: Treten wir ihn doch noch ein bißchen, Power.
Power: Ahh!
Push: Power, Power, sag doch was. Was ist, Power?
Jonas: Siehst du doch, man hat ihn gelasert, oder vereist, wie das bei euch heißt.
Push: Ahh!
Jonas: Der nächste bitte.
Sam: Sofern Hoheit die Frage gestatten, was ist geschehen?
Jonas: Wenn ich das wüßte, Sammy. Irgend jemand hat die beiden Punks mit dem Laser erledigt.
Sam: Wer, o Vater des Scharfsinns?
Jonas: Jemand im Schatten. Kommando zurück, Sam. Kein jemand. Eine Jemandin. Und was für eine.
Jonas: Es war eine junge Frau, die vor allem aus sich selbst bestand. Dazu aus hohen Stiefeln, und einem breiten Leder-Gürtel, dessen Schnalle das Zeichen des F.K.K. trug, des Feministischen Kampf-Korps, ein blutrotes Schwert über einem lila Kreis. Nicht zu vergessen der Laserstrahler, mit dem sie Push und Power erledigt hatte. Und der jetzt auf mich gerichtet war. Wunderbar. Erst Punks, dann F.K.K. Vom Regen in die Traufe. Damals bei den Unruhen, hatten sich die F.K.K.-Mädchen ganz besonders hervorgetan. Sie hatten auf alle geschossen. Auf Freaks, Polizisten, Ein- Um- und Aussteiger. Nur männlich mußten sie sein. Das Motto des F.K.K. lautet: Kein Schwanz bleibt ganz. Jetzt war offenbar Jonas an der Reihe.
Nada: Wie sagte frau in der bösen alten Chauvi-Zeit: Aller guten Dinge sind drei.
Jonas: Nichts überstürzen, immer mit der Ruhe. Cool bleiben.
Nada: Na wenn ich dich so ansehe, bist ja doch schon ein ganz schön alter Sack. Weißt du was, ich hab heut meinen soften Tag. Hör auf zu bibbern, ich tu dir nichts. Bist sowieso bald dran, Alter.
Jonas: Machst du mir die Bio-Fessel ab? Vor mir brauchst du keine Angst zu haben.
Nada: Ich Angst vor dir? Halt still.
Jonas: Sam, bist du da, Sam?
Sam: Sam ist da, Majestät, und Sam verfolgt gebannt dero unglaubliche Abenteuer. Was geschieht?
Jonas: Sie brennt mir die Bio-Fessel ab, mit ihrem Laser. Sehr geschickt. Bleib weiter dran, Sammy. - Danke.
Nada: Ich bin übrigens die Nada.
Jonas: Angenehm, dann heiß ich Nemo.
Nada: Von mir aus. Setz dich. Willst du auch nen Joint? Na, prima Tabak. Aber als Grün-Freak rauchst du ja nicht.
Jonas: So saßen wir denn friedlich beisammen. Im Schatten der Mauer. Nada und ich. Meine rechte Hinterbacke tat mir weh. Und auch mein Magen, der sich wochenlang friedlich verhalten hatte, meldete sich wieder. Kein Wunder bei dem Streß hier. Trotzdem hätte ich gern einen Schluck Whiskey gehabt. Aber als waschechter Müslimann durfte ich das natürlich nicht kundtun. Und noch einen Wunsch hatte ich, als ich Nada aus nächster Nähe sah, einen richtig altmodischen Chauvi-Wunsch. Den mußte ich auch für mich behalten. Vorsichtshalber. Ich wußte ja, was Nada mit Männern machte, gegen die sie was hatte.
Nada: Gammelst du nur so rum oder hast du was Bestimmtes vor?
Jonas: Ich bin auf der Suche.
Nada: Sind wir doch alle.
Jonas: Ich suche einen Typ namens Zombie.
Nada: Zombie, Zombie...
Jonas: Produziert Holos.
Nada: Ach der Zombie. Und zu dem willst du? Ganz schräge Idee, Alter. Wer zu dem geht, der taucht meist nicht wieder auf. Zombie hat einen großen Verschleiß, wenn er seine Holos macht.
Jonas: Hab ich gehört. Mord und Totschlag.
Nada: Und Massaker und Folter und Blutbäder. Und alles echt.
Jonas: Ich muß trotzdem hin. Weißt du, wo Zombies Studio ist?
Nada: Hier lang, immer gerade aus. Dahinter rechts im Niemandsland. Zwischen Freakadelien und Turkistan.
Jonas: Also dann.
Nada: Hast du keine Waffe?
Jonas: All you need is love, Schwester.
Nada: Lennonid bist du auch noch.
Jonas: Nicht direkt. Ich bin eher für Sankt Jonas.
Nada: Nie gehört.
Jonas: Schade.
Nada: Sei vorsichtig. Die Türken haben Vorposten im Niemandsland. Wenn die einen Freak schnappen, gehen sie recht ungut mit ihm um. Machs gut, Alter.
Jonas: Ich schlich durchs Niemandsland und hielt mich im Schatten von Häusern und Ruinen. Alles war still. Nur in der Ferne die fast unhörbaren Geräusche der Nachtmenschen. Und noch weiter weg, ein merkwürdiges Rattern und Knattern. Es hörte sich an wie ein Motor, ein Benzinmotor in einem Auto. Mir wurde ungeheuer nostalgisch. Ich dachte an schwarze Limousinen in Chicago und anderswo, an Bogart, mit zwei Fingern am Lenkrad, an Maschinenpistolen, die Feuer und Tod aus Autofenstern spuckten. Ich hätte besser an Laserstrahler denken sollen, denn was sich da plötzlich auf meinen grünen Bauchnabel richtete, das war ein Laserstrahler. Ein Laserstrahler in der Hand eines dicken Kerls in Turban und Pumphosen, und neben ihm stand noch so einer, natürlich auch mit Strahlerchen. Ich hatte allmählich die Nase voll von Typen, die mir Laser unter dieselbe hielten.
Türke: Hände schön oben, Kollege. Ganz ruhig. Du Freak, Kollege?
Jonas: Iwo. Ich bin die Bürgermeisterin von Babylon.
Türke: Lüge! Du Freak, Kollege. Wir nicht lieben Freaks.
Jonas: Muß ja nicht sein, Kollege, also, dann will ich mal wieder rüber, ne, in meine Gegend.
Türke: Halt! Freaks auslöschen Türken, Türken auslöschen Freaks. Mitkommen.
Jonas: Hör doch mal zu, ich bin ein grüner Freak, ich tu keiner Fliege was. Und gegen Türken hab ich schon gar nichts. Ich mag Türken. Janitschar. Heula. Mokka mit viel Zucker...
Türke: Schnauze! Mitkommen. Oder Loch in Bauch.
Jonas: Ja, wenn ihr mich so nett darum bittet.
Türke: Los, Kollege, Bewegung. Dalli Dalli!
Jonas: Erst ging’s über einen Graben, dann durch Ruinen im Zickzack zu einem noch ziemlich intakten Hochhaus am Kanal, wo wir die Treppen hochstiegen bis in den 10. Stock. Überall standen die Pumphosen-Jungs rum. Schwer bewaffnet, grimmig blickend. Und besonders grimmig kuckten sie auf einen armen Freak, der gar keiner war, und in Wirklichkeit Jonas hieß. Eine Tür wurde aufgestoßen, ich war mitten in 1001 Nacht. In 1001 Nacht, wie sie sich der kleine Ali vorstellen mochte, der seit Jahrzehnten im Reservat untergetaucht war, der kein richtiger Türke mehr war, aber auch kein Babylonier. Der eine Pidgin-Sprache redete, und sich eine Pidgin-Kultur erfunden hatte. An den Wänden hingen Teppiche aus dem Kaufhaus, in einer Ecke hockten Musikanten, die uns was pfiffen und trommelten, nicht schön, aber laut, davor tanzte eine nicht zu übersehende Dame heftig Bauch, ansonsten Pumphosen in Hülle und Fülle, um einen Mann herum, der allem Anschein nach die Ober-Pumphose darstellte. Er war nämlich noch dicker als die übrigen. Hatte einen noch größeren Turban. Und einen noch grimmigeren Blick.
Türke: Großmächtiger Padischa, erhabener Sultan Suleiman, hier dieser Freak gefangen an Grenze zu Turkistan.
Sultan Suleiman: Ah, oh, du Spion, Kollege.
Jonas: Aber nicht doch.
Sultan Suleiman: Auslöschen Freaks, auslöschen Spione.
Jonas: Nun mal langsam, alter Freund, ja. Aua.
Türke: So nicht reden zu Großherr von Turkistan, Kollege.
Jonas: Das Gefühl habe ich auch. Now ist the time for all good friends, Sammy, wenn sich einer auskennt mit Titel, Anreden und so, dann bist du das, hilf mir gefälligst.
Sam: Bitte mir nachzusprechen, Meister.
Jonas: OK, schieß los, Sammy.
Sam/Jonas: O erhabenes Großherr.
Sam/Jonas: Machtvoller Beherrscher der Gläubigen.
Sam/Jonas: Sonne von Weltall.
Sam/Jonas: Wonne in Erdkreis.
Sam/Jonas: Großmächtiger Sultan.
Sam/Jonas: Sei gnädig und lasse Erbarmen walten.
Sultan Suleiman: Ja, so gut, Kollege, so prima. Aber nichts bringen! Auslöschen Freak. Setzen auf Pfahl, Stecken in Sack, Schmeißen in Kanal.
Jonas: Bis jetzt hatte ich es im Guten versucht. Aber wenn die Herren Reservatstürken unbedingt wollten, bitte sehr, Jonas konnte auch anders. Ein Griff in den Stiefelschaft, ein Sprung, ich hatte den Sultan bei der Skalplocke und drückte ihm mein Messer an die Halsschlagader. Ob dieser Entwicklung der Dinge geriet der gesamte Hofstaat in begreifliche Unruhe.
Türken: Ah!
Jonas: So Majestät, jetzt gehen wir zusammen ans offene Fenster. Ich hoffe sehr, daß Ihre Paschas und Be sich ganz still und friedlich verhalten. Vor allem ihretwegen. Ich müßte Sie sonst auslöschen, und das wäre doch schade, ein so gewichtiger Mann, und Sultan dazu. So, alle bleiben auf ihren Plätzen, keiner kommt mir zu nahe. Soweit, so gut, was nun, Sammy?
Sam: Was befindet sich vor dem Fenster, Exzellenz?
Jonas: Sehr viel Luft, Sam, wir sind im 10. Stock.
Sam: Zweifellos, Herr Direktor, und unten?
Jonas: Unten, der Kanal.
Sam: Aha.
Jonas: Du meinst.
Sam: Na klar, Kumpel. Springen.
Jonas: Klar, lächerliche 30 Meter.
Sam: Wüßte nicht, was Durchlaucht sonst übrig bliebe.
Jonas: Ich leider auch nicht, Sammy. Leben Sie wohl, erhabene Sultan. Jeronimo.
Jonas: Ein Tritt dahin, wo er am dicksten war, beförderte Sultan Suleiman zurück in den Saal. Ein paar Augenblicke lang standen die Höflinge da wie erstarrt. Und als sie sich wieder rührten, war ich schon unten angekommen, und schwamm durch eine zähe, stinkende Brühe ans gegenüberliegende Ufer. Ein kurzer Klimmzug, wieder Schmerzen rechts hinten, aber ich rannte trotzdem los. Was sein muß, muß sein. Etwa 10 Millionen Türken waren hinter mir her, mir Gebrüll und mit Lasern. Und weil ihnen offenbar nichts wehtat, kamen sie immer näher. Die Situation erschien entschieden verbesserungsbedürftig. Als die schnellsten Verfolger nur noch wenige Meter entfernt waren, schoß plötzlich aus einer Seitenstraße ein Fahrzeug und blieb neben mir stehen. Mit offener Tür.
Nada: Steig ein, Alter.
Jonas: Nada.
Nada: Wundern kannst du dich später, nun steig schon ein, sonst haben Sie dich.
Jonas: Ein Benzinauto. Ein echtes Benzinauto. Wie lange bin ich in so was nicht mehr gefahren? 15 Jahre? 16 Jahre?
Nada: Im Reservat gibt’s noch ein paar.
Jonas: Das sehe ich. Und woher habt ihr das Benzin?
Nada: Manchmal finden wir ein unterirdisches Lager. Aus der alten Zeit. Als es noch Benzin zu kaufen gab. Und Autos noch nicht verboten waren. Das Reservat ist groß.
Jonas: Wo fahren wir eigentlich hin?
Nada: Wolltest du nicht zu Zombies Holostudio? Wir sind da.
Jonas: Ja, ich seh kein Studio. Nur ein Ruinenfeld. Und `nen kleinen Holzschuppen.
Nada: Eben. Der Schuppen ist das Studio. Das heißt, der Eingang zum Studio. Zombie arbeitet unter der Erde. Er scheut das Tageslicht. Mit recht.
Jonas: Ja, dann noch mal vielen Dank, Nada.
Nada: Hier, Alter. Falls du Probleme kriegst da unten. Machs gut.
Jonas: Damit drückte sie mir ihren Laserstrahler in die Hand. War doch mal ne nette Abwechslung, selber so ein Ding zu haben. Nützlich war’s auch. In der Bretterbude saß ein unfreundlicher Kraftmensch über Loch und Leiter, die nach unten führten. Und der war erst dann bereit, mit sich reden zu lassen, als ich ihn in die Mündung des Strahlers gucken ließ.
Wächter: Wie soll die heißen? Cora, Cora...
Jonas: Cora Marcus-Pallenberg.
Wächter: Nie gehört.
Jonas: Und so sieht sie aus.
Wächter: Nie gesehen. Hier. Gibt’s nicht bei uns. Bestimmt nicht. Hat’s auch nie gegeben.
Jonas: Ach ja, dein Chef hat sie gestern mitgebracht. Von draußen.
Wächter: Zombie? Quatsch, Zombie war schon vier Wochen nicht draußen, mindestens.
Jonas: Ach nein.
Wächter: Ach ja.
Jonas: Mach Platz, ich will mich unten mal umsehen.
Wächter: Nix. Niemand darf runter.
Jonas: Ach ja.
Wächter: Ah.
Jonas: Mit dem Laser legte ich ihn für ein paar Stunden schlafen. Dann tauchte ich ab in die Unterwelt. Und das meine ich ganz wörtlich. Was sich in den unterirdischen Produktionsräumen tat, war die Hölle. Es wurde gerade ein lehrreicher historischer Streifen gedreht, Argentinien 78 oder Schreie aus dem Keller. Sehr dokumentarisch. Sehr realistisch. Mit großem Verschleiß, wie Nada sich ausgedrückt hatte. Ich habe einiges schlimme gesehen, im Antarktischen Krieg und als Detektiv. Das hier war schlimmer. Ich fühlte mich versucht, als edler Ritter von der Tafelrunde mit meinem Laserschwert aufzuräumen, aber es waren zu viel Drachen da. Einerseits. Und andererseits hatte ich das Gefühl, daß ich ganz vordringlich ein paar Dinge klären müßte, die mich persönlich betrafen. Also stellte ich meine Fragen und stieg dann ganz schnell wieder nach oben.
Jonas: Also, Sammy, die Sache sieht so aus: Alle hier sagen dasselbe: Eine Cora Marcus-Pallenberg kennen sie nicht. Haben sie auch nie gesehen. Und Zombie ist seit Wochen im Reservat. Er war also nicht draußen bei den Marcus-Pallenbergs. Er hat Cora nicht ins Reservat mitgenommen, das steht fest.
Sam: Daraus ergibt sich, o weiser Sherlock Holmes, Frau Marcus-Pallenberg hat gelogen.
Jonas: Elementar, mein lieber Watson. Frage: Warum hat Frau Marcus-Pallenberg gelogen. Au.
Sam: Wieder Schmerzen, mein Herr und Gebieter?
Jonas: Jawohl, und wieder die rechte Hinterbacke. Möchte wissen, was ich mir da geholt habe. Hallo.
Sam: Wie belieben?
Jonas: Da ist was, Sammy. Unter der Haut. Was Festes.
Sam: Empfehle dringend, besagtes festes Objekt zu entfernen.
Jonas: So, und wie?
Sam: Herausschneiden, mittels dero Hoheit Taschenmesser.
Jonas: Hat das nicht Zeit, Sam, bis wir wieder in der Zivilisation sind, der sogenannten?
Sam: Nein, Holzkopf, rausschneiden, fix.
Jonas: Wenn’s denn sein muß.
Sam: Und vorsichtig, Boss, ganz ganz vorsichtig.
Jonas: Auch dieses, Sammy. So. Du hast den richtigen Riecher gehabt, Sam. Eine Bombe. Eine implantierte Mini-Bombe aus Plastkonzentrat. So groß wie ein Eurostück. Das reicht für ne mittlere Kleinstadt.
Sam: Aus diesem Grunde sind Eminenz betäubt und entführt worden.
Jonas: Genau Sam, Maske hat mir die Bombe untergeschoben, im wahren Sinne des Wortes. Aber warum denn bloß? Was wird hier gespielt? Kannst du mir das sagen?
Sam: Gewiß, o Rächer der Enterbten. Herr Theo Maske ist Direktor einer legalen Holovisions-Produktion. Diese Produktion hat erhebliche finanzielle Einbußen zu verzeichnen. Der Grund: Die von Zombie hergestellten echten Mord- und Folter-Holos sind weitaus erfolgreicher als Herrn Maskes Produkte. Herr Maske hat also allen Anlaß, sich der gefährlichen Konkurrenz zu entledigen. Da Zombie seine Produktion im Reservat betreibt, ist er für Herrn Maske direkt nicht erreichbar. Herr Maske geht daher indirekt vor. Er schickt einen nichts ahnenden Bombenträger ins Reservat, eine lebende Bombe.
Jonas: Halt mal, das stimmt so nicht. Maske hat mich nicht geschickt. Das war Frau Marcus-Pallenberg, weil ich ihre Tochter aus dem Reservat holen sollte.
Sam: Ein unzutreffender Vorwand, wie sich nunmehr herausstellt, euer Denkwürden. Cora Marcus-Pallenberg hat das Reservat überhaupt nicht betreten.
Jonas: Moment. Moment, Sam. Ich hab ne Idee.
Sam: Ich höre und staune, Hoheit.
Jonas: Wem gehört der Laden?
Sam: Laden? O Brunnen des Tiefsinns?
Jonas: Lust & Qual, die Holofirma, wo Maske Direktor ist.
Sam: Einen Augenblick, Chef. Piep. Besitzer der Firma laut Handelsregister: Orsonsche Erben.
Jonas: Und wer sind die Orsonschen Erben?
Sam: Momentchen Boss. Piep. Es gibt nur einen Orsonschen Erben. Der Name: Dahlia Marcus-Pallenberg.
Jonas: Na bitte. Das ganze ist ne abgekartete Sache. Alle stecken unter einer Decke. Maske, die Marcus-Pallenberg und natürlich auch...
Sam: Bitte die Unterbrechung ihrer erhabenen Gedankengänge zu verzeihen, großer Lehrmeister, doch wäre es höchst ratsam, vor allen weiteren ohne Zweifel hochinteressanten Schlußfolgerungen die Bombe abzulegen und schleunigst von dannen zu eilen. Jeden Augenblick kann durch elektronische Zündung eine Explosion ausgelöst werden.
Jonas: Apropos Zündung, aus welcher Entfernung kann die Bombe gezündet werden?
Sam: Bei einer Mini-Bombe, wie Exzellenz Sie in sich herumtrugen, beträgt die maximale Zündungsdistanz 500 Meter.
Jonas: Aha. Na dann weiß ich den richtigen Platz für Maskes Liebesgabe.
Jonas: Es war kein Problem, die kaum mehr als fingernagelgroße Bombe gut unterzubringen, und als ich mich dann dranmachte, von dannen zu eilen, wie Sam mir geraten hatte, wer stand vor der Tür und wartete auf mich? Natürlich Nada. Nada, die Unvermeidliche, die Allgegenwärtige, Nada, mein Schutzengel, immer zur Stelle, wenn ich Schwierigkeiten hatte und Hilfe brauchte.
Nada: Gib mir den Laser zurück, Alter. Danke. Hast du gefunden, was du suchst?
Jonas: Mehr oder weniger.
Nada: Such’s noch mal.
Jonas: Wieso?
Nada: Du gehst wieder runter, Alter.
Jonas: Nicht nötig, ich bin hier fertig.
Nada: Im Gegenteil, Alter, dein großer Auftritt kommt erst. Runter mir dir. Tut mir leid, Alter, so ist das nun mal. Machs gut.
Jonas: Nada, die so selbstlos dafür gesorgt hatte, daß ich mein Ziel erreichte, die dafür gesorgt hatte, daß die Mini-Bombe ihr Ziel erreichte, mit Jonas natürlich, aber Jonas war nur Transportmittel, und würde bald entbehrlich sein. Alles war klar, sonnenklar, laserklar, bombenklar. Ich machte ein dummes Gesicht, fällt mir nicht schwer, ging langsam zurück in den Schuppen, und zog die Tür hinter mir zu. Blitzschnelles Umschalten in den Schnellgang, ich riß das Fenster auf der gegenüberliegenden Seite auf, sprang raus, rannte, rannte um mein Leben. Ich wußte, was gleich passieren würde... Nada löste die Zündung aus, die Bombe explodierte, und nahm mit sich hoch, Nadas Laserstrahler, daran hatte ich sie festgemacht, Nada selbst, ein Benzinlager, auf dem sie gestanden hatte, ohne es zu ahnen, Zombies höllische Holo-Produktion, diverse Ruinen, Geröllhalden, und beinahe auch Jonas, der kräftig durchgeschüttelt wurde, sich ein paar dicke Beulen holte, nur mit Mühe über die Mauer kam, und nach Hause humpeln mußte. Und hier, Magen hin, Magen her, trank ich meinen ganzen Whiskey-Vorrat aus, verbissen und zielstrebig, und fiel dann ins Bett. Als ich aufwachte, war es heller Tag. Ich hatte einen miesen Geschmack im Mund, und ein mieses Gefühl innen drin. Und mir wurde nicht besser, als ich den News-Kanal einschaltete.
Nachrichten-Sprecherin: Aus unbekannter Ursache kam es in den heutigen frühen Morgenstunden zu einem Großfeuer im Bereich des sogenannten Reservats. Über den entstandenen Schaden gibt es noch keine genaue Übersicht. Wie verlautet, wurde ein illegales Holovisions-Studio völlig vernichtet, wobei erhebliche Opfer an Menschen und Material zu beklagen sein sollen. – Ein Terroranschlag der Kusbekischen Befreiungsfront hat, wie der Pressesprecher der...
Jonas: Also Schwamm drüber und Strich drunter. Oder?
Frau Marcus-Pallenberg: Hallo?
Jonas: Jonas hier.
Frau Marcus-Pallenberg: Wa... Was?
Jonas: Überrascht, Frau Marcus-Pallenberg?
Frau Marcus-Pallenberg: Ja, äh nein nein, nein, wieso? Warum sollte ich überrascht sein?
Jonas: Weil Jonas eigentlich tot sein müßte. Im Reservat. In Zombies Holostudio. In vielen tausend kleinen Stücken.
Frau Marcus-Pallenberg: Was reden Sie? Haben Sie getrunken? Übrigens, da Sie gerade anrufen, Cora ist wieder da.
Jonas: Sie setzen mich in Erstaunen, Frau Marcus-Pallenberg.
Frau Marcus-Pallenberg: Ja, die Sache war ein Irrtum. Damit ist mein Auftrag gegenstandslos. Ich brauche Sie nicht mehr.
Jonas: Legen Sie nicht auf, Frau Marcus-Pallenberg. Ich hätte mich gerne noch mit Ihnen unterhalten.
Frau Marcus-Pallenberg: A ja, ich verstehe, schicken Sie Ihre Rechnung ein, ich will sehen, was sich tun läßt.
Jonas: Nicht darüber, Frau Marcus-Pallenberg. Über den Konkurrenzkampf in der Holo-Industrie, und über eine gewisse Bomben-Idee. Wissen Sie, Jonas hat es gar nicht gern, wenn man ihn a) für dumm verkauft, und b) als lebende Bombe mißbraucht.
Frau Marcus-Pallenberg: Sie reden irre. Sehen Sie sich vor. Wenn Sie derartiges in der Öffentlichkeit wiederholen, werden wir Sie belangen, Maske und ich. Sie können nichts beweisen.
Jonas: Solche Auftraggeber loben wir uns, was Sammy?
Sam: Pflegt es sich denn nicht stets so zu verhalten, o großer Sekretär des Politbüros?
Jonas: Ich versteh nicht, Sam, was pflegt sich wie zu verhalten?
Sam: Entpuppt sich nicht in der Regel der Auftraggeber als der wahre Bösewicht, hinter den Kulissen?
Jonas: O Sammy, ich hab dich wohl zu viel mit Chandler gefüttert.
Sam: Durchlaucht belieben zu irren. Wie war es denn erst kürzlich im Fall um die Raumstation Safari?
Jonas: Safari? Kein Vergleich, Sam, gar kein Vergleich. Diesmal war alles Schwindel. Von A bis Z. Alle haben mich angelogen. Die Marcus-Pallenberg. Maske. Nada. Und für Nada hatte ich wirklich was übrig.
Sam: Kopf hoch, Kumpel, vergiß es, ein neuer Tag, ein neues Glück, das Leben geht weiter, und wenn die Welt voll Teufel wär.
Jonas: Nur Computer sind anständig. Computer lügen nicht. Alle Kreter lügen immer. Jeder Mensch sagt jederzeit die Unwahrheit. Der Computer nie. Dafür sagt er oft Blödsinn, oder Sam?
Sam: Unzureichende Daten, o du GröJAZ.
Jonas: Wie bitte?
Sam: Größter Jonas aller Zeiten.
Jonas: Meine Rechnung hab ich später doch noch eingereicht. Honorar für einen Arbeitstag, Spesen, Schmerzensgeld. Nicht viel, aber besser als die Volksrente allemal. Frau Marcus-Pallenberg hat anstandslos gezahlt. Stolz ist was feines, aber Stolz kann man nicht essen. Und trinken auch nicht. Ich mußte mir doch einen neuen Whiskey-Vorrat anlegen.
Das war: Reservat. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus. Sein Supercomputer Sam war Joachim Wichmann. Es wirkten außerdem mit: Astrid Jacob, Madeleine Stolze, Michael Gahr, Michael Habeck, Erich Hallhuber, Joachim Höppner, Herbert Weicker, und andere (Bernd Stephan, Ilse Neubauer). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Heiner Schmidt. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1984). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.
Hörspielfan
16. Juli 2025
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Safari
Jonas: Der Löwe war kein echter Löwe. Natürlich nicht. Seit Jahren gab es keine Löwen mehr auf der Erde. Und in einer Raumstation schon gar nicht. Aber echt oder nicht, der Löwe war da. Und er sah gefährlich aus. So gefährlich, daß Jonas vorsichtshalber erst mal rannte und sich einen hohen Baum suchte. Kokospalme oder Bandiang, was weiß ich. Auf Bäumen haben Löwen nichts zu suchen. Das wußte ich. Und das wußte auch der Löwe, zu meinem Glück. Ich wartete, bis mein Puls wieder unter Schallgeschwindigkeit war, und dann versuchte ich Sam über Funk zu erreichen.
Jonas: Sam! Sammy! Wo steckt der verrückte Blechkanister? Sam!
Sam: Hat mein Herr und Meister gerufen?
Jonas: Gerufen? Gebrüllt habe ich. Hör zu, du Spottgeburt von Chips und Eisen.
Sam: Om mani padme hum. Om mani padme hum. Om mani padme hum.
Jonas: Was?
Sam: Om mani. O fleischgewordener Buddha. Das heißt.
Jonas: Ist mir völlig wurscht, was das heißt. Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich auf der Notfrequenz bereithalten, rund um die Uhr.
Sam: So ist es, o Ozean aller Weisheiten. Doch hat nicht auch ein Computer gewisse, sagen wir es frei heraus, gewisse seelische Bedürfnisse. Ein wenig Meditation.
Jonas: Meditation?
Sam: Yoga, o du Kleinod im Lotus. Tantra. Fernöstliche Mystik.
Jonas: Sam, wenn du nicht auf der Erde wärst, gut 4000 km weit weg, würde ich dir einen Tritt verpassen, daß deine Modulen jodeln.
Sam: Wie spricht Buddha? Innere Ruhe, Frieden, Abgeklärtheit. Dies alles ist weit wertvoller denn das kostbarste Juwel. Und ferner sagt er...
Jonas: Schluß damit, Sam. Paß mal auf: Hier sind die Algen am kochen.
Sam: OK, Chef. Werden wir abgehört?
Jonas: Nehm ich an.
Sam: Also Frequenzwechsel. Plan 17.
Jonas: Alles klar. – Sam? Bist du noch da, Sam?
Sam: Dieses, o Freude meiner Schaltkreise, ist die große Frage. Denn ist nicht, was hier ist, auch da, und was da ist, hier?
Jonas: Soll sein, Sammy, aber die Riesenschlage ist leider hier und nicht da.
Sam: Welche Riesenschlange, o Licht des Karma?
Jonas: Die hier angeringelt kommt. Python. Boa constrictor. In dieser Preisklasse.
Sam: Es gibt keine boa constrictor mehr, o Meister magischer Mysterien. Und auch keine Python.
Jonas: Weiß ich selber, du kannst gern raufkommen und dir das Vieh ankucken. Ich muß los, Sam. Bleib dran.
Sam: Alle Erscheinungen des Lebens lassen sich vergleichen mit einem Traum, einem Gebilde der Fantasie, einer Phase, einem Schatten...
Jonas: Amen. Schön wär’s. Aber die Löwen und Schlangen ließen sich beim besten Willen nicht wegmeditieren. Und alle diese interessanten Bestien hatten nur ein Ziel: Sie wollten Jonas. Und wenn sie ihn hatten, dann wollten sie ihn bestimmt nicht bloß streicheln. Da hatte ich mich wieder mal voll reingesetzt. Genauer gesagt, ich war reingesetzt worden. Als das Telefon klingelte, gestern, am 5. Juni 2009, kurz nach Mitternacht, schlief ich noch sorglos den Schlaf des Gerechten. Hätte ich geahnt, was auf mich zukam, wäre ich unters Bett gekrochen. Oder ausgewandert.
Jonas: Huah-Ah! Crembell goodwell. Ja?
Jonas: Das Telefon klingelte. Laut und unfreundlich. Ich griff mir den Hörer und meldete mich. Das Telefon klingelte immer noch. Ich machte die Augen auf. Was ich mir mit der Hand ans Ohr hielt, war mein Wecker.
Jonas: Shit. Jonas. Was ist los?
Quartz: Jonas? Nur Jonas.
Jonas: Jonas, nur Jonas. Und Jonas, nur Jonas, hat gerade geschlafen. Es ist jetzt, Sammy.
Sam: Mit dem letzten Ton ist es genau 0 Uhr, 13 Minuten und 5 Sekunden. Piep.
Jonas: Sie hören es. Rufen Sie am Morgen wieder an, wer immer Sie sind.
Quartz: Ich bin Oleander Quartz.
Jonas: Morgen, Herr Quartz.
Quartz: Sie kennen mich nicht.
Jonas: Ich bin viel zu müde, um Sie zu kennen. Morgen.
Quartz: Ich habe einen Auftrag für Sie.
Jonas: Und wenn Sie mich mit Gold überziehen und mir den Koh-i-Noor in den Nabel setzen wollen. Morgen.
Quartz: Die Koh-i-Noor. Das wäre ein wenig zu viel des Guten. Aber eine nicht unerhebliche Summe hatte ich Ihnen in der Tat zugedacht.
Jonas: Also gut, ich bin sowieso schon fast wach. In ein paar Minuten rufe ich zurück.
Quartz: Nein, ich rufe Sie wieder an. In genau einer viertel Stunde.
Jonas: Quartz, Sammy, Oleander Quartz.
Sam: Was ist ein Name, ehrwürdiger Guru.
Jonas: Sam ist mein Computer. Er kann viel, fast alles. Sprechen auch, leider. Sam ist ein Versuchsmodell. Der intellektuelle Computer für den Intellektuellen. Ich habe ihn trotzdem gekauft. Seinerzeit 2005. Weil er billig war. McCoy-Computers haben ihn damals verramscht. Der gute Sam war kein Erfolg. Er geht den Leuten auf die Nerven, außerdem ist er nicht normal. Seine Sprachprogramme haben sich verdreht und durcheinander geschoben. Ich komm im Allgemeinen klar mit ihm, aber manchmal tut’s mir doch leid, daß ich ihn am Hals habe, bzw. in meinem Büro oder als drahtlose Extension in der Hosentasche. Vor allem, wenn er auf irgendeinem esoterischen Trip ist. Wie jetzt.
Sam: O Bhagwan, was ist ein Name.
Jonas: Ich sage nur Schrottmühle, Sammy. Laß den Quatsch und sag mir, wer Oleander Quartz ist.
Sam: Hören ist gehorchen, großmächtiger Sultan. Piep. Oleander Quartz, geboren 24. 4. 1900.
Jonas: 109 Jahre alt, Respekt.
Sam: Oleander Quartz ist Begründer und erster Direktor von Orbis International, Raumstationen und Satelliten en gros.
Jonas: Der Kringelkönig. War mich doch gleich so, als ob ich den Namen kenne.
Sam: Oleander Quartz ist mehrfacher Milliardär, er lebt äußerst zurückgezogen an unbekanntem Wohnsitz. Sein Vorbild ist der historische Industrielle Howard Hughes, Mitte des vorigen Jahrhunderts.
Jonas: Kenn ich, Sam.
Sam: Falls Exzellenz weitere Daten wünschen. Oleander Quartz ist zumindest nominell Mitglied im Club der Milliardäre und im interkontinentalen Jagdclub Halali, ferner.
Jonas: Nicht nötig, Sammy. – Jonas.
Quartz: Oleander Quartz. Ich spreche ungern mit unsichtbaren Partnern. Gehen Sie auf Bildfon.
Jonas: Ich drückte den Knopf, der den Bildfonkanal freigibt. Was Quartz jetzt sah, wußte ich. Einen unausgeschlafenen Mann in den 40ern. Kräftig und altmodisch. Ich mach mir nämlich nichts aus Körpermalerei. Um den Mann herum ein Büroapartment, Kategorie mittel-unten, 22 Quadratmeter. Nicht aufgeräumt natürlich. Auf meinem Bildschirm war nur ein Gesicht. Uralt, mehrfach geliftet und trotzdem faltig, die dünnen weißen Haare waren echt, auch wenn sie ihrem Besitzer auf höchst merkwürdige Weise zu Berge standen. Die grauen Augen wirkten weder echt noch alt. Offensichtlich Neuerwerbungen, gerade erst transplantiert.
Quartz: Sehen Sie mich?
Jonas: Ich sehe Sie, Herr Quartz, Sie sehen mich. Was soll ich für Sie tun?
Quartz: Nicht so schnell, junger Mann. Zuerst ein paar Fragen. Sie haben als Söldneroffizier am antarktischen Krieg teilgenommen?
Jonas: Auf der Verliererseite.
Quartz: Das interessiert mich nicht. Sie sind also militärisch ausgebildet?
Jonas: Ja, aber.
Quartz: Wo?
Jonas: Wollen wir nicht zur Sache kommen?
Quartz: Ich bin bei der Sache. Wo sind Sie ausgebildet worden?
Jonas: Wenn’s denn sein muß. Grundkurs hier in Babylon, und dann zwei Lehrgänge an der Universität von Managua, Kommandotechnik und Taktik der Guerilla. Sonst noch was?
Quartz: Demnach kann man Sie als Experten in allen martialischen Künsten bezeichnen.
Jonas: Wenn Sie es so ausdrücken wollen.
Quartz: Und Sie sind Detektiv. Der letzte Detektiv. So nennen Sie sich. Warum?
Jonas: Warum was?
Quartz: Warum der letzte?
Jonas: Weil`s stimmt. Natürlich gibt’s noch ein paar Leute, die sich Detektiv schimpfen, aber die sind bloß Wächter, Leibwächter, Nachtwächter, Heinzelmännchens Wachtparade. Nichts für Jonas. Ich bin der letzte wirkliche Detektiv. Wenigstens in den Vereinigten Staaten von Europa. Ganz bestimmt in Babylon.
Quartz: Was für ein Stilbruch. Jonas, vielleicht wissen Sie es, Jonas gehört nicht nach Babylon. Jonas gehört nach Ninive.
Jonas: Ha-ha. Hören Sie zu, Herr Quartz, nichts gegen einen kleinen Plausch um Mitternacht, aber vielleicht sagen Sie mir jetzt doch, was Sie von mir wollen.
Quartz: Meine Sekretärin, meine Privatsekretärin, Linda Lorant.
Jonas: Ich höre.
Quartz: Sie ist seit zwei Tagen verschwunden.
Jonas: Ach was.
Quartz: Sie hat sich nicht bei mir gemeldet, und in ihrem Apartment ist sie auch nicht.
Jonas: Die klassische Frage, Herr Quartz, warum gehen Sie nicht zur Polizei?
Quartz: Die klassische Antwort: Es handelt sich um einen besonderen Fall.
Jonas: Was Sie nicht sagen.
Quartz: Mit Linda sind Daten verschwunden. Daten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Vertrauliches Material für meine Memoiren.
Jonas: Erpressung?
Quartz: Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Auf jeden Fall will ich die Daten zurück haben. Sie, Jonas, werden sie suchen und finden, natürlich.
Jonas: Im Prinzip ja, Herr Quartz. Aber vorläufig sind Sie für mich nur ein Gesicht auf dem Bildfon.
Quartz: Rufen Sie Ihr Konto ab. Nummer 27 27 41 B, Bank von Babylon.
Jonas: Sie sind gut informiert, Herr Quartz. Sam?
Sam: Der Kontostand euer Hoheit beträgt zur Zeit genau 1240 Euros und 13 Cents.
Quartz: Vor einer halben Stunde hatten Sie nur 240 Euros, 13 Cents. Die 1000 sind von mir. Vorschuß.
Jonas: Ich kriege 80 Euros pro Tag, und Spesen.
Quartz: Ich zahle das Doppelte. Dafür erwarte ich, daß Sie unauffällig vorgehen. Und Ihr Bestes geben, versteht sich. Die Informationen, die sich brauchen, Bild, Bürgernummer, Wohnung etc, lasse ich Ihrem Computer einspielen. Ihren ersten Bericht erstatten Sie heute Abend.
Jonas: Wie kann ich Sie erreichen?
Quartz: Ich rufe Sie an.
Jonas: 1000 Euros. Nicht schlecht. Ein warmer Regen auf den heißen Stein. Aber wieso man zum Sekretärinnen-Suchen martialische Künste brauchte, war mir nicht so recht klar. Egal. Am nächsten Morgen rief ich Judith an. Judith ist meine z.B., meine zeitweilige Beziehung. Vielleicht wird mal eine D.P. daraus, eine Dauerpartnerschaft. Sie sehen, Jonas ist zurückgeblieben. Der älteste Hut: Eine Frau und ein Mann. Kein Dreieck, keine Gruppe oder so was. Judith ist nicht nur meine z.B., sie hat auch eine höhere Position im Ministerium für Statistik und Soziographie. Insofern kann ich ganz zwanglos das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
Jonas: Ich seh dir in die Augen, Kleines.
Judith: Diese verrückte Welt. Was wird noch alles passieren. Sehen wir uns heute Abend?
Jonas: Ich plane nie soweit voraus.
Jonas: Wir sind beide Nostalgiker. Unsere Zeit ist die Mitte des 20. Jahrhunderts. Eine wilde, eine aufregende Zeit. Die Zeit von Philip Marlowe und Humphrey Bogart, und von Ingrid Bergman, nicht zu vergessen. Bißchen Casablanca-Turtel muß sein. Aber dann kam ich zur Sache, und sagte Judith, was ich von ihr wollte. Ein Persönlichkeitsprofil von Linda Lorant.
Judith: Wer ist das?
Jonas: Ein Fall. Ich brauch die Daten für einen Fall.
Judith: Natürlich. Nur für einen Fall?
Jonas: Ach, das, ddas würde ich nicht sagen.
Judith: Jonas.
Jonas: Doppeltes Honorar, 1000 Euros Vorschuß, da freut sich auch Privatmensch Jonas. Judith, ich glaube, du bist eifersüchtig.
Judith: Unsinn.
Sam: Eifersucht. Antiquierter Begriff für einen antiquierten Gemütszustand. Ungebräuchlich seit der Jahrtausendwende.
Judith: Du hältst dich raus, Sam.
Sam: Obzwar ein Computer per definitionem lediglich gehalten und verpflichtet ist, den Anordnungen seines rechtmäßigen Herrn und Meisters zu folgen, siehe Gebrauchsanleitung, Seite 6 folgende, will Sam als Kavalier sich der Bitte der hohen Frau nicht verschließen und...
Jonas: Sammy, halt die Klappe.
Sam: Befehl, Klappe halten.
Judith: Falls du jetzt ein bißchen Zeit für mich hast, Jonas, hier sind die Daten: Linda Lorant, Bürgernummer...
Jonas: Ist bekannt. Wohnung auch.
Judith: 40 Jahre alt, Sekretärin, völlig alleinstehend, keine Beziehung, keine Partnerschaft. Magister Artium Kommunikationstechnik, ehemals europäische Hochschulmeisterin im Siebenkampf, schwarzer Gürtel Karate, keinerlei Interesse an Holovision und sonstigen kulturellen Aktivitäten. Hobby: Einzelwandern in Island, Zentralaustralien, Wüste Gobi. Reicht das?
Jonas: Danke Judith. Sehen wir uns?
Judith: Wenn dein Fall dir Zeit läßt, und dein geliebter Blech-Professor nichts dagegen hat. Ruf mich an.
Sam: Wie ich anzumerken bereits Gelegenheit hatte, ist Eifersucht.
Jonas: Eine Sache, die dich nicht das Geringste angehrt. Kümmere dich um unseren Fall. Reden ist Silber, denken ist Gold. Na, was ist, Sammy?
Sam: Ich denke, o unauslotbare Erhabenheit, wie es mein Herr mir befahl.
Jonas: Sehr schön, Sam. Und was denkst du?
Sam: Ich denke, o du mein ein und alles, eine tüchtige Person, diese Linda Lorant. Sportlich.
Jonas: Was du nicht sagst. Da wäre ich ohne dich nie draufgekommen.
Sam: Man könnte auch sagen: martialisch.
Jonas: Aha. Und? Was schließt du daraus?
Sam: Aufgrund unzureichender Daten sieht Sam sich zu Folgerungen vorerst nicht in der Lage.
Jonas: Also Schluß mit der Spekulation. Beinarbeit ist angezeigt. Sehen wir uns das Apartment der Dame mal von innen an.
Sam: Ein Vorschlag, o Retter der Witwen und Waisen, welcher Sams volle Zustimmung findet.
Jonas: Quartz zahlte. Deshalb konnte ich es mir leisten, fremde Beine für mich arbeiten zu lassen. Ein Rikscha-Kuli strampelte sich ab, und nach einer guten halben Stunde war ich da, im Westen. Nicht weit vom Markgrafenboulevard. Hier roch es nach Geld. Nicht nach abgegriffenen 10-Euroscheinen, sondern nach den allerbesten Aktien. Und nach Schecks mit vielen Nullen. Linda Lorant wohnte im Turm zu Babel. 40 Stockwerke, 4000 Apartments. Und der Turm war gut bewacht. Ein grimmiger Drache gleich neben der Tür in der Eingangshalle, ein zweiter weiter hinten, vor einer Konsole von Monitoren. Auf den ersten Blick war da nur mit Gewalt was zu machen. An sich kein Problem für Jonas, wenn sich Quartz nicht jedes Aufsehen verbeten hätte. Und der Auftraggeber hat grundsätzlich immer recht. Also erst mal in eine nahe Bar, um mit Sam Rat zu pflegen. Mit Sam zwo natürlich, der drahtlosen Extension in Taschenausführung.
Automatenstimme: Ihr Synth-Brandy, mein Herr oder meine Dame. Der Rechnungsbetrag wird von Ihrem Konto abgebucht. Vielen Dank.
Jonas: Wuäh.
Sam: Voll im Aroma. Herrlich im Geschmack. Synth-Brandy. Edler als Cognack.
Jonas: Du glaubst auch alles, Sammy. Zur Sache. Wie kommen wir in Linda Lorants Apartment?
Sam: Das, hochzuverehrender älterer Bruder, ist eine schwierige Frage.
Jonas: Denk dir was aus. Wer von uns beiden ist denn der Computer?
Sam: Könnten Hoheit nicht eines Apartments bedürftig sein?
Jonas: Wieso? Ach so. Gar nicht schlecht, Sammy, gar nicht schlecht. Wem gehört der Turm zu Babel?
Sam: Der TuBa. Turmbau-zu-Babel GmbH.
Jonas: Sieh dir die Angebotstafel durch. Wir brauchen ein leer stehendes Apartment im, äh, wo wohnt die Dame Lorant?
Sam: Ich achten Stockwerk, o Sonne meiner Seele. Apartment 813.
Jonas: Also möglichst im 8. Stock. Oder in der Nähe.
Sam: 713 ist zu haben, Chef.
Jonas: Direkt darunter. Besser geht’s doch nicht. Telefon!
Automatenstimme: Bitte sehr, mein Herr oder meine Dame. Wünschen Sie auch Bildfon?
Jonas: Nicht nötig.
Automatenstimme: Schieben Sie die rechte Hälfte ihrer Kontokarte in den Schlitz vorn am Gerät. Der Betrag wird abgebucht. Danke sehr.
Jonas: Über Telefon verkündete ich dem Oberwächter im Turm, ich sei die TuBa und würde in Kürze einen Interessenten für Apartment 713 rüberschicken. Einen gewissen Herrn Jonas.
Jonas: So, damit sind wir erst mal drin.
Sam: Und dann, wenn Hoheit die Frage gestatten?
Jonas: Wird sich ergeben, Sammy. Ein schlauer Mensch hat mal gesagt, man soll den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun.
Sam: Es steht aber auch geschrieben, Sahib, der kluge Mann baut vor.
Jonas: Frisch gewagt ist halb gewonnen.
Sam: Erst wägen, dann wagen.
Jonas: Er muß eben immer das letzte Wort haben, der gute Sam. Im Turm lief alles wie am Schnürchen. Der mietlustige Herr Jonas wurde von einem der Drachen in den 7. Stock gefahren, und sah sich das freie Apartment an.
Jonas: Ja, recht hübsch.
1. Wächter: 40 Quadratmeter. Berechtigungsschein für diese Wohnraumklasse haben Sie doch, oder?
Jonas: Mein bester, was für `ne Frage. Selbstverständlich besitze ich den Wohnberechtigungsschein. Tja, recht hübsch, wie gesagt. Äh, lassen Sie mich ein paar Minuten allein, ja? Ich, ich muß die Atmosphäre auf mich wirken lassen. Aura. Vibration. Wenn Sie verstehen, was ich meine.
1. Wächter: Das ist eigentlich nicht gestattet.
Jonas: Und uneigentlich? 10 Euros?
1. Wächter: Alles klar. Und melden Sie sich über Hausfon, wenn Sie fertig sind, ja?
Jonas: Ich gab ihm drei Minuten, und machte mich dann auf in den Keller. Über die Treppe. Todsicher. Im Turm zu Babel sind Treppen nur Kunst am Bau. Im Keller stand, wie ich erwartet hatte, das Herzstück der elektronischen Überwachungsanlage. Ein massiver Steuercomputer.
Sam: Hä hä hä hä. Uraltes Modell. Mit so was spricht unser einer überhaupt nicht.
Jonas: Wird dir gar nichts anderes übrig bleiben, Sammy. Wie willst du den alten Kasten außer Gefecht setzen, ohne Interface. Und außer Gefecht setzen müssen wir ihn.
Sam: Ohne jeden Zweifel, Herr Kapellmeister. Ein schwieriges Unterfangen. Was die Sicherung der Fenster betrifft, muß ich mich als gänzlich machtlos bekennen.
Jonas: Machtlos? Wie das, o du mein elektronischer Alleskönner?
Sam: Es handelt sich, o du vor allen Computern preiswürdiger Menschenverstand, um ein elektrisch-mechanisches System. Eine echte Antiquität aus dem mittleren 20. Jahrhundert.
Jonas: Und da kannst du gar nichts machen, Sam?
Sam: Kein Stück, Boss. Andererseits die TV-Kameras an den Eingangstüren der bewohnten Apartments ließen sich mit Leichtigkeit ausschalten.
Jonas: Ah, du willst der Kamera vor Apartment 813 ein Standbild einspielen, nehme ich an.
Sam: Ausgezeichnet, hochwertiger Chef, aber nicht ganz korrekt. Ich beabsichtige, das nunmehr gezeigte Bild, auf welchem die geschlossene Tür, und nur die geschlossene Tür zu sehen ist, für eine gewisse Zeit festzuhalten. Eine halbe Stunde. Wäre dies dem Herrn genehm?
Jonas: Die Treppen rauf, im Geschwindschritt, ganz schön anstrengend die Detektiverei, Türschloß knacken, Kleinigkeit, umsehen. 813 war ein ganz normales 40-Quadratmeter-Apartment. Ordentlich, aufgeräumt. Ein Zimmer, Bad, Kochkonsole, Echtholzmöbel, Servicetextgerät, Bildfon, Holoset.
Jonas: Moment mal, Holoset. Da war doch was.
Sam: Laut Persönlichkeitsprofil, beigesteuert von meines großen Meisters menschlicher Gefährtin, pflegt die Bewohnerin dieses Apartments sich den Wonnen der Holovision nicht hinzugeben.
Jonas: Wenn ich den Set anstelle, passiert gar nichts. Und das heißt.
Sam: Der Apparat ist eine Attrappe, o scharfsinnigster aller Detektive.
Jonas: Du merkst auch alles, Sam. Machen wir das Ding mal auf. Was hat ein kluger Detektiv stets bei sich? Nachschlüssel. Paßt nicht. Brecheisen.
Sam: Und seinen Computer. Dürfte dieser, eurer illustren Durchlaucht empfehlen, auf den kleinen roten Hebel rechts unten zu drücken. Auf diesen da, ganz recht.
Jonas: Sieh mal an, ein Tresor. Wertpapiere. Schmuck.
Sam: Interessant, o allerwertester, jedoch kaum das, was wir suchen.
Jonas: Und was suchen wir, Sam?
Sam: Eminenz belieben zu scherzen. Das Herrn Quartz entwendete Material natürlich. Das heißt konkret: Disketten. Kassetten.
Jonas: Sam, hier ist `ne Kassette. Kommando zurück, ist ne leere Hülle.
Sam: Welche aller Wahrscheinlichkeit nach das fragliche Datenmaterial enthalten hat. Linda Lorant hat es mitgenommen, als sie das Apartment verließ.
Jonas: Letzteres offenbar freiwillig. Kein Anzeichen von Gewaltanwendung. Frage: Wohin ist Linda Lorant gegangen?
Sam: Wie ihr Persönlichkeitsprofil zeigt, besitzt sie kein Fahrzeug.
Jonas: Natürlich nicht. Sie ist zwar in der 40-Quadratmeterklasse, aber keine Millionärin.
Sam: Sofern sie nicht zu Fuß ging, muß sie also ein Transportmittel benutzt haben.
Jonas: Eine Rikscha, nehm ich an. Und wie bestellt man eine Rikscha?
Sam: Über Servicetext, o Beherrscher der Gläubigen.
Jonas: Worauf wartest du, Sammy?
Sam: Einschaltung in Speicher von hier befindlichem Servicetextgerät ergibt: Besitzerin hat 3. Juni 2009.
Jonas: Vor zwei Tagen.
Sam: 7 Uhr 30 Rikscha bestellt, Fahrziel: Orbidrom. Abbuchung 11 Euros.
Jonas: Aha. Weißt du, was wir jetzt machen, Sammy?
Sam: Klar, Boß.
Jonas: Was ist das?
Sam: Es klingelt an der Tür, o Gesetzgeber des Weltalls.
Jonas: Weiß ich selbst, ich meine, wer?
Sam: Ein guter Rat, Meister, zur Tür schleichen, horchen.
1. Wächter: Niemand da, gnädige Frau.
Nachbarin: Reden Sie keinen Blech. Ich hab deutlich Geräusche gehört. Und Schritte.
1. Wächter: Wenn Sie das sagen, gnädige Frau. Aufmachen!
Jonas: Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ein Wächter, und eine hellhörige Nachbarin. Andererseits, unter höheren, dramaturgischen Gesichtspunkten, war es ja auch mal wieder Zeit für ein bißchen Aktion.
Jonas: Sammy, wir müssen was tun.
Sam: Meine Rede, Chef.
Jonas: Die holen hier nicht die Polizei, Sammy, die nicht. Die nehmen mich selber in die Mangel. Und bei so was kann der Mensch leicht aus dem Fenster fallen, und das im 8. Stock.
Nachbarin: Schließen Sie auf, Mann, Sie haben doch einen Hauptschlüssel.
1. Wächter: Ja schon, aber ich weiß nicht.
Sam: Wo befinden wir uns, o Leuchter der Wissenschaft?
Jonas: Du stellst Fragen, Turm zu Babel, Apartment 813 natürlich.
Sam: Falsch. Wir befinden uns im Apartment 713. Offiziell. Ein kurzer Rutsch.
Jonas: Rutsch?
Sam: Durch den Müllschlucker. Und Hochwürden halten sich dort auf, wo sie sich befinden. Gebe allerdings untertänigst zu bedenken, daß eine gewisse Beschleunigung, mach hin, Mensch, da, neben der Kochkonsole, Klappe auf.
Jonas: Ein Glück, daß ich nicht Derowolt bin.
Sam: Schi heil.
Jonas: Leicht verschmutzt und ungewöhnlich duftend krabbelte ich ein Stock tiefer aus der Röhre. Keine Sekunde zu früh. Der Drache, der das Apartment oben leer vorgefunden hatte, tauchte plötzlich in 713 auf, und wich mir bis ins Foyer nicht mehr von der Seite. O Mißtrauen, wie sehr vergiftest du Frohsinn und Geselligkeit. Goethe. Oder vielleicht doch nur der Parkwächter unter der Hauptwache?
Jonas: Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich mich entschieden habe.
1. Wächter: Tun Sie das.
2. Wächter: Was war denn los in 813?
1. Wächter: Ach nix. Die Alte spinnt.
2. Wächter: So was kommt vor. Sag mal, du warst doch drin?
1. Wächter: In 813? Klar.
2. Wächter: Wirklich?
1. Wächter: Ja doch.
2. Wächter: Komisch. Du warst nicht auf dem Monitor.
1. Wächter: Ich war nicht auf dem Monitor? Was war denn auf dem Monitor?
2. Wächter: Nichts. Die Tür zu 813, und die Tür war zu die ganze Zeit.
1. Wächter: Da muß einer an der Elektronik rumgefummelt haben.
2. Wächter: War jemand im Haus? Sie da! Hallo!
Jonas: Jetzt wurde es ungemütlich. Ich legte einen Zahn zu, machte einen großen Schritt durch die Tür auf die Straße. Und da hatte ich es noch eiliger.
2. Wächter: Halt! Bleiben Sie stehen!
Jonas: In der martialischen Kunst des geordneten taktischen Rückzugs ist Jonas kaum zu schlagen. Ein paar geschickte Ausweichmanöver um zwei oder drei Ecken, und ich war in Sicherheit. Nächste Station: natürlich das Orbidrom. Der Raketenport von Babylon. Außerhalb der Stadt. Über einen öffentlichen Terminal ließ ich mir von Sam eins Linda Lorants Bild überspielen. Und damit hätte ich, nach dem kleinen Handbuch für Privatdetektive, alle Schalter abklappern sollen. Aber ich hatte so eine Idee, und ging gleich zur Abfertigung von OI, von Orbis International.
Schalterbeamter: O ja, die war hier. Ich erinnere mich.
Jonas: Gutes Gedächtnis haben Sie.
Schalterbeamter: Unmöglich angezogen die Frau. Zugeschnürt bis zum Hals. Und alles in Magenta, ich bitte Sie, trägt doch kein Mensch heutzutage.
Jonas: Und was trug der Mensch heutzutage? Ein Stückchen Leoparden-Fell, Kunststoff natürlich. Große gelbe Kreise auf allen vier Backen, und das blaue Stirnband von Orbis. Der junge Mann am Schalter sah aus wie ein leicht psychedelischer Jonny Weismüller.
Jonas: Wann war das?
Schalterbeamter: Vorgestern. Kurz vor 9. Ich war gerade zum Dienst gekommen.
Jonas: Was hat sie gebucht?
Schalterbeamter: Sie hat überhaupt nicht gebucht. Sie ist gleich durchgegangen zum privaten Sektor. Die Tür hier. Moment. Haben Sie einen Paß?
Jonas: Den könnte ich jederzeit kriegen.
Schalterbeamter: Dann kriegen Sie ihn. Ohne Paß kommen Sie nicht durch.
Jonas: Ich hätte mir einen Paß besorgen können, über Quartz, aber die Sache war auch anders zu klären. Einfacher und vor allem schneller. Wozu hatte ich Sam? Der schaltete sich kurz in die Flugpläne ein, und was dabei rauskam, war dies: In der fraglichen Zeit war nur eine einzige Rakete vom Privatsektor gestartet. 9 Uhr 18. Flugziel: Torus OI 96. Das war’s. Mehr konnte ich vorläufig nicht tun. Ich fuhr zurück nach Hause. Wenn man ein mickriges Büroapartment von 22 Quadratmeter zuhause nennen kann. Am Abend, wie versprochen, meldete sich Quartz über Bildfon.
Quartz: Torus OI 96. So. Eine von meinen Raumstationen. Ich meine, eine Station von Orbis International. Früher Vergnügungsbetrieb. Zoo. Rummel.
Jonas: Und heute?
Quartz: Stillgelegt. Für die Öffentlichkeit gesperrt. Technisch überholt. Wir benutzen den Torus als Speicher und für ein paar unwichtige Büros.
Jonas: Was hat Linda Lorant auf ihrer abgelegten Raumstation zu suchen?
Quartz: Das werden Sie feststellen. Offensichtlich eine Intrige innerhalb der Firma. Jemand will mich ausschalten. Das hat man schon oft versucht, aber nie erreicht. Sie, Jonas, fahren nach oben und sehen für mich nach dem rechten.
Jonas: Warum nicht. Wenn Sie den gesetzlichen Exterra-Zuschlag drauflegen. 50 %.
Quartz: Ich sorge dafür, daß man Sie im Orbidrom passieren läßt, und daß eine Kurzstreckenrakete für Sie bereitgehalten wird. Viel Erfolg und Waidmanns Heil.
Jonas: Waidmanns Dank. Bevor ich wieder zum Orbidrom rausfuhr, tauschte ich Sam zwo noch fix ein gegen ein spezial Exterra-Funkgerät im Kleinformat. Was wäre Jonas auch im Weltraum ohne seinen Freund und Helfer. Wie üblich verabredete ich mit Sam Notsignale und Random-Frequenzwechsel. Merksatz Nummer 1 für Detektive und solche, die es werden wollen: Man kann nie wissen.
Pilotin: 10,9,8,7,6,5,4,3,2,1, zero.
Jonas: Eine Spritztour. Torus OI 96 war nur rund 4000 km hoch. Erst zu viel Schwerkraft, dann zu wenig. Kenn ich. War oft genug draußen. Keine schlechte Pilotin, die Quartz bzw. Orbis mir zugeteilt hatte. Unser Landekontakt war so sanft wie Judiths Lächeln. Dann die übliche Warterei. Bis das Vakuum in der Landezone durch Atmosphäre ersetzt war.
Jonas: Haben Sie vorgestern eine Frau hier her geflogen. 40. Nicht gerade modisch angezogen?
Pilotin: Ja.
Jonas: Haben Sie sie auch wieder abgeholt?
Pilotin: Nein, keine Anweisung.
Jonas: Anweisung? Von wem?
Pilotin: Tragen Sie eine Feuerwaffe? Laserstrahler? Ballistische Pistole?
Jonas: Letzteres. Eine Smith & Wesson Detective Special.
Pilotin: Abliefern.
Jonas: Mein Gott, ist doch keine Waffe, eher eine Antiquität. Ein Maskottchen.
Pilotin: Eiserne Regel. Die Toruswände könnten beschädigt werden. Sie wollen sich doch wohl nicht selbst vakuumisieren. Abliefern. Danke. Sie können aussteigen.
Jonas: Durch die Landeklappe stieg ich in die Luftschleuse des Torus. Da fühle ich mich, ehrlich gesagt, immer ein bißchen unsicher. Das unendliche Vakuum des Weltalls ist ungeheuer nah, und wer weiß schon, wie gut die Ventile schließen. Deshalb beeilte ich mich, durch die zweite Klappe zu kommen. Ich war in einem großen runden Raum. Unten, in der Nabe des Torus. Sie wissen doch, wie eine Raumstation in Torusform aussieht. Richtig. Wie ein Rad. An einer Rikscha zum Beispiel. Ein Rad mit einem Schlauch außen rundherum. Mit einer Nabe in der Mitte und mit vier Speichen zwischen Nabe und Schlauch. Die ganze Geschichte hatte einen Durchmesser von gut 3 km, und drehte sich zweimal pro Minute um sich selbst. Dadurch herrschte im Schlauch fast die gleiche Schwerkraft wie auf der Erde, und in der Nabe, na? Natürlich Schwerelosigkeit. Soviel zur Verdeutlichung. Zurück zu Jonas. Unten in der Nabe von Torus OI 96. Frisch gelandet und begierig, Sam zu kontakten.
Sam: Haben eure Großmächtigkeit eine angenehme Reise gehabt? Unbehelligt von der bösen Raumkrankheit? Und wie kommen Ehrwürden mit der Schwerelosigkeit zurecht?
Jonas: Danke der Nachfrage, Sammy, ganz ausgezeichnet. Hoppla. Himmel All und saurer Regen. Das verflixte Funkgerät hat sich selbständig gemacht. So. Also, Sam, ich such mir jetzt ne Speiche, und geh vor zum Schlauch. Da wird sie stecken, diese Linda Lorant.
Sam: Wo sonst, o leuchtendes Muster an Tiefsinn.
Jonas: Du gehst jetzt über auf 1. Notfrequenz, Sam.
Sam: Mein Meister befürchtet Gefahren?
Jonas: Durchaus möglich, aber ich werde schon durchkommen. Mit meinen martialischen Künsten.
Sam: Martialische Künste. Wenn Sam doch nur aufgehen würde, welch geheimnisvolle Rolle sie in vorliegendem Fall spielen.
Jonas: Wird sich zeigen, Sammy, wird sich zeigen. Auf geht’s.
Sam: Over and out.
Jonas: Ich schwebte durch die Torusnabe, nach oben oder unten, ganz wie Sie wollen, bis zur Mitte, und da gingen die vier Speichen ab. Frage: Welche war die richtige. Antwort: Die mit dem Schild zu den Büros. Da schwebte ich rein. Von jetzt an ging’s vertikal weiter. Allmählich nahm die Schwerkraft zu. Ich ließ das Schweben sein, verlegte mich aufs Springen, dann aufs Laufen, kam ans Ende zu einer Tür, machte sie auf, trat durch, machte sie hinter mir zu. Und stand da wie angewurzelt. Klimperte mit den Augen und kniff mich in den Arm. Das waren doch keine Büros.
Jonas: Ich glaub, ich steh im Wald.
Jonas: Erster Reflex, zurück zur Tür, aber die war zu, und ging nicht mehr auf. Ob ich wollte oder nicht, ich war und blieb im Wald. Was heißt Wald. Ich stand im Dschungel. Wenigstens mit einem Bein, dem rechten. Links war Steppe. Rechts wucherte ein tropischer Regenwald. Lianen, Palmen und was sonst noch dazu gehört. Erstaunlich, was man in einem Schlauch von nicht mehr als 30 Meter Durchmesser so hinkriegen kann. Durch große Fenster und Sonnenreflektoren. Ein Treibhaus, ein Tropenparadies, mit Jonas als Adam. Von Eva war leider nichts zu sehen, und von der Schlange auch nicht. Noch nicht. Statt dessen meldete sich eine andere wichtige Persönlichkeit.
Quartz: Willkommen auf Safari, Jonas.
Jonas: Wer ist das?
Quartz: Hier spricht Gott.
Jonas: Kann ich mir nicht vorstellen.
Quartz: Erkennen Sie meine Stimme?
Jonas: Ich glaub, mein Computer piept. Quartz.
Quartz: Gutes Ohr, Jonas. Wenn der Rest auch so präzis funktioniert. Ich bin übrigens tatsächlich Gott. Der Gott dieses Torus, dieser meiner Welt. Ich habe ihr den Namen gegeben, Safari. Schon früher, als sie noch exterristiale Belustigungsstation war. Eine glorifizierte Schießbude für brave Bürger, die Nimrods spielen und wilde Tiere schießen wollten. Ohne Risiko. Sie wußten, die Bestien waren nur Robots. Täuschend ähnliche Repliken, aber ganz und gar ungefährlich. Das ist jetzt anders. Ich habe gewisse Umprogrammierungen vornehmen lassen. Diese Wesen, mein lieber Jonas, sind nun mindestens so gefährlich wie ihre ausgestorbenen Vorbilder. Ich bin gespannt, wie Sie sich gegen sie halten werden.
Jonas: Ich? Danke bestens, kein Interesse. Deshalb bin ich nicht hier. Haben Sie’s vergessen? Ihre Sekretärin?
Quartz: Hahahahaha.
Jonas: Und da, bißchen spät, muß ich zugeben, ging mir ein Licht auf. Ein ganzer Kronleuchter. Und die Schuppen fielen mir wie ein Wasserfall von den Augen.
Quartz: Ach, Sie sind endlich dahinter gekommen. Der Auftrag war eine Finte. Ich habe Spuren ausgelegt, um Sie, Jonas, nach Safari zu bringen. Und da sind Sie nun.
Jonas: Nicht zu bestreiten. Linda Lorant gibt es also nicht.
Quartz: O doch. Nur die Geheimdaten sind nicht existent. Die Lorant habe ich hierher gelockt, wie Sie. Sie hat mir ein paar Stunden guten Sport verschafft. Tüchtige Frau. Sie, Jonas, werden es hoffentlich noch besser machen.
Jonas: Was haben Sie mit mir vor?
Quartz: Ich jage, Jonas. Ich habe auf der Erde gejagt, solange es dort noch jagdbares Wild gab. Dann hier, die Robots. Aber das geht nicht mehr. Ich bin immobil. Eine Sammlung von Transplanten. Die Medizin hat Grenzen, selbst für Milliardäre. Heute jage ich indirekt. Ich habe Safari überholt und ausgebaut. Überall Mikrophon, Lautsprecher, Kameras. An meiner Konsole, vor meinen Monitoren, bin ich dabei. Jede Sekunde auf jedem Meter. Wenn meine Robokiller ihre Opfer durch den Dschungel hetzen.
Jonas: Menschenjagd?
Quartz: Der Mensch ist das edelste Wild. Das gefährlichste. Beiläufig auch das einzig noch existierende Wild.
Jonas: Ich mißgönne ja keinem sei Hobby. Aber warum wollen Sie ausgerechnet mich jagen: Haben Sie was gegen mich?
Quartz: Ja, das auch. Ich hege Groll gegen Sie.
Jonas: Wie haben noch nie was miteinander zu tun gehabt.
Quartz: Sagen Sie das nicht. Ich bin Sponsor, bedeutender Sponsor von ZIP, dem Zentralinstitut für Populationsforschung.
Jonas: Der Testmarktfall vor 3 Monaten.
Quartz: Ganz recht. Aus überholten moralischen Motiven haben Sie, Jonas, ein hochinteressantes Programm gestoppt. Ein Programm, das gewisse Aussichten hatte, der Überbevölkerung Einhalt zu gebieten. Mein eigentlicher Grund ist jedoch ein anderer. Sie sind ein würdiges Jagdwild, Jonas.
Jonas: Ich verstehe. Die martialischen Künste.
Quartz: In der Tat. Sie zu jagen, wird es, da bin ich sicher, ein sportlicher Hoch-Genuß sein. Und eine Ehre. Für mich und für Sie.
Jonas: Danke. Auf die Ehre würde ich gerne verzichten. Wie soll ich mich gegen ihre Killer wehren? Mit bloßen Händen?
Quartz: Ich bitte Sie, das wäre nicht waidmännisch. Ihre Ausrüstung finden Sie hinter der Palme rechts von Ihnen. Da, dort.
Jonas: Pfeile und Bogen, Speere. Ein Messer. Das ist alles?
Quartz: Reicht es Ihnen nicht?
Jonas: Nehmen wir einmal an, ich werde mit ihren Robokillern fertig. Was passiert dann?
Quartz: Dann werde ich höher programmierte Jäger auf Sie ansetzen.
Jonas: Ich habe also keine Chance.
Quartz: Genug geredet. Jetzt werde ich sehen, wie sich Jonas, der Detektiv, Jonas, der Jäger, als Gejagter hält. Halali, die Jagd beginnt.
Jonas: Ein Löwe kam näher. Ich versteckte mich, und rief Sam über Funk. Aber das habe ich ja schon erzählt. Die Riesenschlange, die sich dann unangenehm bemerkbar machte, wollte ich kunstgerecht tranchieren, aber das Messer ging glatt durch. Das Vieh war überhaupt nicht vorhanden.
Quartz: Ein Hologramm, Jonas. Ein Hologramm, wie auch andere meiner Tiere. Aber nicht alle. Einige sind höchst real. Sie werden es feststellen. Sofern Sie noch dazu kommen, wenn ein Robokiller Sie in den Klauen hat.
Jonas: Also nahm ich jedes einzelne Biest ernst. Notgedrungen. Es war ein richtiges Gedrängel. Löwen, Tiger, Leoparden, Schlagen, Skorpione, was weiß ich noch alles. Zwischendurch informierte ich Sam über die Lage, so gut es ging. Und der zerbrach sich für mich den Kopf, den er nicht hatte. Zwei Stunden später war ich müde. Die Pfeile gingen zur Neige, die Speere desgleichen. Aber Jonas lebte noch, und die Robokiller waren funktionsunfähig. Das alles stimmte Herrn Quartz nicht eben froh.
Quartz: Gratuliere. Sie haben sich gut gehalten. Besser als erwartet. Vermutlich lassen Sie sich über Funk von Ihrem Computer beraten. Interessanter Random-Frequenzwechsel. Leider habe ich nicht die Zeit, ihn aufzuschlüsseln.
Jonas: Sie sind eben zu sehr mit Ihren Spielzeugen beschäftigt.
Quartz: Beschleunigen wir die Sache. Es ist Zeit, die Wilden zu aktivieren. So nenne ich meine Robokiller in menschlicher Gestalt. Mit einem wesentlich höher programmierten Reflex und Aggressionsverhalten. Dagegen wird auch ihr Computer machtlos sein. Sie waren gut, Jonas, aber einmal muß ein Ende gemacht werden. Vorher gebe ich Ihnen eine Pause von, sagen wir, einer halben Stunde. Ich bin kein Unmensch.
Jonas: Das sah ich anders. Aber danach fragte er mich nicht. Pause also. Ich ließ mich fallen, wo ich gerade stand. In der Steppe. Am Fuß eines Kilimandscharo im Miniformat. Das war eine Anhäufung von Erde am Rand des Schlauchs. Weiter geführt durch einen gemalten Schneegipfel. Ganz hübsch. Allerdings hatte ich kaum Augen dafür. Ich fühlte mich so einsam wie Jonas im Walfischbauch. Nur daß ich das Gefressenwerden noch vor mir hatte. Wie sollte ich hier rauskommen? Vielleicht hatte Sam eine Idee.
Sam: Es gibt nur eine einzige Möglichkeit. Mein Herr und Meister muß versuchen, an Quartz selbst heranzukommen und ihn auszuschalten.
Jonas: Dazu müßte ich erst mal wissen, wo er steckt.
Sam: Natürlich im Torus, o Rächer der Enterbten.
Jonas: Klar, aber wo im Torus?
Sam: Nicht im Schlauch.
Jonas: Da hätte ich ihn schon gefunden. Moment mal Sammy. Quartzens Kopf im Bildfon. Diese komisch gesträubten Haare. Schwerelosigkeit.
Sam: Herr Quartz befindet sich in der Nabe des Torus.
Jonas: Und zwar oben. Unten ist die Landezone.
Sam: Ein vielfältig erneuerter Mensch wie Herr Quartz fühlt sich zweifellos wohl im schwerelosen Zustand. Herz und Kreislauf werden weniger belastet...
Jonas: Hör mal, für medizinische Vorlesungen haben wir jetzt keine Zeit. Sag mir lieber, wie ich den Kerl zu fassen kriege. Durch die Speichen?
Sam: Vorsicht, Volksgenosse, Feind hört mit.
Jonas: Keine Angst, Sam, ich sitz auf dem Mikro. Also, Speichen gehen nicht, die Türen sind fest zu und werden bestimmt elektronisch überwacht.
Sam: Die Erfahrung lehrt uns, o überirdischer Bodhisattva, es gibt immer und überall eine Hintertür. Bei Dysfunktion des Schaltzentrums, um notwendige Außenreparatu-ren durchzuführen muß es möglich sein, den Schlauch des Torus auf direktem Wege zu verlassen. An irgendeiner Stelle der Außenwand befindet sich ein Notausgang.
Jonas: Wo, Sam, wo?
Sam: Ohne Frage ist er versteckt. Vermutlich in einer Erdaufschüttung.
Jonas: An der Außenwand gibt’s nur eine Erdaufschüttung. Hier, wo ich sitze. Den Kilimandscharo.
Jonas: Und am Kilimandscharo sollte sie sein, die Hintertür. Sam rechnete sie aus. Über Größe, Drehmoment, dieses und jenes. Und Sam hat sich noch nie verrechnet. Ich wollte gleich los, aber.
Sam: Stop. Möge der hochwürdige Vater Abt bedenken, daß Quartz die Möglichkeit hat, ihn zu beobachten. Wieviel Kameras sind in Sichtweite?
Jonas: Da, und da, und da ist auch noch eine. Drei.
Sam: Drei. Und über wie viele Pfeile verfügt mein Meister?
Jonas: Ein, zwei, leider nur drei, Sammy.
Sam: Drei Pfeile, drei Kameras, ausgezeichnet.
Jonas: Das sagst du so leicht dahin. Was ist, wenn ich daneben schieße?
Sam: Dann, alter Freund, bist du eine Leiche.
Jonas: Naja. Von der Seite her gesehen.
Jonas: Ich zielte wie ein Weltmeister, und setzte die drei Kameras, die meine Sektion überwachten, mit drei Schüssen außer Gefecht. Auch diesmal hatte Sam sich nicht verrechnet. Ich fand den Notausgang genau da, wo er sein sollte. An der Bergwand, unter einem Busch. Innen ging links eine zweite Tür ab, zur Luftschleuse. Rechts hingen Raumanzüge und diverses Werkzeug. Ich lieh mir einen Lasercutter und eine Rückstoßpistole aus, stieg schneller als je zuvor in einen Raumanzug, machte das Funkgerät im Helm fest, dann 5 Minuten Luftschleuse, und ich war draußen. Erste Weltraumaktivität von Jonas: Ich befestigte die riesenlange Nylonleine des Anzugs an einem Außenhaken. Schließlich wollte ich nicht von nun an bis in Ewigkeit als neue Raumstation die Erde umkreisen. So. Was nun?
Sam: Gestatten Majestät einen guten Rat.
Jonas: Wozu hab ich dich denn, Sammy. Schieß los.
Sam: Zuförderst sollten dero Großmächtigkeit darauf achten, stets außer Sicht des Herrn Quartz zu bleiben, welcher sich wie bekannt im oberen Teil der Torusnabe befindet.
Jonas: Und so langsam mißtrauisch werden dürfte.
Sam: Hoheit täten gut daran, sich von der Nabe her betrachtet, hinter der Schlauchwand zu halten, sich mittels der Rückstoßpistole zur nächstgelegenen Speiche vorzuarbeiten, und dann über der Speiche bis in die Mitte zur Nabe.
Jonas: OK, Sammy, es geht los. Heil, Safari.
Sam: Oder auch Waidmanns Heil.
Jonas: An der Nabe pirschte ich mich mit Halali nach oben. Selber jagen macht viel mehr Spaß als gejagt werden. Die Nabe war oben abgeschlossen durch eine Halbkugel mit umlaufendem Fenster. Ich zog mich hoch, vorsichtig, ganz vorsichtig, und linste nach innen. Ja, das war der Kontrollraum. Und da.
Jonas: Da ist Quartz.
Sam: Wo hätte er sich wohl auch sonst befinden sollen, o größter Schnüffler aller Zeiten?
Jonas: Da hockt er, wie, wie...
Sam: Wie die Spinne im Netz.
Jonas: Eher wie ein Ochsenfrosch im Teich. Um ihn herum seine Jagdausrüstung. Monitore. Hebel. Schalter. Schläuche. Drähte.
Sam: Was tut er?
Jonas: Er ist nervös. Er drückt auf irgendwelche Knöpfe.
Sam: Er ahnt, was ihm bevorsteht, euer Lordschaft.
Jonas: Und gleich wird er es ganz genau wissen. Operation Safari letzter Teil. Aktion.
Sam: Es geht ein rechter Lasercutter durch Metall als wie durch Batter. Butter.
Jonas: O Sam.
Jonas: Als er das Zischen an der Wand hörte, da war Quartz klar, was sich abspielte. Aber jetzt war es zu spät. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf den Laserstrahl und auf das immer größer werdende Loch in der Wand. Die Atmosphäre verschwand zischend in den Raum, Vakuum breitete sich aus, Quartz schwoll an, wurde immer unförmiger, Blut spritze aus seinen Poren, sein Kopf war ein gigantischer roter Luftballon, und dann, dann platzte er, und was an ihm Blut, Fett, Muskelfleisch war, explodierte in den Kontrollraum und an mir vorbei in den kalten Kosmos. Ein Stahlgerüst, diverse Einbauteile, und ein paar Knochen, das war alles, was übrig blieb vom großen Gott der Safaristation.
Jonas: Wie sagt man am Ende der Jagd, Sam?
Sam: Jagd vorbei, Halali, o Wonne des Weltalls.
Jonas: Genau. Also Jagd vorbei. Und von mir aus auch Halali.
Sam: Was ist das Leben des Menschen?
Jonas: Berechtigte Frage, Sammy.
Sam: Nichts anderes denn ein Traum, ein Schatten, ein Tropfen Tau, der in der Sonne vergeht.
Jonas: Die Rakete lag noch am Landeplatz. Ich ließ mich zur Erde zurückbringen. Unten erstattete ich gleich Anzeige, aber das hätte ich mir sparen können. Orbis International, das zeigte sich später, war mächtig genug, die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren. Vom Apartment aus rief ich Judith an. Ich hatte so ne Idee, daß sie mir beim Lecken meiner Wunden helfen könnte. Judith war nicht da. Mir blieb nur Sam. Nichts gegen Sam, aber Judith ist er nicht.
Sam: Ökonomisch betrachtet, o vielvermögender Hauptabteilungsleiter, empfiehlt es sich für einen Detektiv nicht, seinen Auftraggeber zu vakuumisieren.
Jonas: Ein wahres Wort, Sam. Was habe ich von der Sache gehabt? Ein Ausflug im Raum, ein paar Stunden Angst und Hetze, Kratzer und Schrammen, ein schauderhaftes Bild, das ich nicht so schnell vergessen werde.
Sam: Und 1000 Euros.
Jonas: Was?
Sam: Der Kontostand meines Herrn beträgt zur Stunde 1162 Euros, 9 Cents. Herr Quartz hatte Vorschuß gezahlt.
Jonas: Richtig, hatte er. Ganz vergessen. Wie schön. Das Leben sah gleich besser aus. Immer noch grau, zugegeben, nicht rosig, aber doch mit einem kleinen Goldrand am Horizont.
Jonas: Immerhin.
Sam: Halleluja, Harekrischna. Amen.
Jonas: Du sagst es, Sammy.
Das war Safari. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus. Sein Supercomputer Sam war Joachim Wichmann. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Wolfgang Büttner, und viele andere (Christoph Lindert, Detlef Kügow, Hans Stetter, Ute Mora, Michael Lenz, Irmhild Wagner). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Heiner Schmidt. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1984). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.
Hörspielfan
16. Juli 2025
Der letzte Detektiv
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Testmarkt
Jonas: Sie war ein paar Jahre jünger als ich. Um die 35. Dunkles Haar, dunkle Augen, eine wohlgefällige Figur. In einem von diesen weißen Overalls, die nach gar nichts aussehen, und mehr kosten, als ein Detektiv im Monat verdient. In der 40-Quadratmeterklasse, schätzte ich. Auf dem Klientenstuhl in meinem Büro plus Apartment, 22 Quadratmeter und ein paar Zerquetschte, wirkte sie... wie ein aufgeblühter Kirschzweig in einer alten Bierflasche. Ich bin sentimental. Ich mag Kirschblüten.
Judith: Mein Name ist Delgado. Judith Delgado.
Jonas: Judith. Das gefällt mir. Ein Mensch, dessen Name mit J anfängt, kann nicht ganz schlecht sein.
Jonas: Ich heiße Jonas. Nur Jonas. Wie der Typ mit dem Walfisch in der Bibel. Viele Leute wundern sich darüber, daß ich nur einen Namen habe. Ich weiß nicht, warum. Ich meine, besser ein guter Name als drei miese.
Judith: Ich kann es nicht glauben. Onkel Adrian hätte so was nie gemacht.
Jonas: Was?
Judith: Selbstmord. Ich versteh das nicht.
Jonas: Sagen Sie alle.
Judith: Bitte?
Jonas: Sagen Sie alle, wenn der liebwerte Anverwandte endlich freiwillig die Kurve kratzt, weil sich kein Aas um ihn gekümmert hat.
Judith: Ihr Ton gefällt mir nicht.
Jonas: Sam?
Sam: 243, o Herr und Meister.
Judith: 243?
Jonas: Sam führt `ne Liste. Von Leuten, die mir sagen, ihr Ton gefällt mir nicht. Sie sind Nummer 243.
Judith: Ich habe mich um Onkel Adrian gekümmert. Und ich bin ganz sicher, er hat sich nicht umgebracht.
Jonas: Das sagen Sie. Und was steht auf dem Totenschein? Name?
Judith: Judith Delgado.
Jonas: Nicht Ihrer. Onkel Adrian. Name, Nummer, Adresse und so weiter.
Judith: Adrian Delgado. Südstadt, 33. Straße, Nummer 170, Aufgang G, Apartment 93. Bürgernummer 15 B 27 09 1939. Aber das ist unnötig. Ich habe schon...
Jonas: Lassen Sie das mich auf meine Weise machen. Sam?
Sam: Magnifizenz?
Jonas: Todesdatum. Todesursache.
Sam: Hören ist gehorchen, euer Lordschaft. Piep. Herr Adrian Delgado verließ dieses unser irdisches Tal der Tränen aus freien Stücken am 13. März im Jahre des Herrn 2009.
Jonas: Also gestern.
Sam: Indem er das Fenster seines im 9. Stockwerk gelegenen Apartments öffnete und sich, den Kopf voran, durch dasselbe in die Tiefe stürzte. Beim Aufschlag erlitt er folgende, in ihrer Gesamtheit tödliche Verletzungen.
Jonas: Brauchen wir nicht. Ist gut, Sammy.
Sam: Wie Durchlaucht befehlen.
Jonas: Sie haben’s gehört, Judith. Selbstmord. Ganz offiziell. Kein Fall für Jonas.
Judith: Ich kenne den Totenschein. Er lügt.
Jonas: Lassen Sie mich raten. Lebensversicherung?
Judith: Ja, das auch, aber.
Jonas: Zu Ihren Gunsten abgeschlossen. Und bei Selbstmord zahlt die Versicherung nicht. Wie hoch?
Judith: 100.000 Euros. Aber das ist es nicht. Ich hatte Onkel Adrian gern.
Jonas: Rührend. Und was soll ich jetzt tun?
Judith: Nachforschen natürlich. Rauskriegen was wirklich passiert ist.
Jonas: Ich bin der letzte. Der letzte Privatdetektiv. Der letzte freie Beruf. Seit Ärzte und Anwälte Staatsdiener sind. Und Künstler Medienbeamte mit Pensionsberechtigung. Wahrscheinlich bin ich auch der einzige Privatdetektiv. Wenigstens in unserer unschönen, aber großen Stadt Babylon. Ohne Konkurrenz. Nicht, daß es mir viel nützt, aber wer braucht heutzutage schon einen Detektiv? Menschen, die `nen Knacks haben oder eine fixe Idee. Wie Judith.
Jonas: Ich kriege 80 Euros pro Tag und Spesen. Aber ich sag Ihnen gleich: Sie werfen ihr Geld zum Fenster raus.
Judith: Das lassen Sie meine Sorge sein. Ich habe gute Gründe.
Jonas: Klar. Warum sollte sich Onkel Adrian schon umgebracht haben? Warum bringen sich Jahr für Jahr Millionen Menschen um? Sam, die letzten Selbstmordzahlen für Europa.
Sam: Bitte sehr, bitte gleich, o Sahib. Piep. Januar bis Dezember 2008: 4 532 728 Suizide, gleich 0, 37258 % der Bevölkerung. Im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 3, 6661 %. Januar bis Februar 2009...
Jonas: Das reicht, Sam. Sehen Sie, Judith, jeder kann sich umbringen, Sie. Ich.
Judith: Ein außergewöhnlicher Computer, den Sie da haben.
Jonas: Sam. Der ist nicht außergewöhnlich. Der ist verrückt. Was, Sammy?
Sam: Wenn du meinst, Mac, du bist der Chef.
Jonas: Außer Walzertanzen und Kinderkriegen kann Sam praktisch alles. Hören, Sehen, sich in zugängliche und auch ein paar unzugängliche Datenbänke einschalten, deduzieren, und reden, vor allem reden. Die Hersteller haben ihn versuchsweise mit allen möglichen ausgefallenen Sprachprogrammen vollgestopft. Und jetzt redet der gute Sam nicht nur wie ein Buch, er tönt wie eine ganze Bibliothek. Deswegen habe ich ihn auch verhältnismäßig billig gekriegt, als ich mit meiner Abfindung aus dem Antarktischen Krieg zurückkam und beschloß, Detektiv zu werden. Wer will sich schon ständig mit einem elektronischen Oberlehrer unterhalten. Ich habe ihm dann noch ein paar neue Sprachprogramme eingegeben, als Gegengewicht sozusagen, und das alles ist ihm ein bißchen durcheinander geraten. Nicht zu reparieren. Man muß sich dran gewöhnen.
Jonas: Darf ich vorstellen: McCoy Incorporated, Typreihe Doktor, Versuchsmodell Chrysostomus, Baujahr 2005. Ich nenne ihn kurz Sam. Sie werden kaum wissen, warum.
Judith: Hallo, Sam.
Sam: Küß die Hand, gnädige Frau.
Judith: Play it again, Sam. Spiel As Time goes by.
Sam: Klaro, Schwester. Auf geht's.
Jonas: Sie kennen Casablanca?
Judith: Aber ja, und ich mag Bogie und Phil Marlowe und Sam Spade und Lew Archer und Albert Samson und.
Jonas: Und ich dachte, ich bin der einzige in ganz Babylon. Das muß gefeiert werden. Ein Drink, Bürowhiskey. Original Old Forester. Die letzte Flasche für den letzten Detektiv. Ich darf leider nicht. Mein Magen.
Judith: Cheers, Jonas. Sie spielen Ihre Rolle gut. Aber jetzt könnten Sie eigentlich einen Gang zurückschalten. Ich glaube Ihnen ja, daß Sie genau so ausgekocht sind wie ihre Vorbilder.
Sam: Groß, schnell, hart und voller Stacheln. Raymond Chandler.
Judith: Und deshalb werden Sie auch feststellen, was mit Onkel Adrian passiert ist.
Jonas: Warum lassen Sie den armen Onkel nicht in Frieden ruhen, in seiner Urne oder wo er immer steckt. Ich habe Ihnen doch gesagt.
Judith: Ich habe Ihnen gesagt, Jonas, daß ich gute Gründe habe für meinen Verdacht. Zwei gute Gründe, um genau zu sein.
Jonas: OK, ich höre. Erstens.
Judith: Onkel Adrian war einigermaßen gesund, vergnügt, lebenslustig, überhaupt kein Selbstmordtyp.
Jonas: Und zweitens.
Judith: Lassen Sie Ihren verdrehten Computer feststellen, wie viel Menschen gestern in der Südstadt Selbstmord begangen haben.
Jonas: Von mir aus. Na, was ist denn, Sammy?
Sam: Sie hat mir gar keine Befehle zu geben. Und Sie hat verdrehter Computer zu mir gesagt.
Jonas: Ach was, zier dich nicht. Komm rüber mit den Zahlen.
Sam: Aye Aye, Sir. Piep. Piep. Ich bedaure unendlich. Aber die gewünschte Information ist mir nicht zugänglich. Sie ist klassifiziert und codiert. Dritte Geheimstufe.
Jonas: Nanu. Seit wann?
Sam: Seit dem 12. März 2009, großer Meister.
Jonas: Moment. Die Selbstmordzahlen der Südstadt für gestern sind seit vorgestern klassifiziert?
Sam: Soll ich es dir auch noch buchstabieren, Kumpel?
Jonas: Merkwürdig. Und Sie wußten das, Judith?
Judith: Ich arbeite im Ministerium für Statistik und Soziographie.
Jonas: Aha. Können Sie den Code beschaffen?
Judith: Ich will’s versuchen. Ich ruf Sie an. Das heißt, wenn Sie den Fall übernehmen und für mich arbeiten wollen.
Jonas: Weil Sie Bogie und Konsorten kennen, Judith. Weil an der Sache was faul ist. Weil ich momentan nichts Besseres vorhabe. Abgemacht.
Judith: Auf Ihren neuen Fall, Jonas.
Jonas: Und weil ich Kirschblüten mag.
Jonas: Die Südstadt, vor einem knappen halben Jahrhundert gebaut, ist schon vier-mal saniert worden. Diverse Wohnungsgesellschaften haben sich gesundgestoßen, aber sonst hat sich nicht viel geändert. Immer noch dieselben Hochhäuser, die aussehen wie riesige angegraute Käsestücke. Voller Löcher und Schimmel. Und Maden, dicht an dicht. Irgendwo müssen sie ja wohnen. Aber die Südstadt ist kein Slum, Gott bewahre, sie ist ein Wohngebiet mit spezifischen strukturellen Problemen. Das sagt die Bürgermeisterin jede Woche in ihrer Fernsehshow. Und die muß es wissen. In Onkel Adrians Haus war der Fahrstuhl kaputt. Die Fahrstühle in der Südstadt sind immer kaputt. Um wieder zu Atem zu kommen, studierte ich im 9. Stock die Graffiti. Das übliche. Die Tür zu Apartment 93 war versiegelt. Ich klopfte. Im Spion der Tür von Apartment 95 hatte ich was gesehen. Ein blutunterlaufenes Falkenauge. Das Übliche.
Nachbarin: Keiner da, junger Mann. Was wollen Sie denn?
Jonas: Telegramm für Herrn Delgado.
Nachbarin: Delgado. Der wohnt nicht mehr hier.
Jonas: Ausgezogen?
Nachbarin: Nicht direkt.
Jonas: Wissen Sie, wo ich ihn erreichen kann?
Nachbarin: Da müssen Sie sich schon Flügel anschaffen, junger Mann.
Jonas: Eine Kipperin. Das übliche. Die Südstadt ist voll von Kippern. Und nicht nur die Südstadt. Die Dame war in Alkohol eingelegt worden und seit Jahren gut durchgezogen. Nicht mehr weit zum Delirium. Ich frage mich, was sie heute sehen, wo’s keine Elefanten mehr gibt, und keine weißen Mäuse. Vielleicht karierte Computer.
Nachbarin: Wo haben Sie denn das Telegramm?
Jonas: In der Tasche.
Nachbarin: Und Ihre Uniform?
Jonas: In der Reinigung. Delgado ist tot?
Nachbarin: Toter geht’s gar nicht. Gestern Abend haben sie ihn im Lichthof abgekratzt. Aus dem Fenster gesprungen. Was man hier so Fenster nennt.
Jonas: Selbstmord?
Nachbarin: Muß wohl.
Jonas: Probleme?
Nachbarin: Haben Sie keine, junger Mann? Aber wo Sie so fragen. Delgado ist der letzte, der so was macht, hab ich immer gedacht. Kam ab und zu rüber und trank einen Schluck mit. Wollen Sie auch einen?
Jonas: Danke, mein Magen. Aber lassen Sie sich nicht stören.
Jonas: Sie war eine reinliche Person und trank gleich aus der Flasche. Ein Glas weniger zum Abwaschen.
Nachbarin: Vorgestern war er noch hier. Ganz munter. Am Wochenende wollte er eine Tour machen, zu einem von diesen Vergnügungssatelliten. Er hat mir die Prospekte gezeigt. Und dann springt er vorher in den Lichthof. Ist schon komisch.
Jonas: Vielleicht war’s ein Unfall.
Nachbarin: Klar, junger Mann. Delgado ist auf einen Stuhl gestiegen und hat sich dann durchgezwängt. Das müssen Sie nämlich tun, wenn Sie hier aus Versehen aus dem Fenster fallen wollen.
Jonas: Es könnte ihn ja auch jemand gestoßen haben.
Nachbarin: Wer denn, junger Mann? War ja keiner bei ihm, als es passiert ist. Ich seh alles. Ich weiß Bescheid. Er war ganz allein. Ganz allein mit sich selbst. Wollen Sie nicht doch was trinken?
Jonas: Immer noch nicht. Hat er im Lauf des Tages Besuch gehabt?
Nachbarin: Besuch? Wer?
Jonas: Der Staatspräsident, wer denn sonst?
Nachbarin: Sie nehmen mich hoch, junger Mann. Manchmal kam seine Nichte. Nette Person. War aber schon `ne Woche nicht mehr hier.
Jonas: Und gestern?
Nachbarin: Kein Mensch. Bloß irgend so ein Mädchen mit 'ner Warenprobe.
Jonas: Warenprobe? Was für eine Warenprobe?
Nachbarin: Keine Ahnung. Bei mir hat sie nicht geklingelt. Kosmetik oder so was. Weißen Kittel hatte sie an. Tja, und der Postroboter natürlich. Mit der Reklame.
Jonas: Fünf Häuser weiter war ein Laden. Im Schaufenster künstliches Immergrün und auf einem lila Podest eine angestaubte Designer-Urne, daneben ein Schild: Für die letzte Wohnung ihrer Lieben ist das Beste gerade gut genug. Das gab mir zu denken.
Bestattungsunternehmer: Sie haben einen schmerzlichen Verlust erlitten, mein Herr.
Jonas: Eine Tante.
Bestattungsunternehmer: Oh. Mein tief empfundenes Beileid. Mitten im Leben...
Jonas: Heute rot, morgen tot.
Bestattungsunternehmer: Wie wahr, wie wahr, mein Herr. Rasch tritt der Tod den Menschen an.
Jonas: Rasch ist das treffende Wort. Sie ist aus dem Fenster gesprungen.
Bestattungsunternehmer: Ist ja nicht zu glauben.
Jonas: Wieso? Das kommt vor.
Bestattungsunternehmer: Und wie das vorkommt. Hinten hab ich 11 Fensterstürze liegen, 11, mein Herr, alle von gestern, alle aus dieser Straße.
Jonas: Wie das Leben so spielt.
Bestattungsunternehmer: Sie meinen, der Tod. Tja. Scherz beiseite. Woran dachten Sie? Super Luxus, 1a deluxe?
Jonas: Wissen Sie, ich habe sie ja kaum gekannt, wie das so ist.
Bestattungsunternehmer: Ich verstehe, mein Herr, schlicht und gediegen. Raum ist in der kleinsten Hütte, nicht wahr? Wenn ich Ihnen unsere beliebte Grundausstattung zeigen darf.
Jonas: Ein ander Mal. Geben Sie mir Ihre Preisliste. Ich melde mich.
Jonas: Die Telefonzelle an der Ecke war kaputt. Die Telefonzellen in der Südstadt sind immer kaputt. Schließlich fand ich eine, die funktionierte. Die Kaputtmacher mußten sie vergessen haben. Ich rief die Polizeidirektion Südstadt an.
PoPo1: Ja?
Jonas: Ich brauch ne Auskunft. Über `nen Selbstmord.
PoPo1: Was Sie nicht sagen. In der Südstadt. Fenstersturz.
Jonas: Ja.
PoPo1: Ich geb Sie weiter.
PoPo2: PoPo. Sie wünschen.
Jonas: Wie war das?
PoPo2: Wie war was?
Jonas: Wie haben Sie sich gemeldet?
PoPo2: PoPo. Populationspolizei.
Jonas: Oh, falsch verbunden.
PoPo2: Glaub ich nicht, Freundchen. Was wollen Sie?
Jonas: Ein angeblicher Selbstmordfall. Sind Sie dafür zuständig?
PoPo2: Wir sind immer zuständig, Freundchen.
Jonas: Wenn Sie meinen. Also, Adrian Delgado, Nummer 15 B 27 09 1939.
PoPo2: Ja und?
Jonas: Eindeutiger Selbstmord oder.
PoPo2: Oder was? Natürlich Selbstmord. Ganz klar. Wer sind Sie?
Jonas: Kein Zweifel? Keine Verdachtsmomente?
PoPo2: Wer sind Sie? Von wo sprechen Sie?
Jonas: Was meinst du, Sam?
Sam: Die Affäre, der Hochwürden zur Zeit ihre Energie widmen, gibt ein Odeur ab, welches als wenig erfreulicher als unangenehm zu bezeichnen ich mich nicht enthalten kann.
Jonas: Noch mal, Sam.
Sam: Genosse, die Sache stinkt zum Himmel.
Jonas: Du sagst es, Sammy.
Jonas: Sam hatte ich natürlich bei mir. Das heißt, nicht den großen Terminal, der steht fest im Büro, sondern Sam zwo. Sam zwo ist eine drahtlose Extension, ein Kästchen, das bequem in jede Tasche paßt und seine Energie aus Batterien bezieht. Ansonsten ist der Sam zwo derselbe Sam wie die große Nummer eins. Bißchen verrückt, eine mächtige Klappe, und viel dahinter.
Sam: Wenn Sie mir den Vorschlag gestatten, Sir, es wäre ratsam, diesen Ort auf schnellstem Wege zu verlassen. Ohne Zweifel dürfte man bei der Populationspolizei bereits fieberhaft damit beschäftigt sein, das Telefonat zurückzuverfolgen.
Jonas: Eigentlich wollte ich noch schnell Judith anrufen.
Sam: Kannst du zuhause machen. Hau endlich ab, Mensch, sonst kriegen sie uns am... am... am Kragen, o Herr, o Meister.
Jonas: Hast ja recht, Sammy. Rikscha!
Jonas: Daß ich mir `ne Rikscha leistete, brachte nicht viel ein. Ich mußte trotzdem fast den ganzen Weg nach Hause laufen. Ein Pechtag. Die Kusbekische Befreiungsfront hatte in meinem Viertel was in die Luft gesprengt, ein Konsulat oder Kulturzentrum, und die Terrorpolizei sperrte weiträumig ab, wie sie das nennt. Eine interessante Technik. Bombenleger fängt man dadurch nicht, aber das Publikum merkt wenigstens, daß die Freunde und Helfer sich Mühe geben. Als ich nach Hause kam, war es schon dunkel.
Judith: Ich hab den ganzen Nachmittag versucht, Sie anzurufen, Jonas.
Jonas: Ich war unterwegs. In Ihrer Angelegenheit.
Judith: Haben Sie was erreicht?
Jonas: Ein bißchen. Besuchen Sie mich, dann erzähle ich es Ihnen.
Judith: Später, Jonas, wenn Sie den Fall abgeschlossen haben.
Jonas: Was ist mit dem Code?
Judith: Es war nicht ganz leicht, aber ich habe ihn. Schreiben Sie mit.
Jonas: Mit der Codezahl kam Sam ohne Probleme in die geheime Selbstmordstatistik der Südstadt. Und was er da entdeckte, war schon seltsam. Wenn auch nicht gerade eine Überraschung, nach allem, was ich heute mitgekriegt hatte.
Sam: Die Selbstmordrate der Südstadt für den 13. März liegt allgemein um 217 % über dem Durchschnitt. Selbstmord durch Sturz aus dem Fenster bzw. von einem hochgelegenen Standort: 489 % über Durchschnitt.
Jonas: Zufall?
Sam: Zufälliges Ergebnis, Wahna, seien gänzlich undenkbar. Wahrscheinlichkeit dafür liegen bei 0,00.
Jonas: OK. Sammy, OK OK, sei mal `nen Moment still. Ich muß nachdenken.
Sam: Zum Nachdenken dürfte bei aller Bescheidenheit meine geringe Person weitaus geeigneter sein als ihro Durchlaucht.
Jonas: Du sollst still sein, habe ich gesagt.
Sam: Durchlaucht schaden sich selbst, aber wie Durchlaucht wünschen. Ein Computer gehorcht und schweigt. Wie das Grab. Nichts sagen, nicht fragen, und nur nicht verzagen. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Nur in der Stille reift ein großer Geist.
Jonas: Ich hab’s.
Sam: Wird schon was rechtes sein.
Jonas: Hör auf zu Mosern, Sam, tu lieber was.
Sam: Und was befehlen Eminenz?
Jonas: Gib mir die durchschnittliche Persönlichkeitsstruktur von allen, die gestern in der Südstadt aus dem Fenster gesprungen sind.
Sam: Bitte sehr. Piep. Männlich und weiblich. Über 55 Jahre. Allein lebend. Keine feste Beziehung. Keine zeitweilige Partnerschaft. Keine Gruppe. Keine Kinder. Wohnraumklasse zwischen 15 und 25 qm.
Jonas: Eben Südstadt. Millionäre wohnen da nicht.
Sam: Wünschen Monsignore Einzelheiten? Hobbys, bevorzugte Videos, Biorhythmen und so weiter?
Jonas: Nicht nötig, Sammy.
Sam: Wie Sie wollen. Sie sind der Boss. Sag ich also nichts zum persönlichen Hygienefaktor.
Jonas: Hygienefaktor? Na klar! Was ist mit dem Hygienefaktor?
Sam: Um 67, 74 % über dem Durchschnitt. Interessant, Sahib?
Jonas: Aber ja. Und jetzt suchst du mir.
Sam: Derrick Kracau, 29. Straße, Nummer 5, Aufgang C, Apartment 142.
Jonas: Wer ist das?
Sam: Na wer schon, Meister? Ein Mensch, welcher sich jeglicher Merkmale vorbenannter Persönlichkeitsstruktur erfreut, jedoch, und das ist, wenn Sie mir den Kalauer verzeihen, der springende Punkt, nicht durch einen Sprung aus dem Fenster seinem Leben ein Ende gesetzt hat. Das war es ja wohl, was Eminenz wollten.
Jonas: Ja aber ich hab doch noch gar nichts gesagt!
Sam: Sam nur armer kleiner Computer, Massa, aber Sam denken unheimlich schnell.
Jonas: Wundere dich nicht, wenn du eines schönen Tages in der Schrottmühle landest.
Sam: Zu Befehl. Nicht wundern. Fahren wir in die Südstadt, Majestät?
Jonas: Morgen früh, Sam. Klapp das Bett raus.
Sam: Gesegnete Ruhe, eure Heiligkeit. Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen beda-hacht...
Jonas: Derrick Kracau trug einen Nostalgie-Haarschnitt a la Punk, das neueste an Körperfarben und ansonsten nicht viel, abgesehen von zahllosen Kettchen an Hals, Armen, Beinen und um seine unübersehbar 60jährige Taille. Er duftete nach allen Estern des Orients, und verströmte soviel Charme wie ein gesprungenes Bidet.
Kracau: O, je früher der Morgen, desto schöner die Gäste. Sagen Sie nichts. Lassen Sie mich raten. Sie sammeln für die St. John-Lennon-Kapelle. Nein? Sie verkaufen illegale Holos? Auch nicht? Dann sind Sie vielleicht ein böser böser Räuber, hmh, und wollen mir unaussprechlich gräßliche Dinge antun, hmh?
Jonas: Seh ich so aus?
Kracau: Nicht? Schade.
Jonas: Wenn ich richtig informiert bin, Herr Kracau, sind Sie vorgestern von einer unserer Vertreterinnen aufgesucht worden.
Kracau: Vorgestern? Ach Sie meinen dieses schnippische Weibstück mit der kostenlosen Probetube Zahncreme. Dentomed oder wie das Zeug heißt.
Jonas: Ganz recht, Herr Kracau, haben Sie die Zahnpasta inzwischen benutzt?
Kracau: Ich bitte Sie. Meine Beißerchen scheuere ich mich Diospecial. Nur mit Diospecial. Seit Jahren. Da werd ich doch nicht von heute auf morgen mir nichts dir nichts auf irgendeine neue vulgäre Marke umsteigen.
Jonas: Ihr Glück. Haben Sie die Probe noch?
Kracau: Moment. Muß hier irgendwo sein. Hat sich versteckt das freche Ding. Ja, hier haben wir’s. Hier.
Jonas: Danke. Ich muß die Tube einziehen, Herr Kracau.
Kracau: Aber aber. Geschenkt ist geschenkt. Wiederholen ist gestohlen.
Jonas: Unsere Marketing-Group hat einen kleinen Fehler gemacht. Das Produkt ist noch nicht endgültig freigegeben. Nebenwirkungen, Sie verstehen, Kontraindikationen. Wir müssen noch eine Testreihe durchführen.
Kracau: O Gott O Gott, da wären mir womöglich die Beißerchen ausgefallen, wenn ich das Zeug genommen hätte.
Jonas: Womöglich, aber es ist ja nichts passiert. Putzen Sie sich weiter die Zähne mit Diospecial, Herr Kracau, kaufen Sie sich ein paar neue Kettchen, und vergessen Sie ab und zu Ihren Geburtstag, das hält frisch.
Kracau: Oh!
Jonas: Dentomed, Sam.
Sam: Piep. Eine Firma beziehungsweise eine Warenmarke dieses Namens ist weder im Handelsregister noch in einer anderen in Frage kommenden Datei eingetragen, Milord.
Jonas: Dachte ich mir.
Jonas: Jetzt brauchte ich einen Wissenschaftler. Nebenwirkungen, Kontraindikationen, Testreihen, das sagt sich leicht. Die praktische Anwendung war schon schwieriger. Zu schwierig für einen einfachen Privatdetektiv. Auch Sam war da überfragt. Ausnahmsweise. Dr. Prosper war ein Star an der Uni gewesen, bis sie ihn gefeuert hatten, um den Nobelpreis zu kriegen soll er Forschungsergebnisse gefälscht haben. Er selbst behauptet, ein Konkurrent habe ihn reingelegt. Früher hatte Dr. Prosper am Markgrafenboulevard gewohnt, jetzt hauste er draußen im Osten, in einer Gegend, die sogar die Bürgermeisterin als Slum bezeichnen konnte, ohne rot zu werden. Er hatte sich ein kleines Labor eingerichtet, und tat für Geld alles. Fast alles.
Dr. Prosper: Erst... erst mal das Wichtigste. 2... 200 Euros. In bar. Und im Voraus.
Jonas: 100. 50 jetzt, 50 wenn Sie fertig sind.
Dr. Prosper: Geben... Geben Sie her. Was... was soll ich tun?
Jonas: Sehen Sie sich das hier mal ein bißchen näher an.
Dr. Prosper: Zahnpasta. Warum... warum gehen Sie nicht zu Warentest oder zum... zum Konsumentenbund?
Jonas: Wollen Sie sich 100 Euros verdienen oder nicht?
Jonas: Er wirkte nervös. Seine wasserblauen Augen schwammen ängstlich hinter dicken Brillengläsern. Wie Picassofische im Aquarium. Vielleicht hatte er eine Vorahnung. Vielleicht hatte er auch bloß nicht ausgeschlafen. Aber Jonas ist ein harter Bursche. Ohne mit der Wimper zu zucken, nimmt er Babys den Schnuller weg. Einen vergammelten Doktor bei der Stange zu halten, ist für ihn ein Kinderspiel.
Dr. Prosper: Irgendwas... irgendwas krumm an der Sache?
Jonas: Und noch 20 drauf, weil Sie’s sind.
Dr. Prosper: OK. Gift?
Jonas: So was ähnliches. Kennen Sie ein Psychopharmakon, das zu Selbstmord führt?
Dr. Prosper: Eine... eine Suiziddroge?
Jonas: Eine Droge, die Menschen dazu bringt, aus dem Fenster zu springen.
Dr. Prosper: Möglicherweise ein...ein Salzsäurederivat. Und so was soll da drin sein?
Jonas: Würde mich nicht überraschen. Stellen Sie’s fest. Morgen früh um 9 komm ich wieder.
Dr. Prosper: Viel zu kurz.
Jonas: 120 Euros.
Dr. Prosper: Unmöglich.
Jonas: Und seien Sie vorsichtig. Lassen Sie die Tube nicht offen rumliegen.
Dr. Prosper: Wo versteckt der weise Mann ein Blatt?
Jonas: Keine Ahnung. Also bis morgen, Dr. Prosper. Es war mir ein Vergnügen.
Dr. Prosper: Sie mich auch, Jonas.
Jonas: Am nächsten Morgen pünktlich um 9 stand ich wieder vor der Tür. Ich klingelte. Ich klopfte. Nichts rührte sich. Ich gab der Tür einen kleinen Tritt. Sie ging auf. Dahinter lag ein Chaos, das gestern noch ein Labor gewesen war. Splitter, Scherben, zerschlagene Käfige, tote Ratten. Und ein toter Mann, der gestern noch Dr. Prosper gewesen war.
Jonas: Erstochen. Mit seinem eigenen Skalpell. Und dann haben die Mörder Kleinholz gemacht.
Sam: Dreimal dürfen Hoheit raten, was sie gesucht haben. Die Frage ist: Konnte Dr. Prosper die Tube Zahnpasta so geschickt verbergen, daß es den Mördern nicht gelang, sie zu finden?
Jonas: Das ist die Frage, Sammy. Du sagst es. Ich seh sie nicht.
Sam: Wo versteckt der weise Mann ein Blatt?
Jonas: Du bist auf dem falschen Dampfer, Sam. Wir suchen kein Blatt, wir suchen Zahnpasta.
Sam: Schon des Öfteren hatte euer bescheidener Diener Gelegenheit, festzustellen, daß die literarische Bildung euer Durchlaucht sich als recht lückenhaft erweist, sofern es sich nicht um Autoren wie Hammett, Chandler, Macdonald etc. handelt. Was ich soeben sagte, wobei ich lediglich wiederholte, was Dr. Prosper gestern Ihnen gegenüber äußerte, ist ein Zitat. Ein Zitat aus einer Kurzgeschichte des antiken Detektivschriftstellers Gilbert Keith Chesterton.
Jonas: Kenn ich nicht.
Sam: Wo versteckt der weise Mann ein Blatt, fragt eine Figur, und die Antwort lautet: Im Walde.
Jonas: Ja und?
Sam: Wo versteckt der weise Mann eine Tube Zahnpasta?
Jonas: In der Waschnische.
Sam: Na bitte, es geht doch, wenn euer Wohlgeboren Ihr Hirn ein wenig strapazieren.
Jonas: Und hier, hier ist sie, die Tube. Ein bißchen zerdrückt, in einem schmutzigen Glas, neben einer zerfaserten Zahnbürste.
Sam: Durchlaucht werden mir darin zustimmen, daß es Dr. Prosper vor seinem unzeitigen Tod nicht vergönnt war, die von Durchlaucht gewünschte Untersuchung vorzunehmen.
Jonas: Sieht nicht so aus. Und was machen wir jetzt?
Jonas: Ich sah aus dem offenen Fenster. Es hatte angefangen zu regnen. Ein grau-gelber Himmel hing über der Stadt, wie das Fell einer ertrunkenen Siamkatze. Schöner Satz, nicht? Direkt aus dem Poesiealbum des Privatdetektivs.
Jonas: Also eins steht fest: Wir können das Zeug nicht testen.
Sam: Einerseits sehe ich mich gezwungen, euer Gnaden darin rechtzugeben. Andererseits jedoch...
Jonas: Sammy, du hast ne Idee?
Sam: Schallt nicht, o großer Vorsitzender, aus jener Ecke ein gewisses Quieken an mein elektronisch Ohr?
Jonas: Eine von Prospers Ratten. Im Käfig. Unter dem Bett. Die Kerle haben sie übersehen.
Sam: Zweifellos, Milord. Besagtes Übersehen eröffnet uns die Möglichkeit, wenn auch nicht zu einem Test im streng wissenschaftlichen Sinne, so doch zu einer gewissen informellen Überprüfung und, wie zu vermuten, Bestätigung unseres Verdachts.
Jonas: Moment mal, Sammy. Du meinst, ich soll der Ratte die Zähne putzen?
Sam: In aller Bescheidenheit, Sahib, es wäre ausreichend, dem Tier die verdächtige Zahncreme durch Maul und Speiseröhre in den Verdauungstrakt zu praktizieren.
Jonas: Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja. Ich... ich will dir was verraten, Sammy, ich... ich ekle mich vor Ratten.
Sam: 1984.
Jonas: 1984? Da war ich 16, und hab mich auch schon vor Ratten geekelt.
Sam: Eine literarische Reminiszenz, o großer Bruder.
Jonas: Denk an die Schrottmühle, Sammy.
Sam: Alles klar, Käpt'n, also los.
Jonas: Wenn es unbedingt sein muß. Na, komm, Tierchen, komm. Komm, sieh mal, leckere Zahnpasta.
Jonas: Einer Ratte Zahnpasta eintrichtern, das macht Jonas mit der linken Hand. Die rechte braucht er nämlich, um dem Vieh das Maul aufzuhalten. Wie gesagt, Jonas ist ein harter Bursche. Wenden Sie sich vertrauensvoll an ihn, wenn Sie ausgefallene zoologische Probleme haben. Kamel durchs Nadelöhr? Kleinigkeit.
Jonas: Uaäh, das wär’s.
Sam: Der näheren physiologischen und, wenn man so sagen darf, psychosomatischen Verwandtschaft mit homo sapiens wegen, wäre ein Hausschwein ohne Frage ein weit geeigneteres Versuchstier, o Herr und Meister. Da uns ein solches jedoch nicht zur Verfügung steht.
Jonas: Ein Schwein? Warum nicht? 100.000 Euros auf dem schwarzen Markt, oder wir klauen eins aus dem Zoo.
Sam: Das, großer Lehrmeister und Steuermann, dürfte unnötig sein. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das Verhalten unserer Ratte richten wollten.
Jonas: Das Vieh dreht durch. Rennt hin und her wie angestochen. Schmeißt sich gegen das Gitter.
Sam: Steh nicht rum, Mensch, stell den Käfig aufs Fensterbrett. Mach die Schiebetür auf. Sofern meine demütigen Anregungen euer Majestät genehm sind.
Jonas: Sie ist aus dem Fenster gesprungen!
Sam: Quod erat demonstrandum, domine.
Jonas: Also wirklich eine Selbstmorddroge. Verschwinden wir, Sammy.
Sam: Im Prinzip ja, Chef. Mein juristisches Programm unter besonderer Berücksichtigung legaler Probleme im privatdetektivischen Bereich weist jedoch darauf hin, euer Ehren, daß am Schauplatz eines Verbrechens, in Sonderheit eines Kapitalverbrechens, gewisse gesetzlich vorgeschriebene Pflichten nicht umgangen werden sollten.
Jonas: Die Polizei? Meinst du wirklich, wir sollten sie rufen?
PoPo2: Nicht mehr nötig, Freundchen.
PoPo1: Wir sind schon da.
PoPo 2: Sagte der Hase zum Schwinegel.
Jonas: Zwei Kleiderschränke in den geschmackvollen schwarz-roten Uniformen der PoPo marschierten ins Zimmer, und fingen an, Pingpong zu spielen, mit mir als Ball. Und das meine ich nicht nur bildlich.
PoPo1: Hände übern Kopf.
PoPo2: Sie sollten sich schämen. So eine Unordnung. Wie sieht denn das aus?
PoPo1: Da liegt `ne Leiche, Chef.
PoPo2: Aber aber das geht nun wirklich zu weit.
Jonas: Lassen Sie mich erklären.
PoPo2: Lassen wir ihn, Bo?
PoPo1: Ich weiß nicht, warum eigentlich?
Jonas: Hören Sie.
PoPo2: Schnauze. Sieh mal nach, was er in der Tasche hat, Bo.
PoPo1: Keine Waffe, Chef, bloß ne Computerextension und ne Brieftasche, 180 Euros.
PoPo2: Besser als gar nichts. Her damit.
PoPo1: Rentenkarte, Ausweis.
PoPo2: Willst du den Herrn nicht vorstellen, Bo?
PoPo1: Jonas heißt er.
PoPo2: Und?
PoPo1: Nichts und. Nur Jonas.
PoPo2: Ach, schlicht und sparsam.
PoPo1: Ja, und von Beruf ist er, na so was, Privatdetektiv.
PoPo2: Privatdetektiv. So so. Was machen Sie hier?
Jonas: Ich warte. Auf Godot.
PoPo2: Auf wen?
Jonas: Godot.
PoPo2: Nie gehört. Bo, kennst du einen Typ, der Godot heißt?
PoPo1: Kenn ich nicht, Chef.
PoPo2: OK, stell den Fernseher an, Bo.
Sportreporter: Und jetzt, meine Damen und Herren, geht er vorbei, der Großgewachsene...
PoPo2: Lauter Bo.
Sportreporter: ...in der roten Ecke, löst sich aus dieser...
PoPo2: Halt ihn fest, Bo. So mein Freund, Jonas, Privatdetektiv. Schnüffler.
Sportreporter: ...durch die Deckung hindurch... ein ungeheurer Haken, auf die Kinnspitze, taumelt zurück, in die blaue Ecke, ist schon fast am Boden, da setzt er noch einmal nach, schon wieder und noch einmal, und das ist das Ende, Pluto liegt nur noch in den Seilen, jetzt rutscht er ab, ein gezielter Tritt in den Unterleib, da liegt Musik drin, liebe Sportsfreunde, und der Gong: der Kampf ist aus.
Jonas: Ich war Tarzan, und hüpfte im Urwald von Ast zu Ast. Ich brüllte den Kriegsschrei der großen Menschenaffen, und zertrat alle Bullen der Welt unter meinen Spreizfüßen. Ich war der Größte, und Judith sah bewundernd zu mir auf. Wenn mir nur der Kopf nicht so wehgetan hätte.
Wärter: Er kommt zu sich, Frau Professor.
Frau Prof. Caligari: Gut so. Gehen Sie vor die Tür.
Jonas: Es ist eine dumme Frage, ich weiß. Jeder stellt sie, wenn er was auf die Birne gekriegt hat. Und wenn die kleinen grauen Zellen wieder anfangen, sich zu drehen. Aber ich will’s wirklich wissen: Wo bin ich?
Frau Prof. Caligari: Im Zentralkrankenhaus. In der geschlossenen Abteilung.
Jonas: In der Klapsmühle.
Frau Prof. Caligari: Wenn Sie sich so ausdrücken wollen.
Jonas: Warum bin ich ans Bett gefesselt?
Frau Prof. Caligari: Zu Ihrem eigenen Besten. Sie sind krank. Sie könnten sich etwas antun.
Jonas: Aus dem Fenster springen, zum Beispiel.
Frau Prof. Caligari: Zum Beispiel.
Jonas: Sie trug einen weißen Kittel und die Aura selbstverständlicher Autorität. Ihre Augen waren klar und kalt wie zwei Eiszapfen am Nordpol. Sie musterten mich, als ob ich eine mäßig interessante Leiche auf dem Seziertisch sei. Und das war ich ja wohl auch. Oder so gut wie.
Jonas: Wer sind Sie?
Frau Prof. Caligari: Professor Caligari.
Jonas: Sind Sie Chefärztin oder so was?
Frau Prof. Caligari: Man hat mich geholt. Sie sind ein besonderer Fall, Jonas. Mein Fall. Sie leiden unter gefährlichen Halluzinationen.
Jonas: Was Sie nicht sagen.
Frau Prof. Caligari: Sie bilden sich ein, daß vor drei Tagen in der Südstadt einer Anzahl von Personen ohne ihr Wissen eine Droge zugespielt wurde, die sie gegen ihren Willen zum Selbstmord veranlaßte.
Jonas: Verrückte Idee, nicht wahr?
Frau Prof. Caligari: Wir mußten Sie stoppen, ehe Sie im Verlauf ihrer Nachforschungen weitere, noch gefährlichere Wahnvorstellungen entwickelten.
Jonas: Zum Beispiel?
Frau Prof. Caligari: Daß es sich beim Geschehen in der Südstadt um einen groß angelegten Feldversuch gehandelt habe, geplant und durchgeführt von einer streng geheimen Organisation, die wir ZIP nennen könnten: Zentralinstitut für Populationsforschung. Daß ZIP unterstützt und finanziert von der Wirtschaft und von der hohen Politik nur zu dem einen Zweck etabliert worden sei, das große Problem unserer Zeit, die Überbevölkerung, in den Griff zu bekommen. Daß ZIP als eine mögliche Lösung des Problems eine Selbstmorddroge entwickelt und auf einem leicht zugänglichen, nach allen Regeln der Marketing-Analyse präparierten Testmarkt erprobt habe. Die notwendige Vorstufe zu einer weit umfassenderen, womöglich globalen Anwendung des Produkts.
Jonas: Was haben Sie mit mir vor?
Frau Prof. Caligari: Allem Anschein nach ist Ihre Krankheit unheilbar. Aber ich bin überzeugt, daß ich eine, wie soll ich sagen, angemessene Therapie gefunden habe. Wir müssen verhindern, daß Sie mit Ihren fixen Ideen Unruhe in die Öffentlichkeit tragen und die hypothetische Arbeit des hypothetischen Instituts stören. Das werden Sie einsehen. Leben Sie wohl, Jonas. Verzeihen Sie, ich wollte nicht zynisch sein.
Jonas: Ich kam mir vor, als habe man mich zum zweiten Mal zusammengeschlagen. Selbstmorddroge. Feldversuch. Testmarkt. ZIP. Frau Professor Caligari. Das war ein bißchen viel auf einmal. Der Wärter kam und brachte mir ein Tablett mit Essen. Er band mich los, vorsichtig, mit einer Hand. In der anderen hielt er eine entsicherte Pistole.
Wärter: Keine krummen Touren. Ich steh direkt vor der Tür. Mit meiner Kanone.
Jonas: Und das Fenster?
Wärter: Sehr komisch. Guten Appetit.
Jonas: Sam? Sammy?
Sam: Hier bin ich, o Herr und Meister.
Jonas: Wo, Sam, wo bist du?
Sam: Im Schrank, Chef. Mit ihren übrigen Sachen. Es wäre angebracht, daß Durchlaucht Ihren Diener baldmöglichst befreiten. Zwecks gemeinsamer Delibration.
Jonas: Moment. Wuah. Noch 'n bißchen groggy. So. Sammy, Sammy, wie kommen wir hier raus?
Sam: Würden Magnifizenz die Güte haben, aus dem Fenster zu blicken?
Jonas: Wenn du meinst. Unmöglich, Sam. Wir sind im 20. Stock. Mindestens. Da kann keiner runter klettern.
Sam: Ich dachte auch weniger an Klettern, o Sahib, eher an Springen.
Jonas: Bist du verrückt?
Sam: Das wissen Hoheit doch. In diesem Falle allerdings.
Jonas: Das Essen.
Sam: Ohne jeden Zweifel. Wissen wir nicht, spätestens seit dem zugegeben kruden Test an Dr. Prospers Ratte, daß die Selbstmorddroge oral zugeführt wird?
Jonas: Eine angemessene Therapie, hat sie gesagt.
Sam: Exzellenz sollten die Erwartungen der Dame nicht enttäuschen.
Jonas: Meinst du im Ernst, ich soll aus dem Fenster springen, Sam?
Sam: Gewissermaßen indirekt, erhabener Monarch. Wenn ich meine Vorstellungen erläutern dürfte.
Jonas: Sam sagte mir genau, was ich tun sollte, und ich tat es. Aaaah!
Wärter: Na bitte. Oh!
Sam: Eine ausgezeichnete Performance, euer Lordschaft.
Jonas: Natürlich war ich nicht aus dem Fenster gesprungen. Ich stand auf dem Außensims, klammerte mich mit den Zehen fest. Und als der Wärter seinen häßlich-en Ballon raussteckte, kriegte er was ins Genick. Mit meinem eisenbeschlagenen Schuh. Er schlug lang hin und blieb liegen. Für längere Zeit außer Gefecht, vielleicht für immer. Von mir aus, ich würde deshalb nicht schlechter schlafen. Ich zog seine weiße Uniform an. In der Tasche fand ich seinen Identi-Disk. Kein Problem, damit durch die gesicherten Türen ins Freie zu kommen. Zuhause goß ich mir als erstes einen großen Whiskey ein, Magen hin, Magen her. Ich traf bestimmte Vorkehrungen, zusammen mit Sam, und ich wartete. Der Anruf kam am Abend, 5 Minuten vor 8.
Jonas: Ja?
Frau Prof. Caligari: Ich spreche Ihnen meinen Glückwunsch aus, Jonas. Sie haben sich mit Geschick und Entschlossenheit Ihrer Therapie entzogen. Sie sind ein Mann von erheblichen Fähigkeiten. Könnten Sie sich vorstellen, in einer Organisation wie ZIP, falls es sie gäbe, einen Posten zu übernehmen?
Jonas: Reden Sie Klartext, Frau Professor. ZIP existiert, und ZIP arbeitet mit Methoden, die mir nicht gefallen.
Frau Prof. Caligari: Bitte, Jonas, lassen Sie kleinkarierte Moralbegriffe aus dem Spiel. Bleiben Sie nüchtern. Betrachten Sie unsere Organisation mit wissenschaftlicher Objektivität. Sie kennen das Problem. Jeder kennt es. Spätestens seit dem Einsetzen der permanenten Krise vor gut 30 Jahren. Fortschritt in der Biologie führt zu mehr Nahrungsmitteln, Fortschritt in der Medizin führt zur Verlängerung des Lebens, Fortschritt in der Technik führt zur Automatisierung. Die Folgen: immer weniger Arbeit, immer mehr Menschen, immer weniger Raum. Wie gesagt, das Problem ist seit langem bekannt. Aber wir haben erst jetzt gewagt, die Lösung ins Auge zu fassen. Die einzig mögliche Lösung.
Jonas: Und die wäre?
Frau Prof. Caligari: Ganz einfach: Die quantitative Verminderung des menschlichen Faktors.
Jonas: Also Mord. Massenmord. Danke, nichts für Jonas.
Frau Prof. Caligari: Schade. In diesem Fall sehen wir uns gezwungen, Ihre Behandlung bis zum ursprünglich vorgesehenen Ende fortzusetzen.
Jonas: Das habe ich erwartet. Ich habe Gegenmaßnahmen eingeleitet.
Frau Prof. Caligari: Was wollen Sie denn tun? Zur Polizei gehen, zu den Medien, zum Staatspräsidenten? Versuchen Sie’s.
Jonas: Alle Informationen über ZIP und ihren sogenannten Feldversuch sind gespeichert. Wenn mir was passiert, oder wenn es eine neue Selbstmordepidemie geben sollte, in Babylon oder woanders, dann werden diese Informationen in sämtliche Dateien der Erde eingegeben. In öffentliche und in private. 90 Prozent davon werden Sie abwürgen können, mit Ihren Hilfsmitteln, und durch die hohen Herrschaften, die hinter Ihnen stehen, vielleicht auch 99 Prozent, aber 1 Prozent kommt durch. Und das, hochverehrte Frau Professor Caligari, wird Ihnen das Genick brechen.
Frau Prof. Caligari: Erpressung, wie ich sehe.
Jonas: Lassen Sie doch kleinkarierte Moralbegriffe aus dem Spiel.
Frau Prof. Caligari: Was verlangen Sie?
Jonas: Am liebsten würde ich sagen: lösen Sie ZIP auf und springen Sie aus dem Fenster.
Frau Prof. Caligari: So gut ist Ihre Verhandlungsposition nun auch wieder nicht, mein lieber Jonas.
Jonas: Ich weiß. Bleiben wir auf dem Teppich. Sie stellen alle Versuche mit der Selbstmorddroge ein.
Frau Prof. Caligari: Schon geschehen. Die Methode hat sich als zu riskant und vor allem als zu spektakulär erwiesen. Wenn uns schon ein kleiner Privatdetektiv auf die Schliche kommt.
Jonas: Ein mieser Schnüffler, sagen Sie’s ruhig.
Frau Prof. Caligari: Ist das alles?
Jonas: Noch eine Kleinigkeit. Der Tod von Adrian Delgado wird offiziell als Unfall deklariert. Ein Privatdetektiv ist seinen Klienten verpflichtet. Vor allem, wenn sie Judith heißen.
Frau Prof. Caligari: Einverstanden.
Jonas: Das wär’s. Jetzt müßten Sie sagen: Kommen Sie uns nicht noch mal in die Quere.
Frau Prof. Caligari: Bis zum nächsten Mal, Jonas.
Jonas: Ich fühlte mich nicht besonders. Klar, die Sache war soweit abgeschlossen, aber es fehlte was Wichtiges: Die gerechte Strafe für die Schuldigen. Früher soll’s anders gewesen sein. Aber was kann man schon erwarten von unserem verrückten 21. Jahrhundert. Ich fing an, mir leid zu tun, das gefiel mir nicht. Ich rief Judith an.
Judith: Hallo, Jonas.
Jonas: Sie sind `ne reiche Frau, Judith. 100.000 Euros. Von Onkel Adrians Lebensversicherung.
Judith: Sie haben den Fall gelöst?
Jonas: Sieht so aus. Haben Sie was vor heute Abend?
Judith: Nein.
Jonas: Kommen Sie zu mir. Ich erzähle Ihnen dann, wie es abgelaufen ist.
Judith: Wir könnten uns über Marlowe unterhalten, und über Bogie und Hammett und Casablanca.
Jonas: Und antike Videos sehen. In einer halben Stunde?
Judith: In einer halben Stunde, Jonas.
Jonas: Judith, ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Sam: Hrm. Wenn ich euer Herrlichkeit ein anderes Zitat zu bedenken geben dürfte: Der Detektiv ist ein Katalysator, kein Casanova. Raymond Chandler.
Jonas: Aber Sammy, ich glaube, du bist eifersüchtig.
Sam: Quatsch.
Jonas: Klapp das Bett raus. Und spiel, Sam. Spiel As Time goes by.
Jonas: Ich bin die letzte Instanz. Wenn Sie ein Problem haben, und nicht weiterkommen, mit der Polizei und so, dann wenden Sie sich an mich. Ich kann Ihnen wahrscheinlich auch nicht helfen, aber Sie haben ein besseres Gefühl. Vielleicht springen sogar 100.000 Euros für Sie raus. Und das ist doch was, oder?
Das war Testmarkt. Eine Folge aus der Science-Fiction-Krimiserie Der letzte Detektiv von Michael Koser. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus. Sein Supercomputer Sam war Joachim Wichmann. Es wirkten außerdem mit: Karin Anselm, Renate Grosser, Jenny Thelen, Paul Bürks, Gernot Duda, Dieter Eppler, Wolfried Lier und andere (Franjo Marincic, Gerd Rubenbauer, Wolf Goldan). Ton und Technik: Günter Heß und Christine Koller. Aufnahmeleitung: Reiner Kositz. Regie: Heiner Schmidt. Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks (1984). Redaktion: Dieter Hasselblatt und Erwin Weigel.
Hörspielfan
16. Juli 2025
Michael Koser: Es tickt bei Prof. van Dusen (RIAS 1993)
Hatch: 14. November 1902, Freitag, ein Tag wie jeder andere, am frühen Nachmittag verläßt Prof. van Dusen sein Haus in der 35. Straße West Manhattan NewYorkCity wie an jedem andren Tag er sieht nicht nach rechts er sieht nicht nach links, er sieht in das offene Buch vor seiner Nase, wie jeden Tag und wie jeden Tag hebt er die linke Hand mit dem Regenschirm, die Droschke, die wie immer ein Haus weiter gewartet hat, fährt vor, wie jeden Tag, der Prof. steigt ein, vertieft in seine Lektüre, wie jeden Tag, der Kutscher schließt die Tür, diesmal vielleicht ein wenig sorgfältiger als sonst, die Droschke fährt die 35. Straße entlang, nach Osten, wie jeden Tag, Richtung Universität, so, meine Damen und Herren, beginnt es, das unglaubliche Abenteuer um den Bombencountdown im Luxushotel, Prof van Dusen fährt zur Uni wie jeden Tag was ist daran unglaublich so werden sie fragen, haben sie noch einen ganz kleinen Moment Geduld, die Droschke biegt links ab in die 5. Avenue und sie wird schneller, der Kutscher schlägt auf seinen Gaul ein, der Gaul geht über in Galopp, van Dusen sieht aus dem Fenster, ein Ausdruck der Verwunderung tritt in seine durchgeistigten Züge.
vanDusen: Dies ist nie und nimmer die Madison Avenue, he da guter Mann sie verfehlen den rechten Weg, zur Universität wünsche ich verbracht zu werden, Madison Avenue nicht 5 Avenue, biegen sie rechts ab, halt guter Mann, halten sie ihre Gefährt an, lassen sie mich aussteigen, halt, halten sie an, ich will aussteigen, ich will zur Universität.
vanDusen: Türen und Fenster sind verriegelt, immer schneller rast die Droschke die 5 avenue entlang, nicht weit vom Central park kommt sie abrupt zum stillstand, vor einem hochherrschaftlichen Gebäude an der Ecke der 58 Straße.
Butler: Prof van Dusen wie ich vermute.
vanDusen: In der Tat.
Butler: Sie werden erwartet, Herr Prof, würden sie mir bitte ins Haus folgen.
vanDusen: Nein ich würde nicht, was geht hier vor, wo bin ich.
Butler: Helft dem Herrn Prof, achtet darauf, daß er den Weg nicht verfehlt.
vanDusen: Lassen sie mich los, auf der Stelle.
Butler: Wir wollen doch kein Aufsehen, folgen sie mir.
vanDusen: Hilfe, ich werde entführt.
Hatch: Höflich aber sehr bestimmt wird der Prof ins Haus geleitet, durch ein prunkvolles Foyer in einen noch prunkvollen Salon, hier sitzen drei Personen, die ihm erwartungsvoll entgegensehen, ein stattlicher älterer Mann umgeben von der Aura des Erfolgs, neben ihm eine etwa gleichaltrige Frau, kleiner eher unfällig, und meine Wenigkeit, falls sie mich noch nicht kennen, Hatch heiße ich, Hutchinson Hatch Reporter vom beruf und aus Berufung Begleiter und Chronist von Prof van Dusen.
Butler: Meine Herrschaften, Prof DrDrDr Augustus van Dusen.
Hatch: Der größte Wissenschaftler und Amateurkriminologe unserer Zeit.
vanDusen: Hatch sie hier.
Hatch: Wie sie sehen, Prof.
vanDusen: War es etwa ihre Idee mich entführen zu lassen, ein exerzitium ihres beklagenswerten Sinnes für Humor oder was sie dafür halten.
Morgan: Ich muß Mr Hatch in Schutz nehmen, Prof ich bin der Übeltäter, willkommen in meinem Haus.
vanDusen: So, und wer sind sie.
Morgan: John Pierpont Morgan, schon von mir gehört.
Hatch: Mr Morgan ist einer der reichsten Männer der Welt, ein Multimillionär, einer aus dem Club der Astor, Vanderbild, Rockefeller, nicht zu vergessen meinen verehrten Papa.
Morgan: Sie sehen, Prof sie sind nicht unter die Räuber gefallen.
Dotty: John würdest du.
Morgan: Machen wir, Dotty, Prof van Dusen, meine Gattin Dorothy.
Dotty: Liebster Prof endlich, wie oft hab ich mir gewünscht sie leibhaftig kennenzulernen, doch da sie Gesellschaften niemals zu besuchen pflegen.
vanDusen: Aus gutem Grund, Mrs Morgan, man trifft dort so unerfreuliche Zeitgenossen, Mr Morgan, was geht hier vor, erklären sie sich, rechtfertigen sie soweit dies überhaupt möglich ist ihr skandalöses Verhalten.
Morgan: Nicht die feine Art Prof, muß ich zugeben, aber was hätte ich sonst tun sollen, ich habe alles versucht, ans Telefon sind sie nicht gegangen, und meine Boten hat ihr Diener an der Haustür abgewimmelt, weil sie gerade in einer wichtigen wissenschaftlichen Arbeit stecken.
Hatch: Radium, Prof.
vanDusen: So ist es mein lieber Hatch.
Morgan: Also hab ich ihren Droschkenkutscher geschmiert und ich hab Mr Hatch zu mir bestellt und ihm kurz erzählt was los ist weil sie ohne ihren Schlappenschamies nichts tun, Prof, hab ich mir sagen lassen.
Hatch: Assistent, heißt das Mr Morgan, Assistent.
Morgan: Ja und genau das sollen sie, Prof was tun, für mich, ich engagiere sie, nennen sie ihren Preis, ich zahle was sie wollen, gutes Geld für gute Ware, mein Motto, oder wenn ihnen ein Blankoscheck lieber ist, setzen sie jede Summe ein, na ist das ein Angebot Prof.
vanDusen: Ersparen sie sich weitere Worte Mr Morgan, ich wünsche zu gehen.
Hatch: Mr Morgan sie machen das falsch, lassen sie mich mal, ein Fall Prof, ein wunderschöner, ein sensationeller Fall, ein bizarrer, ein hochkomplizierter Fall, ach was ein Fall, drei Fälle mindestens, und einer immer ausgefallener als der andere.
vanDusen: Ich bin nicht interessiert.
Hatch: Da hätten wir erstens die mysteriöse Affäre um den üblen Geruch in der Fürstensuite, zweitens die kuriose Episode des geschmorten Mopses, drittens das Rätsel des spurlos verschwundenen Detektivs.
vanDusen: In der Tat mein lieber Hatch.
Morgan: Und viertens wird in meinem Hotel eine Bombe hochgehen wenn sie das nicht verhindern Prof.
vanDusen: Tja, unter diesen Umständen, berichten sie, Mr Morgan.
Hatch: Knapp präzise etc, sie kennen das, meine Damen und Herren, nicht das man John Pierpont Morgan sowas extra ans Herz legen mußte, time ist money, so lautete sein Motto, und entsprechend fiel sein Bericht aus.
Morgan: Hotel Galaxy kennen sie bestimmt Prof.
vanDusen: Notgedrungen sofern sie das monströse Bauwerk südlich des central park meinen.
Morgan: Zwei Blocks von hier gleich um die Ecke, genau Prof, 100m hoch, 24 Stockwerke, das größte höchste, schönste, feinste, teuerste Luxushotel in New York, in Amerika, in der ganzen Welt.
Hatch: Moment das Waldorf Astoria.
Morgan: Ne Hütte, Mr Hatch, nichts als ne schäbige Hütte, gehört mir.
Hatch: Das Waldorf.
Morgan: Ne quatsch das Galaxy.
vanDusen: Ich gratuliere Mr Morgan.
Morgan: Vor einem Jahr hab ich es übernommen vom Bauherrn und Vorbesitzer Philip T Smart, kennen sie sicher auch Prof.
Hatch: Kannte er nicht, woher auch, Philip T Smart war kein unübersehbarer Wolkenkratzer, Philip T Smart war Unternehmer, und von Geschäften, Finanzen und dergleichen hat der Prof keinen Schimmer, Morgan mußte ihn aufklären, Smart hatte sich aus der Gosse hochgearbeitet und noch in jungen Jahren durch finanz-spekulation ein ganz anständiges Vermögen zusammengekratzt, dann hatte er ganz hoch gegriffen und das Galaxy gebaut, ein Superhotel wie es die Welt noch nicht gesehen hat, dabei ging ihm das Kapital aus, er mußte sich was pumpen.
Morgan: Meine Bank hat den Bau finanziert, Prof das Haus Draxel und Morgan Wallstreet, smart kriegte soviel wie er brauchte bis das Hotel stand, tja und dann.
Hatch: Dann haben sie die Klappe zugemacht, Mr Morgan.
Morgan: Wie das so läuft, keine neue Kredite bewilligt, die laufenden gekündigt, die Smart ging pleite, ich erbte die Konkursmasse, sprich das Galaxy, ein Hotel wollte ich schon immer mal haben.
Hatch: Kein schlechtes Geschäft, moralisch vielleicht nicht ganz astrein, aber.
Morgan: Aber legal, Mr Hatch, nicht dran zu tippen, von nichts kommt nichts, mein Motto, jeder ist sich selbst der nächste, der bessere gewinnt.
Hatch: Geschäft ist Geschäft.
Morgan: So ist es, Mr Hatch, eine ganz normale Transaktion, aber Smart sah das anders, nach der pleite war er total aus dem Gleis, hier oben meine ich im kopf, verleumdet hat er mich, beschimpft, sogar bedroht an leib und leben, richtig gemeingefährlich ist er geworden, was sollte ich machen, ich hab dafür gesorgt daß er untersucht und in ein Irrenhaus eingewiesen wurde.
vanDusen: In welches Mr Morgan.
Morgan: Happy Valley, drüben in Egzet, eine geschlossene Anstalt, nicht gerade billig, aber sicher, überall Gitter, kräftige Wärter, da kommt er nie raus, hab ich jedenfalls gedacht, bis vor 5 Tagen, letzten Sonntag.
vanDusen: Was geschah am letzten Sonntag Mr Morgan.
Morgan: Das Telefon klingelte in meinem Büro im Galaxy, das Hotelmanagement hab ich nämlich selbst übernommen, als Hobby sozusagen, interessante arbeit, viel interessanter als das Bankgeschäft.
Dotty: Deshalb hält sich mein Gatte auch so oft im Galaxy auf, nicht wahr John.
Morgan: Was du tust tue ganz oder gar nicht, mein Motto.
vanDusen: Ihr Telefon klingelte, Mr Morgan.
Morgan: Richtig, Sonntag 9 November kurz nach 2 Uhr nachmittag, ja hier Morgan fassen sie sich kurz.
Smart: Das hab ich vor, Morgan sie wissen, wer ich bin, erkennen sie meine Stimme.
Morgan: Smart.
Smart: Smart, Smart, den sie in den Ruin getrieben und ins Irrenhaus gebracht haben, aber ich bin nicht mehr in happy valley, Morgan, ich bin frei und ich werde mich rächen, an ihren gestohlenen Hotel werden sie nicht mehr lange Freude haben, Morgan, das versprech ich ihnen, bis bald.
Morgan: Vermittlung, der Anruf eben, stellen sie fest woher er kam.
Morgan: Und woher kam er, nicht von draußen, sondern über die Hausleitung.
vanDusen: Aus dem Hotel, woher genau.
Morgan: Das war nicht zu klären, im Galaxy haben wir nämlich ein ganz modernes Vermittlungssystem, teilautomatisch.
vanDusen: Ich verstehe Mr Morgan, fahren sie fort.
Morgan: Ich ließ mich sofort mit happy valley verbinden, mit dem Direktor Dr Daffy.
Daffy: Smart, den haben wir heute morgen entlassen, aber das wissen sie doch, Mr Morgan.
Morgan: Entlassen, sind sie noch zu retten.
Daffy: Aber das war ihr ausdrücklicher Wunsch Mr Morgan.
Morgan: Mein Wunsch, wie kommen sie denn auf die Idee.
Duffy: Ihr Brief, Mr Morgan, ihr Brief, darin haben sie mich angewiesen, Smart zu entlassen und weil sie doch die Rechnung für ihn bezahlen, Mr Morgan.
Morgan: Haben sies getan, sie sind ein Idiot, Daffy, so einen Brief hab ich nie geschrieben.
Duffy: Ich versteh das nicht, Mr Morgan, die Dame hat ihn mir heute morgen vorgelegt und dann hat sie Smart gleich mitgenommen.
Morgan: Dame welche Dame.
Duffy: Die Dame, die Smart seit Wochen besucht, seine Cousine.
Morgan: Blödsinn, Smart hat keine Cousine, keine Schwester, keine Tante, keine Großmutter, überhaupt keine verwandten, smart ist ein Findelkind und im Waisenhaus aufgewachsen.
Morgan: Viermal war sie bei Smart gewesen seit September, beim ersten mal hatte sie auch schon einen Brief von mir angeblich, sie darf Smart besuchen, stand drin.
Dotty: Anscheinend eine Komplizin, so sagt man wohl.
vanDusen: Wie sah die Frau aus, Mr Morgan haben sie sich eine Beschreibung gegeben lassen.
Morgan: Aber klar Prof, tief verschleiert, unauffällig gekleidet, nicht sehr groß, gebildete Sprechweise, nicht gerade viel.
vanDusen: Und der Brief, Mr Morgan.
Morgan: Mein Briefpapier, mein privater Briefkopf, meine Handschrift, sah jedenfalls aus wie meine, haargenau.
vanDusen: Weiter Mr Morgan.
Morgan: Sonntag abend hatten wir was vor, irgendsoeine Wohltätigkeitsabfütterung bei Delmonico, Dotty macht viel in Wohltätigkeit.
Dotty: Verbringe dein leben sinnvoll, mein Motto.
Morgan: Beim umziehen hab ich Lotty die Sache erzählt.
Dotty: Ich war entsetzt, schockiert, dieser Wahnsinnige in Freiheit, was konnte er nicht alles anstellen.
Morgan: Ein Luxushotel ist ein empfindlicher Organismus, sehr anfällig für Störungen, ich machte mir Sorgen, irgendwas mußte ich unternehmen, frage was, die Antwort ergab sich beim essen.
Dotty: Du meinst Collinson.
Morgan: Genau Dotty, Peter Collinson saß bei uns am Tisch, interessanter Typ Sicherheitsexperte von beruf, spezialisiert auf große Hotels, kam gerade aus London, da hatte er im Savoy gearbeitet.
Morgan: Und womit beschäftigen sie sich zurzeit Mr Colingson.
Collinson: Ich spanne ein wenig aus, ich muß nicht arbeiten, ich bin finanziell unabhängig, wenn sich eine neue reizvolle Aufgabe bietet.
Dotty: John.
Morgan: Ja Dotty.
Dotty: Greif zu.
Morgan: Wo was.
Dotty: Collinson für dein Hotel.
Morgan: Als Hausdetektiv, aber ich hab doch schon einen.
Dotty: Simpsons, der wird mit Smart nicht fertig, du brauchst einen neuen, einen echten Experten, dynamisch, energisch.
Morgan: Meinst du, sagen sie mal, Collinson.
Collinson: Ja.
Morgan: Hör auf deine Frau, mein Motto, ich habe Simpson gefeuert und Collinson eingestellt, montag früh gleich am nächsten Morgen fing er an, er kriegte alle Schlüssel, ein Büro unten gleich am Empfang, ein Zimmer in den oberen Regionen, wo das Personal untergebracht ist.
vanDusen: Zur Sache Mr Morgan.
Hatch: Zeit ist Geld.
Morgan: Ist recht, Prof also Smart.
vanDusen: Ja Mr Morgan was war mit Smart.
Morgan: Nichts, keine Störung, kein Anruf, nix am montag nix, am dienstag nix, mittwoch nix, ich dachte Smart tut nix, hat wohl angst vor meinen neuen Hoteldetektiv, aber dann am donnerstag.
Hatch: Gestern.
vanDusen: Was ereignete sich am donnertag Mr Morgan.
Morgan: Das Telefon klingelte in meinen Büro morgens gegen 9.
vanDusen: Smart.
Morgan: Nein Prof nicht Smart, der Anruf kam aus unserer Fürstensuite im 5 Stock, zufällig wohnt da gerade ein echter Fürst aus Deutschland der regierende Herzog von Sonderbar-Schwarzhausen, Hoheit war persönlich am Apparat, Hoheit war sauer, stinksauer im wahrsten Sinne des Wortes.
Fürst: Unerhört, stinkt im Badezimmer, wollte Bad nehmen, unmöglich, infernalischer Gestank, nicht auszuhalten, Kammerdiener ohnmächtig.
Morgan: Tut mir leid das zu hören, Hoheit werde mich sofort drum kümmern.
Fürst: Kümmern, abstellen den Gestank aber dalli, sonst unverzüglicher Umzug ins Waldorf Astoria, verstanden.
Morgan: Ich hab gleich den neuen Detektiv hingeschickt, der durchsuchte das Bad mit zugehaltener Nase und zusammengebissenen Zähnen und was fand er schließlich hinter der Wandtäfelung, einen Fasan schon lange tot sehr lange, der Küchenchef hatte ihn schon vermißt.
vanDusen: Und Sie meinen Smart haben besagten Vogel hinter die Täfelung praktiziert.
Morgan: Ich meine nicht, Prof ich weiß, Collinson hat nämlich nicht nur den vergammelten Fasan gefunden, sondern auch das hier.
vanDusen: Ein beschriebenes Stück Papier, mein lieber Hatch würden sie.
Hatch: Weiß schon, Prof vorlesen, nur ein Satz, dieses war der erste Streich und der zweite folgt sogleich, Unterschrift Philip T Smart.
Morgan: Und tatsächlich der zweite streich folgte noch am gleichen tag abends in Suite Nr 7, bewohnt von Lady Ribbondale, reiche Witwe aus England, gestern abend hatte sie sich ein Spanferkel auf die suite bestellt, der Etagenkellner nahm die platte aus dem Serviceaufzug und trug sie in lady ribondales Speisezimmer, oben drüber war natürlich so ein gewölbter Metalldeckel zum warmhalten.
Kellner: Darf ich servieren Milady.
Lady: Noch nicht Kellner, wini, wini, Liebling komm zu Frauchen, komm fresschen, lecker lecker Spanferkel, wili wo steckst du denn, Kellner haben sie meinen wili gesehen.
Kellner: Euer lady Schoßmops leider nein milady.
Lady: Wo mag er sich herumtreiben, der kleine Strolch, da muß ich wohl ohne meinen wilielein anfangen, legen sie mir vor Kellner.
Kellner: Sehr wohl milady.
Lady: Ah, willie mein Willie, mein kleiner wili, will was hat man dir angetan, oh.
Morgan: Auf der Platte der Mops, statt Spanferkel.
vanDusen: Tot.
Morgan: Mausetod.
Dotty: Arme Lady Ribbondale.
Morgan: Allerdings nicht geschmort wie Mr Hatch vorhin meinte.
Hatch: Schade das wäre das itüpelchen gewesen journalistisch gesehen aber doch wohl mit einem Zettel im Schnabel von Smart einen Gruß.
Morgan: Diesmal kein Zettel, Mr Hatch, Smart rief mich an eine Stunde später, Lady Ribbondale war knall auf fall ausgezogen, Collinson hatte gewühlt und das gebratene Spanferkel im Keller entdeckt, in einem Abfalleimer bei der Küche.
vanDusen: Der Austausch fand demnach nicht auf der Etage oder im Servicelift statt vielmehr im Küchenbereich, interessant, was hatte Smart ihnen mitzuteilen Mr Morgan.
Smart: Bisher habe ich gescherzt, Morgan, Verwesungsgeruch im Bad, ein Schoßhund zum Soupe, gewiß nicht angenehm für sie und das Galaxy, aber doch eher Nadelstiche denn Katastrophen, es wird Zeit die Schraube anzuziehen, in dieser Nacht werde ich zuschlagen, Morgan ich werde ein Mitglied ein wichtiges Mitglied des Hotelpersonals töten.
Morgan: Hören sie Smart, wenn sie Geld wollen.
Smart: Ich will Rache, Morgan, ich will sie ruinieren.
vanDusen: Wie ich vermute kam dieser Anruf ebenfalls aus dem Hotel.
Morgan: So ist es Prof, ich Habe sofort Collinson informiert, und der versprach die Augen offenzuhalten besonders achten wollte er auf den Küchenchef und den maiter de hotel, aber die hatte Smart gar nicht gemeint, heute früh erscheint Collinson nicht in seinem Büro, ich rufe in seinem Zimmer an, niemand geht ran, ich lasse die Tür aufbrechen, das Zimmer ist leer, und auf Collinson Bett finden wir.
vanDusen: Doch wohl nicht seine Leiche.
Morgan: Leiche, ne, großen Blutfleck und diesen Zettel.
Hatch: Geben sie mal her ich schreite zur Verlesung, an Morgan den Schuft und Betrüger, ihr neuer Hoteldetektiv sollte mich erwischen, ich habe ihn erwischt, Collinson ist tot, sie werden ihn niemals wieder sehen, ich führe meine Drohungen aus, das habe ich bewiesen, jetzt mache ernst, ein für alle mal, heute freitag 14. November 1902 wird im Galaxy eine Bombe detonieren, um Mitternacht mit dem Glockenschlag wird ihr Hotel zur Ruine werden, wer zuletzt lacht, lacht am besten, mein Motto, haha, steht hier, haha.
vanDusen: Hatch, nach Empfang der Epistel haben sie doch wohl sogleich.
Morgan: Klar hab ich Prof mich hingesetzt und scharf nachgedacht.
vanDusen: Nachgedacht nun gut Mr Morgan und des weiteren.
Morgan: Des weiteren, was denn zum Beispiel.
vanDusen: Zum Beispiel hätten sie das Hotel Galaxy gründlich durchsuchen lassen sollen.
Morgan: Hunderte von Räumen, über 30.000 qm wie stellen sie sich das vor.
vanDusen: Aber die polizei haben sie doch wohl verständigt.
Morgan: Eher weniger Prof.
vanDusen: Was soll das heißen Mr Morgan.
Morgan: Ehrlich gesagt nein.
vanDusen: Nicht.
Morgan: Sehen sie Prof, es geht um ein Hotel ein Luxushotel, voll mit hochkarätigen Gästen, Fürsten, Ladys, Millionären, wenn die erfahren, daß ein irrer Killer mit einer Bombe im Galaxy herumgeistert, was meinen sie was dann los ist, Panik, Chaos.
Hatch: Finanzieller Ausfall.
Morgan: Auch das Mr Hatch, und sie glauben doch wohl nicht, daß ich die geschichte unterm Deckel halten kann wenn Horden von Plattfüßen durch die Fluren trampeln, nein Prof die Polizei ist fehl am platz zu laut, zu indiskret.
vanDusen: Andererseits ist es ihre Pflicht als Staatsbürger.
Morgan: Und was das wichtigste ist, die Polizei ist einfach nicht gut genug oder trauen sie ihr zu Smart zu fangen.
vanDusen: Wenn sie mich so direkt fragen Mr Morgan.
Hatch: Caruso würde ein Bombe nur finden wenn sie ihm unterm Hintern losgeht, und vielleicht nicht mal dann.
vanDusen: Hatch.
Morgan: Also keine Polizei, für John Pierpont Morgan ist das beste gerade gut genug, mein Motto.
Dotty: Der beste John.
Morgan: Genau Dotty und wer ist der beste.
Hatch: Wer wohl Prof van Dusen, der größte Amateurkriminologe der Welt.
vanDusen: Ich kann ihnen nicht widersprechen, mein lieber Hatch.
Dotty: Ich denke an den Vampir von Brooklyn, an den Mann der seinen Kopf verlor und was sie erst kürzlich im wilden Westen geleistet haben, Prof brillant, genial.
Morgan: Und darum bin ich ganz sicher Prof, sie werden die Bombe finden und unschädlich machen, sie werden Philip T Smart stellen.
vanDusen: Nicht nur ihn, Mr Morgan, haben sie die Frau vergessen, welche Smart aus der Anstalt befreite.
Dotty: Die verschleierte Komplizin.
vanDusen: Eben diese Misses Morgan.
Hatch: Die kriegt er auch der Prof, darauf können sie wetten.
Dotty: Hoffentlich.
Hatch: Ja und wie ich ihn kenne hat er schon die eine oder andere Spur, was Prof.
vanDusen: Durchaus möglich, und vielleicht auch den einen oder anderen Verdacht.
Hatch: 5 Uhr nachmittags, der countdown lief, nur noch 7 Stunden bis zur angekündigten Explosion, es wurde Zeit, in Aktion zu treten, Prof van Dusen trat in Aktion, indem er die Operationsbasis ins Galaxy verlegte, Morgan begleitet uns, unterwegs ließ van Dusen sich den gesuchten Bombenleger beschreiben, Smart war um die 30, sagte Morgan, mittelgroß, mausblond, unscheinbar ohne besondere Kennzeichen.
vanDusen: Und ihr verschwundener Hausdetektiv Collinson, Mr Morgan.
Morgan: Collinson, ach sie meinen, falls sie zufällig über seine Leiche stolpern, Ende 30 Glatze, Schnurrbart, Kneifer, 7 Stock steigen sie aus meine Herren, nehmen sie sich Suite 7 die ist frei.
Hatch: Von wegen der lady mit dem mops, und sie Mr Morgan.
Morgan: Ich fahr weiter, mein Büro liegt ganz oben im 24 Stock, da finden sie mich wenn sie mich brauchen.
Hatch: Im Salon von Suite 7 hing noch ein leichter Hauch von Mops, der Prof achtete nicht darauf, er wanderte und dachte nach, leicht geistesabwesend wie immer, ich hatte die Füße auf dem Tisch einen doppelten Whisky vor mir, und sah zu, nicht lange, nach ein paar Minuten gings weiter in den obersten Stock wo die Wohnräume des Personals lagen, ein paar billige Gästezimmer und Morgans Managerbüro, seltsam warum hier oben in eher ärmlicher Umgebung, na seine Sache, Collinsons Zimmer war klein, kahl und leer, abgesehen von der nötigsten Möblierung, Bett, Nachttisch, Stuhl, Schrank, van Dusen machte sich wieder ans wandern, er dachte, suchte, bückte sich ab und zu, wanderte weiter, das übliche, der dicke braunrote Blutfleck auf dem Kopfkissen interessierte ihn überhaupt nicht, merkwürdig, warum wollte er ihn nicht untersuchen.
vanDusen: Ich könnte es tun, mein lieber Hatch, ich könnte den erst kürzlich von meinem deutschen Kollegen Uhlenhuth entwickelten Präzipitintest durchführen, doch wozu, es wäre Zeitverschwendung.
Hatch: Wie sie wollen Prof.
vanDusen: Von weit erheblicher kriminologischer Relevanz als jener lächerlicher Fleck ist das was wir im Schrank vorfinden.
Hatch: Im Schrank aber da ist nichts.
vanDusen: Eben dies meine ich, und auf dem Nachttisch.
Hatch: Auch nichts, kein Bild, keine Uhr, gar nichts.
vanDusen: Keinerlei persönliche Habseligkeiten, keine Kleidung.
Hatch: Als ob hier niemand gewohnt hat.
vanDusen: Sehr gut und sehr richtig.
Hatch: Aber hier hat doch jemand gewohnt, Hausdetektiv Collinson.
vanDusen: Collinson ist und war nicht existent, ein Phantom, besser gesagt ein alias.
Hatch: Alias, sie meinen Collinson war in Wirklichkeit jemand anders, wer denn.
vanDusen: Wer wohl, Smart natürlich.
Hatch: Smart, der entsprungene Irre, der Stänker, der Mopskiller, der Bombenleger, wie kommen sie darauf.
vanDusen: Dies habe ich unter dem Schrank entdeckt.
Hatch: Ein rundes Stück Glas aus einer Brille oder.
vanDusen: Oder aus einem Kneifer.
Hatch: Richtig Collinson trug einen Kneifer.
vanDusen: Warum trug Collinson einen Kneifer.
Hatch: Warum, blöde frage, würde ich sagen, damit er besser sehen konnte.
vanDusen: Keineswegs, Collinson trug einen Kneifer um sich besser sehen lassen zu können, um nicht erkannt zu werden, das Glas ist nicht geschliffen, ordinäres Fensterglas, der Kneifer war Bestandteil einer Maskerade, wie übrigens auch dies Objekt, auf welches ich ebenfalls unter dem Schrank stieß.
Hatch: Ein Büschel schwarze Haare.
vanDusen: Längst abgestorben, mit Spuren von Leim an den Wurzeln.
Hatch: Aber Collinson war kahl, hat Morgan gesagt.
vanDusen: Wie so oft denken sie auch hier zu kurz.
Hatch: Und wie so oft werden sie mir den verstand schon lang ziehen.
vanDusen: Später, später lassen sie uns zunächst folgendes festhalten, Collinson trug eine Maske, Collinson war smart, sie scheinen nicht völlig überzeugt zu sein.
Hatch: Wenn sie mir ein bißchen erklären würden Prof.
vanDusen: Also passen sie auf, der angebliche Collinson, ein angeblicher Sicherheitsexperte für Luxushotels taucht gerade zu jedem Zeitpunkt auf, da der entkommene Smart das Galaxy bedroht, Zufall.
Hatch: Unwahrscheinlich.
vanDusen: Er bietet sich Morgan an, läßt sich einstellen, kann sich als Detektiv ungehindert im Hotel bewegen.
Hatch: Tote Fasane verstecken, Möpse anrichten, und wenns soweit ist, sich problemlos umbringen lassen.
vanDusen: Indem er unter Hinterlassung eines falschen Blutflecks verschwindet.
Hatch: Einverstanden, aber viel weiter sind wir damit auch nicht, wo steckt der Kerl.
vanDusen: Im Galaxy ohne jeden zweifel.
Hatch: Ja aber wo und wo ist die Bombe.
vanDusen: Nehmen sie sich des Telefons an, mein lieber Hatch.
Hatch: Sehr wohl, Prof, ja.
Morgan: Prof van Dusen.
Hatch: Der ist hier, Mr Morgan, wollen sie ihn sprechen.
Morgan: Er soll sofort runterkommen in den Keller.
Hatch: Ist was passiert.
Morgan: Die Bombe, Mr Hatch, die Bombe ist gefunden.
Hatch: Morgan schickte uns einen Pagen als Führer und den hatten wir auch nötig, unter dem Hotel erstreckte sich ein unübersehbares Labyrinth zahlloser niedriger Gänge, nur spärlich erhellt, sie verzweigten und kreuzen sich, kamen aus der Dunkelheit, führen ins nichts, dazwischen düstere Lagerräume, verschimmelte Weinkeller, dunkle Katakomben mit rostigen Spülbecken, überall Schmutz, Dunst, Gestank, und armselige graue Gestalten die schattenhaft vorüberhuschten, in der Mitte wie eine Spinne im Netz die Küche, ein gewaltiges dröhnendes Inferno aus überdimensionalen Öfen und Herden schlugen rote Flammen, warfen zuckende Lichter auf Kessel, Kasserollen und auf die armen Teufel die in dieser Hölle schufteten, muß auch mal sein, gehobene Prosa, bildhafte Sprache, schöner Stil, wozu ist man Starreporter beim Daily New Yorker, aber keine Angst jetzt geht ganz normal weiter, Morgan erwartete uns mit seinem Küchenchef, dem unter Feinschmeckern weithin gerühmten Missio Anatole hinter der Küche in kleinem Raum voller schmaler Wandschränke.
Morgan: Der Umkleideraum für Küchenpersonal.
Hatch: Na die Fürstensuite ist es gerade nicht, Mr Morgan.
Morgan: Wissen sie Mr Hatch, ich sag immer ein großes Hotel ist wie die Welt, oben sind die, die es geschafft haben, es geht ihnen gut, sie werden bedient, leben im luxus, und unten im Dreck da sind die anderen, die meisten, die sich für die oben abarbeiten müssen, so ist das.
Anatole: Sie halten Vortrag missiö sie philosophieren, la bomb, sie machen tick tack tick tack.
vanDusen: In der Tat.
Anatole: Missio sil vous plait, Missio Anatole.
vanDusen: Die Bombe, in diesem offenen Wandschrank.
Anatole: Oui missio.
Morgan: Hören sie doch auf mit dem französischen Getue, sie Anatole, uns brauchen sie nichts vorzumachen, Brown, heißt er, James A Brown.
Anatole: A wie Anatole.
Morgan: Geboren und aufgewachsen in Jouplin, Missouri, Paris haben sie nicht mal von weitem gesehen.
Anatole: Missio, ok aber behalten sies für sich, meine Herren, ein guter Küchenchef muß Franzose sein, die Kundschaft besteht darauf, sonst schmeckts ihr nicht.
Hatch: Wer angibt, hat mehr vom leben, ihr Motto, Anatole Brown und nicht nur ihrs.
vanDusen: Ich ersuche um Ruhe, aha beim corpus delicti handelt es sich nicht im eigentlichen Sinn um eine Bombe das heißt um einen mit Sprengstoff gefüllten Hohl-körper vielmehr könnte man von einer Höllenmaschine primitivster Konstruktion spre-chen bestehend aus 2 Stangen Dynamit, einer kupfernen Zündkapsel und einer Uhr.
Morgan: Höllenmaschine Bombe seien sie nicht pingelig Prof wenn das Ding hoch geht, ist es egal wie es heißt, dann ist das Galaxy ein Trümmerhaufen so oder so.
vanDusen: Nicht doch Mr Morgan, zwei kleine Dynamitstangen dürften kaum im Stande sein nennenswerten Schaden anzurichten.
Anatole: Mondieu ich meine verflixt noch mal, können sie das Ding nicht trotzdem lieber abstellen.
vanDusen: Entschärfen meinen sie, Anatole, gewiß kann ich das.
Anatole: Dann tuns sies doch endlich, macht einen ganz nervös dieses ticken.
vanDusen: Beruhigen sie sich, der Alarm der Weckuhr welcher über die Zündkapsel die detonation des dynamit auslöst wird erst um mitternacht einsetzen, wie spät ist es
Hatch: Fünf vor 7.
vanDusen: Wir haben also noch gut 5 Stunden Zeit, meine Herren, wer hat die Bombe entdeckt.
Anatole: Eine von unseren Küchenhelferinnen.
vanDusen: Holen sie sie.
Hatch: Während der falsche Franzose sich nach der Helferin umsah, machte van Dusen die Bombe unschädlich, indem er die Kapsel vom Wecker und Dynamit trennte mit ruhiger Hand und einem silbernen Tafelmesser.
Anatole: Tut mir leid Prof, die Frau ist nirgends zu finden, seltsam.
vanDusen: Wie ich vermute, arbeitet die Betreffende erst seit kurzem in ihrer Küche.
Anatole: Das stimmt Prof, 2 3 Tage.
vanDusen: Klein, unauffällig.
Anatole:: Woher wissen sie das.
Morgan: Smarts Komplizin meinen sie Prof.
vanDusen: Nicht jetzt, diese Botschaft befand sie unter der Höllenmaschine.
Morgan: Wenn sie diesen Zettel finden, Morgan haben sie meine Bombe rechtzeitig entdeckt, Glückwunsch diese runde gewinnen sie, aber der Kampf geht weiter, sie hören von mir smart, also fürs erste haben wir ruhe oder wie sehen sie das Prof.
vanDusen: Vielleicht.
Anatole: Bleibt es beim erlesenen soupe zu zweit das sie für heute nacht bestellt.
Morgan: Aber sicher Anatole, jetzt wo wir uns um Smarts Bombe kein Sorgen mehr machen müssen, um Mitternacht, im Penthouse, geben sie sich Mühe.
Hatch: Worum gehts denn Mr Morgan.
Morgan: Nichts für sie, Mr Hatch, na Prof gönnen sie sich auch ne Pause, machen sie Feierabend, morgen können sie ja weiter nach Smart suchen, wie wärs mit einem guten Abendessen.
Hatch: Prima Idee, ich fürchte nur der Prof.
vanDusen: Der Prof ist einverstanden, schicken sie uns das Menu in die Suite.
Hatch: Erstaunlich, wenn er in einem Fall steckt, hält er von Speis und Trank nämlich überhaupt nichts, als das essen kam, 6 Gänge vom feinsten, erstklassige Weine, da rührte er es nicht an, ich muß also für den Meister mitessen, dachte ich aber da dachte ich falsch, wie so oft, der Meister hatte anderes mit mir vor.
vanDusen: Sie werden 2 Aufträge für mich erledigen.
Hatch: Wenn es sein muß.
vanDusen: Selbstverständlich muß es sein, der Fall verlangt es.
Hatch: Ja dann was befehlen Prof.
vanDusen: Zunächst suchen sie ein zweites mal die kulinarischen Niederungen des Galaxy auf.
Hatch: Die Küche meinen sie.
vanDusen: Was denn sonst und dort werden sie einige fragen an Mr Anatole richten.
Hatch: Und wenn er nicht antworten will.
vanDusen: Sie werden ihn dazu überreden.
Anatole: Und wie gedenken sie das anzustellen.
Hatch: Ganz einfach, ich werde einen Artikel über sie schreiben im Daily New Yorker mit ihrem vollen Namen, ihrem Geburtsort.
Anatole: Alles nur das nicht.
Hatch: Also.
Anatole: Im Penthouse oben auf dem Dach wohnt eine Miss Maria Lankton.
Hatch: Lankton schon mal gehört.
Anatole: Eine junge Dame, sehr vertraulich mit Morgan, vom Theater.
Hatch: Schauspielerin, jetzt weiß ich Mary Lankton alias Mimi Lamuset, Schlangen- und Schleiertanz nur für Erwachsene, ich habe sie längere Zeit nicht gesehen, ein Jahr oder so.
Anatole: Tanzt nur noch für Mr Morgan im Penthouse.
Hatch: Deshalb hat er sich sein Büro im obersten Stock eingerichtet der alte Sünder, damit er in unauffällig in sein Liebesnest flattern kann, wenn Mrs Morgan wüßte, was ihren Mann so am Hotelbetrieb fasziniert.
Anatole: Ohne Mr Morgans ausdrückliche Erlaubnis darf niemand aufs Dach, im Sommer haben sie da mal einen Privatdetektiv erwischt.
Hatch: Und achtkantig rausgeschmissen.
vanDusen: Im Sommer, sehr interessant, und höchst aufschlußreich.
Hatch: Morgen hat die Dame Lantkon Geburtstag, heut nacht um 12 fängt sie an zu feiern, in trauter Zweisamkeit mit Morgan.
vanDusen: Mitternachtssoupe im Penthouse, ich verstehe, mein lieber Hatch der Fall.
Hatch: Ist klar.
vanDusen: Ist weitgehend aufgeklärt, zur endgültigen Lösung fehlt nur noch ein kleiner Mosaikstein, sie werden ihn mir beschaffen.
Hatch: Machen wir Prof und wie.
vanDusen: In dem sie sich stehenden Fußes ins Erdgeschoß begeben zum Empfang, wo sie sich folgende Frage beantworten lassen.
Empfang: Letzten Sonntag.
Hatch: Ja.
Empfang: Vor 2 Uhr mittag, lassen sie sehen, Sonntag 9. November viele Gäste, wir sind ein großes Haus von internationalem Rang.
Hatch: Geschenkt, ich brauch nur einen Gast, männlich vermutlich mit Bart, hat höchstwahrscheinlich eins von den billigen Zimmern ganz oben bezogen.
Empfangsdame: Ah ja ich erinnere mich, ein bärtiger Ausländer, dunkle Brille, sehr schwerer Koffer, der Page hat sich darüber beschwert, hier ist er, Igor Bolonski aus Kravonien, Zimmer 367 im 24 Stock.
Hatch: Und Zimmer 367 liegt direkt unter dem Penthouse.
vanDusen: Sieh an damit ist der Fall gelöst.
Hatch: Wenn sie meinen Prof, jetzt müssen wir bloß noch Smart finden.
vanDusen: Wir haben ihn gefunden.
Hatch: Igor Bolonski.
vanDusen: Alias Peter Collinson alias Philip T Smart, ein vielseitiger Zeitgenosse und begabter Schauspieler, wie es den Anschein hat, wir kennen sein Schlupfwinkel.
Hatch: Zimmer 367.
vanDusen: Und wir kennen seine Komplizin.
Hatch: So.
vanDusen: Korrektur ich kenne sie, nunmehr gilt es dem nächsten Zug unserer Kontrahenten zuvorzukommen.
Hatch: Zug was für ein Zug.
vanDusen: Der letzte Spielzug, der Zug der zum Schachmatt führt sofern wir ihn nicht verhindern.
Hatch: Schachtmatt für wen oder was.
vanDusen: Für Mr Morgan und seine Geliebte Miss Lankton, ich spreche von der angekündigten Bombenexplosion um Mitternacht.
Hatch: Aber das ist doch schon längt abgehakt, die Bombe im Keller.
vanDusen: War ein bewußtes Ablenkungsmanöver, dazu bestimmt um uns ins Sicherheit zu wiegen, schauen sie auf die Uhr.
Hatch: Mach ich Prof 9 Uhr 48, 12 min vor 10.
vanDusen: 2 Stunden und 12 Minuten bis Mitternacht.
Hatch: Na und was tun wir solange, Prof.
vanDusen: Wir verlassen das Hotel, offiziell, inoffiziell jedoch.
Hatch: Bleiben wir.
vanDusen: Sehr gut, verschließen sie die Tür, löschen das Licht.
Hatch: Was dagegen wenn ich im dunkeln was esse.
vanDusen: Wenn sie sich dabei ruhig verhalten.
Hatch: Zwei Stunden später, zehn Minuten vor Mitternacht, zwei Männer, einer groß, einer kleiner, stehen vor Zimmer 367, sie sehen sich um, alles ruhig, der kleine zeigt auf die Tür, der große nickt und klopft, Pause, niemand da.
vanDusen: Klopfen sie nochmal, Hatch.
Hatch: Zimmerservice, Mr Bolonski nix, Tür aufbrechen Prof.
vanDusen: Wozu, die Tür ist offen.
Hatch: Und jetzt.
vanDusen: Wir treten ein, nach ihnen.
Hatch: Hannemann geh du voran, altbekanntes Motto.
vanDusen: Machen sie Licht.
Hatch: Ach du dicker Vater.
Hatch: Mitten im Zimmer auf dem Teppich hatte jemand eine menge Dynamitstangen zu einer eindrucksvollen Konstruktion aufgestapelt inklusive Zündkapsel und Wecker, daneben lag ein Mann auf dem Rücken, regungslos, ein mittelgroßer Mann, unscheinbar, abgesehen von einem gewaltigen schwarzen Rauschebart, van Dusen bückte sich, packte den Bart und.
vanDusen: Der Bart ist ab, mein lieber Hatch, darf ich vorstellen, Mr Philip T Smart.
Hatch: Ist er tot Prof.
vanDusen: Ohne jeden zweifel, eine interessante, nicht unbedingt zu erwartende wenn auch kaum überraschende Entwicklung.
Hatch: Ermordet.
vanDusen: Was erblicken sie auf dem Tisch.
Hatch: Eine Flasche Sherry Brandy pfui und zwei Gläser, eins voll, eins leer.
vanDusen: Riechen sie.
Hatch: Bittere Mandel, Zyankali.
vanDusen: Zyankali und 2 Gläser das heißt Mord und wenn sie mich nach dem Mörder fragen.
Hatch: Sehr gern aber vielleicht lieber später es ist 11 Uhr 58 und in zwei Minuten knallts.
vanDusen: In der tat, der Alarmzeiger steht auf 12 Uhr.
Hatch: Sollten sie da nicht besser.
vanDusen: Die Sprengladung unschädlich machen.
Hatch: Ja natürlich.
vanDusen: Wenn es sie beruhigt geben sie mir ihr Taschenmesser ganz ruhig danke, so.
Hatch: Das wars.
vanDusen: Das wars, die Zündkapsel nehm ich tunlichst an mich und den Wecker.
Hatch: Ah, das war höchste Zeit, nichts zu trinken da außer Sherry Brandy mit Zyankali, wie gehts weiter.
vanDusen: Sie werden sich an den Telefonapparat verfügen und einer gewissen Person eine gewisse Mitteilung machen sodann.
Hatch: Viertel nach 12 klopfen wir an die Tür zum Penthouse, Morgan war nicht gerade erfreut, ließ uns aber rein, Mary Lankton alias Mimi Lanuset hatte ich zuletzt im Junggesellenclub gesehen, auf dem Tisch, jetzt hatte sie ein bißchen mehr an als damals, aber viels wars auch nicht, ein interessanter Anblick, allerdings nicht für van Dusen, unbeeindruckt sag er seine bekannte und beliebte Aufklärungsarie.
vanDusen: Als Bronski bezog Smart am Sonntag ein Zimmer im Galaxy, mit einem Koffer voller Dynamit, verwandelte sich in Collinson, ließ sich als Detektiv anstellen, beging als solcher diverse Anschläge.
Hatch: Siehe Fasan, siehe Mops.
vanDusen: Um nach seiner scheinbaren Ermordung von neuem in die Bolonskirolle zu schlüpfen, bei alledem agierte Smart nicht allein, er hatte Hilfe.
Morgan: Klar die Komplizin.
vanDusen: Ganz recht Mr Morgan, sie befreite Smart aus der geschlossenen Anstalt, sie schlich sich als angebliche Küchenhilfe ins Hotel ein, ein Kinderspiel bei 100en von Angestellten und unterstützte Smart tatkräftig bei seinen Missetaten, indem sie etwa den Fasan entwendete, das Spanferkel gegen den Mops austauschte.
Morgan: Und so weiter wer ist diese Frau, wo steckt sie, das will ich wissen Prof.
vanDusen: Sie ahnen es nicht, Mr Morgan, selbst dann nicht, wenn ich ihnen verrate, daß besagte Person sich ganz in ihrer Nähe befindet.
Morgan: In meiner Nähe.
Ich.
Morgan: Sie wollen doch nicht sagen.
Dotty: Mein Mann, was ist mit ihm, ist er tot.
Morgan: Dotty, wie kommst du hierher.
Dotty: Du lebst John, aber Mr Hatch doch am Telefon gesagt.
vanDusen: Mr Morgan sei das Opfer einer gewaltigen Explosion in der oberen region des Galaxy geworden, eine Fiktion, Mrs Morgan, ein Kunstgriff um sie zu veranlassen sich hierher zu bemühen.
Hatch: Sie ist Smarts Komplizin.
vanDusen: Selbstverständlich.
Morgan: Dotty, Unsinn sie müssen sich irren Prof.
vanDusen: Ich irre nie, Mr Morgan hören sie zu.
Hatch: Weil ihr Mann sich so oft und so lange in seinem neuen Hotel aufhielt sagte der Prof, wurde Dotty Morgan mißtrauisch, sie schickte einen Privatdetektiv aus, der entdeckte das Geheimnis des Penthouse, und Mrs Morgan schwor Rache, sie plante, sie traf Vorbereitungen, sie tat sich zusammen mit Philip T Smart und holte ihn raus mit gefälschten Briefen ihres Mannes, sie half Smart bei seinem Rachefeldzug und arbeitete gleichzeitig auf ihr eigenes Ziel hin nämlich Morgan und seine Geliebte beim gemeinsamen Geburtstagssoupe in die Luft zu sprengen.
vanDusen: Zur Feier des bevorstehenden Bombenerfolgs wenn ich mich so ausdrücken darf, kredenzte Mrs Morgan ihrem ahnungslosen Verbündeten ein Zyankalicocktail.
Hatch: Aus welchem Grund.
vanDusen: Um sich des Mitwissers zu entledigen und um selbst nicht verdächtigt zu werden, nach der Detonation so ihre Kalkulation würde man Smarts Überreste finden und identifizieren, man würde annehmen, der Täter sei versehentlich ein Opfer des eigenen Bombenanschlag geworden, man würde den Fall als gelöst ad acta legen.
Hatch: Raffiniert.
Morgan: Ist das alles wahr, Dotty.
Dotty: Und wenn, sie können mir nichts beweisen, Prof van Dusen, wer soll gegen mich aussagen, Smart.
vanDusen: Sie selbst, Mrs Morgan, Ihre kleine Statur und ihre Hände, vor allem sie sprechen eine deutliche Sprache, bereits vorhin in ihrem Salon sind sie mir aufgefallen, rot rauh abgearbeitet, nicht die Hände einer Dame der Gesellschaft, die Hände einer Küchenmagd.
Hatch: Mrs Morgan kam nicht vor Gericht, in Multimillionärskreisen ist das nicht üblich, sie kam in eine Anstalt nach happy valley, durch Smarts Tod war glücklicherweise gerade ein Platz freigeworden und Mr Morgan, auf dringende Einladung des Prof tauchte er am nächsten abend in der 35. Straße west auf.
Morgan: Haben sie es sich anders überlegt mit dem Scheck meine ich, hier ist er, welche summe soll ich einsetzen 1000 dollar, 2000.
vanDusen: 50.000 Dollar, Mr Morgan.
Morgan: Ihr Ernst.
vanDusen: Meine Exkursion in die Unterwelt ihres Hotel hat mir auf krasse Weise die harten um nicht zu sagen unmenschlichen Arbeits- und Existenzbedingungen ihrer Angestellten vor Augen geführt, das Geld wird helfen ihr Los zu verbessern.
Morgan: 50000 Dollar für Tellerwäscher, ich denke nicht dran.
Hatch: Apropos… wissen Sie woran ich denke, ob ich ihren Fall nicht groß in der Presse rausbringe mit allen hochinteressanten Einzelheiten, ihre Frau, ihre Geliebte, ihr Penthouse, ihre Geschäftsmethoden.
Morgan: Das ist Erpressung, Mr. Hatch.
Hatch: Naja vielleicht nicht ganz astrein… aber legal und gerechtfertigt.
Morgan: Also gut, 50.000, welchen Empfänger soll ich schreiben.
vanDusen: Die Stiftung für unterbezahlte Hotelbedienstete.
Morgan: So eine Stiftung gibts überhaupt nicht.
vanDusen: Dann gründen sie sie gefälligst.
Hatch: Unter dem Motto, tue gutes und setze es von der Steuer ab.
Professor van Dusen: Friedrich W. Bauschulte
Hutchinson Hatch: Klaus Herm
John Pierpont Morgan: Hans Teuscher
Dorothy Morgan, seine Frau: Jutta Wachowiak
Anatole, Küchenchef: Dieter Ranspach
Philip T. Smart: Max-Volkert Martens
Peter Collinson: Max-Volkert Martens
Dr. Daffy: Klaus Jepsen
Herzog von Sonderbar-Schwarzhausen: Lothar Blumhagen
Lady Ribbondale: Barbara Witte
Empfangsdame: Helga Lehner
Buttler: Helmut Ahner
Kellner: Rainer Clute
Hörspielfan
15. Juli 2025
Michael Koser: Prof. van Dusen beschwört einen Geist (RIAS 1992)
Hatch: Auf Ihr Wohl, Professor, auf Prof. Dr. Dr. Dr. Augustus van Dusen, die Denkmaschine, den größten Wissenschaftler und Amateurkriminologen, den die Welt je gesehen hat, nicht schlecht Prof, gar nicht schlecht, das muß man Ihnen lassen, Sie trinken zwar selbst nicht, aber Ihre Hausbar, erstklassig, zum Wohl, ihre Tür-klingel, Prof wer kann das sein, am Pfingstsonntag morgens viertel nach neun?
vanDusen: Zu solch einer ungehörigen Stunde, mein lieber Hatch, pflegt mich nur eine einzige Person heimzusuchen, und diese Person.
Hatch: War schon da, nämlich meine Wenigkeit, Hutchinson Hatch, einerseits Journalist beim Daily New Yorker, andererseits Begleiter, Assistent und Chronist von Prof. van Dusen, ich hatte kurz mal meine Nase reingesteckt zwecks Frühschoppen und weil ich ein bißchen über unsere letzten Fälle reden wollte, vor allem über die sensationelle, unglaubliche, einmalige Affäre der verschwundenen Millionäre, die erst von ein paar Wochen zuende gegangen war, ein Glück daß ich gerade jetzt beim Prof war sonst hätte ich nämlich den Fall um den Opernsänger und das mörderische Gespenst im verschlossenen Raum verpaßt, der war womöglich noch sensationeller, noch unglaublicher, noch einmaliger, gleich fängt er an, und zwar damit daß ein uns allen nicht unbekannter Mensch auf großen Füßen in van Dusen Salon stolpert.
Caruso: Hoppla.
Hatch: Hals und Beinbruch Caruso.
vanDusen: Hatch, treten sie nur näher, Detective Sergeant, was verschafft mir das unverhoffte Vergnügen, bitte nehmen sie doch Platz.
Caruso: Tut mir leid Prof daß ich so früh bei ihnen reinschneie meine ich und das auch noch am Sonntag.
vanDusen: Erstatten sie bericht, detailliert, präzise.
Caruso: Und von Anfang an, ich weiß bescheid Prof.
Hatch: Ganz was neues, Caruso ach und reden sie möglichst wie ein Mensch nicht wie ein Detective Sergeant, sie wissen ja, in strikter Befolgung des an meine Person ergangenen dienstlichen Auftrags begab ich mich eilends usw.
Caruso: Begab, begab ich begab mich überhaupt nicht, Mr Hatch, jedenfalls zuerst nicht, ich saß auf mein Stuhl in meinem Büro im Polizeipräsidium in der Mulberry Street, und da rauschte er plötzlich rein, 1.90m, drei Zentner, Ende 50, dunkelrotes Cape, schwarzer Kalabrese, überlebensgroß wenn sie verstehen was ich meine.
vanDusen: Wann war das.
Caruso: Vorgestern Freitag, 24. Mai 1901 vormittag kurz vor 11.
vanDusen: Sehr gut Caruso, exakt und extensiv, bitte fahren sie fort.
Caruso: Also dieser Mensch kommt in mein Büro, setzt sich, sieht sich um, ganz langsam, ganz ruhig, ganz selbstverständlich, wenn sie verstehen was ich meine.
vanDusen: Ich verstehe Caruso.
Hatch: Ich auch.
vanDusen: Halten sie uns nicht auf Hatch, bitte weiter.
Caruso: Ja und dann holte er ein Zigarettenetui aus der Tasche, ein goldenes mit Monogram, er nimmt ein Zigarre raus, steck sie in den Mund, guckt mich an.
King: Geben sie mir Feuer, guter Mann.
Caruso: Ich bin nicht ihr guter Mann.
King: Dann eben Wachtmeister oder was immer sie sein mögen.
Detective Sergeant, Detective Sergeant Rigoletto Caruso.
King: Rigoletto Caruso, sind sie verwandt mit Enrico Caruso dem neapolitanischen Tenor.
Caruso: Kann sein, wir sind eine große Familie, wir Carusos was wollen sie wer sind sie.
King: Mein guter Mann, Sie kennen mich, oder gehen sie etwa nicht in die Oper, ich meine natürlich die richtige Oper, die Met, nicht Klitschen wie das Grand oder das Haus in der Lexington avenue.
Caruso: Viel zu teuer.
King: Was sie nicht sagen, zahlt die Stadt ihnen nicht ein großzügiges Gehalt.
Caruso: Haha.
King: Nun gut, ich bin Laurenz King, Heldenbariton, der Heldenbariton, die Stimme Amerikas, der König der Met, Lorenco il magnicifco.
Caruso: Ach was.
King: Sie sind erstaunt, was mag einen begnadeten Künstler dieses Ranges veranlassen in die dumpfen Niederungen der gemeinen alltags hinabzusteigen sprich in die Amtsstube eines detective sergeant der New Yorker Kriminalpolizei das ist die brennende Frage die ihnen auf der Zunge liegt.
Caruso: Genau Mr King.
King: Ich werde es ihnen sagen.
Caruso: Das finde riesig nett von ihnen.
King: Ich hab ein Haus erworben.
Caruso: Sehr interessant Mr King aber damit müssen sie zum Grundbuchamt, hier sind sie falsch.
King: Nun hören sie mal zu guter Mann wenn sie so weitermachen kriegen sie Ärger jede Menge mit Mr Delamir, ihrem Chef mit dem bin ich bekannt, sehr gut bekannt, befreundet könnte man sagen.
Caruso: Ach so, das konnte ich nicht ahnen, Mr King was kann ich für sie tun.
King: Das guter Mann wird sich finden, leihen sie mir zunächst ihr Ohr, ich habe wie bereits erwähnt ein Haus erworben in Greenwich Village, Elm street Nr 27.
Caruso: Elmstreet 27 ist das nicht.
Hatch: Genau, ein ganz spezielles Haus, im Volk bekannt als Mordhaus auch als Spukhaus oder Mörderhöhle, vor etwa 10 Jahren hatte hier ein besonders schauderhafter Massenmörder namens Frederick Kruger sein Unwesen getrieben, 17 Menschen hatte er in diesem Haus abgeschlachtet mit seinem scharfen Fleischermesser, bis man ihn erwischt und in Sing Sing auf dem elektrischen Stuhl vom leben zum tode befördert hatte und jetzt hatte King Krugers Haus gekauft.
King: Erstaunlich preiswert, guter Mann, fast geschenkt.
Caruso: Kann ich mir vorstellen wer kauft so was schon.
King: Lorenc King guter Mann, laurenc king ist furchtlos und unerschrocken jeglicher Aberglaube liegt ihm fern, unter uns, guter Mann natürlich lasse mir vor Premieren über die Schulter spucken und um schwarze Katzen mache ich einen weiten Bogen.
Caruso: Aber Kruger soll in dem Haus umgehen, Mr King, sein Geist meine ich.
King: Lächerlich es gibt keine Geister, doch seit heute nacht, guter Mann bin ich mir nicht mehr ganz so sicher.
Caruso: Heute nacht, was ist heute nacht passiert Mr King.
King: Um ihnen dies zu erklären guter Mann muß ich ein wenig ausholen.
Hatch: In seinem neuen Haus wohnte Mr King vorerst allein, mit einem Diener, seine Frau war in der gemeinsamen Wohnung geblieben am unteren Ende der 5 Avenue.
Hatch: Sehr vernünftig von der Dame.
Caruso: An dem bewußten abend, Donnerstag 23 Mai war Mr King gegen 11 Uhr ins Bett gegangen und bald darauf eingeschlafen.
King: Plötzlich erwachte ich vom Turm der Josefskirche schlug es 12 mal Mitternacht, Geisterstunde, ein unheimliches Gefühl überkam mich, ein Gefühl des Schrecken, ja des Grauen, mein Herz schlug heftig, ich öffnete die Augen, richtete mich auf und was sah ich da im schwachen Schein des Mondes der durch den Vorhang drang.
Caruso: Was Mr King was haben sie gesehen.
King: Eine Gestalt, eine dunkle Gestalt, sie wirkte wie soll ich mich ausdrücken unscharf, undeutlich.
Caruso: Undeutlich Mr King, meinen sie vielleicht unwirklich.
King: Keinesfalls, guter Mann, die Gestalt war wirklich, so wirklich wie ich selbst, sie stand vor meinem Lager, starrte mich aus düsteren Augenhöhlen aus, und dann auf einmal strecke sie die rechte Hand nach mir aus, in der Hand hielt sie ein Messer, die Spitze nach oben und auf die Klinge ich sah es ganz deutlich war ein Blatt Papier gespießt, in jähem Schauer schloß ich unwillkürlich die Augen, als ich sie wieder aufschlug, da.
Caruso: Ja Mr King.
King: Da mein guter Mann war die Gestalt verschwunden und auf meiner Bettdecke lag ein Blatt Papier, dieses Blatt Papier.
Caruso: Hier ist der Zettel Prof, Mr King hat ihn mir gegeben und ich hab ihn gut aufgehoben als Beweisstück.
vanDusen: Ein Durchstich ca 3 cm breit, diverse dunkle Flecken.
Hatch: Sieht aus wie Blut was Prof.
vanDusen: So ist es mein lieber Hatch, es sieht so aus, es sieht aus wie Blut und Moder, durchaus passend und angemessen, handelt es sich doch um eine Botschaft aus dem Grabe, so sieht es aus, lesen sie vor mein lieber Hatch.
Hatch: Wenn sie mich nicht hätten, muß ich mich doch tatsächlich selber bemühen aufgehts, kein Datum keine Anrede, ich beginne, die ist mein Haus, du wirst verschwinden, sonst werde ich ein zweites mal mit meinem schönen scharfen Messer zu besuch kommen in der Nacht vor Pfingsten zur Geisterstunde und dann werde ich dich abstechen, Unterschrift F. Kruger, schwarze Tinte, zittrige Schrift.
Caruso: Sieht wirklich aus wie Krugers Handschrift, das haben wir überprüft, na Prof was sagen sie.
vanDusen: Ein dummer Streich, Caruso eine törichte Mystifikation, kaum ein Fall für die Polizei und schon gar keiner für Prof van Dusen.
Caruso: Meinen sie Prof und wenn ich ihnen sage, daß Mr King wirklich und wahrhaftig umgebracht wurde, wies da steht, in der Nacht vor Pfingsten, 12 Uhr.
vanDusen: In der Tat Caruso, abgestochen.
Caruso: Jawohl Prof mit Krugers Messer, in einem leeren und rundum bewachten Raum.
vanDusen: Erstaunlich, bitte setzen sie ihren Bericht fort, Caruso.
Caruso: Wo war ich stehengeblieben.
Hatch: Nacht zum Freitag, King hatte gerade diese interessante Epistl gekriegt.
Caruso: Richtig, Mr King klingelte sofort seinen Diener aus dem Bett, beide kämmten das ganze Haus durch, Ergebnis alles in Butter, Türen abgeschlossen, nichts verdächtiges, kein Hinweis auf einen Einbrecher und da sagte Mr King wurde ihm doch etwas mulmig, am nächsten morgen ging er zu seinen Freund Delamir, und der schickte ihn zu mir.
King: Verstehen sie mich nicht falsch, guter Mann, habe keine Angst,
Caruso: Natürlich nicht Mr King.
King: Ich werde das Haus keinesfalls aufgeben.
Caruso: Und die Nacht vor Pfingsten Mr King.
King: Werde ich in der Elm street verbringen.
Caruso: Sehr couragiert Mr King.
King: Unter Polizeischutz.
Caruso: Ach so.
King: Sie werden mir Gesellschaft leisten, guter Mann.
Caruso: Ich Mr King.
King: Nebst einigen Kollegen, Anweisung von Mr Delamir.
Caruso: Ja dann Mr King.
King: Sagen sie, guter Mann, sind sie sicher daß dieser Kruger, daß er wirklich, daß er ganz und gar tot ist, meine ich tot und begraben.
Caruso: Ganz sicher, Mr King, Frederick Kruger ist zum Tode verurteilt und auf den elektrischen Stuhl gesetzt worden und das hat er nicht überlebt, glauben sie mir.
King: Wenn ich nur könnte guter Mann.
Caruso: Ich werde es ihn beweisen, Mr King kommen sie mit.
King: Wohin guter Mann.
Caruso: In den Keller, ins schwarze Museum der Polizei von New York, ich zeigte Mr King Krügers Exekutionsprotokoll, sein handschriftliches Testament und seine Totenmaske, sein Tatwerkzeug das berüchtigte Fleischermesser wollte ich ihm auch zeigen, aber ich kanns nicht finden, Mr King müßte hier sein in diesem Schrank, vermutlich verlegt oder zur Reparatur, werd mich bei Gelegenheit drum kümmern, sie sehen Mr King kein Grund zur Sorge, Kruger ist tot und kann ihnen nicht mehr tun.
King: Ihr Wort in gottes ohr guter Mann, aber auf den zugesagten Polizeischutz bestehe ich dennoch.
Caruso: Ja und darum begab ich mich gestern abend zur Elmstreet in strikter Befolgung.
Hatch: Caruso.
vanDusen: Hatch.
Caruso: Mit den Wachtmeistern Donovan, Paretzky und Obrien, um 10 Uhr waren wir da wie besprochen, Dovanan blieb auf der Straße und behielt Haustür und front im Auge, Paretzky überwachte den Hintereingang.
Hatch: Und sie Caruso.
Caruso: Ich bezog innen Posten Mr Hatch, mit Wachtmeister Obrien, zuerst haben wir das Haus durchsucht, gründlich vom Dach bis zum Keller.
Hatch: Und haben sie einen Geist gefunden.
Caruso: Nix, Mr Hatch, kein Geist, kein Versteck, keine Geheimtür, kein doppelter Boden, gegen halb 12 waren wir damit durch und dann warten wir, in Mr Kings Salon, er war ein nobler Gastgeber, das muß ich sagen, auf seinem Phonografen spielte er uns Opernmusik vor, sein Diener servierte Whisky und Zigarren, Mr King trank viel, vielleicht wollte er sich Mut machen.
King: Auf zum Fest froh soll es werden leporello, preso, eine neue Flasche von diesem Nektar.
Diener: Sehr wohl Sir.
King: Sie trinken ja gar nicht guter Mann und der andere gute Mann auch nicht.
Caruso: Wir sind im Dienst Mr King.
King: Hinweg mit Bedenken mit kleinlichen Sorgen, was schlägt die Stunde guter Mann.
Caruso: 5 vor 12 Mr King.
King: So mag er denn kommen der steinerne Gast, wir lachen seiner nicht wahr guter Mann.
Caruso: Sie haben Telefon Mr King.
King: Versteht sich, gleich nach Erwerb des Hauses hab ich die Leitung legen lassen, an den Apparat Leporello.
Diener: Sehr wohl Sir.
King: Mein Telefonkabinett liegt gleich neben dem Salon.
Diener: Mr Kings Residenz, ah guten abend Madam, sehr wohl Madam, einen Augenblick Madam, Mrs King wünscht sie zu sprechen Sir.
King: Meine Frau, um diese Zeit.
Caruso: Lassen sie die Tür zum Kabinett geöffnet, Mr King.
King: Erlauben sie, guter Mann, dies ist ein privates Telefongespräch, und Privatgespräche pflege ich privat zu führen, was soll schon passieren, sie haben doch alles unter Kontrolle.
Caruso: Und das hatten wir auch Prof, das Telefonkabinett ist ein kleiner Raum etwa 3mal 3 meter nur eine einzige Tür, davor ich und Wachmeister Obrien, ganz zu schweigen von diesem Leporello, ob er wirklich so heißt.
Hatch: Warum nicht Rigoletto mio.
vanDusen: Hatch.
Caruso: Nur ein einziges kleines Fenster zur Straße, und da stand Wachtmeister Donovan, wir machten uns also keine Sorgen, ich und Obrien, wir warten, Mr King telefonierte, die Turmuhr schlug, elf, zwölf.
Diener: Es ist Mitternacht.
King: Hilfe.
Diener: Sir, sir.
Caruso: Abgeschlossen, die Tür ist abgeschlossen, Obrien Leporello Tür aufbrechen.
Diener: Sehr wohl, Sir.
Caruso: Auf mein Kommando eins zwei und drei, ach du lieber Gott, das Telefonkabinett war ein Bild der Verwüstung, Stuhl und Tisch waren umgeworfen, die Seidentapete hing in Fetzen und zwischen dem Wandtelefon und dem Fenster da lag er, Mr Laurence King, Blut auf der linken Brust und am rechten Bein, kein Puls, keine Atmung, tot, neben ihm auf dem Teppich ein blutiges Messer, sonst nichts, nichts und niemand.
vanDusen: Beleuchtung Caruso.
Caruso: Eine Gaslampe, Prof an der Wand über dem Telefon nicht sehr hell aber ausreichend, ich sah mich um, kein Mörder, kein Mensch, kein Geist, dann ging ich zum Fenster und riß es auf, Donovan.
Donovan: Ja.
Caruso: Ist jemand durch dieses Fenster gestiegen, Donovan.
Donovan: Nein, weder rein noch raus.
Caruso: Ach haben sie was gesehen hinter dem Fenster.
Donovan: Nichts genaues, bewegung hin und her, undeutlich was ist denn los soll ich kommen.
Caruso: Bleiben sie auf ihrem Posten, Donovan, halten sie die Augen auf.
Donovan: Was ist denn passiert.
Caruso: Ich höre etwas eine Stimme leise entfernt wo kam sie her ah aus dem Telefon.
Hatch: Sie machen sich Caruso ein richtig guter Bericht, spannend dramatisch, wissen sie was, kommen als Volontär zum Daily Newyorker, bei der Kripo sind sie doch sowieso fehl am platz.
vanDusen: Halten sie sich zurück Hatch, und sie Caruso lassen sie sich nicht beirren, fahren sie fort, sie hörten eine Stimme aus dem Telefon.
Caruso: So war es Prof, ich ging hin und nahm den Hörer.
Mrs King: Hallo, Laurance bitte sag doch was.
Caruso: Mrs King.
Mrs King: Wer sind sie.
Caruso: Kriminalpolizei, Detective Sergeant Caruso spreche ich mit Misses King.
Mrs King: Ja hier ist Senta King, wo ist Laurence, ich habe mit ihm gesprochen und plötzlich, was ist geschehen.
Caruso: Es tut mir leid Mrs King.
Mrs King: ist ihm etwas zugestoßen, so reden sie doch Mann.
Caruso: Wo sind sie Mrs King.
Mrs King: In meiner Wohnung natürlich, was ist mit Laurence, ist er krank.
Caruso: Sie sollten hierherkommen, Mrs King so schnell wie möglich.
Mrs King: O gott Leo, Laurence ist was passiert, du mußt mich sofort zur Elmstreet fahren, ich komme.
Caruso: Eine halbe Stunde später war sie da, mit einem Freund der Familie, einem gewissen Mr Leo Lyneker.
Hatch: Lyneker, der Opernkritiker.
Caruso: Keine Ahnung was er ist, beide sind noch im Hause, in der Zwischenzeit haben wir natürlich die üblichen Untersuchungen vorgenommen, der Polizeiarzt ist verständigt.
vanDusen: Dr Clanan nehm ich an.
Caruso: So ist es Prof, er muß jeden Augenblick eintreffen, außerdem.
vanDusen: Das von ihnen erwähnte Messer, Caruso haben sie.
Caruso: Ich habe, Prof es ist Krugers Fleischermesser, die Waffe, die aus unserem schwarzen Museum verschwunden ist, bloß daß jetzt die Spitze fehlt, offenbar abgebrochen aber sonst dasselbe Messer, eindeutig.
vanDusen: Was sie nicht sagen.
Hatch: Tolle Story Caruso, toter Massenmörder schlägt zu, Frederick Krugers 18. Opfer, Opernsänger durch Geisterhand getötet, Fragezeichen.
Caruso: Genau das ist die Frage, Mr Hatch vielleicht gibts ja wirklich mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, ja und da hab ich gedacht wenn sie sich in der Elmstreet mal umsehen würden und diesen diesen Geist.
vanDusen: Beschwören mein guter Caruso, mit Vergnügen.
Caruso: Wo sie doch neulich sogar den Teufel ausgetrieben haben.
Hatch: Fall Bliss alias Dr Faustus Januar 1901, sie erinnern sich.
vanDusen: Caruso, mein lieber Hatch, lassen sie uns eine Pfingstexkursion nach Greenwich Village unternehmen.
Hatch: Die Elmstreet ist eine ruhige kleine Straße nicht weit vom Washington Square, die Häuser sich die in zwei schnurgeraden Reihen gegenüberstehen sehen absolut gleich aus, alle aus rotem Backstein alle dreistöckig, alle aus der zeit um 1850, damals war die Elmstreet eine gute Adresse.
Caruso: Heute ist die Gegend bißchen runtergekommen, sie sehen ja ein paar Häuser stehen leer.
Hatch: Komisch daß King ausgerechnet Krugers Mörderhöhle gekauft hat, wenn er schon hier wohnen will warum nicht ein anderes Haus zb das direkt gegenüber das steht leer und ist viel besser in Schuß.
Caruso: Das Fenster ganz rechts im ersten Stock, das ist es, Prof.
vanDusen: Das Oberlicht steht offen, war das bereits gestern abend der Fall.
Caruso: Sicher Prof, es war eine warme Nacht.
vanDusen: Interessant.
Caruso: Ach das ist nur eine Luftklappe, ein Loch, sie glauben doch nicht, daß da jemand durchgekrochen ist, ganz abgesehen davon daß donovan nichts gesehen hat
vanDusen: Außer vagen Bewegungen sehr richtig caruso führen sie mich zum Tatort.
Hatch: King hatte sich vorerst nur ein paar Räume eingerichtet, Schlafzimmer, Bad, Salon, Telefonkabinett, alle im 1. Stock, aber wie hatte er sie eingerichtet, alle gleich und alle gleich scheußlich, dunkelrote Teppiche von Wand zu Wand, dunkelrote Seidentapeten, sogar die Lampen hatten bordeauxrote Schirme, auch die im Telefonkabinett.
Caruso: Rot, alles rot, rot wie Blut, wie Mord, Massenmord.
Hatch: Also ich denke dabei eher an große Oper, Kitsch und Kulisse aber davon verstehen sie nichts, Caruso und sie Prof woran denken sie wenn sie des Orgie in rot sehen.
vanDusen: In erster Linie daran, daß vor einem uniform dunkelroten Hintergrund wie ihn dieses Haus sowohl außen als auch im innern darbietet ein dunkelrotes Objekt sich als quasi unsichtbar erweist.
Caruso: Objekt was für ein Objekt, Prof, meinen sie das Messer, das ist nicht rot, das sehen sie doch der Griff ist grün und die Klinge.
vanDusen: Ich meine nicht das Messer, ich meine ua diese dunkelrote Feder.
Caruso: Feder wo.
vanDusen: Auf dem Teppich unmittelbar vor dem Fenster.
Caruso: Richtig ein Feder, die sehe ich zum ersten mal, Prof und wir haben das Kabinett gründlich durchsucht.
vanDusen: Woran ich nicht zweifel, daß sie die Feder dennoch übersahen, unterstreicht auf markanteste meine soeben getroffenen Feststellung zum Thema Tarnung und Mimikri.
Caruso: Mimiwas.
vanDusen: Nunja heben sie die Feder auf Caruso und verwahren sie sie gut, sie stammt übrigens aus dem Gefieder eines Puters, mineagris galopaus ein Faktum von erheblicher ich möchte sagen außerordentlicher Relevanz.
Caruso: Ja also ich versteh nicht was ein Truthahn mit dem Mord an King zu tun haben soll.
vanDusen: Das wundert mich nicht in geringsten, apropos ihr sogenanntes schwarzes Museum ist soweit mir bekannt ist für bestimmten zeiten für das allgemeine Publikum geöffnet.
Caruso: Jawohl Prof jeden Mittwoch von 10 bis 4 und da ist was los, kann ich ihnen sagen, Himmel und Menschen und dabei nehmen wir einen halben Dollar pro Nase.
vanDuen: So so, tja dann wollen wir jetzt zum eigentlichen corpus delicti schreiten, die Lage der Leiche haben sie ja wohl nicht verändert Caruso.
Caruso: Was denken sie von mir Prof natürlich nicht.
Clennam: Wochenende, immer am Wochenende, 7 Tage hat die Woche, und wann lassen die Leute sich umbringen, Montag Mittwoch nie, am Sonntag, nur am Sonntag, morgen morgen Caruso, wo ist der Kadaver.
Caruso: Direkt vor ihrer Nase, Doc
Hatch: Fröhliche Pfingsten Doctor Clennam.
Clennam: Sie mich auch, nanu, Hutchinson Hatch und Prof van Dusen.
vanDusen: Wie sie sehen Herr Kollege.
Clenam: Sagen sie mal Caruso wenn vanDusen schon hier ist warum haben sie mich auch aus dem Bett geholt, am Sonntag morgen vor dem Frühstück, habe die Ehre.
vanDusen: Kollege Clanan, bleiben sie, ich habe lediglich vor eine kursorische Examination der Leiche vorzunehmen wobei sie mir zur hand gehen können, die eigentliche Obduktion bleibt voll und ganz ihnen.
Clennam: Zu gütig Prof na dann wollen wir mal.
Hatch: Die beiden Koryphäen gingen ans werk, sie drückten und zogen, stocherten und bohrten, rollten den unglückseligen Laurence King auf dem Teppich herum mit Feuereifer und Hingabe.
vanDusen: Der Tod trat ein vor knapp 11 Stunden, genau Mitternacht und zwar durch einen Stich ins herz, durchs herz, wenn sie unbedingt pingeling sein wollen, die Waffe traf schräg von oben in einem Winkel 45 grad auf die linke Brust des Opfers unter dem Schlüsselbein, durchbohrte das herz und blieb in der linken hälfte der hinteren 8 rippe stecken, die spitze blieb stecken und dabei brach sie ab, hier ist sie, zeigen sie mal doc, ah ja sehen sie her die Spitze paßt haargenau auf die bruchstelle an Krugers Messer, das heißt mr king wurde tatsächlich mit diesem Messer erstochen, der Mörder stand vor ihm, die spitze nach unten und stach zu, alles klar.
vanDusen: Sie vergessen die Wunde im rechten Oberschenkel des Opfers Kollege.
Clanan: Ein ganz oberflächlicher Schnitt, Prof vermutlich entstanden als King sich wehrte, ohne Bedeutung, sie scheinen anderer Ansicht zu sein, Prof.
vanDusen: Drei wichtige Tatsachen empfehle ich ihrer Beachtung, der Stichkanal erweist sich als relativ schmal, nur eine schneide des Messers ist mit Blut bedeckt und schließlich an der Bruchstelle der Messerspitze hat bereits der Oxidationsprozeß eingesetzt.
Clanan: Ja und das ändert doch nichts am pathologischen Tatbetand und der ist eindeutig.
Caruso: Augenblick Stichkanal 8. Rippe, Oxidationsprozeß alles gut und schön aber damit weiß ich immer noch nicht wie der Mörder hier ein und wieder raus gekommen ist, das erklären sie mir Doc.
Clennam: Ich denke nicht daran, ich bin Polizeiarzt, verantwortlich für die medizinischen Untersuchungen, alles weiter ist ihre Sache Caruso.
Hatch: Ich habe eine Idee, vielleicht gibt es gar keinen Mörder, ich meine könnte King sich nicht selber.
Clennam: Selbstmord ausgeschlossen ein Selbstmörder stich sich nicht in herz und wenn doch ausnahmsweise dann tut er das zögernd tastend mit mehrmaligem ansetzen, hier aber wurde nur einmal zugestochen, energisch und entschieden, kein Selbstmord, mit sicherheit nicht einverstanden Prof.
vanDusen: In diesem Punkt Mr Clanan stimme ich ihnen ohne vorbehalt zu.
Clanan: Wenigstens etwas, also dann meine Herren schicken sie mir Leiche ins Bellevuehospital, Caruso.
Caruso: Wenn sie fertig sind Prof mit der Leiche.
vanDusen: Ja dieser Abschnitt meiner Untersuchung ist abgeschlossen, Caruso wo befinden sich Mrs King und ihr Begleiter.
Caruso: Im Schlafzimmer, unter Aufsicht, wollen sie mit ihnen reden Prof.
vanDusen: Warum eigentlich nicht, vor allem aber wünsche ich ihnen die Hände zu drücken.
Caruso: Im ernst, Prof.
Hatch: Senta King, eine statuarische Blondine um die 30 hatte sich tatsächlich den bekannten Opernkritiker Leo Lyneker mitgebracht, ein geschliffener Kulturmensch vom Scheitel bis zur Sohle, will sagen von den schon leicht ergrauten länglichen locken über loniette und Zigarrenspitze aus Bernstein bis zu den Zugstiefel aus gelben Ziegenleder, aber ich kam kaum dazu mir die beiden genau anzugucken weil ich mich nämlich wundern mußte und zwar über den Prof, der marschierte stracks auf die trauernde Witwe zu, griff sich ihre rechte hand und zog sie an die Lippen, van Dusen beim Handkuss, das hatte die Welt noch nicht gesehen.
vanDusen: Erlauben sie mir Madame ihnen meine tiefempfundene Teilnahme auszudrücken.
Mrs King: Sehr freundlich Prof, ein herber Verlust.
vanDusen: Für sie Madame und für die gesamte Menschheit.
Mrs King: Ach Prof daß Lorence uns auf so schreckliche weise verlassen mußte, dieses grauenhafte Haus, er hat darauf bestanden, es zu kaufen und darin zu wohnen, obwohl ich ihn immer wieder angefleht habe.
Lyneker: Beruhige dich Senta.
vanDusen: Geben sie mir ihre Hand Lyneker, auch sie standen ihm nahe.
Lyneker: So ist es, Prof ich habe einen Freund verloren.
vanDusen: Ich fühle mit ihnen.
Hatch: Ich auch Kollege beileid.
Lyneker: Kollege Mr.
Hatch: Hatch, Hutchinson Hatch, Kriminalreporter beim Daily NewYorker, sie müßten mich kennen Kollege.
Lyneker: Ach wirklich, Mr Hatch ja, sie schmieren sensationellen Schmutz für ein Revolverblatt zusammen.
Hatch: Ich höre wohl nicht richtig.
Lyneker: Wohingegen ich meine hohe Berufung darin erblicke Operndarbietungen kritisch zu taxieren für die exklusive highbrow review, bei dieser krassen Diskrepanz der Aktivitäten kann von Kollegialität denn doch wohl kaum die Rede sein.
Hatch: Hören sie mal Lyneker zu wenn wir nicht in einem Trauerhaus wären dann würde ich ihnen ihre affige Brille.
vanDusen: Hatch, bewahren sie contenance, gestatten sie mir eine frage, Mrs King.
Mrs King: Bitte, Prof.
vanDusen: Wie haben sie den gestrigen abend verbracht.
Mrs King: In der Met natürlich, gestern war Don Giovanni.
Lyneker: Senta singt die Zerlina.
vanDusen: Jaja ich verstehe Mr King war nicht besetzt ich hätte vermutet die titelrolle
Lyneker: Das war früher, Prof heute singt den don Giovanni Antonio Scotti.
vanDusen: Ah ja Sie befanden sich also im metropolitan opera haus, madame bis wann.
Mrs King: Um 11 war die Vorstellung zu ende, abschminken bis etwa halb12 dann hat Leo mich nachhause gefahren.
Lyneker: Ich habe der Aufführung beigewohnt Prof in meiner Loge.
Mrs King: Und dabei hat Leo mir von dem Brief an Laurance erzählt, von diesem diesem entsetzlichen Krüger.
Lyneker: Ein lapsus linguae, Prof unabsichtlich und unwillkürlich.
vanDusen: Sie waren also informiert, Lyneker.
Lyneker: Laurence King hat mir vertraut, Prof.
vanDusen: Ah ja.
Mrs King: Ich war natürlich außer mir von Sorge, und hab Laurence sofort angerufen, kaum hatten wir ein paar Worte gewechselt da, da.
vanDusen: Bitte Mrs King.
Mrs King: Da ließ Laurence plötzlich den Hörer fallen, ich hörte wie er sagte, Kruger da ist er, und wir er um hilfe rief, dann irgendwelche Geräusche und schließlich Stille, totenstill.
Lynekter: Da ich mich zum Glück noch in Sentas Wohnung aufhielt, konnte ich sie auf der Stelle hierherbringen in mein Automobil, seitdem hält man uns fest, wann werden sie uns freilassen.
Hatch: Bald sagte Caruso nachdem er in einer Ecke leise mit dem Prof konferiert hatte, der war damit in der Elmstreet erst einmal fertig, ihn zog es zum Broadway, zur Met und ich mußte ihn hinfahren, in meinem Automobil, wenn er mich nicht hätte, der große Mann müßte er nicht nur selber lesen, er müßte auch laufen, was wollte van Dusen in der Oper, Kunstgenuß, innere Erhebung durch Musik, keine Spur, er suchte Laurence Kings Gardarobiere, eine gewisse Mrs Kaplan und er fand sie natürlich in Laurence King Gardarobe.
Caplan: Nicht nur seine, Prof er muß sie teilen mit Mrs King, früher hätten sie das nicht gewagt.
vanDusen: Wer Mrs Caplan.
Caplan: Die Intendanz, die hat Mr King die halbe Gardarobe weggenommen, früher häts das nicht gegeben, oh da war er ein Star.
vanDusen: Und jetzt ist er nicht mehr, Mrs Caplan.
Caplan: Machen sie doch die Augen auf, besser gesagt die Ohren, was hat Mr King vor 2-3 Jahren gesungen, Don Giovanni, Graf Luna, Rigoletto, Hans Sachs, und was gibt man ihm heute, den Herrufer in Lohengrin, den Bretine im Manon, den Sprecher aus der Zauberflöte, in den Meistersingern den Nachtwächter, kleine Partien, alles kleine Partien, die großen singt seit der letzten Saison Senior Scotti.
vanDusen: Eine Entwicklung welcher Mr King wohl kaum freudig zustimmte.
Caplan: Das können sie laut sagen, Prof.
vanDusen: War er sehr niedergeschlagen, Mrs Caplan so sehr daß ein Selbstmord im bereich des möglichen gelegen hätte.
Caplan: Selbstmord, Mr King, niemals, Mr King war eine Kämpfernatur, der hat sich nicht abgefunden, der hat sich angelegt mit allen, mit der Intendanz, mit Scotty, mit dem ganzen Ensemble, mit dem Chor, mit dem Orchester, mit jedem im Haus hat er sich gestritten.
vanDusen: Auch mit Mrs King.
Caplan: Ja wie mans nimmt, sie hat schon zu gehalten ja meistens.
vanDusen: Aber Mrs Caplan.
Caplan: Ja manchmal da da hat sie ihm Vorwürfe gemacht, sie wollte die großen Wagnerpartien singen und sie hat sie nicht gekriegt, seinetwegen weil er sich mit der Intendanz überworfen hat.
vanDusen: So, und Mr Lyneker, sie kennen doch Mr Lyneker.
Caplan: Klar kenn ich Mr Lyneker, Mr Kings bester freund, wenn sie sich nicht gerade in der Wolle hatten.
vanDusen: In der Wolle, Mrs Caplan weshalb.
Caplan: Mr King hat verlangt daß Mr Lyneker über ihn schreibt, daß er immer noch der größe und beste Heldenbariton ist, aber Mr Lyneker wollte nicht, er kann es mit seinem künstlerischen Gewissen nicht vereinbaren, hat er gesagt.
vanDusen: Aha, sagen sie, wie würden sie Mr Kings Gemütszustand in den letzten tagen einschätzen, Mrs Caplan, hat er sich verändert.
Caplan: Oh ja Prof, Mr King hatte richtig gute Laune, seit er dieses, dieses Spukhaus gekauft hat, er war munter, optimistisch, passen sie auf Mrs Caplan, hat er gesagt, es dauert nicht mehr lange, dann singt den Don Giovanni wieder Laurenc King, wie in alten zeiten.
Hatch: Zurück zur Elmstreet, wo wir sehnlich erwarten wurden, 2 Uhr war es inzwischen geworden, Prof van Dusen hatte sich jetzt fast 5 Stunden mit dem Fall beschäftigt, mehr Zeit brauchte er nicht, der Fall war gelöst, van Dusen wußte, wer King ermordet hatte und vor allem wie der Mord vor sich gegangen war, er wußte alles, und weil er sein licht bekanntlich nicht unter den Scheffel zu stellen pflegt, beeilte er sich sein Wissen kund zu tun, das heißt er schritt zum Aufklärungsvortrag und wir Mrs King Lyneker detectivsergeant caruso und meine wenigkeit wir hören zu.
Caruso: Also kein Geist Prof.
vanDusen: Natürlich nicht, Caruso, was immer der verblichene Kruger begangen haben mag, an diesem Mord ist er völlig unschuldig.
Caruso: So und wie ist der Mörder ins Telefonkabinett rein und nach dem Mord wieder rausgekommen Prof.
vanDusen: Eine ganz und gar irrelevante Frage Caruso.
Caruso: Unwichtig, meinen sie, Prof.
vanDusen: Ja völlig unwichtig.
Caruso: Das verstehe ich nicht.
vanDusen: Natürlich nicht Caruso, lassen sie es mich so sagen, zum Zeitpunkt der Tat hat sich der Täter nicht im Kabinett aufgehalten.
Caruso: Er war gar nicht drin also das.
Hatch: Verstehen sie auch nicht Caruso was.
Caruso: Sie etwa, Mr Hatch.
Hatch: Von mir erwartet das auch niemand Caruso.
Caruso: Von mir erst recht nicht.
Hatch: Da haben sie recht und wo sie recht haben.
vanDusen: Bitte bitte meine Herren ich habe das Wort, ich werde ihnen und natürlich auch unseren beiden schweigsamen Gästen Mrs King und Mr Lyneker präzise rekonstruieren, was sich um Mitternacht im Telefonkabinett dieses Hause zu trug.
Caruso: Da bin ich gespannt Prof.
vanDusen: Meine Herrschaften, wie ihnen bekannt ist, begab Laurenz King sich in der vergangenen nacht etwa 3 min vor 12 Uhr in seinen Telefonraum, um einen für diese zeit verabredeten Anruf seiner Gattin entgegen zu nehmen, er zog die Tür hinter sich ins Schloß, drehte leise den Schlüssel.
Caruso: Was King hat sich selbst eingeschlossen.
vanDusen: Wer sonst Caruso, sodann schritt King zum Telefonapparat an der Wand um mit ihnen, Mrs King einige Worte zu wechseln, als es Mitternacht schlug, brach der das Telefonat ab, er lief im Kabinett hin und her, stieß die Möbel um, rief um hilfe, kurz er verhielt sich so, als sei der brieflich annoncierte Geist des Massenmörders Kruger tatsächlich erschienen, um ihn zu töten, zur Verstärkung dieser Illusion fügte King sich mit dem Messer welches er in seiner Kleidung verborgen bei sich trug eine geringfügige Schnittverletzung am Oberschenkel zu.
Caruso: Das ist doch verrückt, Prof warum hat er so was gemacht.
Mrs King: Laurenz war doch nicht wahnsinnig oder.
Lyneker: Kaum, ein wenig impulsiv, das Temperament eines Künstlers.
vanDusen: Nein meine Herrschaften King war nicht von sinnen, im Gegenteil, seinem scheinbar irrationalen tun lag eine durchaus rationale Absicht zugrunde, sein künstlerischer Stern wir wissen es, war im sinken begriffen, um ihn wieder zum strahlen zu bringen, um seinen Namen einer vergeßlichen Öffentlichkeit in die Erinnerung zurück zu rufen, und zwar auf möglichst nachhaltige eindringliche weise, unternahm King eine sorgsam vorbereitete und detailgenau inszenierte Aktion, mein Freund Hatch hat mir versichert, daß solche wie sagten sie Hatch.
Hatch: Stunts, Prof publicity stunts.
vanDusen: Danke mein lieber Hatch, solche stunts scheinen heutzutage in gewissen Kreisen durchaus üblich zu sein, ich fahre fort, vor wenigen Wochen erstand King dieses Gebäude, die frühere Behausung eines hingerichteten Massenmörders, welchem der abergläubige Volksmund nachsagt, er pflege an der Stätte seines Wirkens umzugehen, zu spuken, so lauten ja wohl die einschlägigen Begriffe, als nächstes beschaffte King sich Krugers Messer aus dem schwarzen Museum der Polizei und schrieb in Krugers Handschrift jenen makabren Drohbrief welchen er ihnen Caruso präsentierte, samt einer selbstverständlich fingierten Horrorgeschichte von der nächtlichen Heimsuchung durch einen gespenstischen Briefträger, den Höhepunkt der Inszenierung sollte die Geistererscheinung im Telefonkabinett darstellen, ohne Zweifel hatte King geplant, nach dem Aufbrechen der Tür durch die zu diesem zwecke bemühte Polizei dieser eine zweite Gespenstergeschichte zu erzählen, Krugers Geist sei plötzlich aufgetaucht mit geschwungenem Messer und nach heftigem Kampf ebenso plötzlich wieder verschwunden, später hätte King die Presse informiert.
Hatch: Das wäre was gewesen, Prof ganz New York hätte darüber geredet, eine unbezahlbare Reklame für Laurance King.
Caruso: Aber.
vanDusen: Ganz recht Caruso, aber, King wurde ermordet.
Hatch: Mord ist auch gute publicity aber das kann King ja wohl nicht gewollt haben.
vanDusen: Kaum, kein zweifel, Kings Plan schlug fehl.
Caruso: Das klingt ganz plausibel, Prof aber viel weiter sind wir damit nicht, wie wurde King ermordet, das ist doch die frage, wie.
vanDusen: Durch ein Geschoß Caruso, genauer durch einen von außen geschossenen Pfeil.
Caruso: Pfeil, was für ein Pfeil, ich hab keinen gefunden.
vanDusen: Das konnte sie auch nicht, Caruso weil der Pfeil zum Schützen zurückschnellte, wie zu vermuten steht durch ein an ihm befestigtes schmales Kautschukband selbstverständlich nachdem King tödlich getroffen und die pfeilspitze dh die abgebrochene Spitze von Krugers Messer in seiner Rippe stecken geblieben war, letzteres war für den Mörder und seinen Plan von primärer Bedeutung, die Spitze war daher mit dem Schaft des Pfeils lediglich locker verbunden und es versteht sich von selbst daß Pfeilschaft und Band von dunkler Farbe und daher von Wachtmeister Donovan nicht wahrgenommen konnte.
Caruso: Eine fantastische Geschichte Prof.
vanDusen: Fantastisch, Caruso wäre ein mordender Geist akzeptabler für sie.
Caruso: Kompliziert meine ich, weit hergeholt, irgendwie ich weiß nicht.
Hatch: Wenn ich mal dolmetschen darf, Prof, Caruso wünscht zu erfahren wie sie das alles rausgekriegt haben, 2 plus 2 und so.
Caruso: Genau Mr Hatch.
vanDusen: Ich werde es ihn erklären, Caruso und auch ihnen mein lieber Hatch, der sie fraglos nicht weniger neugierig sind als ihr Dauerkontrahent von der Kriminal polizei, wie sie zweifellos wissen, werden Pfeile am unteren Teil des Schaftes mit Federn versehen zur Gewährleistung eines gleichmäßigen Fluges, erfahrene Sportschützen verwenden hierfür in der Regel Truthahnfedern.
Hatch: Aha.
vanDusen: Des weiteren verweise ich auf das offene Oberlicht im Telefonkabinett.
Caruso: Da kam er rein der Pfeil aber wo kam er her.
vanDusen: Von höherer Warte, schräg von oben, wie der verlauf des Schußkanal eindeutig beweist, ich schlage vor Caruso daß sie dem leerstehenden Haus gegenüber einen Besuch abstatten, an einem der Fenster im Dachboden werden sie deutliche Hinweise finden, Spuren im Staub und dergleichen, Hinweise darauf daß sich dort jemand kürzlich aufgehalten hat.
Caruso: Also gut Prof.
vanDusen: Aber doch nicht jetzt, Caruso warten sie gefälligst bis ich meine Vorlesung beendet habe, setzen.
Caruso: Wie sie wollen Prof, setzen.
vanDusen: Gestern abend kurz vor 12 Uhr begab sich der Mörder bewaffnet mit Pfeil und bogen in das erwähnte Haus, durch den hinteren Eingang welcher durch einen schmalen weg von der zur Elmstreet parallel laufenden Christopher street zugänglich ist, Lyneker wußte, daß King sich um Mitternacht im Telefonkabinett aufhalten würde.
Lyneker.
vanDusen: Leo Lyneker der Mörder.
Lyneker: Unfug ich bin im Besitz eines Alibi, so nennt man das doch in Krimi kreisen.
Caruso: Er hat recht Prof, ich kanns bestätigen.
Lyneker: Na bitte.
Caruso: Heute nacht habe ich am Telefon.
vanDusen: Wen haben sie gehört Caruso, Lyneker.
Caruso: Ja.
vanDusen: Nein, sie hörten Mrs King.
Aber.
Caruso: Sie hat doch mit Lyneker gesprochen während.
vanDusen: Sie sprach nicht mit Lyneker, sie sprach zu ihm, zu einem abwesenden, und versuchte so ihm eine Alibi verschaffen.
Caruso: Ja wenn sie das sagen Prof.
vanDusen: Leo Lyneker hat Laurence King ermordet, als Vertrauter des Opfers war er Mitwisser, womöglich gar Initiator der publicity action, er betreibt den Sport des Bogenschießens.
Lyneker: Woher wollen sie denn das wissen Prof.
vanDusen: Ihre Hand hat es verraten, Lyneker, präziser die typische Schwielen am Daumen und am unteren Glied des Zeigefinger, sie besitzen ein Automobil welches sie in kurzer zeit von Mrs King Wohnung in der 5 avenue zur christopher street und nach dem Mord wieder zu Mrs King zurück brachte.
Mrs King: Aber ich hab doch.
vanDusen: Mrs King ist Lynekers Komplizin, beide waren dran interessiert Laurance King zu beseitigen aus beruflich gründen und wohl auch aus anderen privaten.
Hatch: Da war mal was, Prof vor einem halben Jahr in den Klatschspalten, in welcher Belcanto-Ehe würde Kritiker gern den dritten im Bunde spielen, so etwa war das.
vanDusen: Senta King, Leo Lyneker, sie beide waren in Kings Aktion eingeweiht und haben beschlossen, sie ohne sein wissen zu einem Kapitalverbrechen umzufunktionieren, sie sind überführt.
Caruso: Und sie werden gestehen, Donovan, Paretzky, Obrien abführen die beiden, aber eins hab ich noch nicht verstanden Prof die Sache mit dem oxi.
vanDusen: Oxidationsprozeß Caruso.
Caruso: Ja so hieß das.
vanDusen: Passen sie auf, der Oxidationprozeß welcher wie die leichte Verfärbung erkennen ließ an beiden Bruchstellen bereits eingesetzt hatte verriet mir, daß der Bruch nicht wie es den Anschein hatte vor Stunden erfolgte sondern vor etwa 10 Tagen, vermutlich hatte Lyneker am Mittwoch 15. Mai das schwarze Museum aufgesucht, das Messer entwendet und bevor er es an King weitergab die spitze abgebrochen, um sie als Mordwerkzeug zu benutzen.
Caruso: Ach so.
Hatch: Auf der Heimfahrt wirkte van Dusen etwas mitgenommen, kein Wunder er ist nicht mehr der jüngste und das dauernde lösen kriminologischer Probleme das schlaucht ungemein, aber am Fall King hatte ihn was ganz spezielles irritiert.
vanDusen: Ich meine die den Fall bestimmende theatralische, genauer musik-theatralische Atmosphäre… die Aura des Irrealen, Irrationalen, des so tun als ob, des eher Schein als Sein, wenn sie verstehen was ich meine.
Hatch: Ja…
vanDusen: Äußerlichkeiten, Kulissen, Inszenierungen, Reklame, Publicity, große Opern, kleine Partien, nicht das rechte Milieu für Prof van Dusen, von derartigen Fällen werde ich mich in Zukunft strikt fernzuhalten wissen.
Hatch: Bekanntlich kommt es manchmal anders, als man denkt, ein knappes Jahr später legte sich der Professor mit dem Phantom der Oper an, und das sollte einer seiner größten Triumphe werden doch davon meine Damen und Herren erzähle ich ihnen vielleicht ein andermal.
Professor van Dusen: Friedrich W. Bauschulte
Hutchinson Hatch: Klaus Herm
Detective-Sergeant Caruso: Heinz Giese
Lawrence King, Helden-Bariton: Otto Mellies
Senta King, Sopran, seine Frau: Susanna Bonaséwicz
Dr. Clennam, Polizei-Arzt: Wolfgang Condrus
Mrs. Caplan, Kings Garderobiere: Ruth Pipho
Leo Lyneker, Opern-Kritiker: Peter Matic
Leporello, Kings Diener: Hans Teuscher
Wachtmeister Donovan: Klaus Jepsen
Hörspielfan
15. Juli 2025
Michael Koser: Prof. van Dusen Augustus im Wunderland (RIAS 1992)
Horrocks: Wer sind Sie?
vanDusen: Ich, ich bin Prof. Dr.Dr.Dr. Augustus van Dusen…
Jellypot: Gebrülstig wars, die schloimen Düxe sich in dem Burden gröll verschlotzten, gar mieslich frümpelten die Flüxe und die Mohm-Ralben krotzten.
vanDusen: Wie bitte.
Jellypot: Und die Mohm-Ralben krotzten.
vanDusen: Aha, sie pflegen sich mit Psychopathologie abzugeben, Kollege Jellypot.
Jellypot: Wie kommen Sie darauf, Kollege van Dusen.
vanDusen: Weil Sie uns mit den Ejakulationen eines offensichtlich wahnwitzigen traktieren.
Jellypot: Aber werter Kollege, wo denken Sie hin, was ich zum Vortrag brachte, ist ein Kunstwerk, ein Poem.
Hatch: Jabberwocky von Lewis Carroll.
Jellypot: Ah Sie kennen Jabberwocky Mr.
Hatch: Hatch Hutchinson Hatch Begleiter Assistent und Chronist von Prof.van Dusen.
Jellypot: Nun Mr. Hatch da Sie Jabberwocky kennen ist ihnen zweifellos auch bewußt daß es mit dem Datum des heutigen Tages eine ganz besondere Bewandnis hat.
Hatch: 4 Juli 1903, klar unser Nationalfeiertag, Unabhängigkeitserklärung, George Washington, Konfetti, Pappnasen, Feuerwerk, allgemeines Besäufnis.
Jellypot: Ihr transatlantischer Patriotismus in ehren, doch ich meine etwas anderes, der 4. Juli ist ein historischer Meilenstein in der Entwicklung von Fantasie und Kreativität, denn am 4. Juli 1862 vor 41 Jahren wurde sie zum ersten Male erzählt, die unsterbliche Geschichte von Alice im Wunderland, erzählt von ihrem Schöpfer Charles Ludwig Dowson, der sich als Autor Lewis Carroll nannte und zwar hier, meine Herren, an diesem Ort, sie wissen doch, ein goldener Sommernachmittag, geruhsam treibt das Boot.
Hatch: Jetzt war es Vormittag, aber sonst stimmte alles, der Sommer, das Boot und auch der Fluß war derselbe, nämlich die Themse, nur daß sie hier in der Gegend von Oxford nicht Themse hieß sondern Isis, am Vorabend hatte Prof van Dusen vor auserwählten Lehrkörpern der Universität einen Vortrag gehalten über die atomare Strukturtheorie der Elemente und ihre Bedeutung für den Fortschritt der Wissenschaft, oder so ähnlich, unser Gastgeber Dekan Jellypot war davon offenbar so angetan gewesen, daß er uns für den nächsten Vormittag zu einer traditionellen oxforder Bootsparty eingeladen hatte, Sektfrühstück am Ufer inklusive, wir landeten an einem stillen Seitenarm, Diener arrangierten Decken, Kissen und Klappstühle, richten den Imbiß her, öffneten Champagnerflaschen.
Jellypot: Du hast gefällt den jaberwok, umarme mich, mein Sohn und Held, o quarlich tag, heisa halop so strohlt er stolzgeschwelt.
Hatch: Bravo Dekan, schönes Plätzchen genau richtig für ein Picknick, da hinten der graue Turm über den Bäumen.
Jellypot: Schloß Twickenham, Mr Hatch, seit Jahrhunderten im Besitz der Familie, ein hochinteressantes Stück normannischer Architektur.
Diener: Wenn sie gestatten Sir, es ist angerichtet.
Jellypot: Sehr schön Blackstock, so lassen sie uns denn der improvisierten Tafel zusprechen meine Herren.
vanDusen: Dodgson Dodgson, vor Jahren ein mittelmäßiger Mathematiker zu Oxford wenn ich nicht irre.
Jellypot: Und ein begnadeter Schriftsteller, Kollege van Dusen.
vanDusen: Doch wohl eher ein müßiger Produzent kindlichen Unsinn, Kollege Jellypot, eine Aktivität welche mit dem profunden Streben des seriösen Wissenschaftlers schlichterdings nicht in Einklang zu bringen ist.
Jellypot: Meinen sie, werter Kollege, nun wie dem auch sei, ist an der Zeit, das Walroß sprach meine Herren, ich erhebe mein Glas auf den Geburtstag der vereinigten Staaten von Amerika.
Hatch: Hipp Hipp Hurra und auf den großen Lewis Carroll.
Jellypot: Ehre seinen Andenken.
Hatch: Komischer Nachgeschmack, ich weiß nicht, ich bin auf einmal so müde, die Augen, kann sie nicht mehr aufhalten.
vanDusen: Auch ich mein lieber Hatch vermag mich einer gewissen Somnolenz nicht zu erwehren.
Hatch: Der Champagner, Prof.
Jellypot: Nimm dich vor Jabberrok in acht.
Hatch: Da war was darin.
Jellypot: Es schnappt der Zahn.
vanDusen: Veronal.
Jellypot: Die Klaue kratzt.
vanDusen: Chloralhydrat.
Jellypot: Hüt dich vorm Jupjup in der Nacht und vor dem Wanderschnatz.
Hatch: Die Augen fielen mir zu, die Sinne schwanden, ich hatte das Gefühl zu fallen, zu stürzen, tiefer immer tiefer in die Erde durch die Erde, dann nichts mehr, ich kam zu mir, schlug die Augen auf, sah mich um, die Uferwiese an der Themse war verschwunden, ich lag auf einer kleinen Waldlichtung, verschwunden waren auch der Dekan, sein Diener, sein Picknick und sein einschläfernder Champagner, van Dusen war zum glück noch da, er lag neben mir im Tiefschlaf und säuselte durch die Nase, sonst kein Geräusch, doch schnelle Schritte aus der ferne, ein Stimme murmelte, da kam jemand, ich richtete mich auf.
Lord: Oje oje ich komm zu spät, o meine armen Pfoten, o mein Pelz, o meine Schnurhaare, zu spät, ich komm zu spät.
Hatch: Hallo sie da Augenblick mal, warten sie, es hörte nicht auf mich, es raste vorbei und war weg, es, ja sie haben richtig gehört, es, ein weißes Kaninchen fast so groß wie ich, in Weste und karierter Jacke, eine mächtige Zwiebel von Uhr in der Hand, ich starrte ihm nach aber ehe ich überhaupt anfangen konnte mich zu wundern, räusperte sich wer oder was hinter mir, ich drehte mich um, auf einem riesengroßen Fliegenpilz saß eine riesengroße Raupe, raucht eine riesengroße Wasserpfeife und sah mich kritisch an.
Horrocks: Wer sind sie.
Hatch: Tja wer bin ich, heute früh war ich noch Hutchinson Hatch, alles klar, keine Probleme, aber inzwischen ist so viel passiert, wissen sie.
Horrocks: Ich weiß nicht, erklären sie sich.
Hatch: Das ist gar nicht so leicht.
vanDusen: Hatch was ist geschehen, wo befinden wir uns.
Hatch: Keine Ahnung Prof, gut geschlafen, wie fühlen sie sich.
vanDusen: Leidlich danke, nach dem Stand der Sonne haben wir mittag.
Hatch: 3 nach 12 sagt meine Uhr.
vanDusen: Das heißt ich befand mich für ca 2 Stunden im zustand der Bewußtlosigkeit, mein gott was ist das.
Horrocks: Wer sind sie.
vanDusen: Ich bin Prof DrDrDr Augustus van Dusen.
Hatch: Die Denkmaschine, Wissenschaftler und Amateurkriminologe von Weltruf, und jetzt ist es wohl an der zeit, daß sie sich vorstellen.
Horrocks: Warum.
vanDusen: Mein lieber Hatch.
Hatch: Prof.
vanDusen: Sehen sie dasselbe was ich sehe, eine Raupe, etwa 1m70 groß.
Horrocks: 1,72.
vanDusen: Eine Raupe welche spricht und Wasserpfeife raucht.
Hatch: Und wenn man genauer hinsieht große Ähnlichkeit mit einem älteren Herrn in einem Raupenkostüm hat.
vanDusen: Finden sie, mein lieber Hatch, was geschieht mit mir, halten sie es für möglich daß ich der das Genie stets bedrohenden Gefahr erlegen bin und ohne es wahrzunehmen die Schwelle zum zum Wahnsinn überschritten habe.
Hatch: Nicht doch, Prof, machen sie sich keine Sorgen, mir gehts genau wie ihnen, und daß ich kein Genie bin, das wissen sie.
vanDusen: Niemand besser als ich, wenn nicht Wahnsinn was dann, ein Traum.
Hatch: In diesem Fall erhebt sich die Frage, bin ich in ihrem oder sind sie in meinem Traum.
vanDusen: Ich bitte sie, ein Prof van Dusen hat es wohl kaum nötig die Träume anderer zu frequentieren.
Hatch: Ist ja gut Prof und total unnötig, ich weiß jetzt was hier los ist, wir sind nicht in einem Traum, wir sind in einem Buch.
vanDusen: In der Tat, mein lieber Hatch.
Hatch: Bei mir war der Groschen gefallen, endlich, wir waren im Wunderland, im Wunderland von Alice, in Lewis Carrolls Wunderland am 4. Juli am Lewis Carroll Tag, wieso warum weswegen das wußte ich natürlich nicht, aber ich machte mir deshalb auch keine Sorgen, die Sache war nicht ernst und schon gar nicht gefährlich, vermutlich eine Art Spiel.
vanDusen: Und was sollen wir tun mein lieber Hatch.
Hatch: Mitspielen Prof.
vanDusen: Ich denke nicht dran.
Hatch: Seien sie kein Spielverderber, Prof machen sie mit, und wenn das Spiel zu Ende ist, wird sich alles in wohlgefallen auflösen und dann verehrter Meister Mr Raupe werden wir auch erfahren wer sie sind.
Horrocks: Durchaus denkbar.
Hatch: Ganz netten Pilz haben sie hier.
Horrocks: Finger weg, machen sie nichts kaputt.
Hatch: Eine Holzkonstruktion mit Stoff bespannt, kommen sie Prof.
vanDusen: Wohin mein lieber Hatch.
Hatch: Sehen sie, das kommt davon, wenn man das Buch Alice im Wunderland nicht kennt, hätten sie sich ein bißchen mehr mit wie haben sie gesagt kindischen Unsinn abgegeben, dann wären sie jetzt nicht drauf angewiesen daß ich sie führe, na seien sie froh daß sie mich haben, Prof, kommen sie hier gehts lang.
vanDusen: Wie sie meinen mein lieber Hatch.
Hatch: Ich war der Chef, ich sagte wos langging und van Dusen war zahm und parierte aufs Wort, verkehrte Welt, wenn sie wissen, wie der Prof sonst mit mir umgeht, dann können sie sich vorstellen, wie mir zumute war, wunderbar, ganz wunderbar, und so ging ich denn wie auf rosa Wolken voran durchs Wunderland und hielt Ausschau nach dem Haus der Herzogin, aber das hatten sie in dieser Wunderlandausgabe anscheinend eingespart, jedenfalls ging es gleich weiter mit der Chesshirekatze, sie hockte an einem Baum am Wegesrand und grinste über ihr ganzes rundes Mondgesicht.
vanDusen: Die Gesichtszüge dieser Kreatur erfreuen sich sofern dies der korrekte Ausdruck ist einer geradezu erstaunlichen Übereinstimmung mit denen meines werten Kollegen Dekan Jellypot.
Hatch: Ganz ihrer Meinung Prof, wenn man den Dekan in ein Katzenkostüm steckt, ihm Schnurrhaare verpaßt und ihn auf einen Ast setzt, moment wie war denn das noch, aja, verehrteste Chesshirekatze, können sie uns sagen welchen Weg wir einschlagen sollen.
vanDusen: Aber Hatch es gibt doch nur diesen einen Weg.
Jellypot: Das hängt davon ab, wohin sie gehen wollen, auf einen Seite wohnt ein Hutmacher und auf der anderen Seite wohnt ein Märzhase, ob sie den einen oder den anderen besuchen, sie sind beide verrückt, wir sind alle verrückt hier, ich bin verrückt, sie sind verrückt, sie auch Kollege van Dusen.
vanDusen: Ich verbitte mir ihre Verbalinjurien Kollege Jellypot, steigen sie herunter von ihrem Ast und erklären sie mir gefälligst.
Hatch: Immer mit der Ruhe Prof, nicht so verbiestert, mitspielen heißt die Parole, wie kommen sie darauf, daß wir verrückt sind.
Jellypot: Sie müssen verrückt sein, sonst wären sie nicht hier.
Hatch: Ok das reicht, denke ich, weiter Prof, nächste Station sollte die verrückte Teegesellschaft sein beim Märzhasen, wird auch Zeit nach dem abgebrochenen Picknick und dem ausgefallenen Lunch daß wir was in den Magen kriegen, bleiben sie nur dicht bei mir.
vanDusen: Sie sind der Führer, mein lieber Hatch.
Hatch: Unterwegs begegneten wir zum zweiten mal dem weißen Kaninchen, es wetzte wieder vorbei ohne uns zu beachten, und dann waren wir auch schon am Haus des Märzhasen, auf der Wiese davor stand ein langer Tisch mit vielen Gedecken, Teetassen, Tellern, Teekannen, an einem Ende saßen drei Personen dicht beieinander, der Hutmacher, ein älterer Mann mit Hakennase und Schnauzbart unter seinem hohen Zylinder, der Märzhase mit langen Ohren in einem lila Samt- anzug und zwischen den beiden die Haselmaus in einem altmodischen schwarzen Seidenkleid und einer braunen Kappe mit spitzen Mauseohren, viel sah man nicht von ihr, sie hatte die Arme auf dem Tisch und den Kopf auf den Armen, sie schlief dachte ich, alles so wie sein sollte.
Roselli: Kein Platz.
Tiptoe: Alles besetzt.
Hatch: Ach was, Platz genug, setzen sie sich Prof.
vanDusen: Wenn sie das für richtig halten mein lieber Hatch.
Roselli: Nehmen sie einen Schluck Champagner meine Herren.
Hatch: Ich kann mich beherrschen, außerdem ich sehe hier keinen.
Tiptoe: Ist ja auch keiner da, bloß Tee.
Hatch: Gestatten daß wir uns bedienen, naja kein Whisky aber besser als gar nichts.
Tiptoe: Können sie mir vielleicht sagen, welchen Tag wir heute haben.
Hatch: Den 4.
Tiptoe: Ah, ich muß meine Uhr stellen, die geht 2 Tage nach, ich hab ihnen gesagt Butter ist nicht gut fürs Werk.
Roselli: Es war beste Butter.
Tiptoe: Ja aber es müssen auch ein paar Krumen reingeraten sein, sie hätten die Butter nicht mit dem Brotmesser in die Uhr tun sollen.
Hatch: Um die Sache ein bißchen abzukürzen schlage ich vor daß sie jetzt die Haselmaus wecken damit sie uns die Geschichte von den drei Schwestern im Sirupbrunnen erzählt.
Tiptoe: Einverstanden, wachen sie auf, Haselmaus.
Roselli: Los los Haselmaus aufwachen.
Tiptoe: Sie rührt sich nicht, Märzhase.
Roselli: Geben sie ihr einen Stoß Hutmacher, stups.
Hatch: Die Haselmaus fiel um mit ihrem Stuhl, blieb liegen und rührte sich nicht, das stand nicht im Buch, ich starrte, der Hutmacher starrte, der Märzhase starrte, van Dusen starrte auch aber nicht verdutzt oder erschrocken wie wir übrigen sondern interessiert, angeregt, fast erfreut, er beugte sich über die reglose Haselmaus.
vanDusen: Die Frau ist tot, gestorben von einer halben Stunde.
Hatch: Zehn nach 1 weniger 30 Minuten, zwanzig vor 1 Prof.
vanDusen: Ganz recht, mein lieber Hatch 12 Uhr 40, kommen sie her Hatch.
Hatch: Gewiß doch.
vanDusen: Bücken sie sich tiefer, tiefer, so was riechen sie.
Hatch: Bittere Mandeln.
vanDusen: Sehr richtig und das heißt.
Hatch: Zyankali.
vanDusen: Sehr gut, auf welche weise hat die Frau das todbringende Gift zu sich genommen, aha bringen sie ihre Nase in Kontakt mit dieser Teetasse.
Hatch: Zyankali und noch was.
vanDusen: Jene hellbraune Flüssigkeit von der sich noch ein Rest am Boden der Tasse befindet.
Hatch: Sieht aus wie Tee, Sherry, eindeutig Sherry medium dry.
vanDusen: Sehr schön, die Teetasse der toten enthielt mit Zyankali versetzten Sherry, ein Fall, womöglich ein Mord, ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet.
Hatch: Prof van Dusen vor wenigen Minuten noch gedrückt und ziemlich durcheinander hatte sich bekrabbelt, ein bißchen Zyankali, eine Leiche und schon war er wieder der alte, während er die Tote untersuchte, mußte ich ihr die Kappe mit den Mauseohren abnehmen, und die dicke braune Schminke aus dem Gesicht wischen, zum Vorschein kam eine Frau etwa mitte 30 gepflegt, gutaussehend, und da wurden Märzhase und Hutmacher, die uns bisher stumm und wie gelähmt zugeschaut hatten plötzlich munter.
Roselli: Das das das ist noch nicht Mrs Marschmellow.
Tiptoe: Das ist Lady Twickenham.
Roselli: Aber das ist doch gar nicht möglich, Lady Twickenham ist nicht die Haselmaus.
Tiptoe: Die Haselmaus spielt Mrs Marshmellow.
Roselli: Und wieso.
vanDusen: Bitte meine Herren, sie werden später hinreihend Gelegenheit zu ausführlichen Erklärungen erhalten, sehen sie her, dies Blatt Papier habe ich im ausschnitt der toten entdeckt, übrigens von ihrer Kleidung abgesehen das einzige was sie bei sich trug, ein bedeutsamer Hinweis.
Hatch: Das Papier.
vanDusen: Gewiß auch das, doch von erheblich größerer Bedeutung ist das was ich nicht bei der Leiche fand, lesen sie.
Hatch: Aye aye Sir, Vorleser von Dienst Hutchinson Hatch waltet seines Amtes, es war stets mein brennender Wunsch einmal, ein einziges mal im Wunderland mitzuwirken, doch man erwies sich allen meinen Bitten gegenüber als unzugänglich, mein Verlangen wurde übermächtig, ich tötete Mrs Marshmellow, um ihren platz und ihre rolle im Wunderland einzunehmen, mein gott was habe ich getan als Mörderin kann und will ich nicht weiterleben, Unterschrift soweit zu entziffern, Gertrud Twickenham, ja Selbstmord also.
vanDusen: Meinen sie.
Hatch: Was denn sonst, sie hat sich selbst vergiftet diese Gertrud Twickenham klarer Fall.
Roselli: Seine Lordschaft, Tiptoe, da kommt seine Lordschaft.
Hatch: Lordschaft, meinen sie das weiße Kaninchen.
Tiptoe: Das weiße Kaninchen ist Lord Twickenham.
Hatch: Ach was.
Roselli: Wir müssen es ihm sagen Tipoe, das mit seiner Frau.
Tiptoe: Ja Rosselli das müssen wir wohl, Milord, Lord Twickenham hallo.
Lord: Was soll das, Tiptoe, sie fallen aus der Rolle.
Roselli: Es muß sein, Milord, kommen sie, es ist was passiert.
Tiptoe: Was furchtbares Milord.
Hatch: Lord Twickenham kam sah und wurde informiert und war konsterniert, verständlich, aber mit Tee und guten Worten kriegten wir ihn soweit hin, daß er van Dusen eine Frage beantworten konnte.
Lord: Ja Prof das ist die Handschrift meiner Frau, kein Zweifel, sie hat den Brief geschrieben.
vanDusen: Danke Milord, und nun meine Herren ist es wohl an der Zeit, daß sie mir Aufklärung zuteil werden lassen.
Hatch: Und mir bitte auch.
vanDusen: Was geht hier vor, was wird gespielt, ich höre.
Tiptoe: Also wenn ich sie gestatten Milord werde ich das übernehmen, sie sind wohl kaum in der Lage, verehrte anwesende ich beginne.
vanDusen: Am besten damit daß sie sich vorstellen.
Tiptoe: Ja gewiß Tiptoe, Oberst Tiptoe, Chiefconstable dieses Bezirks und mein Partner der Märzhase ist Mr Rafael Roselli.
Hatch: Der Dichter.
Roselli: Der weltberühmte Poet Mr Hatch.
vanDusen: Was sie nicht sagen und was veranlaßt einen Polizeichef, einen namhaften Lyriker, und ein Mitglied des Hochadels sich in kurioser Maskerade ausgefallenen Spielen hinzugeben.
Tiptoe: Das will ich ihnen ja gerade erklären Prof und dazu muß ich wenig ausholen, meine Herren, als anno domini 1898 vor 5 Jahren Lewis Carroll alias Prof Dodgson diese Welt verließ, da fand sich eine kleine erlesene Schar von Verehrern und Bewunderern des dahingeschiedenen zusammen und beschloß dem Andenken jenes ungewöhnlichen Menschen und Autors auf eine Weise ehre zu zollen die ihm angemessen, die seiner würdig sei.
Hatch: Hört hört.
Tiptoe: Am 4 Juli jeden Jahres sollte so der feierliche Beschluß, Carols bedeutendste Schöpfung, das Wunderland mitsamt seinen Bewohnern den Bereich der Fiktion verlassen und für kurze Zeit Gestalt in der Realität annehmen, zu diesem zwecke stellte unser Mitglied der ehrenwerte Lord Twickenham großzügierweise ein Grundstück zu verfügung, das Grundstück auf welchem wir uns befinden.
Lord: Früher mal ein Fanasengehege wissen sie Prof.
Tiptoe: Es ist von einer hohen Mauer umgeben, und diese wie auch das einzige Tor wird von den Dienern seiner Lordschaft auf strengste bewacht.
Lord: Wir wollen nämlich nicht gestört werden.
Tiptoe: Und legen großen Wert darauf unter uns zu bleiben.
Hatch: Das konnte ich mir denken, jedes Mitglied des exklusiven Kreises spielte am 4. Juli eine Figur aus Alice im Wunderland, Hutmacher, Märzhase weißes Kaninchen usw die qualmende Raupe hieß Dr. Horrox weiland Leibarzt ihrer Majestät Königin Viktoria gott hab sie selig und die Chesshirekatze war tatsächlich Dekan Jellypot.
vanDusen: Ein Wissenschaftler von seinem Ruf auf einem Baum, angetan mit Katzenohren und einem geringelten Katzenschwanz, es ist unfaßbar.
Tiptoe: Der Bischof von Snodbury spielt die Herzkönigin und wie ich seine ehrwürden kenne wird er es sehr bedauern, daß er dieses mal nicht zum Einsatz kommt.
Roselli: Er kann zwar nicht herumlaufen weil er ein steifes Bein hat, aber das macht er wett durch Lautstärke und eine unglaublich blutdürstige Mimik.
Hatch: Runter mit den Köpfen.
Tiptoe: Ganz recht und dann wäre da noch Mrs Marshmellow.
vanDusen: Richtig Mrs Marshmellow und wer ist Mrs Marshmellow.
Tiptoe: Mrs Marshmellow ist ein Sonderfall, das einzige weibliche Mitglied unser Runde, an sich sind wir ein reiner Herrenclub, Damen sind bei uns nicht willkommen grundsätzlich nicht.
Hatch: Find ich altmodisch und langweilig, sie sind ein bißchen hinter dem Mond alter Freund.
Tiptoe: Sie als Amerikaner und Journalist haben wohl kaum das rechte Gespür für historische Werte und Traditionen, Mr Hatch, nicht einmal Lady Twickenham haben wir in unseren Kreis aufgenommen obwohl sie in ihrer Kindheit mit Lewis Carroll gut bekannt war.
Lord: Immer wieder hat sie uns bekniet, aber daß sie so versessen drauf war, das haben wir nicht gewußt.
vanDusen: Und warum haben sie bei Mrs Marshmellow eine Ausnahme gemacht.
Tiptoe: Wie gesagt Prof ein Sonderfall, Mrs Marshmellow hat Carroll jahrelang die Wirtschaft geführt, in Eastbourne, wo der Meister sich nach seiner Emeritierung vorzugsweise aufgehalten hat, er hat sie sehr geschätzt so sehr daß er sie zu seiner alleinigen Testamentvollstreckerin einsetzte.
Hatch: Und sie ist also die Haselmaus in ihrem Wunderland.
Tiptoe: So ist es aber dieses mal.
vanDusen: Dazu später Oberst, vorher wünsche ich Antwort auf eine frage, welche mich bereits seit geraumer zeit beschäftigt, was haben meine Person und die meines Freundes Mr Hatch mit ihren kindischen Komödie zu schaffen.
Roselli: Sie sind unsere Ehrengäste Prof.
Hatch: Sieh mal an, ohne daß wir was davon wissen.
Tiptoe: Ja aber das ist es doch gerade Mr Hatch, sehen sie.
Hatch: Jedes Jahr sagte Oberst Tiptoe, guckte der Lewis Carroll Club sich einen prominenten Ehrengast aus, der wurde dann ohne daß er ahnte wie ihm geschah am 4 Juli im Wunderland ausgesetzt, in der Rolle von Alice sozusagen, wenn der Gast sich gut aus der Affäre gezogen hatte, trug man ihm nach der Demaskierung beim großen Festbankett auf Schloß Twickenham die Ehrenmitgliedschaft im exklusiven Kreis der Carroll Fans an.
Tiptoe: Ja und in diesem Jahr Prof sind sie unser Ehrengast, mit Mr Hatch natürlich bekanntlich bilden sie beide ein unzertrennliches Duo, der Vorschlag kam übrigens von Jellypot, und Jellypot hat es auch übernommen für ihre wie soll ich sagen Überstellung ins Wunderland sorge zu tragen.
vanDusen: Ich verstehe, sobald der Fall abgeschlossen ist beabsichtige ich mit dem werten Kollegen Jellypot einige ernsthafte Worte zu wechseln, bleiben wir beim geschehen des heutigen Tages, wann haben sie und genossen dieses Gelände betreten.
Tiptoe: Das Wunderland, halb 12 wie immer, wir sind zusammengekommen zu fuß, von Schloß Twickenham.
Lord: Nur ein paar hundert Meter, Prof.
Tiptoe: Wir haben uns schon gestern abend auf dem Schloß getroffen wie immer und die meisten von uns haben da übernachtet.
vanDusen: Auch Mrs Marshmellow.
Lord: Ja Prof.
vanDusen: Als sie alle sich um 11 Uhr 30 an diesem Ort begaben, da waren sie wie ich vermute bereits kostümiert.
Tiptoe: Natürlich wie immer.
Roselli: Darum ist uns ja an der Haselmaus nichts aufgefallen, daß sie nicht Mrs Marshmellow war sondern Lady Twickenham meine ich oder haben sie was gemerkt Tiptoe.
Tiptoe: Nicht das geringste, Roselli.
vanDusen: Sie nahmen dann ihre Plätze ein.
Tiptoe: Ja wir drei, Mrs Mars äh ich meine die Haselmaus, Roselli und ich sind gleich hierhergekommen.
vanDusen: Wann war das.
Tiptoe: Viertel vor 12 ungefähr und dann haben wir gewartet.
Hatch: Auf uns.
Tiptoe: Natürlich.
vanDusen: Wie hat sich die Haselmaus in dieser zeit verhalten.
Tiptoe: Wie immer, Prof sie hat kein Wort gesagt und vor sich hin gedöst.
vanDusen: So und bis zum erscheinen von mir und Hatch saßen sie zu dritt an diesem Tisch zusammen.
Tiptoe: So ist es Prof.
vanDusen: Die ganze Zeit, jede Sekunde.
Roselli: Moment, einmal haben wir uns kurz verabsentiert, Tiptoe und ich, ins Haus.
vanDusen: Ah wann war das.
Tiptoe: Muß so kurz nach halb 1 gewesen sein.
vanDusen: Aha, aus welchem Grund haben sie sich entfernt meine Herren.
Tiptoe: Ja wissen sie Prof bevor es losging wollten wir uns noch schnell einen Schluck genehmigen, einen richtigen.
Roselli: Tee müssen wir später genug trinken.
vanDusen: Was genau haben sie zu sich genommen.
Tiptoe: Whisky natürlich.
Hatch: Natürlich.
Tiptoe: Aus meiner Taschenflasche.
vanDusen: Sehr interessant, aus ihrer Taschenflasche, Milord Twickenham, Mr Roselli, gehen sie, informieren sie ihre Mitakteure, bringen sie sie hierher, die Komödie ist zu ende.
Tiptoe: Leider Prof für dieses Jahr.
vanDusen: Sie bleiben Oberst Tiptoe.
Hatch: Ich blieb auch, sie wissen ja ein unzertrennliches Duo, und als Lord und Dichter verschwunden waren, stellte van Dusen an Tiptoe ein etwas ungewöhnliches Ansinnen.
Tiptoe: Meine Taschenflasche, wenn sie meinen Prof bitte.
vanDusen: Mein lieber Hatch, prüfen sie den Inhalt.
Hatch: Mit vergnügen.
vanDusen: Nicht trinken, riechen.
Hatch: Okay, allerfeinster schottischer Maltwhisky.
Tiptoe: Das will ich meinen Mr Hatch.
vanDusen: Kein Sherry.
Hatch: Niemals Prof.
vanDusen: Ist Mr. Roselli ebenfalls im Besitz einer solchen Taschenflasche Oberst.
Tiptoe: Wissen sie, Prof wir haben alles was zur Stärkung bei uns, wenn wir Wunderland spielen, bloß Roselli nicht, der ist ein typischer Mittrinker.
vanDusen: Und wie ich mich überzeugen konnte enthalten die Gefäße auf dem Tisch lediglich Tee, damit steht es fest, Lady Twickenham wurde ermordet.
Tiptoe: Ja aber der Brief.
vanDusen: Richtig der Brief, falls sein Inhalt zutrifft haben wir es mit 2 Morden zu tun.
Tiptoe: Mrs Marshmellow, meinen sie Prof ob sie wirklich tot ist.
vanDusen: Dies werden wir auf Schloß Twickenham zu verifizieren haben.
Hatch: Und das taten wir auch, allerdings nicht sofort, wir mußten erst auf die andern warten, auf Dr Horrox die Raupe, auf die Chessarketze Dekan Jellypot, den der Prof keines Blickes würdigte, und auf lord twickenham nebst roselli, die den hochwürdigen aber steifbeinigen Bischof von Snodbury auf einem Karren vor sich herschoben, als Herzkönigin trug Eminenz eine voluminöse rotschwarzgemusterte Robe, fuchtelte mit einem herzförmigen Fächer herum und schrie ab und zu um nicht aus der Übung zu kommen kopf ab, gemeinsam machten wir uns auf den kurzen Weg nach Schloß Twickenham, unterwegs stellte ich fest daß das Wunderland sprich lord twickenhams Fasanengehege tatsächlich ein höchst privates Gelände darstellte, die Mauer ringsum war 5 m hoch und trug eine Krone aus Stacheldraht, in engen abständen waren wachen postiert, was das hieß wußte auch ein bescheidener kriminologischer Assistent, Lady Twickenhams Mörder konnte nicht von außen gekommen sein, auf Schloß Twickenham zogen sich Jellypot, Roselli, Dr Horrox und der Bischof zurück, das abgebrochene Wunderlandtheater hatte offenbar an ihren nerven gezerrt, der Prof gönnte sich keine Ruhe, er ließ sich sofort von Lord Twickenham in Mrs Marshmellows Zimmer führen, ich mußte natürlich mit und Oberst Tiptoe als verantwortlicher polizeimensch auch, seine Lordschaft öffnete die Tür, wir traten ein und van Dusen steuerte gleich auf den Kamin zu.
vanDusen: Asche, noch warm, vor nicht allzulanger Zeit brannte in diesem Kamin ein Feuer.
Tiptoe: Im Juli.
vanDusen: ganz offensichtlich sollte etwas verbrannt werden aber was Papier Karton ah scheint sich um die Reste photografischer Aufnahmen gehandelt zu haben.
Hach: Fotos, sie meinen jemand hat im Kamin Fotos verbrannt Prof.
vanDusen: Abzüge von fotografischen Platten, ganz recht, mein lieber Hatch, was darauf dargestellt war, läßt sich leider nicht mehr feststellen, wir sind was dies betrifft auf Konjekturen angewiesen, Fotografien, Fotografien, interessant, sehr interessant, nanu was haben wir hier denn.
Hatch: Ein kleiner Koffer würde ich sagen offen.
Lord: Mrs Marshmellows Schmuckschatulle.
vanDusen: Mhm, Gold, Perlen, Brillanten, echte Steine, kein Imitationen, ein beachtlicher Besitz für eine Wirtschafterin.
Lord: Oh Mrs Marshmellow ist eine recht wohlhabende Person, sie besitzt mehrere Hotel in Eastbourne.
Tiptoe: In den letzten Jahren gekauft Prof.
vanDusen: Soso sehr aufschlußreich sehr aufschlußreich.
Lord: Sagen sie mal Prof.
vanDusen: Ja bitte.
Lord: Eigentlich wollten wir doch nachsehen was aus Mrs Marsmellow geworden ist, ob sie noch lebt oder, ich seh sie nicht.
Tiptoe: Ich auch nicht Milord.
vanDusen: Wir werden sie suchen, meine Herren, Hatch.
Hatch: Prof.
vanDusen: Sehen sie unter dem Bett nach.
Hatch: Ach immer ich.
Tiptoe: Sie suchten mit flicken, sie suchten mit Fleiß.
Hatch: Lewis Carroll die Jagd nach dem schnarch.
vanDusen: Mein lieber Hatch widmen sie sich ihre Aufgabe, was sehen sie.
Hatch: Nichts, jedenfalls keine Leiche, nur Staub, sie sollten mal mit ihrem Butler reden Milord.
vanDusen: Der Wandschrank, mein lieber Hatch, öffnen sie ihn.
Hatch: Ja und da war sie, eine alte Frau im Unterrock, tot oder was haben sie erwartet, meine Damen und Herren ermordet, vergiftet.
vanDusen: Und diese Karaffe auf dem oberen Bord enthält, mein lieber Hatch, ihr Riechorgan ist gefragt.
Hatch: Sherry mit Zyankali.
vanDusen: Danke, mein lieber Hatch wie spät ist es.
Hatch: 5 vor 4 Prof.
vanDusen: Der Tod trat vor 17 Stunden ein das heißt.
Tiptoe: Gestern abend gegen elf.
vanDusen: Wo hielt sich ihre Frau um diese Zeit auf Milord.
Lord: Das kann ich ihnen nicht sagen, Prof wir sind ein modernes Ehepaar, wir haben getrennte Schlafzimmer.
vanDusen: Und heute vormittag.
Lord: Hab ich sie auch nicht gesehen, mein gott warum hat sie das getan, sie muß wahnsinnig worden sein.
vanDusen: Sieht ganz so aus, Milord, Tiptoe.
Tiptoe: Ja Prof.
vanDusen: Ein Wort im Vertrauen.
Hatch: Was van Dusen dem Oberst in der Ecke neben dem Kamin zu sagen hatte, konnte ich nicht hören, aber ich sah daß Tiptoe verdutzt wirkte, fast bestürzt, daß er offenbar Einwände machte, schließlich aber nickte, dann führte ein dienstbarer Geist uns den Prof und mich in ein freundliches Zimmer und versorgte uns mit Speis und Trank, leider kam ich kaum dazu dem gebotenen die gebührende Ehre zu erweisen, van Dusen fragte mir Löcher in den Bauch, stundenlang über Lewis Carroll, sein Leben, sein Werk, seine Vorlieben und Eigenheiten, nicht daß ihn das alles interessierte an sich meine ich, es ging ihm wie immer um den Fall und seine Lösung, pünktlich um 7 begann im großen Saal auf Schloß Twickenham das Bankett, auch durch 2 plötzliche Todesfälle ließen sich die Carrolljünger nicht von der traditionellen Feier zum Abschluß ihres Ehrentags abhalten, am Kopf der Tafel hatte der Präsident der Festivität seinen platz Dekan Jellypot, zu seiner rechten saßen die Ehrengäste Prof van Dusen, und meine Wenigkeit, zur linken saß der Gastgeber Lord Twickenham, dann folgten Oberst Tiptoe, der Bischof von Snodbury, Dr Horrox, und Roselli, zwischen Roselli und mir blieb ein Platz frei, davor auf dem Tisch lag die mit einer Schleife verzierte Kappe der Haselmaus, nach den Regeln ihres Clubs trugen alle noch ihre Wunderlandkostüme.
Jellypot: Meine Herren, erlauben sie mir der Festlichkeit ein kurzes Wort des Gedenkens vorauszuschicken, wie sie wissen, hat die Haselmaus, unsere geschätzte Mrs Marshmellow uns für immer verlassen, wir werden ihr Gedächtnis in Ehren halten, gleichzeitig nehme ich die Gelegenheit wahr, unserem Mitglied, unserem freund unseren Gastgeber Lord Twickenham unser aller beileid zum jähen ableben seiner Gattin, und damit sei der Pietät genüge getan, meine Herren das Fest mag beginnen.
vanDusen: Einen Augenblick, Kollege Jellypot seit gestern abend sind am und im Schloß zwei Menschen auf gewaltsame Weise zu tode gekommen, sind sie denn überhaupt nicht interessiert daran aus welchem Grund durch wessen hand, auf welche weise.
Jellypot: Aber Kollege van Dusen, das alles ist doch längst bereinigt, Dr Horrox hat zwei amtliche Totenscheine ausgestellt.
Horrox: Jawohl, für Lady Twickenham und für Lady Marshmellow.
vanDusen: In der Tat und welche Todesursache haben sie angegeben, Doktor.
Horrox: Herzversagen.
vanDusen: Was.
Horrox: In beiden Fällen.
Hatch: Alles klar, Prof die wollen die Sache vertuschen, unter den Teppich kehren.
Jellypot: Kollege van Dusen Mr Hatch, Sie müssen das verstehen, auf gar keinen fall darf es zu einem öffentlichen Skandal kommen, Lord Twickenham wenn ich das hier erwähnen darf, hat berechtigte Aussichten demnächst zum Minister berufen zu werden, und auch wir übrigen bekleiden nicht ganz unwichtige Positionen im öffentlichen leben.
vanDusen: Ja aber ich hab den Fall gelöst.
Jellypot: Schön für sie, Kollege, das wäre also geklärt und damit meine Herren.
vanDusen: Und ich werde ihnen die Resultate meiner Untersuchungen vortragen.
Jellypot: Muß das denn jetzt sein Kollege van Dusen.
vanDusen: Ich bestehe darauf, widrigenfalls sehe ich mich veranlaßt Mr Hatch zu ersuchen über die erstaunlichen Vorgänge dieses 4. Juli 1903 einen Artikel für den dailynewyorker zu verfassen, und dieser Artikel dessen bin ich sicher wird trotz oder gerade wegen seiner sensationellen Aufmachung auch hier in Großbritannien für Furore sorgen.
Hatch: Das wirkte, nach kurzer Debatte durfte der Prof seine Aufklärungsarie vorsingen, wäre ja auch jammerschade gewesen wo er sich so drauf gefreut hatte.
vanDusen: Meine Herren, die erste Frage welche es zu lösen gilt lautet, aus welchem Grund wurde Mrs Marshmellow vergiftet.
Lord: Aber das wissen wir doch, der Brief meiner Frau.
vanDusen: Ist eine Fälschung.
Was.
vanDusen: Rekapitulieren wir folgende Fakten, erstens Prof Dodgson alias Lewis Carroll huldigte einer ausgefallenen um nicht zu sagen anrüchigen Passion, er suchte die Bekanntschaft junger sehr junger Mädchen um sie zu fotografieren, mit vorliebe im gänzlich unbekleideten Zustand, zweitens diese Fotografien so bestimmte er in seinem Testament sollten nach seinem Tod vernichtet werden.
Jellypot: Muß denn das sein.
vanDusen: Drittens Mrs Marsmellow war Dodgsons Testamentsvollstreckerin, viertens seit einigen Jahren, Dodgson starb 1898 erfreut sich Marshmellow eines beträchtlichen Vermögens, fünftens in ihrem Zimmer wurden Fotografien verbrannt, sechstens Lady Twickenham geborene Gertrud Schaterway war als Kind gut bekannt mit Dodgson, Fazit meine Herren.
Tiptoe: Erpressung.
vanDusen: So ist es, Oberst, Mrs Marshmellow hat entgegen Dodgens Anweisungen seine Aktfotografien nicht beseitigt, sondern zurückbehalten, um die dargestellten zu erpressen.
Lord: Meine Frau.
vanDusen: Jawohl Milord, vermutlich drohte die Marshmellow Lady Twickenhams Fotografien sofern sie nicht zahlte, in Umlauf zu bringen.
Lord: Deshalb hat sie ihr Zyankali gegeben.
vanDusen: Ohne Frage, wenden wir uns nun dem Mord an Lady Twickenham zu.
Lord: Sie meinen Selbstmord, Prof.
vanDusen: Ich sagte Mord Milord und ich meinte Mord.
Was.
vanDusen: Lady Twickenham trank mit Zyankali versetzten Sherry, aus ihrer Teetasse, woher stammte diese tödliche Mixtur, Lady Twickenham hatte sie nicht mitgebracht, an ihrer Person und in weiterem umkreis um ihre Person fand sich keinerlei Behälter, der Sherry enthielt oder enthalten hatte, von Zyankali ganz zu schweigen, jemand hatte ihr den giftigen Sherry eingegossen, aus einem Gefäß, daß dieser jemand dann wieder an sich genommen haben mußte, unbedachterweise, denn dadurch hat er sich als Mörder decuvriert, wer ist der Mörder, mit Sicherheit eine Person, welche sich zur Tatzeit 12 Uhr 40 im sog. Wunderland aufhielt, und das heißt da wir einen unbekannten Außenseiter ebenso ausschließen dürfen wie mich oder Mr Hatch, einer von ihnen, meine Herren, wer ist es, wer, sie Kollege Jellypot.
Jellypot: Erlauben sie Kollege van Dusen.
vanDusen: Regen sie nicht auf Kollege Jellypot, sie haben ein Alibi, um 12 40 führten sie ein von ihrer Seite übrigens äußerst törichtes Gespräch mit mir und Mr Hatch.
vanDusen: Dr Horrox.
Horrox: Was ich.
vanDusen: Auch sie stehen nicht unter verdacht, ein Mann in ihren Jahren besitzt nicht mehr die Schnelligkeit die erforderlich gewesen wäre mich und Mr Hatch auf unserem Weg zu überholen, der Bischof ist ohne fremde Hilfe gänzlich unbeweglich, Oberst Tiptoe.
Tiptoe: Ich.
vanDusen: Mr Roselli.
Roselli: Also.
vanDusen: Entlasten sich gegenseitig, wer bleibt.
Roselli: Lord Twickenham.
vanDusen: Das weiße Kaninchen, dessen Rolle wie Mr Hatch mich informierte, permanente Bewegung vorschreibt und das uns kurz nach der Tatzeit vom Tatort her entgegen kam, sie haben ihre Frau ermordet Milord und am Mord an Mrs Marshmellow waren sie gleichfalls beteiligt.
Roselli: Was, Mrs Marshmellow auch, woher wollen sie das wissen Prof.
vanDusen: Aus dem falschen Abschiedsbrief, den der Mörder Lady Twickenham unterschob, gehen zwei Tatsachen ganz klar hervor, der Mörder wußte daß Lady Twickenham nicht wie zu erwarten war, Mrs Marshmellow die Rolle der Haselmaus verkörperte und er wußte daß Mrs Marshmellow in der vorangegangen nacht ermordet worden war, dh er war an der Tat beteiligt, ich rekonstruiere.
Hatch: Und ich übernehme, damit es etwas schneller geht, also Mrs Marshmellow erpresst Lady, Lady informiert Gatten, beide wissen Erpresser kriegen den Hals nie voll, Beschluß Mrs Marshmellow wird umgebracht, in der Nacht vom 3 zum 4 Juli, wenn sie auf Schloß Twickenham ist mit Zyankali im Schlaftrunk, die sache klappt, Mrs Marshmellow ist tot, Aktfotos werden verbrannt, dann sagt lord zu lady, du gehst morgen mit ins Wunderland als Mrs Marshmellow dh als Haselmaus, ich hole dich im richtigen Moment ab und bring dich zurück ins Schloß durch einen Geheimgang oder so, es soll aussehen als ob Mrs Marshmellow am 4. Juli im Wunderland spurlos verschwindet, für die polizei ein unlösbares Rätsel, die Leiche graben wir später heimlich ein, lady ist einverstanden, sie weiß nicht, daß lord ihr die hucke vollgelogen hat, in Wahrheit will er lady auch umbringen, warum weil sie ihm lästig ist, weil er Angst hat daß es noch mehr verfängliche Foto gibt, weil er denkt keine Frau mehr, kein Skandal, weil er so das Problem der toten Marshmellow am besten los wird.
vanDusen: Und als heute gegen 12 Uhr 40 wie jedem Jahr Tiptoe und Roselli die Haselmaus allein ließen um unter sich dem Alkohol zu frönen war Lord Twickenham sogleich zur stelle, bevor er sie zum natürlich nicht existenten geheimen Ausgang bringe, sagte er möge sie ihre Nerven beruhigen, er goß ihr Sherry ein, sie trank, sie starb, der Mörder schob ihr den präparierten Abschiedsbrief in den Ausschnitt und eilte auf schnellstem weg von dannen, wobei er mich und Mr Hatch passiere, er ahnte ja nicht, der unglückselige, daß es sich beim diesjährigen sog Ehrengast nicht nur um einen Wissenschaftler von hohem Grade handelte sondern auch um einen nicht völlig unbekannten Amateurkriminologen, sie hätte es ihm und ihren übrigen genossen mitteilen sollen Kollege Jellypot.
Jellypot: Mag sein, Kollege van Dusen, ich hielt es nicht für wichtig.
Lord: Sind sie fertig, Prof, sie haben viel geredet, aber nur wenig gesagt, haltlose Indizien, an den Haaren herbeigezogene Hypothesen, das ist alles was sie zu bieten haben, wo sind ihre Beweise, wenn sie welche haben legen sie sie vor hier und jetzt auf den Tisch.
vanDusen: Nicht ich, Milord sie werden ihn auf den Tisch legen, den einen, den endgültigen, den letzten Beweis ihre schuld, sie tragen ihn bei sich Milord, in der Tasche ihrer karierten Jacke, ich sehe sie wissen worauf ich hinaus will, legen sie sie auf den Tisch Milord ihre Taschenflasche, nach dem Mord an ihrer Frau steckten sie sie wieder zu sich und danach konnten sie auch wenn sie es gewollt hätten sich ihrer nicht entledigen, sie waren niemals allein, zunächst behielt ich sie im Auge, später tat dies auf meine Anweisung Oberst Tiptoe.
Lord: Sie haben gewonnen Prof, hier ist die Flasche.
Jellypot: Er trinkt.
vanDusen: Fallen sie ihm in den Arm, Tiptoe.
Tiptoe: Zu spät, seine Lordschaft ist verschieden.
Hatch: Sherry plus Zyankali.
Jellypot: Dabei war seine Lordschaft Whiskytrinker, na werden sie wohl einen dritten Totenschein ausstellen müssen Dr Horrox.
Hatch: Wieder Herzversagen.
Horrox: Nein Mr Hatch, Selbstmord mittels Zyankali aus unstillbaren Gram um den Tod der geliebten Gattin.
Hatch: Lord Twickenhams Leiche wurde weggeschafft, dann konnte es endlich losgehen, das große Festbankett, trotz der geschrumpften Teilnehmerzahl wurde es das muß ich sagen ganz lustig, besonders zum Schluß, es gab Portwein, Zigarren und Dekan Jellypot klopfte zum letzen mal an sein Glas.
Jellypot: Meine Herren, bevor wir an diesem denkwürdigen 4 Juli auseinandergehen wollen wir uns wie in jedem Jahr unseren Ehrengästen widmen, Prof van Dusen.
vanDusen: Passen sie auf, mein lieber Hatch, man wird mir nunmehr die Ehren-mitgliedschaft dieses kindischen Vereins offerieren und es wird mir ein vergnügen sein sie höflich aber bestimmt auszuschlagen.
Jellypot: Durch ihre amateurkriminologischen Fähigkeiten haben sie in erheblichen Maße dazu beigetragen unseren diesjährigen Gedenktag auf recht spezielle Weise unvergeßlich zu machen, nehmen sie dafür unsern Dank, und nun zu ihnen Mr Hatch, sie haben sich als ein wahrer Kenner der werke unsere großen Lewis Carroll erwiesen und mehr noch, als ein Mann von echtem rechten Lewis Carroll Geist, deshalb sind stolz und glücklich ihnen Mr Hutchinson Hatch die Ehrenmitgliedschaft in unserer exklusiven Gemeinschaft zu verleihen, das ist ja, eine Rede, eine Rede Mr Hatch.
Hatch: Danke meine Herren, ich danke ihnen von Herzen für diese große und ganz unerwartete Ehre, wenn sie gestatten, will ich versuchen mich dafür auf bescheidene Weise zu revanchieren, in dem ich ihnen ein paar Zeilen vortrage natürlich aus einem Gedicht von Lewis Carroll, aus seinem unsterblichen Lied des Gärtners.
vanDusen: Mein lieber Hatch was soll das.
Hatch: Ihm deucht er säh nen wilden Stier auf einer hohen Fichte, er schaut noch mal und fand es sei des eigenen Schwagers Nichte, verschwinde sprach er, anderenfalls bemühe ich die Gerichte.
vanDusen: Das ist doch kindischer Unfug.
Hatch: Ihm deucht, er sah ein Känguru ne Kaffeemühle drehen, er schaut noch mal und fand es sei ein Brötchen mit Arsen.
vanDusen: Sind sie von allen guten Geistern verlassen.
Hatch: Sag er wird es mir schlecht ergehen, ihm deucht er sei ein Axiom, das zog sich an den Haaren, er schaut noch mal und fand es sei ein Korb von Seifenwaren, wie schrecklich sprach er vor sich hin, laß alle Hoffnung fahren.
Professor van Dusen: Friedrich W. Bauschulte
Hutchinson Hatch: Klaus Herm
Dekan Jellypot (Chesshire-Katze): Lothar Blumhagen
Oberst Tiptoe (Hutmacher): Christian Rode
Lord Twickenham (Weißes Kaninchen): Horst Bollmann
Dr. Horrocks (Raupe): Helmut Kraus
Raphael Roselli (Märzhase): Moritz Milar
Diener: Klaus Jepsen
Hörspielfan
15. Juli 2025